Getroffen heult die Medienmaschine auf: Der Virologe und Immunologe Dr. Robert Malone, heute Kritiker der Covid-19-Impfstoffe, verbreite die „unbegründete Theorie“ (AP), dass "ein Drittel der Bevölkerung wie hypnotisiert" sei.
„Ein Impfstoff wird keinen Ausweg aus der derzeitigen Sackgasse bieten. Denn in Wahrheit ist diese Krise keine Gesundheitskrise, sondern eine tiefgreifende soziale und sogar kulturelle Krise.“ (Prof. Mattias Desmet, Psychologe, Universität Gent, im Januar 2021)
Sicher kennen Sie das. Da sitzt man mit einem Freund zusammen, palavert, diskutiert und regt sich auf, schimpft auf „die da oben“ und auf „die Medien“. Warum nur ist die Welt, wie sie ist? Man versucht, das scheinbar Unerklärbare zu fassen, ein Wort gibt das andere, die Gedanken fliegen. Gut, der Anlass, über den ich hier schreibe, war vielleicht etwas öffentlicher, es gab einige Millionen Zuschauer des Gesprächs. Aber das ist ja bei Gesprächen solcher Art, wenn sie etwa im Fernsehen bei einer unserer Quasseltanten, Lanz oder Plasberg stattfinden, auch der Fall. Doch wie überraschend muss es wohl sein, wenn kurze Zeit nach einem solch ausführlichen Austausch von Gedanken und Meinungen das Internet geradezu geflutet wird mit sogenannten Faktenchecks, die sich einig darüber sind, dass da jemand komplett daneben liege, ja, ein Lügner, Blender, Verführer, Leimspurleger und überhaupt ein Hochstapler sei und alles, was in dem Gespräch geäußert wurde, falsch sei? Experten seien sich da einig.
Nun ist nicht mir so was passiert, sondern Dr. Robert Malone, dem längst weithin bekannten Immunologen und Virologen mit dem Erscheinungsbild eines Käpt’n Iglo, dessen frühe Arbeiten maßgeblich zur Entwicklung der mRNA-Technologie beitrugen und der heute Kritiker dieser Impfstoffe ist. Das Gespräch fand auf dem Spotify-Kanal von Joe Rogan statt, also auf dem denkbar reichweitenstärksten Kanal unserer Tage. Selbst große Netzwerke wie CBS, MSNBC oder CNN haben (pro Sendung gerechnet) nicht annähernd so viele Zuschauer wie Joe Rogan, der zudem politisch schwer zu fassen und einzuordnen ist. Sein Kanal ist im besten Sinne neutral und ideologiefrei, Rogan redet buchstäblich mit allen, und dank 9 bis11 Millionen Views räumt er in der demografischen Kernzielgruppe 18 bis 55 täglich alles ab, was da sonst sendet oder indoktriniert.
Ein Bataillon von Faktencheckern
Heute ist nämlich alles eine Frage der Reichweite, und als ein belgischer Professor, der klinischen Psychologie Mattias Desmet (Universität Gent) einer kleinen belgischen Zeitung (DeWereldMorgen) im Januar 2021 ein langes Interview gab – hier eine deutsche Übersetzung aus dem Flämischen vom August 2021 – fühlte sich niemand in Politik und Medien bedroht. Zugegeben, damals hätte sich auch noch niemand vorstellen können, dass jemals ein Politiker fordern würde, die neuartigen Stöffchen zwangsweise zu verabreichen. Im Januar 2021 waren sie noch Mangelware.
Heute liegen die Dinge freilich anders, und wenn eine Schlüsselfigur der mRNA-Impfkritik Professor Desmets Gedanken aus dem Januar 2021 im weltweit populärsten Podcast in wenigen Minuten so zusammenfasst, dass sie selbst von den Heizern im Maschinenraum der Mainstreammedien verstanden werden, brennt die Hütte! Malones Twitter-Account wurde gelöscht. Verschiedene Fassungen des Rogan-Malone-Podcasts verschwinden immer wieder von YouTube, tauchen als Schnipsel aber vielerorts stets wieder auf. Ein ganzes Bataillon von „Faktencheckern“ wirft seit Tagen ihre Textgranaten nach Malone. Dazu später mehr, denn zunächst müssen wir kurz skizzieren, was genau es war, das Desmet durch den Mund Malones sagte und so offensichtlich hektische Verzweiflung in den Medien auslösen konnte.
