Gunnar Heinsohn / 11.03.2014 / 11:27 / 2 / Seite ausdrucken

Putin, Hillary, Hitler und Stalin

Hillary Clinton vergleicht am 5. März 2014 in Kalifornien Putins Vorgehen gegen die ukrainische Krim mit der Taktik Hitlers. Der Moskauer „Vorwand, Russen zu schützen” gleiche dem 1938er Vorwand, die Sudetendeutschen durch Eroberung der Tschechoslowakei vor Schlimmerem zu bewahren.

Als Vorbereitung auf eine Präsidentschaftskandidatur hat die Außenpolitikerin diese Aussage womöglich mit Beratern abgesprochen. Gänzlich abwegig wirkt die Parallele schließlich nicht. Gleichwohl versichert sie am 6. März, dass sie Putin keineswegs als angehenden Baumeister von Vernichtungslagern hinstellen wolle. Sie empfiehlt aber weiterhin, „die historische Perspektive“ im Auge zu behalten, weil man von „einer Taktik lernen könne, die schon früher verwendet wurde.”

Falls sie auch diese Modifikation mit Fachleuten beraten haben sollte, ist man über deren Sachverstand doch ein wenig erstaunt. Warum sollte Putin Hitler imitieren, wenn er über seinen Vater beim NKWD und seinen Großvater als Koch von Stalin direkt aus Einsichten des größten Lehrmeisters aller Werktätigen schöpfen konnte?

Der Pakt mit Hitler vom 23. August 1939 ermächtigt Stalin zur Eroberung Ostpolens. Als offizieller Vorwand für den eigenen Angriff vom 17. September – nach dem deutschen vom 1. September – will er den „Schutz der weißrussischen und ukrainischen Bevölkerung [Polens] vor den deutschen Eroberern“ publik machen.

Friedrich Werner Graf von der Schulenburg erreicht als Hitlers Botschafter in Moskau eine etwas weichere Formulierung. Am Ende rechtfertigt Stalin den Einmarsch mit dem Behüten „ostslawischer Brüdervölker“, die nach Verjagung der polnischen Regierung durch Hitler aus Warschau ganz ohne staatliche Behörden seien. Diesen Zustand führt Stalin durch umgehende Verhaftung und – ab April 1940 in Katyn –Ermordung der polnischen Beamten und Offiziere dann auch herbei.

Der Schritt von der 1939er Sorge um ukrainische Polen in Polen zur 2014er Sorge um russische Ukrainer in der Ukraine liegt Putin viel näher als das umständliche Heraussuchen deutscher Angriffsbegründungen. Zum Nachlesen russischer Vorwände hingegen sollte sich das westliche Führungspersonal durchaus ein paar Minuten Zeit nehmen.

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Irma Hoffe / 11.03.2014

Im umgekehrten Fall würden sich die USA auf ihr “nationales Interesse” berufen, das sie sehr weit fassen. Diese Doktrin einer näheren Betrachtung wert. Es wäre schön, wenn sich deutsche kritische Stimmen dazu äußern würden. Ansonsten kann man sich nur antun, den Originalton bei Zbigniew Brzezinski zu lesen. Ehrlich ist er, das muß man ihm lassen. Der immer noch höchst einflußreiche Ex-Präsidentenberater propagiert staatliches Dominanzstreben der kältesten und rücksichtslosesten Sorte. Von der US-Führung wird sie stets kostümiert mit den Phrasen “Demokratie und Freiheit”. Gerade las ich einen Artikel in der englischen Prawda: The West’s Unrequited Love - Ukraine. Ich bin schockiert. Er zeigt eine Hinwendung in Rußland zur strikten Religiosität und Nationalismus bei gleichzeitiger Verächtlichmachung des dekadenten Westens, wie ich sie nach den Jahrzehten des Kommunismus nicht für möglich gehalten hätte. Es geht Putin um nicht weniger als die Auferstehung und die Wiedervermehrung des russischen Volkes unter der strengen geistigen Führung der orthodoxen Kirche. Obwohl ich von Putins Religiosität und dem Bau von vielen neuen Kirchen hörte, war mir nicht bewußt, daß er und Rußland es so bitter ernst meint. Putin und die orthodoxe Kirche haben sich nicht damit abgefunden, daß Rußland untergeht. Es geht für sie um das nackte Überleben und dafür waren schon immer alle Mittel recht.

Chris Deister / 11.03.2014

Hahaha, sehr schön, Herr Heinsohn! Hatte wesentlich drögere Ausführungen befürchtet, war aber gerne positiv überrascht. Ihre Ausführungen interpretiere ich für mich folgendermaßen: 1. Amerikaner haben keine Ahnung von Geschichte. Schon gar nicht von europäischer Geschichte (“ist ja eh alles eins, oder?”)—nicht dass es sie wirklich stören oder interessieren würde, notabene. Es ist zwar ein Vorurteil, hat jedoch mehr als nur einen wahren Kern. Daher rührt übrigens, meinem Empfinden nach, der Antiamerikanismus “von rechts”: die Begründungen amerikanischer Machthaber, warum sie etwas tun (oder unterlassen) sind inkonsistent, und ihre Reaktion wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden: - uns doch wurscht, “right or wrong, my country!” - das macht zwar keinen Sinn, aber die Geschichte muss weitergehen! (angelehnt an Hollywood-Drehbücher) - wir sind was besonderes, uns gibt’s nur einmal, und deswegen ist alles was wir tun richtig (-> American exceptionalism) 2. Nach der Auflösung der Sowjetunion zog in der westlichen Hemisphäre so etwas wie Tauwetter ein. Man konnte Hoffnung schöpfen, wurde doch der Bolschewismus in Publikationen wie dem Schwarzbuch des Kommunismus eingehend beschrieben (als hätte es den Archipel Gulag nie gegeben!). Die Wirkung war aber nicht nachhaltig. Der (Kultur- und Fiskal-) Bolschewismus ist wieder die globale Geißel Nr.1 und hat die westlichen Völker fest im Würgegriff. Alles darf nur “von [öko- und femi-] links” erklärt werden und die Entwicklung der Menschheit ist vorgezeichnet (Globalisierung, Multikulti, Feminismus etc.), Widerstand zwecklos - historischer Materialismus reloaded. Wie auch immer, auch für Hillary Clinton gilt Godwin’s Gesetz. Es ist tatsächlich eine Konstante der Natur; guter Mann, der Godwin!

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