Antje Sievers / 08.07.2016 / 12:37 / Foto: Tim Maxeiner / 31 / Seite ausdrucken

Präsidenten-Prämie für den Harem

Seit einigen Jahren steigt gelegentlich eine heftige Bitterkeit in mir hoch, die ich eigentlich schon begraben hatte. Zum Beispiel, wenn ich lesen muss, wie die WAZ in Gelsenkirchen einmal eine deutsche Großfamilie besuchte. Nun ist man natürlich als angry old woman niemals so eine coole Sau wie als angry young man. Ich weiß, dass Menschen wie ich, die ein Leben lang anderen ihre unterprivilegierte sozial schwache Präkariatskindheit um die Ohren hauen, entsetzlich auf die Nerven gehen können. Aber dazu haben wir auch ein Recht. Wir dürfen das.

Wenn man schon gelitten hat, will man ja auch was davon haben. Ich habe den Artikel mehrfach gelesen, von vorn bis hinten, von oben bis unten, ich habe zwischen den Zeilen gelesen und wie blöd nach dem Titel „Satire“ gesucht, aber ich schwöre es, der war nirgendwo zu sehen. „Gelsenkirchen – Patenschaften“ stand dort. Man muss also davon ausgehen, dass der Artikel über den Hausbesuch bei der Familie Tatari ganz ernst gemeint war und die Journalisten, die ihn verbrochen haben, wirklich so blöd sind.

Ferner muss man davon ausgehen, dass Dauerarbeitslosigkeit plus unverantwortliche Familienplanung plus Bigamie im Sinne StgB 172 nicht etwa verdammenswert wären, sondern ganz im Gegenteil: Bundespräsident Joachim Gauck spendet der glücklichen Familie Tatari in Ermangelung des Mutterkreuzes eine Ehrenpatenschaft komplett mit Schlossempfang und fünfhundert Euro bar auf die Kralle.

"Arbeitssuchend“ ist das Neusprech für „dauerarbeitslos“

Geheiratet hat der vierundzwanzigjährige Herr Tatari nicht nur zwei Frauen, er hat auch schon mit fünfzehn zum ersten Mal Vaterfreuden genossen. Aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen ist der Vater von acht Kindern mit drei Monaten. Man muss also davon ausgehen, dass er inzwischen mindestens dreiundzwanzig Jahre und neun Monate Zeit hatte, festzustellen, dass man sich in Deutschland keinen Harem halten darf. Herr Tatari wird netterweise „arbeitssuchend“ genannt, was Neusprech für „dauerarbeitslos“ ist und darüber hinaus der so bezeichneten Person eine Aktivität unterstellt, die möglicherweise gar nicht vorhanden ist. Außerdem könnte ihm zu irgendeinem Zeitpunkt aufgefallen sein, dass die dreizehn Personen seines Haushaltes alle von den Steuergeldern derer leben, die ihm mit ihrer Arbeit seinen aufwändigen Lebensstil mit zwei Frauen und acht Kindern in einer Sechs-Zimmer-Wohnung finanzieren. Aber mitnichten.

Warum tut es mir weh, so was lesen zu müssen? Weil aus dem haarsträubenden Text eine menschliche Wärme, eine Empathie und ein Verständnis spricht, die ich mir in Kindheit und Jugend immer gewünscht, aber nie bekommen habe. Verständnis oder gar Sympathie für arme, kinderreiche Familien gab es noch nicht. Man mied Menschen wie uns wie Leprakranke. Da hat einer seinen Betrieb in den Sand gesetzt  und hat soviel Steuerschulden, dass sein Leben nicht ausreichen wird, sie zu begleichen? Selber schuld. Und die Kinder müssen mitleiden? Wen interessiert’s. Darauf, dass eventuell Walter Scheel vorbeikäme und uns mal kurz fünfhundert Mark in die Hand drückt, hätten wie ewig warten können.

