Cora Stephan / 13.07.2009 / 14:17 / 0 / Seite ausdrucken

Propheten der Angst

Ein Essay bei Spiegel-Online genügt (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,634844,00.html), und schon hagelt es Haßmails. Dabei war der Text als Versuch der Vermittlung gedacht - aber das kann man sich hierzulande offenbar schenken. Wer nicht strikt dagegen ist, ist dafür und umgekehrt - dazwischen gibt es nichts.
Nun - hier ist die ungekürzte Version des SpOn-Essays:

Mit der „Atomlobby“ redet man nicht. Da könnte man sich auch gleich zur Teilnahme an einer Sitzung des Ku-Klux-Klan bekennen. Und wenn die deutsche Atomindustrie etwas von „Energiedialog“ flötet, verschließt man sich besser die Ohren wie weiland Odysseus, man könnte ihrem Sirenengesang ja sonst erliegen. Als man kürzlich unter der Führung der Spitze der Grünen in Berlin gegen eine Tagung des Atomforums demonstrierte, hieß die Parole deshalb: „Eure Argumente bleiben drin!“ Wo kämen wir denn hin, wenn die Betreiber von AKWs im Mutterland der Antiatomkraftbewegung nicht nur Argumente hätten, sondern sie auch noch zu Gehör bringen dürften?
Deshalb ist den Anti-AKW-Aktivisten womöglich auch entgangen, daß man im energieproduzierenden Lager durchaus nicht mehr nur für „saubere und billige“ Atommeiler votiert, sondern längst einen Energiemix aus allen verfügbaren Quellen anstrebt. Ach, wen schert das schon! Wer Dialog sagt, hat was zu verbergen.
Die Fronten sind seit Jahrzehnten festgestampft und im Niemandsland dazwischen spielen sich nur noch gewohnheitsmäßige Rituale ab. Wer sich seiner Sache gewiß ist, den erschüttert der Hinweis daher wenig, daß Deutschland mit seiner Angst vorm Atomstrom mittlerweile ziemlich allein dasteht. Ja, im Ausland lacht man über die deutsche Atomangst, spricht vom deutschen „Sonderweg“, nennt es Doppelmoral, daß die Deutschen von Wind und Sonne und sonst gar nichts leben wollen, aber in der Zwischenzeit ihren Atomstrom aus Frankreich beziehen. Und jetzt ist sogar Schweden aus dem Ausstieg ausgestiegen.
Na und? Wir lassen uns nicht verbiegen. Eisenharter Mut – man könnte es auch Trotz nennen – ist deutsche Kernkompetenz. Weshalb uns auch die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen nicht schreckt. Schließlich haben wir einen Exbundeskanzler bei der Gazprom eingeschleust.
Soviel zu den Chancen und Möglichkeiten eines Dialogs.
Allerdings haben diejenigen, die neuerdings den „Dialog“ anbieten, in der Vergangenheit wirklich nicht gerade mit Kommunikationskompetenz geglänzt. So macht man es seinen Gegnern leicht.
Das Problem der Endlagerung radioaktiver Abfälle wartet schon seit Jahrzehnten auf eine seriöse Lösung. Das Krisenmanagement bei „Zwischenfällen“ war bislang, höflich gesagt, bescheiden, was das Vertrauen in die Sicherheit des Atomstroms nicht gerade vergrößert hat. Auch daß man jahrelang nicht nur darauf verzichtete, intensiv nach Energiealternativen zu forschen, sondern solches nicht selten zu hintertreiben suchte, hat den Ruf nicht verbessert. Ihre Gegner nehmen den Energiemanagern jene „Energieverantwortung“ nicht ab, von der man heute dort redet.
Und dann ist da noch eine tiefgehende kulturelle Kluft. Es gehört offenbar zum Rätsel Mann, daß er an sich zwar zu technischen Glanzleistungen fähig, aber nicht in der Lage ist, auch eine verständliche Gebrauchsanweisung dafür zu schreiben. Nach dem Motto: „Mutter, nun laß man, ich weiß schon, was gut für uns ist“, halten Männer vom Fach technische Großprozesse für viel zu kompliziert, um sie dem schlichten Publikum nahebringen zu können. Und wenn etwas schiefläuft, forscht der redliche Ingenieur erstmal in aller Ruhe nach, was Sache ist, bevor er etwas sagt oder gar etwas erklärt. Das ist bei einem so schwierigen Thema wie der Atomenergie meist zu spät. Gelungenes Krisenmanagement sieht anders aus.
Und mit der Sachlichkeit ist es so eine Sache: den einen ist sie heilig, den anderen bedeutet sie eine verkürzte Sicht auf die Welt. Viel mag an der Wurzel einer hierzulande weitverbreiteten Technikabneigung liegen – zuerst vielleicht die mangelnde Grundlagenerziehung in den Schulen. Sicher auch ein leiser Hang zum Esoterischen und Unerklärlichen, den viele lieben. Und gewiß jene Botschaft, die der Nationalsozialismus lehrt: daß sich alles mögliche, auch das Verbrechen, hinter Sachrationalität zu verstecken vermag.