Malone zu Rogan: „Wie passiert das alles? Wie kann es sein, dass ein Drittel der Bevölkerung wie hypnotisiert und völlig eingewickelt ist in alles, womit Dr. Fauci (Anm. d. Autors: der Karl Lauterbach der USA) und die Medien sie füttern?“
"Mass Formation Psychosis"
Das vermutete Drittel ist wohl eine recht brauchbare Mengenbeschreibung, der Rest teilt sich meiner Meinung nach recht gleichmäßig in die Skeptiker und jene auf, die einfach den Lautesten und der Macht hinterherlaufen und sich in ihr Schicksal ergeben haben. Die „Wie-Frage“ stelle auch ich mir täglich, und folgt man Malones Erklärungsversuch und geht sogar noch einigen weiteren Phänomenen nach, entfällt die Versuchung, für den versammelten Wahnsinn eine bewusst lenkende Kraft zu vermuten. Die braucht es nämlich gar nicht, wie wir noch sehen werden.
Malone berichtet zur Illustration der „Psychose“ von einem Artikel, den er zur Vorbereitung auf den Podcast mit Rogan gelesen habe. Es handelt sich um diesen Text in der New York Times mit dem Titel „How to Think About Omikron’s Risk for Children“, welcher schon im Titel und erst recht im Inhalt festlegt, was der Leser zu denken habe. Doch warum denken viele Leser dann tatsächlich genauso, wie die NYT es von ihnen erwartet?
Malone greift hier zum Begriff „Mass Formation Psychosis“ und versucht damit eine Art hypnotischen Zustand zu beschreiben, in dem sich weite Teile der spezifisch westlich geprägten Teile der Welt angesichts der C-Krise befänden. Diese „Hypnose“ erkläre das irrationale Verhalten einer breiten Mehrheit, das sich völlig frei von Daten oder Fakten selbst erhält. Der Begriff „Hypnose“ kommt bei Desmet übrigens so nicht vor, aber Malones Formulierungen sind ja auch keine Tatsachenbehauptungen in einem wissenschaftlichen Aufsatz, sondern der Versuch, der Öffentlichkeit einen Sachverhalt plastisch vor Augen zu führen. Die Verwendung von Gleichnissen und Bildern zur Verdeutlichung ist, soweit ich weiß, in öffentlichen Debatten noch gestattet.
Laut Desmet, der als Prototyp dieser „Hypnose“ das „well educated Germany“ der 1920er und 1930er Jahre anführt, ist die Voraussetzung für so etwas eine umfassende gesellschaftliche Zerrüttung, eine zunehmende Bindungslosigkeit und damit eine Verunsicherung, eine Erschütterung innerhalb weiter Teile der Gesellschaft. Die Bindungen innerhalb Familien, Gemeindestrukturen, Religionsgemeinschaften und vielen anderen Zugehörigkeiten werden immer schwächer, eine Sinnkrise stellt sich ein.
Atomisierte Gesellschaft auf dem Weg in den Totalitarismus
Der „Trend“ zum staatsunmittelbaren Wesen, zum Bürger als Mündel des Staates, wird seit vielen Jahren von vielen beklagt, während anderen, den ideologischen Trommlern, die Nähe zum Leviathan Staat gar nicht eng genug sein kann, weil sie ihn gern steuern möchten. Der Leviathan wiederum würde nur zu gern Aufgabe für Aufgabe von der persönlichen Ebene der Verantwortung zu sich hinaufheben, wo sie dann zum Lehm des Gestaltungswillens der Politiker werden. Mehr, mehr, gebt mir mehr! Verantwortung und Gestaltungsraum dem Staat, Subsidien für seine Getreuen, Alimente der Klientel. Freiheit abgeben und Sicherheit empfangen. Ein Teufelskreis, der in eine nur vermeintlich süße Knechtschaft führt. Es ist der Traum vom Schlaraffenland, in dem niemand mehr einkaufen, kochen und abwaschen muss.
