Claudio Casula / 18.08.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 56 / Seite ausdrucken

Punks auf Sylt: den „Reichen“ die Ferien versauen

Mit dem 9-Euro-Ticket fielen in diesem Sommer hunderte Punks auf der Nordseeinsel Sylt ein. Ihr Herumgammeln wird jetzt als „Kundgebung“ geadelt, und sie werden von Medien und Politik hofiert.

Zu den wenigen Leichen in meinem Keller gehört eine sehr überschaubare Zeit um die Mitte der 80er-Jahre. Während des Wehrdienstes hatte ich mit Kameraden aus dem Rheinland zu tun, die Kontakte in die (Spaß-)Punkszene hatten. Da sah man sie in so mancher Kneipe vorsätzlich herumlungern und Bier oder Fanta-Korn verklappen, das billiger war als die Wodka-Orange-Variante, aber auch entsprechend schmeckte. Man hörte Bärchen und die Milchbubis („Jung kaputt spart Altersheime“), „Chrisbaumbrennt“ von der Chris Braun Band, Die Goldenen Zitronen („Ohne Beine Sportschau sehen") und die Fidelen Castros. Das war mitunter recht lustig. Diese Menschen gingen erkennbar keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach und hatten es auch nicht vor, waren aber in ihrem Nihilismus friedlich und stellten keine Ansprüche. Sie schnorrten jeweils, bis es für das nächste Bier reichte, und gut.

And now for something completely different: zur Nordseeinsel Sylt, oft zu Unrecht pauschal als „Insel der Reichen und Schönen“ bezeichnet. Die gibt es dort zwar auch, jedoch immer schon (konkret: seit Beginn des Tourismus dort vor hundert Jahren) ganz normale Urlauber. Mit unseren Kindern fuhren wir, schon der Nähe zu Hamburg wegen, oft dorthin, wenn es im Sommer am Mittelmeer zu heiß war. So wie zahllose andere Reisende, vor allem Familien, die einfach nur einen entspannten Urlaub auf einer schönen Insel genießen wollten, die endlosen Sandstrände und die tosende Nordsee im Westen, die Dünenlandschaften, das Wattenmeer auf der Ostseite, den weiten Himmel, die frische Luft, die Ruhe.

Es war und ist „zwar etwas teurer“, wie man von den Ärzten („Westerland“) weiß, aber gewiss nicht unerschwinglich für Normalverdiener. Neben den gutbetuchten Promis, die sich seit den 60er-Jahren auf der Insel tummeln, gibt es immer noch die Normalo-Touris, etwa 150.000 (zehnmal so viele wie Sylt Einwohner hat), die in einfacheren Ferienwohnungen logieren oder campen und durchaus auch günstigere Gerichte und Imbisse vorfinden. In den letzten Jahren haben die Preise zwar noch stärker angezogen als woanders und grenzen zuweilen schon ans Unverschämte, aber den Ruf, eine Luxusinsel zu sein, hat Sylt ja schon länger weg.

„Denen die High Society vermiesen“

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kanzler Olaf ausging, dass alle Welt im Sommer für neun Euro ein Ticket erwerben können solle, welches bundesweit in Regionalzügen gilt. Das war der Punkt, an dem linke Aktivisten Punks auf die Idee brachten, sich eine Weile auf der Urlaubsinsel durchzuschnorren statt in der City ihres gewohnten Habitats. Wobei nicht das Eiland selbst, sondern den Aktivisten zufolge mehr der Gedanke eine Rolle spielte, den Reichen „die Ferien zu versauen“. Also reisten sie zu Hunderten über den Hindenburgdamm an, um hauptsächlich an einem Brunnen vorm Edeka im eher reizlosen Westerland abzuhängen und in industriellen Mengen Bier zu konsumieren. Das sie sich übrigens zunächst von Amazon (!) auf die Insel hatten liefern lassen, weil’s billiger war oder sie das zumindest annahmen. In einem Interview mit der taz sagt die Rapperin FaulenzA:

„Sylt präsentiert sich als Ort, an dem Reiche ihren Snob-Urlaub machen können, ohne von Ärmeren belästigt zu werden. Das ist ein Symbol für eine Gesellschaft, zu der wir keinen Zutritt haben. Deshalb hat es etwas Rebellisches, gerade hier hineinzugehen und denen die High Society zu vermiesen, auch einfach nur mit Party. Schon unsere Existenz stresst sie.“

Wobei sie zu den Reichen und den Snobs schon diejenigen zählt, die vier Euro für eine Kurkarte zum Betreten des Strandes aufbringen können: „Wir dürfen hier nicht an den Strand, es sei denn, wir zahlen die vier Euro. Dagegen haben wir als Demo die Poolparty im Brunnen gemacht – um darauf aufmerksam zu machen, dass der Strand nur für Reiche ist.“

