Es ist wirklich ein Zufall, aber ich habe erst heute erfahren, dass Lord Richard Rogers, von dem ich gestern an dieser Stelle berichtete, beinahe zur selben Zeit mit dem Pritzker Prize, einer Art Nobelpreis für Architektur, ausgezeichnet wurde. Die Londoner Times widmet heute aus diesem Anlass den Ansichten des britischen Stararchitekten einen Artikel. Darin wird Rogers als Ästhet dargestellt, der allerdings an ökonomischer und historischer Unbedarftheit leidet.
Die beste Periode des englischen Städtebaus war für Rogers das georgianische Zeitalter, also die Zeit von 1714 bis 1830. Zitat:
“The battle is to get cities as a whole up to the standards that Georgian cities used to be at with their tree-lined avenues, wonderful squares and great windows overlooking garden areas. It’s the coherent sense of place that you get with Holland Park and Belgravia, or the Victorian Notting Hill. These are wonderfully planned.”
Rogers übersieht jedoch zweierlei. Zum einen wurden die hübschen georgianischen Terraces nicht unbedingt von staatlichen Institutionen geplant, wie dies heute der Fall ist, sondern oft von privaten Bauunternehmern. Diesen Unternehmern verdanken wir die besten Beispiele georgianischer Architektur in Städten wie Bath und Edinburgh. Zum anderen, und darauf weist die Times hin, konnten sich vor zweihundert Jahren durchaus nicht alle Städter ein stattliches Stadthaus auch leisten; stattdessen lebten sie oft in Slums. Doch das hat Rogers offenbar vergessen, wenn er behauptet, dass man in britischen Städten nie eine höhere Lebensqualität genießen konnte als zu jener Zeit.
Rogers beklagt sich zudem über die Qualität der heutigen britischen Architektur:
“We still haven’t achieved a high enough quality in terms of both buildings and public spaces in contemporary architecture. There’s a long way to go. ... Britain has an exceptional number of good architects but Spain has a higher standard of architecture. Why? It’s the selection of architects and planners which can be improved on. Often the people who make the selection — and it is often city councils — don’t have high enough aspirations.”
Lord Rogers scheint zu glauben, dass Stadtplaner und Architekten sich nicht genug um gutes Design bemühen. Ich würde ihnen dieses Bemühen nicht so pauschal absprechen, sondern auf einen anderen Zusammenhang hinweisen. Spätestens seit der Einführung des britischen Raumplanungsgesetztes von 1947 haben sich die britischen Stadtplaner bemüht, die räumliche Ausdehnung ihrer Städte zu begrenzen, sei es durch Grüngürtel oder durch städtebauliche Verdichtungen. Unterstützt wurden sie dabei gerade auch von Architekten wie Lord Rogers. Allerdings hatte diese Politik zur Folge, dass die Landpreise immer weiter stiegen und gleichzeitig immer weniger gebaut wurde. Bei der gegenwärtigen britischen Bautätigkeit würde es laut einem Regierungsbericht 1.700 Jahre dauern, bis der gesamte Wohnungsbestand einmal erneuert ist!
Das Hauptproblem des britischen Städtebaus besteht in der künstlichen Verknappung des Angebots. Dies hat zu einem Verkäufermarkt geführt, worunter dann auch die Architekturstandards gelitten haben. Im gegenwärtigen britischen Wohnungsmarkt können nämlich auch Wohnungen und Häuser verkauft werden, die kein gut durchdachtes Design aufweisen - die Nachfrage nach Wohnraum ist einfach zu groß, es wird alles gekauft.
Aber das ist eben das Problem von Lord Rogers, dass er nicht in der Lage ist, die Ökonomie des Planungswesens zu verstehen und seine (durchaus berechtigte) Kritik am städtebaulichen Zustand Großbritanniens an den falschen Ursachen festmacht. Ironischerweise sind Rogers Vorschläge zur Verbesserung der Architektur (mehr Planung, mehr Dichte, eine geringere Ausweisung von Bauland) genau die Ursachen der jetzigen urbanen Probleme Großbritanniens.
Die Jury des Pritzker Prize zeichnet Lord Rogers trotzdem mit der Begründung aus, er sei “a humanist, who reminds us that architecture is the most social of arts”. Leider reicht eine humanistische Gesinnung aber nicht aus, um den Schaden zu verstehen, den die Raumplanung in den letzten Jahrzehnten in Großbritannien angerichtet hat.
Dankenswerterweise endet der Times-Artikel übrigens mit einem Kurzportrait von Lord Rogers in Stichpunkten:
— He is in favour of higher-density city homes ...
— They live in Chelsea, in a pair of converted Georgian terrace houses that have been knocked through
Es ist doch immer wieder schön, wenn die Leute auch so leben, wie sie es anderen vorschreiben möchten ...
(Mehr Informationen zu den Problemen der britischen Raumplanung gibt es in einigen Publikationen, die ich für den Londoner Think Tank Policy Exchange verfasst habe. Sie könnnen kostenlos hier heruntergeladen werden.)