Doch los, voran mit der Atomisierung der Gesellschaft! Was haben wir? Kinderlosigkeit, Singledasein, Verzicht auf Kinder zur Klimarettung, Homeoffice, CO2-Hysterie, Auflösung kultureller Identität durch grenzen- und bedingungslose Zuwanderung, Partikularisierung in Ethnien und Geschlechter, neue Geschlechter, neue Opfer, neue Gruppen… Alles was taugliche Teilmenge ist und vorgeblich von Fesseln (so heißen Bindungen heute) befreit werden kann und nach der Aufmerksamkeit des Staates greint, verringert die Bindungsenergie der Menschen insgesamt. Eine atomisierte Gesellschaft ist das Ergebnis. In Gestalt eines ionisierten Gases statt eines Kristallgitters. Perfekte Vorbedingung für das, was dann als Massenpsychose in den Totalitarismus führen kann.
Weil sicher sofort die Frage aufblitzt, wer hier seine Hand im Spiel haben mag…, die braucht es laut Desmet ebenso wenig wie der totalitäre Staat ein Ziel, ein Elysium oder eine Utopie braucht:
„Zunächst einmal will er [der Staat] gar nichts. Seine Entstehung ist ein automatischer Prozess, der einerseits mit großen Ängsten in der Bevölkerung und andererseits mit einem naiven wissenschaftlichen Denken einhergeht, das totales Wissen für möglich hält. Heute gibt es diejenigen, die glauben, dass die Gesellschaft nicht mehr auf politischen Erzählungen, sondern auf wissenschaftlichen Fakten und Zahlen beruhen sollte, und damit den roten Teppich für die Herrschaft der Technokratie ausrollen. Ihr Idealbild ist das, was der niederländische Philosoph Ad Verbrugge „intensive Menschenhaltung” nennt. Im Rahmen einer biologisch-reduktionistischen, virologischen Ideologie ist eine kontinuierliche biometrische Überwachung angezeigt, und die Menschen werden ständigen präventiven medizinischen Eingriffen wie Impfkampagnen unterworfen. All dies, um angeblich die öffentliche Gesundheit zu optimieren. Außerdem muss eine ganze Reihe medizinischer Hygienemaßnahmen ergriffen werden: Vermeiden von Berührungen, Tragen von Gesichtsmasken, ständiges Desinfizieren der Hände, Impfungen usw. Für die Verfechter dieser Ideologie kann man nie genug tun, um das Ideal der größtmöglichen „Gesundheit” zu erreichen.“
Auf dieses „ionisierte Gas“ können nun – wie sich Malone ausdrückte – machtgierige Personen oder eine Reihe von sich wiederholenden Ereignissen treffen, welche die volle und auch mediale Aufmerksamkeit an sich zu ziehen vermögen. Und wie schwer kann das sein, heute, in Zeiten von Twitter, YouTube und Facebook? Nun findet die „Hypnose“ statt, von hier aus kann es überall hingehen, wenn es jemanden gibt, der erklärt: „Ihr habt diesen oder jenen Schmerz, ich kann euch heilen, euer Problem lösen, ich und nur ich weiß, wie das geht.“
Im Gleichschritt mit Gleichgeschalteten
Ab hier spielt es keine Rolle mehr, ob die Menschen belogen werden, die getroffenen Maßnahmen sich widersprechen oder überhaupt keinen Sinn ergeben. Die Daten sind irrelevant. Schlimmer noch: Jeder, der die weisen Ratschlüsse der Anführer infrage stellt, wird sofort attackiert, gehört zu „den Anderen“ und wird ausgegrenzt. Die Leerstellen der Bindungslosigkeit füllen sich durch Gleichschritt mit „Gleichgesinnten“, die vor allem Gleichgeschaltete sind. Die durch Vereinzelung entstandene Einsamkeit füllt sich mit dem „großen Ziel“, das immer in der Zukunft, ins Ungewisse projiziert wird. Morgen, bald, nach der siebten Welle, nach dem Endsieg.
