Peter Grimm / 24.02.2022 / 16:45 / 130 / Seite ausdrucken

Putin ohne rote Linien

Wladimir Putin hat sein Land in einen Ukraine-Krieg geführt und dabei rote Linien überschritten. Oder mangelte es an roten Linien beziehungsweise an der Entschlossenheit oder den Möglichkeiten, diese auch zu verteidigen?

Der Großteil deutscher Putin-Kritiker hatte am Donnerstagmorgen eines gemein gehabt mit einem Großteil deutscher Putinisten: Sie waren von dem „richtigen“ Einmarsch in die Ukraine und damit dem Eintritt in einen Krieg, der sich zu nichts anderem mehr weginterpretieren lässt, überrascht. Selbst viele derer, die Putin eigentlich alles zutrauten und die drohende Kriegsgefahr schon länger beschworen, hatten dennoch gehofft, der Herrscher im Kreml würde zunächst „nur“ die ohnehin nicht mehr unter ukrainischer Regierungsherrschaft stehenden“Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk besetzen und dann erst einmal eine Weile abwarten. Auch meine Prognose ging genau in diese Richtung.

Dass Putin jetzt gleich in verschiedenen Teilen der Ukraine angreifen lässt und einen richtigen Krieg ohne Kriegserklärung führt, hatte ich nicht erwartet, obwohl es auch nicht sonderlich überraschend ist. Bislang scheint seine Armee noch Operationen zu meiden, bei denen es eine größere Zahl eigener Gefallener geben könnte. Das tut er aus innenpolitischem Kalkül, wie es Gunnar Heinsohn an dieser Stelle schon beschrieben hat. Doch den richtigen Krieg wollten gerade die europäischen Regierungen, allen voran die französische und die deutsche, unter vollem Einsatz ihres diplomatischen Instrumentariums verhindern. Warum konnte ihnen das nicht gelingen? Vielleicht auch, weil im Laufe der Jahrzehnte vergessen wurde, wie das System der Abschreckung funktioniert, das immerhin lange Zeit verhindert hatte, dass aus dem Kalten Krieg zwischen Ost und West ein heißer wird.

Um einen potenziellen Aggressor von seinen Plänen abzuhalten, muss für ihn das Risiko zu groß sein, selbst existenziellen Schaden zu nehmen. Klar und eindeutig sollte die „rote Linie“ markiert sein, also die Grenzüberschreitung, ab der mit Konsequenzen in einer Größenordnung zu rechnen ist, die sich nicht mehr vernünftig kalkulieren lässt. Natürlich muss die „rote Linie“ in einem vernünftigen Verhältnis zu den Drohungen stehen, die man kommuniziert. Die müssen schließlich hinreichend abschreckend sein und das sind sie nur, wenn einem die Gegenseite auch zutraut, das Angedrohte im Ernstfall auch zu tun.

Mit diesen Trümpfen in den Händen sollten dann gute Diplomaten und Politiker mit diplomatischem Geschick im Idealfall dafür sorgen, dass kein Schuss fällt. Natürlich sollten sie dabei noch wissen, wie man die Grenze zwischen Kompromiss und Appeasement nicht überschreitet.

Das Preisschild lädt zum Kalkulieren ein

Doch im Vorfeld des jüngsten russischen Angriffs auf die Ukraine ließen die maßgeblichen Politiker des Westens ihre Unterhändler ohne eine Trumpfkarte ins diplomatische Spiel ziehen. Sie hatten schon Schwierigkeiten, die rote Linie eindeutig zu ziehen. War es der russische Einmarsch über die offizielle Staatsgrenze? Oder erst der über die Waffenstillstandslinie? Dass sich das nicht so klar sagen ließ, ist auch verständlich, denn de facto hatte sich der Westen ja offenbar schon längst mit dem russischen Engagement in Donezk und Luhansk abgefunden.

