Peter Grimm / 08.07.2016 / 06:00 / Foto: Marcus Quigmire / 10 / Seite ausdrucken

Pressekodex: Das Ende des Schweige-Gelübdes

Die "Sächsische Zeitung" inszenierte es vor einigen Tagen als mutigen Tabubruch: Die Chefredaktion erklärte, dass sich die Zeitung künftig nicht mehr an die umstrittene Vorschrift im Pressekodex des Deutschen Presserats halten wird, wonach die Herkunft von Straftätern oder Tatverdächtigen in der Regel möglichst nicht zu nennen sei. Die Sachsen sorgten für manch empörte Reaktion, dabei betreten sie hier keineswegs Neuland. Gerade die Lokal- und Regionalpresse verabschiedet sich von dieser Pressekodex-Regel. Wenn die Zeitung vor Ort nicht vollständig berichtet, was vor Ort passiert, dann wenden sich die Leser und damit die zahlenden Kunden einfach ab. Auf die kann aber keine Zeitung verzichten.

Im Gegensatz zum andernorts schon eingeübten Abweichen vom Pressekodex wurde die Ankündigung der "Sächsischen Zeitung" überregional wahrgenommen. Immerhin hat hier ein Blatt, das zu 40 Prozent dem SPD-Medienbeteiligungsunternehmen ddvg gehört und eines Flirtversuchs mit heimischen Pegida-Anhängern vollkommen unverdächtig ist, eine solche, zunächst überraschende Position bezogen. Man darf vermuten, dass einige Journalisten der Zeitung damit gar nicht einverstanden sind, sondern eher der ablehnenden Reaktion des Vorsitzenden des Deutschen  Journalistenverbandes (DJV), Frank Überall, zuneigen.

Dieser sagte im Tagesspiegel: "Wenn sich eine Mehrheit demokratisch auf Regeln einigt, muss man das akzeptieren." Der Pressekodex entspricht also dem Willen einer Mehrheit, die sich demokratisch auf ebendiese freiheitsbegrenzenden Regeln geeinigt habe? Vielleicht sollte Kollege Überall noch einmal darüber nachdenken, dass der Deutsche Presserat nicht mehr ist, als ein eingetragener Verein, der aus zwei Verleger- und zwei Journalistenorganisationen besteht und wohl kaum die notwendige demokratische Legitimation besitzen dürfte, um grundrechtsrelevante Entscheidungen zu treffen.

Selbszensur als vorauseilender Gehorsam gegen staatliche Zensur

Doch Frank Überall will, da macht er seinem Namen alle Ehre, dass die umstrittene Selbstzensur dennoch überall Geltung haben müsse. Der Tagesspiegel zitiert ihn weiter: So lange alle Ziffern des Pressekodex aber für alle Beteiligten verbindlich seien, dürften sie auch nicht einzeln aufgehebelt werden – sonst gefährde das die Rolle des Presserats als System der freiwilligen Selbstkontrolle. Mittelfristig würden durch Entscheidungen wie die der "Sächsischen Zeitung" diejenigen Kräfte in Deutschland und Europa gestärkt, die faktisch eine umfassende staatliche Kontrolle der Presse beziehungsweise Medien durchsetzen wollen. "Daran habe ich jedenfalls kein Interesse."

Das heißt doch im Klartext, wir brauchen die Selbstzensur als milderen Ersatz einer sonst zwingenden umfassenden staatlichen Kontrolle? Sollte ein Journalistenvertreter nicht eher gegen jedwede Beschneidungen der Pressefreiheit kämpfen, als sich um die Rolle eines Kontrolloffiziers zu bewerben? Gut, wir hören hier mit der Polemik auf, denn einige Journalisten hierzulande haben nun einmal ein Bild von ihrem Beruf, in dem die Volkserziehung zu einer ihrer vornehmsten Aufgaben zählt und zu Erziehern passt auch ein Lehrplan.

Doch zurück zur "Sächsischen Zeitung". In ihrer Erklärung zum künftigen Bruch mit dem Pressekodex, macht auch die dortige Chefredaktion deutlich, dass sie natürlich gegen jedwede Diskriminierung ist, aber inzwischen von einer Erkenntnis erreicht wurde, die eigentlich nicht so neu ist:

Gerade das Nichtnennen der Nationalität von Straftätern und Verdächtigen kann Raum für Gerüchte schaffen, die häufig genau denen schaden, die wir doch schützen möchten. Wie die meisten unserer Kollegen halten auch vier von fünf SZ-Abonnenten die Nennung der Nationalität von Tätern nicht für diskriminierend und plädieren ebenfalls dafür, die Nationalität zu nennen.

Deshalb haben wir nach durchaus kontroversen Diskussionen beschlossen, uns bei der Berichterstattung über Ausländerkriminalität ab heute nicht mehr an die Richtlinie des Deutschen Presserates zu halten. Stattdessen werden wir künftig die Herkunft von Straftätern oder Verdächtigen in jedem Fall angeben.

