Kritik an Verschwörungstheorie ist nicht unwichtig. Heute ist sie jedoch vor allem Vorwand, Regierungskritik zu diffamieren. Das zeigt sich sehr anschaulich an einem Professor der Uni Gießen, für den der Corona-Protest unisono ein Ausdruck von „Demokratiefeindlichkeit“ ist.
Im Nachgang der Anschläge vom 11. September 2001 bedienten Verschwörungstheoretiker noch den Zeitgeist: Die Amerikaner sollten nicht nur selbst schuld am Massaker sein, sondern den Massenmord an ihren eigenen Bürgern auch noch in Auftrag gegeben haben. Konspirationsfantasien verhalfen dem antiwestlichen Ressentiment und einer antisemitischen Realitätsverleugnung zur Geltung: „Der große und der kleine Satan“ – die USA und Israel – wurden zum insgeheimen Strippenzieher erklärt, um zu verdrängen, dass der Westen tödliche und autarke Feinde hat, deren Verachtung für seine moderne Lebensweise zum Wesen ihrer islamischen Ideologie gehört; Feinde also, die ihn von sich aus vernichten wollen und alles andere als mittellos sind.
Verschwörungstheoretiker nahmen demnach den Islam aus der Schusslinie und den Westen ins Visier, was dem Multikulturalismus zupasskam. Heute hingegen werden sie als mindestens potenzielle Antisemiten und verkappte Rechtsextreme gehandelt, womit sie als „Gefahr für die Demokratie“ gelten.
Anknüpfen kann dies an die richtige Einsicht, dass Verschwörungstheorie als tatsächlicher Wahn, als gekränkt-aggressive Sicht auf die Welt, dazu tendiert, bei als übermächtig imaginierten Juden zu landen: Rothschilds et al. würden das eigene Schicksal bestimmen. So werden reale Ohnmachtsgefühle, deren Gründe gesellschaftlicher Natur sind, einem Sündenbock zugeordnet, dem die verfolgende Unschuld den Garaus zu machen trachtet. Die islamische und nationalsozialistische Paranoia einer Weltverschwörung der Juden zielt auf deren physische Vernichtung.
Wenn nun aber der Vorwurf der Verschwörungstheorie nur dazu dient, den pandemischen Regierungs- und Wissenschaftsapparat gegen jede Kritik abzuschirmen, die andere denn lebensrettende Interessen geltend macht, verwurstet man sie in üblen Staatskonformismus.
Prof. Salzborn erklärt die Demokratie…
Damit zu Samuel Salzborn, Professor an der Uni Gießen und Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus. Als „Experte Samuel Salzborn über die Corona-Proteste“ (hier in Gänze) gab er der Saarbrücker-Zeitung ein Interview, in dem sich das, was sich aktuell für Kritik von Verschwörungstheorie hält und man von Lokal-Journaille über Antifa bis Bundespressekonferenz vorgesetzt bekommt, anschaulich verdichtet. Die Corona-Demonstrationen, laut „Welt“ die weitflächigsten in der Geschichte der Bundesrepublik, repräsentieren für Salzborn lediglich eine randständige Minderheit mit inakzeptablen Ansichten. Das Milieu sei „real gewalttätig – bis hin zum Mord“, würde einzig zusammengehalten durch eine „grundsätzliche Demokratiefeindlichkeit“ sowie einen wahnhaft-aggressiven „Verschwörungsglauben“. Desaströse Kollateralschäden einer massiv übergriffigen Politik? Alles nur Vorwände, um jenem zu frönen, so der Politikwissenschaftler. Man könnte auch sagen: Viel simplifizierender geht es bei „Reptiloiden-Theoretikern“ auch nicht zu …
Wenn Menschen im Rahmen ihrer Verfassungsrechte für eine andere Politik (z.B. die Schwedens) auf die Straße gehen, habe man es also mit Demokratiefeindlichkeit zu tun. Und die „drückt sich darin aus, dass ein kleiner Teil der Bevölkerung meint – jenseits von wissenschaftlicher Faktenlage und tatsächlicher Realität der Pandemie, auf Basis von letztlich irrationalen Überzeugungen – es besser zu wissen. (!) Und damit sozusagen sein Partikularinteresse gegen die Mehrheit der Bevölkerung und Prinzipien der Demokratie richtet.“
Demokratie wäre also das, was der Volkswille will; wer sein Partikularinteresse gegen ihn geltend macht, verstößt gegen ihre Prinzipien – erstaunliche Einsichten für einen Politologen, der sich dem Schutz vor Diskriminierung verbunden fühlt. Das Frauenwahlrecht etwa war einst ein Partikularinteresse, das sich gegen die damalige „wissenschaftliche Faktenlage“ erst durchsetzen musste, bevor es mehrheitlich akzeptierter Bürgerstandard werden konnte. Salzborn erklärt lediglich seine eigenen Denkfaulheit gegenüber dem politisch propagierten „Stand der Wissenschaft“ für allgemein-verbindlich. Auch andere sollen es ihm gleichtun und es nicht besser wissen wollen.
