Das Bild oben zeigt die Sprengung der Kühltürme des AKW Philippsburg. Es gilt, den Ökologismus zu überwinden, der Verzicht und Stillstand fordert. Denn in der Nachbarschaft eines solchen, im Kern selbst imperialistischen Relikts mittelalterlicher Engstirnigkeit fühlen sich kriegslüsterne, anachronistische Despoten erst so richtig wohl.
In Wladimir Putin begegnet uns ein Zeitgenosse, dessen Denken im 19. Jahrhundert verharrt, in dem Imperien um Macht und Einfluss miteinander rangen. In dem wie schon in den Jahrtausenden zuvor fruchtbarer Boden noch immer die wichtigste Quelle aller Ressourcen war, von Nahrungsmitteln über Baustoffe bis hin zu Energieträgern. In dem aus eben diesem Grund Landbesitz das Fundament allen Wohlstandes bildete und in dem jeder Pfad zu weiterem Wachstum über die Einverleibung neuer Gebiete führte. Und in dem sich transnationale, multiethnische und von monokulturellen Eliten geprägte Großreiche als effektive Werkzeuge zur Kontrolle und Nutzung ausgedehnter Räume behaupteten.
Doch diese Zeiten sind lange vorbei. In der mit Maschinen aller Art errichteten Moderne globalisierter Produktions-, Handels- und Informationsnetze haben Geographie und Klima ihre Dominanz längst verloren. Dadurch wurde den Imperien nicht nur ihre Existenzberechtigung genommen, sie erwiesen sich zudem als Hindernis für die weitere Wohlstandsmehrung durch unternehmerische, politische Grenzen ignorierende Initiativen. Auch deswegen sind sie alle nach und nach von der Landkarte verschwunden, von den europäischen Kolonialreichen über die Habsburger Monarchie bis hin zur Sowjetunion als letztem Vertreter einer überkommenen Konzeption.
Putin mag diese Entwicklung in einem gewissen Umfang als Kränkung empfinden. Als Anfechtung einer von ihm selbst empfundenen und bei seinen Untertanen vermuteten nationalen Identität, nach der dem russischen Volk eine von allen zu akzeptierende Hegemonialstellung in Osteuropa und der damit verbundene Einfluss im Rest der Welt generisch zukommt. Aber diese emotionale Komponente erklärt noch nicht den Angriff auf die Ukraine durch einen Autokraten, dem nur rationale Skrupellosigkeit in Amt und Würden verhelfen und dort halten konnte.
Der eigentliche Zweck des Krieges besteht offensichtlich in der quantitativen Ausweitung des eigenen Herrschaftsbereiches. Putin will das Land, will die Menschen, die es bewirtschaften, will die Bodenschätze, die unter ihm schlummern und die Infrastrukturen, die auf ihm errichtet wurden. Ob dies nun unmittelbar durch Annexion und Anschluss, oder nur mittelbar durch die Einsetzung einer neuen, von Moskau gesteuerten Regierung geschieht, ist dabei unerheblich. Es war ein imperiales Erfolgsrezept seit jeher, lokalen Befindlichkeiten durch die Etablierung von Vasallenstaaten Rechnung zu tragen, ohne dabei die Führung in ökonomischen und außenpolitischen Aspekten aus der Hand zu geben.
Mehr Einfluss und mehr Reichtum für alle Russen? Irrtum.
Putin will das Land, weil er, ganz im traditionellen imperialen Denken verhaftet, davon überzeugt ist, dies verschaffe ihm, seinen Gefolgsleuten und davon ausgehend schließlich allen Russen mehr Einfluss und mehr Reichtum. Und genau darin liegt sein großer Irrtum.
Obwohl ihn die Auswirkungen der Invasion, oberflächlich betrachtet, bestätigen. Plötzlich sehen sich Deutschland und viele andere Länder mit jahrelang verdrängten Realitäten konfrontiert. Die Abhängigkeit von Energieträgern, von Agrarprodukten, von Mineralien und Metallen, die Aggressor wie Verteidiger liefern, stürzt die zu Sanktionen und Embargos neigenden Staaten in eine veritable Versorgungskrise. Russlands Fähigkeit, anderen seinen Willen aufzuzwingen, scheint tatsächlich auf sibirischen Bergwerken zu beruhen und die Bedeutung der Ukraine als Handelspartner mit dem Umfang ihrer Landwirtschaft zu korrelieren.