Es gab zwar nichts, worauf mein Vater hätte stolz sein können, aber zum Bezug von Sozialleistungen war er zu stolz. Also wurschtelte er irgendwie weiter. Von einem Insolvenzverfahren mit sechsjähriger Wohlverhaltensperiode, von kostenlosen Schulspeisungen, Sozialarbeitern vom Jugendamt, öffentlichen Tafeln, Bildungspaketen, Sozialtickets und ähnlich nützlichen Dingen konnten wir nur träumen. Vom Steuerzahler getragene Familienhelferinnen aus der staatlichen Erziehungshilfe gab es damals ebenfalls nicht. Kein Strom, kein Frühstück, kein Telefon, keine Krankenversicherung, zusammengebetteltes Geld für Klassenreisen, grundsätzlich kein Taschengeld – das war für uns Alltag.

Auf dem Amt wurde ich behandelt wie Dreck

Political Correctness war noch nicht erfunden. Erwachsene wie Kinder hatten nicht die geringsten Probleme damit, sich in der Öffentlichkeit über meine Aufmachung lustig zu machen. Ich musste nämlich die Kleidung meiner Brüder auftragen. Grunge war damals leider noch nicht angesagt – sonst wäre ich Avantgarde gewesen. Das fand man damals in Ordnung. Wer schon am Boden liegt, auf den darf man gern noch eintreten. Armut erzeugte Verachtung und Abscheu, diese bittere Lektion habe ich früh gelernt. Besonders schmerzlich bekam ich das zu spüren, als ich kurz vor dem Abitur Schülerbafög beantragen musste. Auf dem Amt wurde ich in dieser Notlage behandelt wie Dreck, ja, es wurde sogar gefragt, ob es denn wirklich sein müsste mit dem Abitur. Immerhin, ich erhielt schon ein Jahr später ganze fünfundachtzig D-Mark.

Damals war man im armen, von öffentlichen Zuwendungen abhängigen Zustand noch nicht so liebenswert wie die Tataris. Den Dreizehn-Personen-Haushalt eines Bigamisten durchfüttern? Gar kein Problem, das ist in Ordnung und ein Teil unseres bunten multikulturellen Alltags. Familie Tatari jedenfalls reicht die Sechszimmerwohnung nicht mehr, sie hätten gern ein Haus mit Garten. Und wenn der Pate mal vorbeikäme, das wäre schön.
 

Foto: Tim Maxeiner

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Andreas Arndt / 08.07.2016

Es war harte Arbeit unser Sozialsystem aufzubauen und es ist harte Arbeit es zu erhalten. Aber jetzt wird es binnen kurzer Zeit von Sozialschmarozern aus aller Welt auf Einladung unserer Regierung verfrühstückt. Künftige Generationen werden dann wieder in Zuständen, wie den von Ihnen oder schlimmer aufwachsen. Darüber hinaus steht Deutschlands Rolle als innovative Industrienation auf der Kippe, denn die Bildungseliten werden sich das nicht bieten lassen und mit den Füßen abstimmen.

Helmut Kassner / 08.07.2016

Aber das ist doch alles ganz logisch, lebt doch der verehrte Herr Bundespräsident quasi in einer bigamen Beziehung (Ehefrau und Lebenspartnerin). Er leistet damit einen Betrag zu neuen Partnerbeziehungen. Inwieweit dies in diesem Fall vom Staat alimentiert wird ist mir nicht bekannt

