Von Peter Hemmelrath.
Im laufenden Prozess gegen den 2021 mit Hilfe von Schleppern nach Deutschland eingereisten Syrer Mohammad A. versucht man sich der Frage zu nähern, wie der Autopfleger sich zum IS-Sympathisanten wandelte.
„Stand das Reiseziel Deutschland schon fest, als sie die Flucht angetreten haben?", will der Vorsitzende Richter Frank Schreiber wissen. „Ja", antwortet Mohammad A. „Warum?", hakt Schreiber nach. „Wegen der Sicherheit, des besseren Lebens und weil ich nicht zur Armee wollte", erläutert der Syrer. Das habe er auch in seinem Asylantrag so begründet.
Der in Damaskus geborene 21-Jährige kam 2021 über die Türkei, Griechenland und Belgien nach Nordrhein-Westfalen. Für die Flucht, die er 2020 gemeinsam mit seiner Tante angetreten hatte, bezahlte seine Familie auch Schlepper. In Dinslaken bekam er aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen zu anderen Landsleuten schnell einen Job in der Autopflege. Zuletzt verdiente er 1.050 Euro im Monat.
Ende 2023 bekam die Polizei einen Hinweis, dass es sich bei ihm um einen Sympathisanten der Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) handeln könnte. Verdeckte Ermittlungen brachten aber nur hervor, dass er regelmäßig zur Arbeit geht. Im Februar wurde er verhört und seine Wohnung durchsucht. Dabei sagte er den Ermittlern, er habe im Internet nur „zum Scherz einen IS-Anhänger gespielt".
Treueeid zum Kalifen
Nachdem die Ermittler sein Handy ausgewertet hatten, kamen sie jedoch zu einer anderen Überzeugung. Auf dem Gerät fanden sie nicht nur ein Video mit seinem Treueeid zum Kalifen, was üblicherweise als Aufnahme in den IS gilt. Sondern auch lange Chats mit Personen, die als IS-Mitglieder bekannt waren. Und darin soll sich Mohammad A. seit Frühjahr 2023 dem IS immer wieder ungeduldig für einen Terror-Anschlag in Europa angeboten haben. Mal war von einem Anschlag mit einer Autobombe die Rede, mal von einem Selbstmord-Attentat mit einem selbstgebauten Sprengstoffgürtel.
Mehrfach soll er auch versucht haben, seine Familie von der IS-Ideologie zu überzeugen. Seiner noch in Syrien lebenden Mutter sendete er ein Bild, auf dem er sich ein Messer an den Hals hält und fragte sie: „Was hältst du davon?". Seine Mutter und seine in der Nähe von Münster lebende Tante reagierten beunruhigt und gaben sich große Mühe, ihn wieder von seinen Absichten abzubringen.
Insbesondere seine Tante diskutierte immer wieder auf Messenger-Diensten mit ihm, um ihm zu vermitteln, dass seine Religionsauslegung sowie das „Abschlachten" von „Ungläubigen" oder von „Menschen, die nicht Feinde des Islams sind", falsch sei. Der Islam sei „die Religion der Gnade und nicht die des Terrorismus".
Menschen des Landes töten, das ihn aufnahm
Am 23. April wurde der 21-Jährige in Untersuchungshaft genommen. Seit 30. Oktober muss er sich vor dem 2. Strafsenat des Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) verantworten. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf wirft ihm die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie mitgliedschaftliche Beteiligung am IS vor. Obwohl A. zu Beginn des Tatzeitraumes noch als Heranwachsender galt, ist der Prozess öffentlich. Aufgrund des geringen Medieninteresses sind im Zuschauerraum zumeist aber nur Verwandte von ihm zu sehen.
In seiner Einlassung bestätigte der junge Mann die korrekte Wiedergabe seiner Chat-Gespräche, bestritt aber, tatsächlich Anschlagsabsichten gehabt zu haben. Stattdessen erklärte er seine Fragen und Angebote auf den Messenger-Kanälen als „vergeblichen Hilferuf nach Aufmerksamkeit". So sei er nur zufällig auf TikTok mit einem Prediger des IS in Kontakt gekommen. In den Gesprächen mit ihm und anderen IS-Mitgliedern habe er sich dann schnell ernst genommen gefühlt. „Wenn ich geschrieben habe, wurde sofort geantwortet. Wenn ich eine Frage hatte, wurde sofort geantwortet. Mir wurden sofort Suren aus dem Koran oder Stellen aus den Hadithen genannt, um die Worte des Propheten zu belegen", sagte er. Jetzt aber bereue er seine Handlungen „zutiefst".