Wer in einem Kosmos lebt, in dem es nur Naturgesetze, technische Rationalität und unanfechtbare Logik gibt, hält wiederum alles für entbehrlich, was sich damit nicht erklären läßt: zuerst und vor allem Emotionen. Damit aber kommt man heute nicht mehr weit, seit Wirtschaftsgurus und Politiker die Macht der Gefühle erkannt haben. Noch in den 50er, 60er Jahren durften Politiker bei schwierigen politischen Entscheidungen ungestraft von „Sachzwängen“ reden. Heute müssen sie ihr Publikum als erstes über ihre Gefühle dabei informieren.
Dem Klischee des profitorientierten Technokraten, der zur Not auch über Leichen geht, wie es bei vielen Atomkraftgegnern gepflegt wird, entspricht das Zerrbild von den „rückwärtsgewandten Spinnern“ da draußen, das bei selbstbewußten Ingenieuren zu Hause ist, die wissen, daß bei ihnen alles sicher ist – war nur die irrationalen Chaoten nicht kapieren wollen, die Propheten der German Angst, die rücksichtslosen Ideologen, die mit den Emotionen verunsicherter Bürger spielen.
Ja, die gibt es. Auch gibt es sicherlich ein politisches Interesse jener Partei, für die der Kampf gegen das Atom Alleinstellungsmerkmal und Gründungsmythos zugleich ist. Das heißt indes nicht, daß man Emotionen nicht ernst nehmen müßte. Auch das nicht Rationale muß verstanden werden, wenn man nicht möchte, daß es politische Prozesse dominiert.
Die Abneigung gegen alles, was mit „Atom“ zu tun hat, ist auch in der – „bürgerlichen“ – Mitte der Gesellschaft stark und fest verankert. Mag sein, daß sich mittlerweile die Jüngeren in diesen Fragen einen entspannten Pragmatismus leisten. Mag sein, daß man nur warten muß, bis die heute 30-60jährigen ausgestorben sind, wie Zyniker meinen, bevor jener „Dialog“ geführt werden kann, der es erlaubte, Energiepolitik mit allen möglichen und denkbaren Optionen vernünftig zu diskutieren.
Mal abgesehen davon, daß das eine ziemlich unfreundliche Einschätzung menschlichen Lernvermögens ist – haben wir soviel Zeit? Nein. In diesem Land ist es dringend nötig, sich ein paar neue Gedanken zu machen, statt die alten Grabenkämpfe fortzuführen.
Doch die Emotionen, die hierzulande die Energiedebatte dominieren, wurzeln tief. Und vielleicht sind sie ein bißchen mehr als die bloße Eigenheit romantischer Spinner, für die uns unsere Nachbarn (noch immer) halten.
Ja, es gibt hierzulande soetwas wie ein nationales Trauma. Wenn man so will: seit dem Dreißigjährigen Krieg. Schon in der zeitgenössischen Wahrnehmung war das kein Krieg, sondern eine Katastrophe, die über die deutschen Lande hereinbrach. Man war das Schlachtfeld, das Durchzugsgebiet plündernder Truppen, die eine Wüstenei hinterließen. Der Dreißigjährige Krieg steht, auch wenn er das nicht war, für vollständige Vernichtung.
Aber man muß ja gar nicht so tief ins deutsche Gemüt hinabsteigen, um Gründe für das zu finden, was man um uns herum spöttelnd „German Angst“ nennt. Es reicht, sich das während des Kalten Kriegs mit „Fulda Gap“ etikettierte Szenario eines Atomschlags anzuschauen, um zu begreifen, welche Reflexe noch 1991 höchst lebendig waren, als die USA beschlossen hatten, Saddam Hussein an der Annexion Kuweits zu hindern: viele Deutsche glaubten damals, am Beginn eines Dritten Weltkriegs zu stehen.
Der Kalte Krieg hatte verheerende Folgen für die Wahrnehmung der Deutschen West wie Ost: jahrelang war Gesamtdeutschlands Rolle im Fall der Fälle klar. Es war als Austragungsort eines atomaren Schlagabtauschs vorgesehen und deshalb ein sicherer Kandidat für die Vernichtung. Einige Generationen Deutscher sind mit der Vorstellung aufgewachsen, daß auch eine minderschwere Krise den Dritten Weltkrieg entzünden könnte. Die hysterische Ausprägung dieser Vorstellung buchstabierte sich ANGST und sah die Deutschen als Opfer. „Besuchen Sie Europa, solange es noch steht.“
