Thomas Rietzschel / 09.06.2014 / 15:57 / 6 / Seite ausdrucken

Putin handelt, Steinmeier faselt

Man mag über Wladimir Putin sagen, was man will, den Westen hat er im Griff. Propagandistisch können ihm die Politiker der freien Konsumgesellschaft das Wasser nicht reichen. Im Gegenteil, wie auf Kommando springen sie über jedes Stöckchen, das er ihnen hinhält. Als er Ende voriger Woche, am Rande der Feierlichkeiten zum D-Day, ankündigte, mehr Grenzpolizisten einsetzen zu wollen, um den Übertritt russischer Kämpfer in die Ukraine zu erschweren, beeilten sich Minister und andere Oberhäupter Europas, die frohe Botschaft unters Volk zu bringen. Jeder wollte der erste sein, der die „Zeichen der Entspannung“ ausmachte. In den Medien verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Wie ernst sie zu nehmen ist, fragte niemand. Putin konnte abermals punkten. Sein Verfahren ist erprobt; es hat längst Methode.

Wann immer der Kremlchef in den vergangenen Monaten die Reduzierung oder gar den Abzug seiner versammelten Truppen aus dem Grenzgebiet zur Ukraine in Aussicht stellte, feierten die Diplomaten des Westens dies mehrheitlich als einen „Durchbruch“: den Erfolg ihrer Verhandlungsstrategie. Und jedes Mal vergaßen sie dabei, dass ja gar keine Truppen mehr an der Grenze stehen könnten, wenn Putin den gleichlautenden Ankündigungen der vorigen und vorvorigen Wochen die versprochen Taten hätte folgen lassen. So viele Soldaten, wie er unterdessen rhetorisch abgezogen hat, ließen sich im ganzen Territorium nicht einquartieren.

Allein, wo kämen wir hin, wenn man es in der Politik so genau nehmen würde. Schließlich müsste man sich dann auch fragen, wie denn die hochgerüsteten „Separatisten“ die russischen Linien in Richtung Ukraine durchbrechen konnten, wie sie ihre schwere Bewaffnung über die grüne Grenze brachten. Dass er diesem „illegalen“ Treiben nun ein Ende bereiten möchte, ist der nächste Bär den sich der Westen von Vladimir Putin aufbinden lässt. Die Erfahrung wenigstens zwingt zu dieser Annahme. Nicht ausgeschlossen ist, dass es bei „der Verstärkung der Grenzpolizei“ auf einen verdeckten Ausbau der militärischen Präsenz an der Grenze zur Ukraine hinauslaufen könnte. Wie gut sie sich auf die Tarnung verstehen, haben Putins Truppen der Welt ja eben erst bei der Okkupation der Krim vorgemacht.

Bei unseren Politikern indes scheint das keine nachhaltige Wirkung hinterlassen zu haben, nicht bei der Kanzlerin und erst recht nicht bei dem deutschen Außenminister, der schon wieder – zum wievielten Mal eigentlich? – von einem „Umdenken“ in Moskau faselt. Was muss denn noch alles geschehen, damit die Sachwalter der Demokratie endlich die Augen öffnen - damit sie erkennen, was ihnen die demokratisch gesinnten Russen, Dissidenten wie die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels Svetlana Alexijewitsch, seit Monaten zu erklären versuchen: dass Putin ein Großmachtpolitiker ist, der sich lieber an den Diktatoren der Vorzeit als an den freiheitlichen und rechtsstaatlichen Idealen des Westens orientiert.

Dass das einstige Stalingrad, das seit 1961 Wolgograd heißt, wieder seinen früheren Namen annehmen könnte, kann sich der alte KGB-Offizier durchaus vorstellen. Eine öffentliche Abstimmung darüber würde Putin befürworten. Auch das ließ er bei den Feierlichkeiten zum D-Day verlauten. Aber wer wollte da schon hinhören, gar darüber reden, wo es doch diplomatische Erfolge zu vermelden galt, so vielsprechende Anzeichen der Entspannung wie die Verstärkung der russischen Grenzpolizei.