Mit viel Wohlwollen also schon so eine Art politischer Demonstration, womit das Planschen im Pool dem hedonistischen Spaßereignis „CSD“ gleichgestellt ist, der ja auch offiziell als Kundgebung gilt. Das wurde dann sogar, recht punk-untypisch, in eine behördliche Verordnung gegossen, um den zahlungsschwachen Dauergästen die Einrichtung eines „Protest-Camps“ zu ermöglichen. Seit Monatsbeginn zelten die Punks auf der Grünanlage vor dem Rathaus, nachdem den Behörden das Wildpinkeln und unerlaubte Nächtigen am Strand und auf der Promenade zu viel geworden war. Zwar fehlt auch dort jede Infrastruktur, und Bürgermeister Häckel berichtet von unsachgemäßer Nutzung der mobilen Toiletten, die den Punks zur Verfügung gestellt wurden (die nahegelegenen öffentlichen Toiletten, die die Kampierenden bis vor Kurzem ebenfalls benutzt hatten, hatten bereits wegen einer starken Beschädigung der sanitären Anlagen zu Lasten aller Menschen auf der Insel geschlossen werden müssen), aber irgendwie musste man den wilden Haufen unter Kontrolle bringen.

Herumlungern gilt jetzt als politische Kundgebung

Wie das Hamburger Abendblatt berichtet, konnte der Veranstalter (!) „der Versammlungsbehörde glaubhaft darlegen, dass es eine funktionale/symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema gibt. Das Thema der Kundgebung soll ,Gentrifizierung von Städten und nationalen Urlaubszielen wie Sylt’ lauten.“ Sie solle außerdem auf „die vergangene Punkkultur auf Sylt“ aufmerksam machen, von der ich wundersamerweise in den vergangenen drei Jahrzehnten nichts mitbekommen habe. Das Versammlungsgebiet sei auf den kleinen Stadtpark am Rathaus beschränkt.

Den politischen Segen hatten die Punks schon vor Wochen erhalten, als Wolfgang Schäuble, der selbst regelmäßig nach Sylt reist, mit zwei ihrer Vertreter öffentlich unter anderem „über die Verteilung des Vermögens in Deutschland diskutierte“, wie der SPIEGEL schreibt. Auch Gregor Gysi machte den Punks seine Aufwartung.

Ihren spiegelverkehrten Klassismus, nämlich die durchaus diskriminierende Überzeugung, wohlhabende Menschen seien per se die schlechteren, müssen die Punks wohl noch einmal überdenken, weil sich nach eigener Aussage das Schnorren auf Sylt durchaus lohnt: die Urlauber seien in Ferienlaune und netter und spendabler als die Leute auf dem Festland.

Im Gespräch mit der taz beklagt FaulenzA, Neonazis trieben sich auf Sylt herum, weshalb man Kontrollgänge veranstalte, um das „Protest-Camp“ zu schützen. Nun ja. Tatsache ist, dass der Hamburger Neonazi Christian Worch im Juni für die Kleinstpartei „Die Rechte“ eine Demo auf der Insel angekündigt hatte, die dann doch abgesagt wurde. Laut nd „hatten Neonazis unter anderem mit dem ehemaligen Ferienhaus von Hitlers rechter Hand Hermann Göring für das Demo-Ziel geworben. Das Motto der geplanten Worch-Aktion lautete: ,Dauerhafte Beibehaltung des 9-Euro-Tickets – Sylt für alle‘." Ein Motto, das Punks und linke Aktivisten allerdings auch unterschreiben könnten, den Hass auf die „Bonzen“ teilt man an beiden Enden des politischen Spektrums.

Ein Brunnenpinkler! Endlich Leben auf der Insel!

Der taz ist der Bonzenhass von links natürlich sympathisch:

„Die Punks bringen ein bisschen Leben auf die Insel, machen es ,etwas bunter‘, wie eine Urlauberin zitiert wird. Mal pinkelt ein junger Mann in den Brunnen, mal sperrt der Bürgermeister diesen mit Zäunen ab, damit keiner darin badet.“ Ein junger Mann uriniert in den öffentlichen Brunnen, was für ein Subkultur-Event – endlich ist mal was los auf der öden Insel!

Das Zeltlager vor dem Rathaus darf bis Ende des Monats stehen, dann läuft auch das 9-Euro-Ticket aus und die Punks werden wohl abreisen. Zumal dann auch die Saison mehr oder weniger vorbei ist und man Touristen, die nicht da sind, nicht um Geld anpumpen kann. Diese Gedanken hat sich FaulenzA noch nicht gemacht:

„Viele wollen auch langfristig hier bleiben. Das Camp werden sie neu beantragen.“

Na dann: viel Vergnügen! Im Winter kann es auf der Nordseeinsel recht ungemütlich werden, die eine oder andere steife Brise dürfte die Bewohner dann schneller aus dem Zeltlager treiben als sie „Haste mal nen Euro?“ fragen können. FaulenzA will jedenfalls zu Weihnachten wiederkommen, sie hat ja ein gesellschaftliches Anliegen:

„Und ich glaube, dass wir hier sind, macht auch etwas mit dem Ort insgesamt. Vielleicht fühlen sich viele der Reichen hier nicht mehr so wohl: Sie haben hier nicht mehr ihren Reichen-safe-Space, an dem sie die Armen nicht sehen müssen.“

Ach, FaulenzA! Die Reichen kaufen sich in Kampen oder Keitum Friesenhäuser mit Reetdach für vier, fünf, sechs Millionen Euro, die sie dann ein paar Wochen im Jahr bewohnen. Die wirklich armen Teufel sind ihre Dienstleister, zum Beispiel Gärtner, von denen tausende aufs Festland gezogen sind, die jeden Tag in überfüllten, verspäteten Zügen über den Hindenburgdamm pendeln müssen, weil Wohnen auf der Insel viel zu teuer für sie ist. Denen wird nur nicht so viel Aufmerksamkeit zuteil wie Euch, die Ihr zwar keinen Bock auf Arbeit habt und vom Geld anderer Leute lebt, aber für linke Medien interessant seid, weil Ihr den „Reichen“ den Urlaub versaut.

So etwas ist wirklich nur in diesem Land denkbar.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Sascha Hill / 18.08.2022

Wenn Steuerzahler auf Mallorca, sich einmalig wie Assis benehmen und wenn Idioten, die den Staat hassen, sich aber von ihm aushalten lassen, wie Assis auf Sylt benehmen, ist das halt nicht das gleiche. Manche sind halt gleicher…

rolf schwarz / 18.08.2022

Das hat was. Wäre super, wenn die Idee sich auch auf dem Festland ausbreiten würde. Dort gibt es schließlich auch viele Reiche. Für bonzenhassende Rapper in vollgekackten Zeltlager vor den Rathäusern in Berlin, München, Hamburg, etc., hätte ich immer ne Mark übrig.

Dr Stefan Lehnhoff / 18.08.2022

Sylt ist eher - nicht nur dieses Jahr- im Sommer ungemütlich. War schon zu allen Jahreszeiten dort , aber bewusst nie im Sommer.

jan blank / 18.08.2022

Die Jugend gebärdet sich genauso erwartbar dummdreist wie ein Achtjähriger, der an der Pinkelrinne seinem Nebenmann ans Hosenbein schifft und sagt: Du darfst mich aber nicht schlagen !  Warum eigentlich nicht? Wenn sich ein Mensch mutwillig zum Hund macht und allem “Bürgerlichen” den Stinkefinger zeigt? Tja - bürgerlich Sozialisierter - da stehste dann genau so dumm da wie Kanler Scholz, wenn ihn im eigenen Amtsraum ein Araber anpisst. Einmal ein kräftige Waschtn- sofort, kurz und ohne Ansage -  für so einen Mist, und Scholz stünde als ewiger Heiliger da, wie Willy Brandt mit seinem Warschauer Kniefall.  Kanzleramt und Sylt eint eins: Dummdreiste Ansprüche brechen sich mühelos überall Bahn. Ob mit oder ohne 9 Euro Ticket. 

Jason King / 18.08.2022

So ist das im besten Deutschland aller Zeiten: Wenn die Medien Punks zu “normalen” Leuten deklarieren und “normale” Leute zu Punks. Diesen Leuten fehlt es auch an Selbstreflexion, wenn man von medialer und politischer Seite hofiert wird, kann der eingeschlagene Weg niemals der Bedeutung des Punkertums entsprechen. Man stelle sich die echten Punks der 70er, 80er Jahre in Dialogen mit Helmut Schmidt oder Franz Josef Strauss vor…so etwas hätte es nie gegeben, von beiden Seiten aus.

Boris Kotchoubey / 18.08.2022

Sie pinkeln gegen Rechts, kaken gegen Rassisten. Ich kotze gegen die Regierung.

Rolf Mainz / 18.08.2022

Junge, gesunde Menschen, die sich jahre- oder jahrzehntelang von der Allgemeinheit durchfüttern lassen - um jene dafür noch zu missachten. So etwas gibt es nur im “bunten” Deutschland. Das ist “sozial” im Sinne von Rot-Grün. Aber - einmal mehr - gewählt ist halt gewählt, liebe Zeitgenossen. Behaupte niemand, das nicht gewusst zu haben, wie vieles andere ebenfalls. Bei Merkel konnten sich deren Wähler wenigstens herausreden, auf konservative Politik im besten Sinne gehofft zuhaben und grundlegend getäuscht worden zu sein - bei der aktuellen Bundesregierung war jedoch vorab klar was kommen würde. Möchtegern-Punks, pöbelnd, saufend und wild urinierend auf Sylt, ein Vorgeschmack…

Jens Kruse / 18.08.2022

Die schönste Aussage eines älteren Punk in einem Bericht vom NDR war: “Natürlich räumen wir unseren Müll weg. Wir sind ja nicht von Fridays for Future”.

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