Yvonne Schulz / 08.07.2016

Der Artikel in der WAZ ist unter der Gürtellinie. Sowohl verhöhnt er mich als Steuerzahler als auch meine Würde als Frau. Unser deformierter Staat findet es völlig in Ordnung, dass Frauen gehalten werden wie Legehennen. Nichts anderes ist diese Vielweiberei. Dass man als europäisches Arbeiterkind von den “Eliten” kein Mitgefühl erfahren hat, habe ich in den Achtzigern in Berlin schon gelernt. Wir haben zu dritt in etwas über vierzig qm gewohnt, Eintopf wurde “gestreckt”. Meine Mutter hat ihren Deutschkurs selbst bezahlt. Ich war auf der angeblich besten Schule Berlins, einem humanistischen Gymnasium. Dort waren die Eltern ehemalige Studentenbewegte, jetzt Ärzte, Psychologen, ev. Pfarrer etc. Ihre Kinder mobbten mich wegen meiner Kleidung. War eben kein Geld da für Benetton. Die Quälerei war gnadenlos, während die Anführerin des Mobs gleichzeitig unter Tränen Referate über Südafrika hielt. Ich hatte kein Geld für Klassenfahrten, während meine Mitschüler unfassbar gerührt über sich selbst waren, weil sie für die Dritte Welt sammelten. Die Heuchelei und Kälte der linken Elite in Deutschland, die jetzt die gesamte Gesellschaft auf Linie hat, ist mir nicht neu. In Wahrheit interessiert sie sich jedoch auch für den edlen, muslimischen Wilden kein Stück. Solche Artikel wie in der WAZ sollen nur die arbeitende Bevölkerung schocken. Die Islamliebe ist das dadaistische Gedicht der linken Wohlstandsverwahrlosung um den Arbeiter und Angestellten zu beleidigen.

Bernd Ufen / 08.07.2016

Frau Sievers, was Sie erlebt haben, war in früheren Zeiten nicht ungewöhnlich und Sie waren auch sicher nicht die einzige. Dies Verhalten wurde einfach Eigenverantwortung genannt und es war selbstverständlich. Der Staat war damals noch nicht dekadent genug, um so zu agieren wie heute. Unser Bundespräsident? Ein reiner Opportunist, der über sein tun nicht nachdenkt.  Aber was mich am meisten ärgert: Irgendwann werden die Bevölkerung (wer sonst) und nicht die Verursacher dafür zahlen müssen, was der Staat heute anrichtet

Torsten / 08.07.2016

Man kommt sich so fremd im eigenen Land vor. Aber das ist ja von den Blockparteien so gewollt. Wir hätten nie Muslime ins Land lassen dürfen und wenn nur unter klaren Auflagen und dazu gehört keine Vielweiberei. Außerdem, wer braucht solche unproduktiven. Mich wundert es nicht, dass die muslimischen Länder nur Armut, Hass und Krieg produzieren. Noch unerträglicher ist es, dass Verfassungsorgane sich zu Bütteln solcher Zustände machen.T

Betasteter / 08.07.2016

Mal ganz ehrlich, die Geschichte haben Sie sich ausgedacht, oder? Ich meine die Beschreibung der eigenen Jugend, die Not und das daraus resultierende Verhalten der Gemeinschaft glaube ich sofort. Ist ja in groben Zügen auch meine Geschichte. Aber zu schreiben das ein in Deutschland aufgewachsener Bigamist so auf Händen getragen, ja sogar hofiert wird hqben Sie sich ausgedacht. Der Herr Bundespräsident, den ich für einen überaus gradlinigen und ehrlichen Mann halte, was er ja nach eigenem Bekunden als Leiter des Widerstandes in der DDR gezeigt hat, würde doch niemals etwas Unrechtes tun oder zulassen.  Und dann noch der Klassiker: Arbeitssuchend. Der Mann wäre ja auch zu überfordert um einer geregeltenTätigkeit nachgehen zu können. Acht Kinder und zwei Frauen (hoffentlich hat er keine Freundin noch nebenbei, weil, man hilft ja wo man kann) fordern ihren Tribut. Nein, nein, nein, so etwas wird es in Deutschland nie, nie nie geben. Denken Sie sich bitte etwas glaubwürdigeres aus.

Michael Burfeldt / 08.07.2016

Danke, Frau Sievers, für Ihren Beitrag. Und ich stimme Ihnen zu, der Artikel in der WAZ lässt einen fassungslos zurück. Das so etwas heute scheinbar Normalität ist in Deutschland lässt mich für die Zukunft dieses Landes schwarz sehen.

Arno Besendonk / 08.07.2016

Was regen Sie sich auf - unlängst wurde doch die Ehe für alle gefordert. Das ist nur eine Form davon.

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