Im 68er Gedenkjahr ist womöglich untergegangen, daß die deutsche politische Empfindungswelt weit stärker von der Friedensbewegung als von der Studentenbewegung geprägt ist. Und die paarte sich nicht nur des Wortes „Atom“ wegen mit der Anti-AKW-Bewegung: mit dem „Bauernprotest“ gegen AKW-Baupläne in Wyhl am Kaiserstuhl wähnte man die „Volksmassen“ hinter sich. Auf dem emotionalen Hintergrund eines Szenarios, das die vollständige Vernichtung Deutschlands vorsah, entfaltete das Negativbild des von Robert Jungk 1977 im gleichnamigen Buch ausgerufenen „Atomstaates“ seine Kraft: die These nämlich, daß eine so gefährliche wie gefährdete Technologie einen starken, bis an die Zähne bewaffneten Staat braucht.
Damit ist eigentlich alles über die emotionale Stärke der Argumente der Atomkraftsgegner gesagt: der Stoff, aus dem die Energie gewonnen wird, ist mit Vernichtung assoziiert. Technische Sicherheit kann es nicht geben und hätte überdies einen hohen politischen Preis. Kurz: Atomenergie bedeutet potentielle Vernichtung und den totalen Überwachungsstaat, also: Faschismus. Das sind so ziemlich die beiden stärksten Feind- und Angstbilder, die man in Deutschland kennt.
Nein, die friedliche Nutzung der Kernenergie hatte in Deutschland Ost wie West nie gute Karten, obwohl man in China wie in der DDR oder der Sowjetunion behauptete, im Sozialismus, also in den Händen des Volkes, sei Atomstrom sicher. Wer daran noch glaubte, tat es spätestens mit der AKW-Havarie in Tschernobyl nicht mehr. Jener Mai 1986, als eine radioaktive Wolke über Deutschland zog, ist sicherlich bei allen, die damals älter als 7, 8 Jahre waren, tief in der Erinnerung verwurzelt. Während die Franzosen mit dem glücklichen Selbstbewußtsein einer Grande Nation das bißchen Radioaktivität ignorierten, ist in Deutschland noch heute nicht sachlich über die Frage der Zahl der Opfer in und um Tschernobyl zu diskutieren. Sie liegt offenbar weit unterhalb dessen, was das stets abrufbare Schreckensszenario der Wahrnehmung diktiert.
Wer den atomaren „Sonderweg“ der Deutschen ganz und gar verstehen will, sollte womöglich noch das evangelische Pfarrhaus hinzufügen, daß für viele Regionen prägend ist. Protestantisches Ethos warnt vor Hybris – und ist die Vorstellung, das atomare Feuer bändigen zu können, nicht geradezu der auf die Spitze getriebene menschlichen Größenwahn? Ist nicht verblendet, wer, statt demütig seine Grenzen zu akzeptieren, mit technikgläubiger Vermessenheit immer und immer wieder gegen sie anrennt? Übermut wird bestraft. Wir lesen die Zeichen an der Wand: Waldsterben. Vogelgrippe. Aids. Rinderwahn…
Auch deshalb sind Sonnen-und Windenergie bei uns so beliebt. Nicht nur, weil sie „klimaneutral“ und „erneuerbar“ sind, sondern weil sie nichts anderes als die „reine Natur“ zu sein scheinen. „Die Sonne schickt uns keine Rechnung“, glauben wir mit Franz Alt. Und verdrängen, daß hierzulande auf längere Sicht weder Wind- noch Sonnenenergie rentabel sind – noch gar die Grundversorgung garantieren können (Fritz Vahrenholt).
Mag sein, daß immer mehr Deutsche, zumal angesichts von Energie- und Finanzkrise, einer Nutzung der Kernenergie zustimmen – was sich in längeren Laufzeiten ausdrücken könnte, worüber mehr als die Häfte der Befragten in Deutschland mit sich reden ließe, aber auch im Bau neuer, sicherer, effizienterer Atomkraftwerke. Mag sein, daß der Ausstieg lediglich ein „Generationenprojekt“ (Michael Miersch) ist, daß man auf die „pragmatische“ Jugend setzen muß. Aber so bald sterben wir Älteren nicht aus. Und auch ohne uns werden die mächtigen Bilder bleiben, die nicht nur die Bomben auf Nagasaki und Hiroshima überliefert haben, sondern die auch die Literatur bereit hält – von Schreckensszenarien in der Science-fiction (etwa „Lobgesang auf Leibowitz“ von Walter M. Miller) bis zu deutschen Angstepen in hohen Auflagen, man denke an Gudrun Pausewangs Kinderbuch „Die Wolke“, das 1987 erschien und auch noch den einen oder anderen unter 30jährigen erreicht haben könnte.
Das lange Gedächtnis der Deutschen muß man also einbeziehen, wenn man neu über Kernenergie reden will. Das ist mühsam, gewiß. Immerhin gibt es leuchtende Beispiele: In den USA ist eine frühere Anti-Atomkraft-Aktivistin, die Journalistin Gwyneth Cravens, mittlerweile davon überzeugt, es mit der sichersten Energieform der Welt zu tun zu haben. Der Grund? Gespräche mit Wissenschaftlern und Ingenieuren bei Besuchen in Atomkraftwerken.
Darauf muß man erstmal kommen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Cora Stephan / 08.03.2024 / 06:15 / 49