Doch nun hat Putin alle denkbaren roten Linien überschritten. Womit hätte man ihm aber drohen können, um das zu verhindern? Oder anders gefragt: Womit hätte man Putin so drohen können, dass es ihn beeindruckt? Mit einem eigenen Militäraufmarsch? Der dient ja erklärtermaßen nur dem Schutz der benachbarten NATO-Partner. Damit es da keine Missverständnisse gibt, hat US-Präsident Biden zuvor auch klar und deutlich erklärt, keinen amerikanischen Soldaten in die Ukraine schicken zu wollen, denn dann drohe eine direkte militärische Konfrontation mit Russland und daraus könne ein Weltkrieg entstehen. Das hat die US-Soldaten und ihre Angehörigen sicherlich beruhigt, aber auch Wladimir Putin im Kreml. Einen Weltkrieg hätte er vielleicht auch gefürchtet. Aber hätte man deshalb US-Soldaten in die Ukraine schicken sollen? Wer mag sich dafür aussprechen?

Stattdessen wurde Putin ein bunter Reigen von Sanktionen angedroht. Moskau bekam aufgezählt, was alles möglich ist und hat das genau registriert. Dass es um die schlimmsten denkbaren Sanktionen gehen würde, die noch nie dagewesen sind, ist ein Sprechblasen-Gewitter, dass wohl kaum einen Autokraten beeindruckt.

„Aggression muss ein Preisschild haben“ sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Dezember, um die EU-Staaten auf künftige Russland-Sanktionen einzuschwören. Der Satz wurde in Deutschland gern wiederholt. Politiker, die Probleme gern mittels größerer Geldüberweisungen zu lösen oder aufzuschieben versuchen, finden das Bild vom Preisschild natürlich überzeugend. Für einen potenziellen Aggressor aber ist es die Einladung, zu kalkulieren, ob er sich einen geplanten Überfall leisten kann oder nicht. Das ist keine Abschreckung, wenn die Möglichkeit besteht, dass er sich ausrechnet, es sich leisten zu können.

Diejenigen, die die Zeche auf unserer Seite zu zahlen haben, bekommen übrigens kein Preisschild zugestanden. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat erklärt: „Für eine demokratische, souveräne und freie Ukraine nehmen wir wirtschaftliche Folgen in Kauf“. Doch gleichzeitig unterstrich sie: „Frieden und Freiheit in Europa haben kein Preisschild“. Vielleicht, so kann der Steuerzahler argwöhnen, werden noch ein paar andere Kosten in den Sanktionstribut mit eingerechnet.

Es gibt keinen Schiedsrichter

Doch zurück zum Krieg in der Ukraine. Die Bemühungen westlicher Unterhändler in Moskau sind krachend gescheitert. Als Nord-Stream-2 vielleicht noch eine Trumpfkarte im diplomatischen Spiel war, da wollte sie die Bundesregierung nicht spielen. Welche Entwicklung dieser Krieg nehmen wird, wie blutig er wird, hängt derzeit leider vor allem vom Herrscher in Moskau ab. Der Westen steht mit Appellen und starken Worten am Rande und muss erst wieder Klarheit über realistische politische Ziele in diesem Konflikt und die dazu einsetzbaren Mittel finden. All die Schwächen heutiger deutscher und europäischer Außenpolitik hat Putin klar erkannt und er nutzt sie gnadenlos. Es hilft nichts, dies zu beklagen. Das ist leider kein Spiel, bei dem man darauf pochen kann, dass ein Schiedsrichter sich um die nötige Fairness kümmert. Und wenn zwei Länder weiter ein Krieg tobt, dann sollte das die Deutschen vielleicht daran erinnern, dass es durchaus sinnvoll ist, die eigene Armee zum Zwecke der Landesverteidigung funktionsfähig zu machen.

Es ist wohlfeil, wenn sich die politischen Verantwortungsträger hierzulande darin gefallen, den Präsidenten Putin immer wieder mit den allerschärfsten Worten zu verurteilen. Natürlich soll das alles gesagt werden. Aber wirklich hilfreich ist es jetzt vor allem, endlich die eigenen Defizite und Fehler zu erkennen und sich von lieb gewonnenen Illusionen zu trennen.