Doch dies ist nur einem Mangel an Gestaltungswillen zuzuschreiben, der vor allem die westliche Welt seit Jahrzehnten lähmt. Es sollte nicht verächtlich auf einen offenkundig in der Vergangenheit feststeckenden Kriegstreiber deuten, wer selbst eine vergleichbare Rückständigkeit pflegt und trotzig verteidigt. Ob Energiewende, Biolandbau oder die seit neuestem propagierte Wiedergeburt hölzerner Gebäude, all diese Pläne bedeuten ein Festhalten an der Fläche als Ursprung aller Wertschöpfung. Und in all diesen als mindestens notwendig, wenn nicht gar als wünschenswert und überaus vorteilhaft deklarierten Ideen manifestiert sich der Glaube an die Verbindung zwischen kontrolliertem Areal und Wohlergehen. Was neben der Frage der Produktivität auch historische Erfahrungen und Entwicklungen ignoriert.
Nicht die Errichtung von immer mehr Wind- und Wassermühlen, nicht die Abholzung von immer mehr Wäldern, nicht die Abschlachtung von immer mehr Walen und nicht die Verbrennung von immer mehr Stroh, Dung oder Torf boten einen Ausweg aus der malthusianischen Falle des Mittelalters. Sondern die in der Industrialisierung begonnene Emanzipation von den viel zu geringen, der Biosphäre mühsam abgerungenen Erträgen. Ein positiver, weil die Lebensumstände andauernd verbessernder Trend, den umzukehren sich viele Regierungen dieses Planeten seit den 1970er Jahren leider intensiv widmen. Und damit nicht nur die weitere Verbesserung der Lebensumstände der Menschheit insgesamt gefährden, sondern auch Putins Krieg mindestens indirekt rechtfertigen.
Als wäre die Kolonialzeit zurück
Denn der russische Imperator steuert mit Panzern und Geschützen dasselbe Ziel an, das zu verfolgen die Anhänger von Ideologien wie „Nachhaltigkeit“ oder „Klimaschutz“ ebenfalls gezwungen sind. Nur kommen die Waffen letzterer, Papier und Stift, Gesetze und Regulierungen, Verträge und Abkommen, etwas kultivierter daher. Das Resultat aber, die Autorität über immer mehr Territorien in immer größerem Umfang, ist am Ende identisch. Was beim Erzwingen eines Windrads in vormals geschützten Gebieten oder nahe Wohngebieten beginnt, mündet unvermeidlich in der Inbesitznahme von Räumen zur Energie-, Nährstoff- und Materialproduktion jenseits der eigenen Grenzen.
So plant dann mancher Europäer bereits mit der sonnenreichen Sahara oder süd- und mittelamerikanischen Plantagen, als wäre die Kolonialzeit zurück. So kauft sich dann China in Afrika ein, als hätten die dort Einheimischen keine eigenen Interessen. So greift dann Russland nach der Ukraine, als würden die Romanows noch immer regieren und mit den Habsburgern um Ackerflächen und Weideland ringen. Es ist eben auch die Hinwendung zu veralteten und ineffizienten Technologien in der Nahrungs- und Energieversorgung, die solche riskanten Rückfälle in obsolete Denkmuster induziert. Obwohl doch längst nicht mehr Spitzhacke oder Pflug die Gegenwart und die Zukunft prägen, sondern Roboter, Computer und Algorithmen.
Zwar induziert die fortgeschrittene, von hochautomatisierten Produktionsprozessen getragene Wissens- und Dienstleistungsökonomie Stoff- und Energieumsätze in erheblichem und andauernd steigendem Ausmaß. Aber sie vermag durch Hebung individueller Kreativität und Schaffenskraft auch all die Fertigkeiten und Methoden zu ersinnen und zu etablieren, die zur Erfüllung ihrer Bedarfe notwendig sind. Bis schließlich durch die Nutzung aller Reservoire Rohmaterialien und Energieträger im Übermaß und damit hinreichend preiswert überall zu jeder Zeit verfügbar sind. Nur dies sichert eine flexible, skalierbare und resiliente Versorgung, die von externen Schocks wie Naturkatastrophen oder Kriegen nicht mehr gefährdet werden kann.