Dazu noch mal Desmet:
„[Es gibt] eine unheilvolle Verbindung zwischen der Entstehung dieser Art von absolutistischer Wissenschaft und dem Prozess der Manipulation und Totalisierung der Gesellschaft. In ihrem Buch ‚Die Ursprünge des Totalitarismus‘ beschreibt […] Hannah Arendt auf brillante Weise, wie dieser Prozess unter anderem in Nazi-Deutschland ablief. So greifen aufstrebende totalitäre Regime typischerweise auf einen „wissenschaftlichen” Diskurs zurück. Sie zeigen eine große Vorliebe für Zahlen und Statistiken, die schnell zu reiner Propaganda verkommen, gekennzeichnet durch eine radikale „Missachtung der Fakten”. Der Nationalsozialismus zum Beispiel gründete seine Ideologie auf die Überlegenheit der arischen Rasse. Eine ganze Reihe sogenannter wissenschaftlicher Daten untermauerte ihre Theorie. Heute wissen wir, dass diese Theorie wissenschaftlich nicht haltbar war, aber die damaligen Wissenschaftler nutzten die Medien, um die Positionen des Regimes zu verteidigen. Hannah Arendt beschreibt, wie diese Wissenschaftler fragwürdige wissenschaftliche Referenzen verkündeten, und sie verwendet das Wort „Scharlatane”, um dies zu unterstreichen. Sie beschreibt auch, wie das Aufkommen dieser Art von Wissenschaft und ihrer industriellen Anwendungen von einem unvermeidlichen sozialen Wandel begleitet wurde. Die Klassen verschwanden, und die normalen sozialen Bindungen verschlechterten sich, was mit viel undefinierbarer Angst, Unruhe, Frustration und Sinnlosigkeit einherging. Unter solchen Umständen entwickeln die Massen ganz besondere psychologische Eigenschaften. Alle Ängste, die die Gesellschaft heimsuchen, werden mit einem „Objekt” verbunden – zum Beispiel mit den Juden –, sodass die Massen in eine Art energetischen Kampf mit diesem Objekt eintreten. Und auf diesen Prozess der sozialen Konditionierung der Massen wird dann eine völlig neue politische und konstitutionelle Organisation aufgesetzt: der totalitäre Staat.
Heute kann man ein ähnliches Phänomen beobachten. Psychisches Leid, Sinnlosigkeit und schwindende soziale Bindungen sind in der Gesellschaft weit verbreitet. Dann taucht eine Geschichte auf, die auf ein Angstobjekt, das Virus, hinweist, woraufhin die Bevölkerung ihre Angst und ihr Unbehagen stark mit diesem gefürchteten Objekt verbindet. Währenddessen wird in allen Medien ständig dazu aufgerufen, den mörderischen Feind gemeinsam zu bekämpfen. Die Wissenschaftler, die der Bevölkerung die Geschichte nahebringen, werden im Gegenzug mit enormer sozialer Macht belohnt. Ihre psychologische Macht ist so groß, dass auf ihre Anregung hin die gesamte Gesellschaft plötzlich auf eine Vielzahl sozialer Bräuche verzichtet und sich in einer Weise neu organisiert, die Anfang 2020 niemand für möglich gehalten hätte.“
Malone spricht von frei fließenden Ängsten, denen man ein Ziel geben kann. Die versammelte und gerichtete Ladung des „ionisierten Gases“ sucht sich gern ein Ziel. Diese Ängste sind gewissermaßen die Trümmer der verlorengegangenen Bindungen. Sie alle auf ein Objekt, einen Aspekt, eine Eigenschaft zu fokussieren, scheint mir der Schlüssel zu sein. Wenn ich nur wüsste, was dieses Objekt oder diese Eigenschaft heute sein könnte… Ich scherze. Man muss die letzten zwei Jahre unter einem Stein gelebt haben, um nicht sofort an zwei Worte denken zu müssen: Virus! Impfverweigerer!