Männer! Richtige Männer! Es gibt sie noch!

Botschaft an alle Männer, die heimlich daran zweifeln, dass es 99 Geschlechter gibt, ein Mann per Selbstermächtigung zur Frau wird und Frauen die besseren Menschen…/ mehr

Cora Stephan / 29.02.2024 / 11:00 / 51

Daniela Klette und der vergessene Linksextremismus

Die Innenministerin ist voll des Lobes angesichts der Festnahme von Daniela Klette, 65 Jahre alt, Mitglied der RAF, Dritte Generation. Fahndungserfolg nach nicht einmal 30…/ mehr

Cora Stephan / 15.02.2024 / 06:05 / 65

Toxische Weis(s)heit: Die Heuchler von Ulm

Eine Stadt die in der Coronazeit durch besonders rigide Freiheitseinschränkungen von sich reden machte, setzt sich plötzlich für „Vielfalt und Demokratie“ ein. Ulm ist ein…/ mehr

Cora Stephan / 10.02.2024 / 12:00 / 36

Merz in Grün?

Was geht im Kopf eine Politikers wie Friedrich Merz vor, der die Grünen erst zum Hauptgegner erklärt und dann eine Koalition mit ihnen nicht mehr…/ mehr

Cora Stephan / 25.01.2024 / 10:00 / 35

Preisverleihungen nur noch auf Bewährung!

Wer einen Preis verliehen bekommt, weil er was besonderes geleistet hat, sollte sich sehr genau überlegen, mit wem er künftig redet. Sonst ist der womöglich…/ mehr

Cora Stephan / 11.01.2024 / 10:00 / 55

Bauer, Trecker, Fußtritt

Was derzeit bei den Bauern los ist, hat eine weit längere Vorgeschichte als der Versuch einer unfassbar täppisch agierenden Regierung, bei den Landwirten Steuervergünstigungen und…/ mehr

Cora Stephan / 04.01.2024 / 16:00 / 10

Was soll das sein, ein neues Jahr?

Will jemand ernsthaft behaupten, das bloße Auswechseln der letzten Zahl des Datums bedeute bereits etwas wirklich und wahrhaftig ganz anderes? An die Magie von Zahlen…/ mehr

Cora Stephan / 21.12.2023 / 10:00 / 82

Stimme der Provinz: Mit Bauern spaßt man nicht!

Fast hat er mir leid getan, der brave Cem, als er mit erstarrtem Gesicht der Tirade des Bauernpräsidenten Rukwied zuhören musste. Bauern können sehr laut…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com