Ulrike Stockmann / 28.10.2022 / 16:00 / Foto: Achgut.com / 38 / Seite ausdrucken

Pronomensalat

Im Zuge der Verleihung des diesjährigen Buchpreises an Kim de l’Horizon ist eine Debatte um angemessene Pronomen für „nicht-binäre Personen“ entstanden. Die Uni Bielefeld hielt kürzlich dazu eine Konferenz ab.

Über die Verleihung des diesjährigen Buchpreises an Kim de l’Horizon ist bereits viel geschrieben worden. Die Auszeichnung des bis dato so gut wie unbekannten Autors für seinen Debütroman „Blutbuch“ stand ganz im Zeichen seiner Identifikation als „non-binäre Person“, also als Mensch, der sich selbst weder als Mann noch als Frau betrachtet. Im Feuilleton der großen Medien brach großer Jubel darüber aus, dass „endlich“ ein „Non-Binärer“ einen solchen Preis erhielt, während Kritiker argwöhnten, dass dies der einzige (politische) Grund für die Auszeichnung des Newcomers gewesen sei. Und in der Tat erweckten bekannt gewordene Auszüge aus dem autobiografisch angelegten Werk den Eindruck, dass die Begabung des Autors bei seiner Auszeichnung eher ein zweitrangiges Kriterium gewesen sein könnte.

Was mich bei der Berichterstattung jedoch am meisten erstaunte, war die Sprache, der sich die meisten Kommentatoren bedienten. Genauer gesagt, wie sie bereitwillig im Dienste des Autors zur Beschreibung seiner Person gänzlich auf Pronomen verzichteten. Dies fiel mir als erstes beim pünktlich zur Preisverleihung aus der Taufe gehobenen Wikipedia-Beitrag über Kim de l‘Horizon auf. In fast jedem Satz kommt der Name l’Horizon vor, weil an keiner Stelle Pronomen wie er/sie oder ihm/ihr etc. stehen, die ihn ersetzen könnten, ebenso wenig entsprechende alternative Substantive wie „der Autor“ oder „der Künstler“. Lediglich zweimal wird er als „Person“ betitelt und bekommt an diesen Stellen jeweils weibliche Pronomen verpasst.

Abbau des Ausdrucksvermögens

Auch Medien wie die Zeit, die Süddeutsche, die Deutsche Welle oder die NZZ veröffentlichten Beiträge, in denen der Name „de l’Horizon“ in mehreren Sätzen monoton hintereinander angeführt wird, um verräterische Pronomen möglichst zu vermeiden. Das klingt dann zum Beispiel so, wie im folgenden Beitrag der taz:

„Allerdings schützen diese zeremoniellen Manieren auch eine Person wie Kim de l’Horizon nicht vor jeder Form der Transphobie. Im Netz untersuchen und sezieren die Ver­fech­te­r*in­nen der Zweigeschlechter-Norm emsig Kim de l’Horizons Äußeres und sprühen dabei Hass und Paranoia. Der Kölner Stadtanzeiger berichtete am Donnerstag, dass Kim de l'Horizons Verlag DuMont für de l'Horizon nach queerfeindlichen Bedrohungen einen Sicherheitsdienst engagiert habe.“

Ein erstaunliches Verfahren für Medien, die eigentlich dafür bekannt sind, sich um eine elegante Sprache zu bemühen. Schließlich lernt man schon als Grundschüler, dass Wortwiederholungen in einem Text dringend vermieden werden sollten. Die Homepage des NDR setzt noch eine Schippe obendrauf und nennt ihn in einem Text „die*den Autor*in“.

Die Anbiederung an einen jungen Kreativen, der weder Männlein noch Weiblein sein will, aber eindeutig ein biologischer Mann ist, ist das eine. „Wir jedenfalls bleiben dabei, dass Kim ein netter Junge ist, der seine Muddi lieb hat“, stellte Achgut-Autorin Cora Stephan letzte Woche verständnisvoll, aber konsequent fest.

Viel bedenklicher finde ich, wie leichtfertig das vorgeblich schöngeistige Feuilleton einen geschliffenen Schreibstil für die vermeintlich gute Sache aufgibt. Es gilt doch heutzutage als Konsens, dass Sprache das Bewusstsein formt und demzufolge wäre ein Abbau des Ausdrucksvermögens doch eigentlich entschieden abzulehnen.

Wie politisch ist die Grammatik?