Auftritt der Faktenchecker
Getroffen heult die Medienmaschine auf. Malone verbreite die „unbegründete Theorie“ (AP), dass Menschen hypnotisiert würden, um den Mainstream-Ideen über Covid-19 zu glauben. Nach dem Motto „Wenn kein Pendel zu sehen ist, kann es keine Hypnose sein“ nimmt man Malones Aussagen in schlechter Absicht wörtlich, statt ihrem Sinn nachzugehen – und zwar bis zur Quelle: Mattias Desmet. Doch auch im „Reuters-Faktencheck“ findet sich mit keiner Silbe ein Verweis auf den von Malone genannten Urheber seiner Gedanken. Es ist natürlich viel leichter, einen Virologen zum amateurpsychologischen Falschmünzer zu stempeln als einen Professor für klinische Psychologie. Die Faktenverbieger füllen bei der Googlesuche nach „Mass Formation Psychosis“ die ersten Seiten, viele Artikel sind buchstäblich binnen weniger Stunden entstanden und bei Google nach oben gespült worden. Da Malone genau wie Desmet den Medien bei der Aufrechterhaltung dieser „Hypnose“ eine Hauptverantwortung zuweist, war das Geheul im Internet natürlich zu erwarten. Doch wie glaubhaft können die Dementis sein, wenn die Vorwürfe stimmen? Verstärker von Massenpsychose? Wir Medien? Nein, unmöglich! „Experten für Massenpsychologie bestätigen das“, schreibt Reuters. Welche Experten? Was genau bestätigen sie? Solche quellenfreien Returns der Marke „selber doof“ gelten heute schon als Beweis und „Faktencheck“. – Angeklagter, ist das Ihr Messer im Rücken des Opfers? Nein, Euer Ehren, Messerexperten bestreiten das! Na dann: Freispruch!
Überprüfung am Modell
Statt freie Meinungsäußerung mit Faktenchecks zu belästigen – die ja selbst nur Meinungen sind, wie Facebook unlängst nicht ganz freiwillig einräumte (Faktenchecker waren empört), könnte man doch einfach die Annahmen Malones überprüfen, oder? Wie steht es denn tatsächlich um die Zersplitterung der Gesellschaft? Und jetzt nicht den Scholzomat fragen! Gibt es „Dipole“ (Malone), in denen sich Meinungen unversöhnlich gegenüberstehen? Was ist mit Klimahysterie, Zuwanderung, Kriminalität, Sprachverhunzung, Geldentwertung, Energiewende, „Vereinigte Staaten von Europa“, politische Verantwortungslosigkeit, NGO-Stadl, „Kampf gegen rechts“… Die Liste der zur Lagerbildung freigegebenen Politikfelder ließe sich fortsetzen. Und das beschreibt den Zustand der Gesellschaft vor dem garstigen „C“!
Dass es nicht bereits die Genderei oder die Weltklimarettung waren, die uns in die Totalität geführt haben, verdanken wir wohl in erster Linie der Tatsache, dass diese Themen zu abstrakt waren, um genug Bedrohungspotenzial hinter der Haustür aufzubauen. Vielleicht war Corona aber auch einfach nur schneller. Man muss deshalb von COVID-Neid sprechen, wenn Klimaretter davon träumen, vergleichbar harte Maßnahmen bald auch als Thermostat für die globale Temperatur einsetzen zu dürfen. Und was könnten sich ideologische Sprachpanscher sehnlicher wünschen als Zugangsbeschränkungen und Quarantänemaßnahmen im Falle der Binnen-I-Verweigerung? Klingt absurd? Kaum mehr, als sich durch eine regelmäßige medizinisch fragwürdige Prozedur den Zutritt zu einem Restaurant zu erkaufen.
Es gab also genügend „Dipole“ in unserer an gemeinsamen Erzählungen und „kleinsten gemeinsamen Nennern“ mittlerweile sehr armen Gesellschaft. Für die USA diagnostiziert Malone sehr zutreffend die Trump-Hysterie der letzten Jahre und die schwindenden Bindungskräfte des „american dream“. Auch hierzulande sind Staatlichkeit und Zugehörigkeit – dieses „deutsch sein“ ganz besonders – vielen eher lästig und jedenfalls nichts, was man als sinnstiftend und verbindend annehmen oder voraussetzen könnte. Und es findet sich ein weiterer Dipol in vielen saturierten westlichen Gesellschaften, wenn sie stark von Einwanderung geprägt sind. Per se ist das ja nichts Schlechtes, aber wenn die durch starke Einwanderung zwangsläufig entstehenden Parallelgesellschaften sich in erster Linie über ihre Partikularinteressen definieren – und zwar deshalb, weil sie vom Staat als solche angesprochen werden – existieren hier von Anfang an Risse, Trennungen und viele Teilmengen, die sich eifersüchtig und misstrauisch beäugen und um die Gunst des paternalistischen Staates wetteifern. Nicht immer, aber immer öfter.