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Julius Finster / 25.02.2022

Frage des Deutschlandfunks: Faschist oder Freiheitskämpfer (10.09.2014) ? Es geht um Dmitri Jarosch, ehemaligen Führer des Asow-Bataillons, Berater des Oberbefehlshabers der Ukrainischen Streitkräfte und ausgewiesenen Nationalisten. Würde hier im Westen auch so freundlich gefragt? Wenn einer wie er mit Waffengewalt gegen eine Volksgruppe vorgeht? So ist der Westen halt. Die Tragödie der 42 verbrannten pro-russischen Aktivisten in Odessa (2.05.2014) wurde auch nicht aufgeklärt. Man stelle sich das in anderen Ländern vor. Im Kampf gegen rechts. Müsste da der Westen Putin nicht behilflich sein? Stattdessen werden vermutlich Waffen und finanzielle Mittel den „Freiheitskämpfern” bereitgestellt.

Gerd Alois Werz / 24.02.2022

Warum sollten sich die Deutschen von ihren Illusionen trennen wollen? In der bunten Welt, die sie sich gemalt haben, ist doch alles so friedlich und nett. Die paar Messerstechereien und Vergewaltigungen seit 2015 sind doch nicht schlimm und die Energiepreise, die kaum noch jemand bezahlen kann, haben für die Welt doch Vorbildfunktion. Wer zweifelt da noch an der der moralischen Überlegenheit?

N.Lehmann / 24.02.2022

Da wird Opa Olaf, das Trampolin und der Wurschtminister aber dumm mit den Michels aus der Wäsche schauen, Gas wird jetzt richtig teuer! Die Pipe N2 braucht Merkelland und nicht der Bär. Manoman, da wird es harte rote Linien geben, bis zum Umfallen! Die Amis kommen vor lachen nicht in den Schlaf! Dummland ist versagensbereit!

R. Sickel / 24.02.2022

@Peter Grimm :“Doch den richtigen Krieg wollten gerade die europäischen Regierungen, allen voran die französische und die deutsche, unter vollem Einsatz ihres diplomatischen Instrumentariums verhindern. Warum konnte ihnen das nicht gelingen? Vielleicht auch, weil im Laufe der Jahrzehnte vergessen wurde, wie das System der Abschreckung funktioniert, das immerhin lange Zeit verhindert hatte, dass aus dem Kalten Krieg zwischen Ost und West ein heißer wird.” Um auch dem allerletzten Träumer klarzumachen, was aus D würde, wenn aus dem kalten Krieg ein heißer würde, empfehle ich zum einen den Artikel “Als trojanischer Esel der NATO in den Dritten Weltkrieg” (zeitgeist-online), der sich u.a. auf die Memoiren von Kissinger, aber auch auf anderen Zeugnissen unmittelbarer Zeitzeugen beruht. Glaubt unsere “drohende” Annalena allen Ernstes, daß Putin nicht genauestens wüßte, in welcher Lage sich D befindet?! Man darf doch davon ausgehen, daß wie in den meisten großen Firmen auch das Außenministerium seit Jahr und Tag zuverlässig mit Presseauswertungen versorgt wird. Hinzu kommt aber (neben der nicht unerheblichen Weiterentwicklung von Langstrecken-Waffensystemen mit extrem kurzen Vorwarnzeiten) inzwischen eine Weltwirtschaftslage, die sich kaum noch lange deckeln läßt. Mit gravierenden Auswirkungen auf die Dollar-Leitwährung. Die ohne Gold-Deckung ist seit Nixon. Es wird geopolitisch in den nächsten Jahren also kaum entspannter werden, was man aus Investoren-Sicht bei den Top-Ten der “Goldseiten” z.B bei der lfd. Nr. 4 im Beitrag von Simon Hunt nachlesen kann. Denn DAS ist wie er schreibt, die “eigentliche Geschichte” ...