„Verschwörungsglauben funktioniert nach einer bestimmten Logik: abstrakte Phänomene der modernen Gesellschaft, in diesem Fall die Pandemie, werden nicht verstanden. Weil man die Abstraktheit nicht versteht, vermutet man dahinter bestimmte konkrete Interessen. Das, was man nicht versteht, projiziert man auf andere. Hinter diesem Akt der Projektion steckt der grundsätzliche Gedanke, dass es irgendwelche Mächte im Hintergrund gäbe, die letzten Endes irgendein Interesse daran hätten.“
Damit Außenstehende verstehen, wie er darauf kommt, dass die „Abstraktheit“ der Pandemie nicht verstanden würde, ein kleiner Exkurs in eine innerlinke Debatte: Spätestens ab den 2000er Jahren wurde in der Linken „personifizierte Kapitalismuskritik“ problematisiert, die von systemischen, strukturellen Bedingungen absieht und Ungerechtigkeit aus dem moralischen Fehlverhalten einzelner Akteure erklärt (siehe z.B. hier). In diesem Kontext wurde Verschwörungstheorie entziffert als gescheiterter Versuch der Welterklärung: Statt das abstrakte System kapitalistischer Vergesellschaftung zu durchdringen, sucht der Verschwörungstheoretiker die Schuld für Ungerechtigkeit bei konkreten Akteuren. Statt Kritik zu üben, moralisiert er.
Salzborn überträgt nun diese sinnvolle Gedankenfigur auf die heutige coronapolitische Situation, wobei alles durcheinandergerät: Zum einen beruht eine Projektion keineswegs pauschal auf dem, „was man nicht versteht“. Sie meint nach Freud das „Verfolgen eigener Wünsche in anderen“. An sich selbst unreflektierte innerpsychische Regungen werden am anderen „entdeckt“ und als störend empfunden.
Zum anderen ist eine Pandemie ihrem einstigen Begriff nach alles andere als abstrakt; sie müsste sich den Menschen eigentlich unmittelbar sinnlich zeigen, durch sehr viel mehr Krankheit und Sterben. Die „Abstraktheit“ der Pandemie verweist hier vielmehr darauf, dass Salzborn gar keinen Unterschied zur vorpandemischen Zeit wahrnimmt – wie die Demonstranten, denen er jede Rationalität abspricht. Vielleicht sollte er einmal beim RKI nachschauen, was eine Test- bzw. Pseudo-Epidemie ist.
Mit Versatzstücken der Ideologiekritik den autoritären Maßnahmenstaat von jeder demokratischen Kritik freizusprechen, entspricht dem persönlichen Interesse von „Experten“, die ihm als Ansprechpartner dienen. Man will es sich eben nicht verscherzen. Er täte dann aber besser daran, in Sachen Corona einfach zu schweigen.