Für Nachfragen bei der Polizei haben viele Redaktionen keine Zeit mehr

Vor der "Sächsischen Zeitung" gab es allerdings schon andere Pressekodex-Abweichler. Der Chefredakteur der "Schwäbischen Post", Lars Reckermann, schrieb beispielsweise schon im Februar 2016: Im April 2015 eröffnete in Ellwangen eine Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge. Wenn in eine Stadt mit 23500 Einwohnern, etwa die Hälfte davon leben in der Kernstadt, bis zu 4000 Flüchtlinge (aktuell etwas mehr als 2000) kommen, verändert das eine Stadt. Wir haben über alle Facetten berichtet, über die positiven und negativen. Zu den Negativen zählte, dass in fast jeder Polizeimeldung bei Ladendiebstählen Algerier von der Polizei benannt wurden. Anfangs haben wir den Pressekodex noch eins zu eins umgesetzt. Dann haben wir aber entschieden, dass wir damit eigentlich eine Nachricht verschweigen. [...] Also nennen wir die Nationalität, wohlwissend, dass laut Ziffer 12 des Pressekodex’ „in der Berichterstattung über Straftaten die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt wird, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“

Reckermann erklärte damals aber einfach schwäbisch clever, dass er gegen den Pressekodex dennoch nicht verstoße, weil bei ihm daheim einfach immer ein "begründbarer Sachbezug" bestehe: Ich finde für Ellwangen, für den Ostalbkreis, ist die Nennung der Nationalität für das Verständnis wichtig, es gibt meiner Meinung nach einen begründbaren Sachbezug. Ich muss natürlich nicht erwähnen, dass wir selbstredend ohne Häme oder Hetze berichten. Und dass sich unsere Berichterstattung nicht auf Algerier konzentriert. Wir berichten, wenn Ellwanger auffällig sind, wir berichten aber auch, wenn Algerier, Syrer oder Afghanen auffällig werden.

Ein paar Wochen später hatte auch die "Rheinische Post" angekündigt, sie werde die Täterherkunft zwar nicht immer, aber immer häufiger nennen. Wer im Verbreitungsgebiet der "Sächsischen Zeitung" nun aber erwartet, tatsächlich in jedem Fall etwas über die Herkunft von Straftätern zu erfahren, wird schnell enttäuscht werden, wie die Redaktion aus Dresden schon ankündigt: "Wenn die Polizei die Herkunft der Täter und Verdächtigen bei schwereren Vergehen nicht nennt, können wir es ebensowenig. Tut sie es doch, werden wir auch diese Information nicht verschweigen."

Es stimmt, viele Polizeipressestellen halten sich auch gern an den Pressekodex und lassen die Herkunft von Straftätern und Tatverdächtigen  möglichst unerwähnt oder formulieren sie betont gequält und beiläufig in die jeweilige Meldung ein. Aber das, was nicht in der Pressemitteilung steht, das kann man doch selbst erfragen, oder? Stimmt, doch vielerorts haben die Mitarbeiter  in ausgedünnten  Lokalredaktionen für solcherlei Recherche gar keine Zeit mehr.

Zuerst erschienen auf Peter Grimms Blog Sichtplatz hier.

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Leserpost

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Thomas Schmied / 08.07.2016

Warum wird die Nennung von Herkunft oder Hautfarbe bei der Suche nach mutmaßlichen Tätern systematisch vermieden, während die Betonung der Hautfarbe bei mutmaßlichen Opfern derart in Vordergrund gerückt wird, dass regelmäßig Rassenunruhen und Großdemonstrationen “gegen Rassismus” folgen? In den USA wurden von Polizisten vor einigen Tagen zwei Schwarze erschossen. Bei der darauf folgenden Großdemonstration “gegen Rassismus” erschoss jemand nun vier Polizeibeamte. Spielt es nun in den Medien eine Rolle, ob der Polizistenmörder eine dunkle oder eine helle Haut hatte? Es sieht derzeit nicht so aus. Diese ganze politisch korrekte, diese ganze künstliche Verzerrung und unterschiedliche Behandlung von Straftaten oder vermeintlichen Straftaten, dieser ganze institutionalisierte “Antirassismus” führt meiner Ansicht nach nur zu einer Aufstachelung der verschiedenen Hautfarben gegeneinander, obwohl sie das Gegenteil vorgibt erreichen zu wollen.

Arnd H. / 08.07.2016

Den meisten Leuten fällt gar nicht auf, dass wir laut Verfassung eine *Informationsfreiheit* haben. Es ist nicht erlaubt, bestimmte Informationen pauschal den Bürgern vorzuenthalten. Man kann auch nicht mit Staatsgeheimnissen argumentieren. Ganz im Gegenteil, wenn man sich die Begründung des Pressekodices durchliest, merkt man erst, wie verfassungsfeindlich das eigentlich ist: Dort wird ganz offen argumentiert, dass die Information über Kriminalität bestimmter Gruppen die Menschen dazu bringen könnte, bestimmte Parteien zu wählen(!) Es handelt sich also nicht nur um Verfassungsfeindlichkeit, sondern sogar um einen gezielten Eingriff in den Wahlkampf.

Soraya Wilms / 08.07.2016

Super-Artikel gegen die Tyrannei unserer Demokratur! Nur mit Mut werden wir unser Land und Europa retten können!! Wann werdet ihr eine Printausgabe von ” Achgut” herausgeben, damit auch die Marionetten von Merkel und Co endlich aufwachen?

Wilfried G. / 08.07.2016

Noch interessanter als die vermeintliche Abkehr ist doch die Auskunft der SZ, dass ihnen der Schutz einer bestimmten Gruppe besonders “am Herzen liegt”. Man fragt sich schon, warum es nicht alle Sachsen/Menschen ins Herz der SZ’ler schaffen. Da zeigt sich m. E. wieder mal die typisch grünlinke Denkweise, wonach gut, schutzbedürftig und bereichernd all jene sind, die von außerhalb (Europas) stammen. Und haargenau diese Leute beschweren sich dann über ethnozentrische Denkweisen.

Hjalmar Kreutzer / 08.07.2016

Was für ein Pech für die Zeitungen, was für ein Glück für Funk und Fernsehen, dass wir keine Zeitung kaufen, aber die ÖR Medien bezahlen MÜSSEN, sonst geht es ab in die Beugehaft. Da ist also noch Reformbedarf.

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