Doch für die Opferung ambitionierten Schreibens scheint es mittlerweile eine Lobby zu geben, wie eine bemerkenswerte Konferenz beweist, die ebenfalls letzte Woche stattfand. Das Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld lud zur Tagung „Personalpronomen: Ansätze einer interdisziplinären Grammatik der Person“. Da Personalpronomen „unterschiedliche Identitätskonzepte“ ausdrückten, lauteten die zentralen Fragen der Konferenz: Wie persönlich ist das Personalpronomen? Wie politisch ist die Grammatik?

Geleitet wurde die Veranstaltung von Professorin Dr. Mona Körte, Dr. Elisa Ronzheimer und Dr. Sebastian Schönbeck, allesamt von der Uni Bielefeld. Die Literaturwissenschaftlerin Körte sprach im Vorfeld davon, dass der Umgang mit Personalpronomen im Schreiben und Sprechen „variabel“ geworden sei, während „Sprachschützer*innen“ darauf bestünden, dass Personalpronomen unveränderbar seien. Teilnehmer der Tagung waren Vertreter aus Altphilologie, Literaturwissenschaft, Linguistik, Philosophie, Biologie, Soziologie und Tierethik. Tierethik? Ja, denn auch die Pronomen in Tier-Enzyklopädien wurden untersucht.

Das Handelsblatt führt in diesem Kontext an, dass vor allem in den USA immer mehr junge Menschen explizit ihre Pronomen angäben, etwa in E-Mail-Signaturen oder Social-Media-Profilen. Viele sich als „nicht-binäre“ Personen definierende Menschen würden im Englischen auf die Pronomen „they/them“, also die eigentliche 3. Person Plural zurückgreifen.

Konferenz-Leiterin Körte ergänzt, dass sich im Deutschen einfach die Nennung des Namens durchsetze – wie oben zitierte Medien bereits unter Beweis stellten. Körte ist eine Anhängerin dieser Idee, „weil wir dann keine neuen Worte erfinden müssen“. Als Beispiel liefert sie folgenden Satz: „Steffi putzt sich die Zähne, bevor Steffi ins Bett geht.”

Dass dies eher an die Ausdrucksweise eines Vorschulkindes erinnert, stört die Literaturwissenschaftlerin nicht, ebenso wenig eine mögliche „Sprachverunstaltung“. Denn: „Wichtiger wäre, dass niemand diskriminiert wird.“ Es gehe neben der Repräsentation auch um „Verantwortung, die ich dafür habe, respektvoll und anerkennend meinem Gegenüber zu begegnen, für den respektvollen Umgang miteinander“. Die schnöden Gefilde der Literaturforschung scheint die Wissenschaftlerin hinter sich gelassen und die Klärung der Pronomen-Frage zu ihrem Hauptanliegen erhoben zu haben. Man kann nur hoffen, dass das Sprachgefühl der Allgemeinheit diesen Ideen einen Strich durch die Rechnung macht.

Foto: Ulrike Stockmann

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Arnold Balzer / 28.10.2022

Dieser Kim mit seinem begrenzten Horizont ist also “non-binär” ! So, so, warum sagt der Kerl/in/sonstwas nicht WAS er/sie/es ist, anstatt zu sagen, was er/sie/es NICHT ist ?!? Nicht-binär ? Soll das heißen TERTIÄR? Oder quartär, quintär, usw., weil’s doch hunderte Geschlechter gibt? Ach, was soll’s ! Ich wiederhole mich gern: Für mich sind diese geistig-beschränkten Wichtigtuer einfach WEDER-NÖCHER!

Sam Lowry / 28.10.2022

Meine Frage ist: Lebt es sich besser, wenn man keine freien Medien mehr konsumiert, sondern nur noch Mainstream; all den ganzen Mist mitmacht und psychisch gesund bleibt? Ich rege mich nur noch auf; soweit, dass ich neulich sogar in die psychiatrische Abteilung des hiesigen Krankenhauses kam. Nach 6 Stunden stand dann endlich mal einem völlig besoffenen (etwa 3,0 Promille) und übernächtigten “Sam Lowry” dann ein Bett zur Verfügung. Danach wurde ich dann 10-minütlich für sinnlosen Mist geweckt: Blutdruck, Blasen, Frühstück, Gedöns… Vorsatz? Ja, ich gebs zu, diese Woche hätte ich dies und jenes machen sollen, um in eine entsprechende Fachklinik gehen zu können und habe das nicht geschafft. Meine Grenze ist bei 1 Stunde am Tag und wenn man ein Haus und den darin lebenden schwerstbehinderten Vermieter versorgen muss, dann ist die Stunde als Alkohol-Abhängiger sehr schnell geschafft. Blätter, überall Blätter und wuchernde Büsche, und vollgeschissene Vermieter… mein Got, erlöse mich doch bitte schnell, am besten JETZT!