Ein in allen Poren mit Kohlenwasserstoffen gesättigter Schwamm
Die Erdkruste allein, jene im Schnitt lediglich dreißig Kilometer tiefe, feste Gesteinsschicht, die auf dem Erdmantel schwimmt, enthält von allem mehr als genug Atome und Moleküle, um selbst eine in Zahl und Anspruch stetig wachsende Menschheit dauerhaft zu unterhalten. Sie ist beispielsweise ein in allen Poren mit Kohlenwasserstoffen gesättigter Schwamm, den anzuzapfen immer effektiver und effizienter gelingt. Die hydraulische Stimulation als minimalinvasives Förderverfahren, etwas vulgär auch gerne als „Fracking“ beschrieben, ist nur ein Element einer langen Kette von bergbautechnischen Innovationen, die immer mehr Vorkommen mit immer geringerer Konzentration und Mächtigkeit in wirtschaftliche Reichweite bringt.
Die Ozeane, in denen gigantische Mengen an Metallen in gelöster Form vorliegen, sind bislang noch nicht einmal angezapft worden. Einzig für Uran hat man bereits eine Methode zur direkten Gewinnung aus dem Meerwasser demonstriert. Die enormen Erzvorkommen am Meeresgrund, einerseits aus dem Erdinnern und andererseits durch den Ausfall von Stoffen aus der Wassersäule gespeist, werden noch immer nur erkundet statt genutzt. Allein das ebenfalls in der Tiefsee auffindbare Methanhydrat ist eine quasi unerschöpfliche Energiequelle mit mehr Potenzial als Erdöl, Erdgas und Kohle zusammen. Hinzu tritt, neben den Optionen der Kernenergie, Fusion und Fission, auch noch der Weltraumbergbau. Ein einziger mittelgroßer Asteroid enthält genug Eisen und Nickel, genug Palladium und Titan, genug Kupfer und Neodym, um die Zivilisation für Jahrhunderte zu tragen.
Auch die Landwirtschaft ist längst dabei, sich von Acker und Weide zu lösen. Was heute nur bei Salaten und Kräutern gelingt, also der vertikale Anbau als Hydrokultur in hochautomatisierten, umfassend optimierten, von der Außenwelt getrennten Umgebungen, wird sich bald schon auf immer mehr Nutzpflanzen ausdehnen. Billiges, vom natürlichen Vorbild weder strukturell noch chemisch unterscheidbares Fleisch aus dem Bioreaktor ist ebenfalls keine Utopie mehr. Wie überhaupt der Anteil an vollständig künstlich hergestellten Stoffen in der Nahrungsmittelveredelung stetig zunimmt.
Mangel an Vorstellungskraft und Initiative
Mit solchen und ähnlichen Ansätzen hätte man schon längst die Situation herbeiführen können, die man gegenwärtig so sehr ersehnt. Eine Lage, in der Russland einerseits nach wie vor gutes Geld mit seinen Rohstoffen verdienen könnte, denn wer die doppelte Menge zum halben Preis pro Einheit verkauft, macht noch immer denselben Schnitt. In der es aber kein Druckmittel mehr in der Hand hätte, könnten seine Offerten doch allzu leicht und schnell aus anderen Quellen substituiert werden. In der selbst ein Putin die Nutzlosigkeit eines Eroberungskrieges erkennen müsste, da der Handel mit hochwertigen Produkten zwischen eigenständigen Partnern weit höhere Profite verspricht. In der die Beteiligung russischer Techniker und Ingenieure an Projekten wie der Internationalen Raumstation ISS oder dem Fusionsreaktor ITER über den Einfluss und die weltpolitische Rolle seiner Nation entscheiden und nicht Panzer, Öl, Kohle, Gas, Erze oder Getreide. In der, so denn der Diktator selbst uneinsichtig bleibt, es zumindest genug Intelligenz in seinem Umfeld gibt, die ihm rechtzeitig in den Arm fällt.
Doch dahin gelangt nur, wer sich selbst vom Gestern löst und nicht mehr haltbare, den Fortschritt bremsende Dogmen aufgibt. Ressourcen waren und sind niemals physisch knapp. Jede gefühlte oder angenommene Limitierung ist allein einem Mangel an Vorstellungskraft und Initiative zuzuschreiben. Es gilt, den Ökologismus zu überwinden, der Verzicht und Stillstand fordert, wo Ansprüche und Wünsche zu formulieren sind. Denn in der Nachbarschaft eines solchen, im Kern selbst imperialistischen Relikts mittelalterlicher Engstirnigkeit fühlen sich kriegslüsterne, anachronistische Despoten erst so richtig wohl.