Wie kommen wir da nur wieder raus?
Zumindest lag ich wohl nicht ganz falsch mit meinem Vorschlag, so weit wie möglich auf „ich hab’s euch doch gesagt“ und hämische Bemerkungen zu verzichten. Man muss die Zugbrücken unten lassen. Malone und Desmet sehen das ähnlich, wenn sie als Gegenmittel dazu aufrufen, die sozialen Bindungen zu erneuern und dem Staat die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Und zwar zu seinem eigenen Schutz, wie Hayek 1) sagen würde! Nähe zuzulassen, Vertrauen zu fassen und neue Bindungen einzugehen, ist natürlich schwierig, wenn die Propaganda stattdessen Abstand und Vereinzelung fordert und dies auch noch als „Zusammenhalt“ und „Solidarität“ verkauft. Das dürfte einer der Gründe sein, warum wir nun schon im dritten Jahr einer Pandemie feststecken, die definitiv nie die Pest war und heute erst recht nicht mehr ist. Doch neue Bindungen entstehen, wenn auch zaghaft. Man verlässt sich nicht mehr so bedingungslos auf die staatliche Maschinerie und beginnt, ihr aus dem Weg zu gehen, statt sie um Zustimmung und Anweisungen zu bitten.
Ein Beispiel
Stellen Sie sich vor, Sie wollen ins Kino gehen, sind geimpft oder genesen, brauchen aber dank 2G+ einen Test. Da sie die Karten nicht kaufen wollen, bevor feststeht, ob sie dort reinkommen, machen sie zuhause einen Schnelltest. Sie fühlen sich zwar großartig, doch fällt der Test dummerweise positiv aus. Was tun sie?
Lösung 1: „Frag den Staat“: Der Test ist zwar offiziell nicht gültig, aber natürlich wollen sie nun nicht mehr ins Kino! Sie machen einen Termin im Testzentrum oder bei einem Arzt, um einen ordnungsgemäß positiven PCR-Test zu bekommen, damit Sie für Herrn Lauterbach und seine Behörden ordentlich krank sind. Dann nennen Sie ihre Kontaktpersonen und begeben Sie sich brav für die angegebene Frist in Quarantäne. Der Staat sperrt auch die Kontaktpersonen eine Weile weg und benachrichtigt alle schriftlich über jeden Schritt und jede Kontrolle, die alle nun über sich ergehen lassen müssen. Zur Belohnung erhalten Sie irgendwann ein Genesenenzertifikat von zweifelhafter Gültigkeitsdauer. Glückwunsch, Sie sind ein folgsames Staatsatom! (Anmerkung: Wenn Sie jetzt in Versuchung geraten, mir Tipps und Hinweise über Fristen, neue Verordnungen und Erleichterungen für A im Falle das B >4 sei oder C samstags nicht kleiner als 2,5 und dass man dies alles unter XYZ auf der Webseite des RKI nachlesen könne, ist Lösung 1 definitiv Ihr Ding!)
Lösung 2: „Ihr könnt mich mal“: Positiver Test, ok. Genauer wollen Sie es jetzt nicht wissen. Sie wollen natürlich niemanden anstecken und gehen deshalb nicht ins Kino. Vorerst! Zunächst rufen Sie ihre Freunde an und bitten sie, ebenfalls Tests zu machen. Sie reden mit Ihrem Chef, arbeiten ein paar Tage von zuhause oder nehmen Urlaub und testen sich jeden Morgen selbst. Sie nutzen also ihre Sozialkontakte zur Lösung des Problems und werden den Teufel tun, den übergriffigen Staat einzuschalten, nur weil der Ihnen mit einem Passierschein für sechs Monate winkt. Sie tun vielmehr alles, um sich vom Leviathan fernzuhalten.