Beim Senatsvorsitzenden aber riefen seine Darstellungen Zweifel hervor: „Sie haben hier Sicherheit. Sie bekommen hier Geld", erinnerte Frank Schreiber. „Was macht uns zu Ihrem Feind? Jeder hier im Raum könnte ein Opfer eines solchen Anschlags sein. Ich auch. Ich nehme das persönlich." Die Antwort von Mohammad A. lautete, dass der IS ihn „einer Gehirnwäsche unterzogen" habe. Aber weder weitere Nachfragen Schreibers noch die des Staatsanwaltes führten zu einer plausiblen Antwort, warum er es richtig fand, Menschen des Landes töten zu wollen, das ihn aufgenommen hatte.
Stattdessen sprach Mohammad A. davon, dass er der Logik „Der Feind meines Feindes ist mein Freund" gefolgt sei. Damit dürfte seine Gegnerschaft zum syrischen Assad-Regime gemeint sein, dem sein Vater, der ihn streng und mit Schlägen erzogen hatte, als Offizier dient.
Zeugen lassen Fragen unbeantwortet
Seine Tante räumte als eine der ersten Zeugen schnell ein, dass sie bemüht war, ihn davon abzubringen. Sie habe „mit allen Mitteln versucht", ihm seine „Ideen" wieder auszureden, sagte die 60-Jährige, da diese „nicht in Ordnung" waren. Dennoch fiel auf, dass sie dabei strikt vermied, das, worüber sie sprach, auch beim Namen zu nennen. Auch auf das mehrfache und ausdrückliche Lob des Richters für ihre „verzweifelten Bemühungen" reagierte sie nicht. Stattdessen sprach sie davon, dass ihr Neffe „allein war" und in dieser „Schwächephase Fehler gemacht habe", jetzt aber „Gott sei Dank wieder normal" sei. „Wir sind traurig über seine Lage."
Offen blieb aber, ob sie tatsächlich einen Terror-Anschlag verhindern wollte oder ob sie dabei lediglich von der Sorge um ihren Neffen getrieben war. Für Letzteres spricht, dass sie Mohammad A. im Frühjahr 2023 mit Zeitungsberichten dazu konfrontierte, nach denen in NRW andere Flüchtlinge wegen Terror-Verdachts verhaftet wurden und ihn fragte: „Willst du das?". Und dass der Hinweis an die Polizei nicht von ihr kam, sondern vom Verfassungsschutz.
Die darauf folgende Befragung männlicher Zeugen aus dem Umfeld von Mohammad A. wurde zu einer Geduldsprobe für den dreiköpfigen Strafsenat. Immer wieder ließen Zeugen die an sie gestellten Fragen unbeantwortet und erläuterten stattdessen, dass und warum sie den jungen Mann kaum kannten und nur wenig über ihn wussten. „Ich kann mir nicht erklären, warum auf bestimmte Fragen keine Antworten kommen", reagierte Frank Schreiber sichtlich gereizt.
Handy „voll mit Daesh-Sachen"
Später ergaben die hartnäckigen Nachfragen durch zwei Richter, dass auch an Mohammad A.s Arbeitsstätte bekannt war, dass dessen Handy „voll mit Daesh-Sachen" war. „Daesh" ist ein arabisches Kurzwort für den IS. Im Gegensatz zum von IS-Anhängern genutzten Begriff „Dawla" wird „Daesh" aber zumeist in abfälliger Form benutzt.