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Leserpost

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Thorsten Retzlaff / 12.06.2014

Gerade eben lese ich bei Focus, dass russische Kampfjets in den amerikanischen Luftraum eingedrungen sind. Mal sehen, was Scholl-Latour und die anderen Putin-Versteher dazu sagen! War wahrscheinlich wieder provoziert, da vor fünf Jahren mal ein Amerikaner in Moskau gepinkelt hat.

Jörg Paul Jonas / 10.06.2014

Woher die bundesdeutschen Putinfans in den sozialen Netzwerken kommen, ist mir schleierhaft. Dass Putin seine Sache gut macht, ist leider richtig, aber das macht die Sache, die aus einem alten KGB-Handbuch stammt, nicht besser. In der Ukraine gibt es fast ausschließlich russischsprachige ukrainische Staatsbürger, eine russische Minderheit gibt es nicht. Die “Seperatisten” und die “prorussischen Kräfte” sind von Russland eingesetzte Militärs und Geheimdienstler, die in der Ostukraine inmitten der Zivilbevölkerung mit Mörsern und Flugabwehrgerät agieren.

Mona Rieboldt / 10.06.2014

Der böse Putin, man kann es schon nicht mehr hören. Und Putin ist ein Macht-Politiker und US-Politiker nicht? Ach ja, das sind nur gute Demokraten, edel, hilfreich und gut. *lach* USA und EU haben in der Ukraine eine ihnen genehme Regierung installiert. Und, oh Wunder, da steigt gleich der Sohn von Biden ins ukrainische Gasgeschäft ein. Natürlich reiner Zufall und ganz bestimmt kein von USA gewollter Wirtschaftskrieg. Bestimmt nicht, denn US-Politiker wollen ja nur das Gute, wie überhaupt der ganze Westen. Dass aber auch die dummen Leser das einfach nicht glauben wollen mit dem edlen Westen und dem bösen Putin.

Dirk Ahlbrecht / 09.06.2014

Ihnen ist aber schon bewusst, Daniel Oehler, daß wir im Fall der Ukraine von einem souveränen Staat reden, oder? Dieses Land, die Ukraine, ist kein Gebiet, auf dem andere einfach so herumfuhrwerken können - oder sehen Sie dies anders? Ich persönlich habe kein Verständnis für Leute wie Herrn Westerwelle, der auf dem Maidan und am gewählten Präsidenten vorbei, die Leute de facto zum Aufstand gegen die eigene Regierung ermuntert. Dennoch: Die Regierung Janukowitsch bestand zum größten Teil wohl eher nicht aus netten Leuten. Gewählte Plünderer trifft es diesbezüglich wohl besser. Wäre Herr Putin der nette Onkel, als den Sie diesen hier darstellen, dann könnte er ja auch dahingehend positiv auf die neue Regierung der Ukraine bzw. den frischgewählten Präsidenten einwirken, daß die Rechte der russischen Minderheit vollumfänglich gewahrt bleiben. Was macht er aber stattdessen? Er nimmt der Ukraine bei der ersten sich bietenden Gelegenheit die Krim weg und ermuntert die Russen in der Ukraine zum Aufstand; denn Waffen über die grüne Grenze in die Ukraine durchzulassen müssen wir wohl in diesem Sinne verstehen. Einen echt netten Kerl verteidigen Sie hier also, Daniel Oehler.

Daniel Oehler / 09.06.2014

Putin sollte deutlicher handeln Es gibt keinen Grund für die russische Regierung, dabei zuzusehen, wie eine von USA und EU an die Macht beförderte Clique bewusst eine blutige Politik gegen die russische und gegen die russischsprachige Minderheit der Ukraine macht. Wieviel tote Russen und Ostukrainer soll Putin zulassen, bis er militärisch gegen die Freunde von USA und EU vorgeht? Eine von Russland durchgesetzte Flugverbotzone über der Ostukraine dürfte Bombenangriffe der ukrainischen Luftwaffe verhindern und so zigtausenden von Ukrainern das Leben retten.

Dr. Nathan Warszawski / 09.06.2014

Wenigstens eine gute Nachricht: Wolgograd wird wieder Stalingrad heißen!

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