Fazit
Das soll und kann natürlich kein Ratschlag sein, was Sie, liebe Leser, im Fall eines solchen „Test-Events“ tun sollen. Ich bin nicht ihr Arzt und kennen Ihre Umstände nicht. Weder die familiären noch die gesundheitlichen. Es ist Ihr Leben, nicht meines, aber es gehört eben auch nicht einem Staat, nicht mal einem gutmeinenden. Meine Hoffnung ist jedoch, dass die Selbstorganisation und damit die Vermeidung erwartbarer staatlicher Willkür in dem Maße zunimmt, wie das Vertrauen in staatliches Handeln abnimmt. Man rennt bei positiven Tests vielleicht nicht gleich zum Gesundheitsamt, sondern fragt sich zunächst, wie es einem selbst gerade eigentlich geht. Man meldet keine Protestdemo gegen die staatlichen Maßnahmen mehr beim Ordnungsamt an, sondern geht einfach spazieren. Man kündigt sein Zeit-Abo und wird Pate bei Achgut. Man lacht über das Verkaufsverbot für Silvesterfeuerwerk und gibt einem Bekannten 50 Euro mit, weil der nach Polen fährt. Und wieder ist eine soziale Beziehung entstanden, von der der Staat nichts weiß und die ihn auch nichts angeht.
Zugegeben, diese Art Widerstand ist ein mühsames Geschäft, denn der Leviathan ist ein ausdauernder Gegner. Er drängt und droht, er schmeichelt und besticht, er verfügt über Gewalt- und Geldmonopol und teilt mit beiden Schaufeln kräftig aus. Doch die Alternative zum mühsamen Weg, soziale Bindungen wieder zu errichten und dem Staat immer und immer wieder klarzumachen, wo sein Einfluss zu enden hat, ist schrecklicher: der völlige Zusammenbruch des Leviathan. Und weil Staaten nicht bluten, sondern immer nur die Bürger, die ihre Kapriolen zu erdulden haben, sollte das besser keine Option sein.
Malones Bild von der hypnotisierten Gesellschaft mag seine Schwächen haben und erklärt auch nicht alle C-Maßnahmen in allen Staaten des Westens. Italien mit seinen weit intakteren familiären Bindungen beispielsweise macht mich ratlos. Für mich erklärt Desmets Hypothese bisher jedoch am besten das völlige Fehlen selbstkritischer Reflexion innerhalb des besagten Drittels der Bevölkerung, welches den ausgegebenen Losungen blind folgt, jede Wendung mitmacht, jeder Erklärung glaubt, jede Lüge verzeiht, jede Maßnahme gegen Andersdenkende begrüßt und zu jeder Vordrängelei für den nächsten Booster entschlossen ist. Sie werden irgendwann aufwachen aus dieser seltsamen „Hypnose“. Aber werden sie dann noch wissen, was sie getan haben und dass sie dem Totalitarismus hinterhergelaufen sind?
1) „Unsere Schwierigkeit besteht zum Teil darin, dass wir unser Leben, unsere Gedanken und Gefühle unentwegt anpassen müssen, um gleichzeitig in verschiedenen Arten von Ordnungen und nach verschiedenen Regeln leben zu können. Wollten wir die unveränderten, uneingeschränkten Regeln des Mikrokosmos (d.h. die Regeln der kleinen Horde oder Gruppe oder beispielsweise unserer Familien) auf den Makrokosmos (die Zivilisation im Großen) anwenden, wie unsere Instinkte und Gefühle es uns oft wünschen lassen, so würden wir ihn zerstören. Würden wir aber umgekehrt immer die Regeln der erweiterten Ordnung auf unsere kleineren Gruppierungen anwenden, so würden wir diese zermalmen. Wir müssen also lernen, gleichzeitig in zwei Welten zu leben.“ (The Fatal Conceit: The Errors of Socialism. F. A. von Hayek, 1988. Deutsche Übersetzung in „F. A. von Hayeks konstitutioneller Liberalismus“, Pies/Leschke, Mohr Siebeck 2003)
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.