Das bizarre Spektakel erreichte seinen Höhepunkt, als ein Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft den ehemaligen Arbeitgeber von Mohammad A. fragte, ob er einen Mitarbeiter weiter beschäftigen würde, wenn er erfahre, dass dieser IS-Anhänger sei. „Natürlich nicht", antworte der Geschäftsmann. „Haben Sie Herrn A. denn gesagt, dass er damit seinen Job riskiert?", fragte der Staatsanwalt weiter. „Nein, habe ich nicht, ich wusste ja nicht, wie gefestigt sein Gedankengut war", lautete die Antwort. Kurz darauf sprach der Mann davon, dass er A. auch wieder einstellen würde, „falls das Gericht ihn freispricht".
Andere Zeugen zeichneten ein Bild, nach dem Mohammad A. in Dinslaken anfänglich „isoliert" gelebt und „wenig gesprochen" habe. Stattdessen habe er „im Koran gelesen und gebetet". Ende 2023 aber sei er „offener" geworden, habe Partys besucht und Haschisch konsumiert. Seit Silvester habe er „wie ein neuer Mensch" gewirkt. Selbst einen gemeinsamen Bordellbesuch habe es gegeben.
Inzwischen sind vier von insgesamt zwölf bis Januar angesetzten Verhandlungstagen vergangen. Eine unverhältnismäßig lange Prozessdauer, wie sie bei Islamisten-Verfahren vor dem OLG nicht selten vorkommt, dürfte aufgrund der straffen Verhandlungsführung des 2. Senats in diesem Fall kaum drohen.
Mohammad A. verfolgt die Gespräche über ihn auch weiterhin schweigend auf einer Anklagebank hinter Panzerglas. Dolmetscher sorgen dafür, dass er der Verhandlung folgen kann. Die Handfesseln, mit denen er anfänglich vorgeführt wurde, sind ihm inzwischen wieder abgenommen worden. Damit wirkt der 21-Jährige jetzt nur noch wie ein eher harmloser und schüchterner Jugendlicher.
Entsperrcode für Handy bereitwillig überlassen
Manches aber führt zu der Frage, ob er die Fähigkeit der deutschen Behörden, Vorgänge und Darstellungen richtig einzuordnen, bis heute chronisch unterschätzt. Anders lässt sich etwa kaum erklären, dass er den Polizisten beim Verhör am 7. Februar bereitwillig den Entsperrcode für sein Handy überließ. „Das ist unüblich", erläuterte ein Ermittler dem Gericht.
Bevor die ebenfalls darauf gefundenen IS-Propagandavideos im Saal abgespielt wurden, warnte Frank Schreiber die Zuschauer: „Da sind Dinge dabei, die nicht schön sind." Er riet jedem, der nicht im Saal bleiben müsse, dazu, sich zu überlegen, ob er wirklich bleiben wolle.
Aber niemand verließ den Saal. Die Tante von Mohammad A. sowie dessen Pflichtverteidigerin schauten jedoch angestrengt in eine andere Richtung, als auf Großbildschirmen gezeigt wurde, wie Menschen vor laufender Kamera die Arme abgehackt oder die Köpfe abgeschnitten wurden. A. selbst zeigte keine erkennbare Regung. Ein anderer Ermittler wies darauf hin, dass einige dieser Videos zuletzt am 4. Februar abgerufen wurden.
Ebenfalls tief blicken ließ der Moment, als A. vom Strafsenat auf den von ihm in Chats benutzten Namen „Abu Nidal" angesprochen wurde. „Nidal heißt mein Vater", lautete seine Antwort. In der arabischen Welt sei es üblich, Namen nach dem Vater oder dem Sohn zu vergeben, behauptete er. Seine Antwort wirkte, als ob Mohammad A. bei dieser nur zur Hälfte zutreffenden Darstellung darauf spekulierte, dass das Gericht nicht weiß, dass „Abu" übersetzt „Vater von" bedeutet.
„Aber Herr A., Sie sind doch nicht der Vater Ihres Vaters", entgegnete Frank Schreiber und machte ihm damit klar, dass dem nicht so ist. Als ihn der Senatsvorsitzende kurz darauf damit konfrontierte, dass es sich bei „Abu Nidal" um den Namen eines weltbekannten Terroristen handelt, gab sich Mohammad A., der in Syrien einen dem Abitur vergleichbaren Schulabschluss erlangt hat, unwissend: „Davon höre ich heute zum ersten Mal."
Peter Hemmelrath arbeitet als Journalist und Gerichtsreporter.