Peter Groepper / 24.02.2022

Was täte ich nur ohne die öffentlich rechtlichen? Mein Bewertung: Ich verfolge gebannt jeden Kanal unseres öff. rechtl. TV. Dort erfahre ich, was wirklich passiert und wie es bewertet wird, ich bin quasi selber life dabei. also wie immer “direkt aus ..... zugeschaltet”: a) was wird der US Präsident wohl sagen, wenn er gleich auftritt? b) was sagt er gerade bei seinem Auftritt? Wir übersetzen simultan. c) was hat er bei seinem Auftritt gesagt? d) wie ist das, was er gesagt hat, zu bewerten? e) wie wird Putin das, was er gesagt hat, wohl bewerten? f) wie hat Putin das, was er gesagt hat, bewertet? g) wie ist das, was Putin gesagt hat, zu bewerten? h) wie wird Scholz das, was P. gesagt hat, bewerten? i) wie ist das, was Scholz gesagt hat, zu bewerten? j) was wird wohl als nächstes passieren? j) wie ist das, wenn es passieren wird, einzuschätzen? k) welche Reaktion des US Präsidenten ist dann zu erwarten? l) wie wird diese Reaktion einzuschätzen sein? m) wie ist die Bewertung von ... (Schulz, Biden, Brock, Bärbock, Lambrecht, Cleber, Caligula, Napoleon, Ötzi, ....) zu bewerten? usw usw usw, Die Spannung steigt ins Unermessliche! Das ist Reportage wie aus dem Lehrbuch. liebe Zuschauer, wir halten sie selbstverständlich auf dem Laufenden und werden uns, sobald etwas passiert, mit einer Sondersendung ins laufende Programm einschalten und das was passiert, bewerten und ebenso die Bewertungen anderer Bewerter bewerten…. meine persönliche Bewertung: Bei soviel Bewertung kann der Wert des öff. TV gar nicht hoch genug bewertet werden. Jeder Euro an Gebühren ist unseren Beitrag wert!

A. Ostrovsky / 24.02.2022

Die Tagesschau untertitelt jetzt ihr Propagandavideo mit “Nach dem russischen Großangriff: Lage in der Ukraine”. Aha, Wir sind also schon nach dem russischen Großangriff. Wodurch ist der denn gestoppt worden? Durch die heldenhafte Verteidigung der ukrainischen Streitjräfte? Oder haben die Panzerarmeen die auf dem Wege nach Kiew waren sich unerwartet in Luft aufgelöst? Oder stehen die schon vor Berlin? Weiß die Tagesschau-Gurkentruppe eigentlich wie lange ein moderner Panzer für 135 km aus Tschernobyl braucht, wenn er auf keine Gegenwehr trifft?? Die Livekameras vom Maidan zeigen immer noch zivile Personenwagen, keine russischen Panzer. Die Großoffensive ist ins Parallelunuversum der psychologischen Kriegsführung verschwunden. Oder Putin hat sich besonnen und ist umgekehrt, weil er doch plötzlich Gewissensbisse hatte. Es war halt unüberlegt. Morgen sendet RT sicher seine Entschuldigung. Leute, Leute! Die verarschen uns, und wir wissen noch nicht einmal, wer uns so hinter die Fichte führt. Aber es sind fast alles Lügen, die den nächsten Morgen nicht erreichen. Oder hat Putin Kiew schon eingenommen und sofort eine Nachrichtensperre verhängt, damit wir es nicht erfahren? Wo ist Ronzheimer? Haben die ihn schon zum Militär eingezogen? Oder steht er noch im Oblast Rostow in Russland am Kreisverkehr von Matwejew Kurgan als Zeitreisender?

Peter Sticherling / 24.02.2022

Si vis pacem, para bellum. - diesen Grundsatz hat der Patientin, Westen insbesondere die Bundesrepublik verstoßen. „Die Bundeswehr ist blank“, sagte General Mai. Auf Deutsch,:Die BW ist nackt!

Hans-Peter Dollhopf / 24.02.2022

Geisteskrankheit als Massenphänomen kenne ich selbst von welchen von elf Fußballenden abhängigen Ultras in Hundertschaft. Gott hat es verhindert, dass mich ihr übler Fallout je verletzten konnte, wo immer sie es mutwillig angingen. Putin ist sicherlich der übelste Fußballgott Russlands seit Erdogan für Türken. Dieser massakriert die Kurden zu Tode. Und Armenien 2020 und nicht Tschechien 1938 ist die Blaupause für die Invasion der Ukraine - wer immer auch im Hintergrund noch so mit"dro(e)hnt”.

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