giesemann gerhard / 28.10.2022

In Bielefeld gibt es einen Professor Zick, Konfliktforscher seines Zeichens. Dem habe ich mal geschrieben: Die beste Konfliktbewältigung ist immer noch die Konfliktvermeidung. Das hat den derart erschüttert, dass er nix mehr gesagt hat.

A. Ostrovsky / 28.10.2022

Die Sprache bringt es an den Tag. Sprechen ist eine Kulturtechnik, mit der es gelingen kann, anderen Menschen zu verdeutlichen, wie es im eigenen Oberstübchen tickt bzw. poltert. Jedes Wort, das gesprochene, wie das geschriebene, charakterisiert zuert den Urheber des Wortes, lange bevor es äußere Erscheinungen beschreiben kann. Das wird aber nur jenen verständlich, die die gleiche Sprache sprechen. Bei allen anderen erzeugt es nur ein Klang-Abbild, vergleichbar mit Musik oder Lärm, kann aber keinen Sinn transportieren.

A. Ostrovsky / 28.10.2022

Bei all den Kims vom Horizont fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich bin eine binäre Person. Muss ich da nicht geschützt werden, weil ich nicht ganz tatü bin? Man muss sich das mal vorstellen. Da lebt man Jahrzehnte lang so vor sich hin, und schwupp, plötzlich ist man binär. Dabei wäre ich benahe monogam gewesen wenn nicht, naja das gehört hier nicht her. Binär, booaah. Sieht man mir das etwa an? Wenn ich doch wenigstens schwul wäre, da kann man sich was vostellen, so mit gleichgepolten, die mich abstoßen, die aber von einer Bindekraft der dritten Art zusammen gepresst werden, bis es schmerzt. Ach wäre ich doch wenigstens Feminist, Grüner oder Nazi, da wüsste ich, wer ich bin. Aber ein Binärer? Was soll denn das sein? Das ist ein Schicksalsschlag. Ich bin eine BINÄRE PERSON, ich Person, ich. Oder alle außer mir sind verrückt? So wirds sein.

Jana Hensel / 28.10.2022

Zitat: ‘Es gehe neben der Repräsentation auch um „Verantwortung, die ich dafür habe, respektvoll und anerkennend meinem Gegenüber zu begegnen, für den respektvollen Umgang miteinander“.’ Ja klar. So wie die betreffenden auch für Nichtstudierte klar erkennbar an psychischer Herausforderungen leidenden Figuren ihren ganzen Respekt für ihre Gegenüber zeigen, nicht wahr? Zum Beispiel das adipöse nonbinäre Lebewesen aus Berlin welches Polizisten auf den Müll leben lassen möchte (Hängekuh oder so ähnlich). Deren Physiognomie ist der Spiegel des woken Geisteszustands. Nicht Toleranz (Ertragen) ist mehr gefordert, sondern man eskaliert nun die Forderung zu “Respekt”. JEDER in diesem Land soll sich gefälligst jeden dahergelaufenen halluzinierenden Napoleons und Anastasias dieser Welt unterordnen, und zusehen wie mit indoktrinären Übergriffigkeiten bis ins Kinderzimmer hinein die Geisteskrankheit zur Norm und das Normale für abnormal erklärt wird.  Newsflash. Der Wald ruft zurück. Das tut er immer. Und das Echo wird gerade bei der sich abzeichnenden ökonomischen Monsterkrise heftig werden. Immerhin muss ich sagen, dass der genannte Personenkreis auf meiner Respektskala nicht die untersten sind. Diese Plätze nehmen (neben den herumampelnden und -merkelnden Politiker und deren stumpfsinnigen Wähler)  die buckelnden “Wissenschaftler” und “Journalisten” ein.

M.-A. Schneider / 28.10.2022

Dieses Land und Teile der Gesellschaft sind inzwischen zu einem Irrenhaus geworden, so der Eindruck nach der Lektüre dieses fundierten Beitrags.

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