Hannes Stein / 21.03.2012 / 15:20 / 0 / Seite ausdrucken

Postkarte von den Falklandinseln

Ich schreibe dies im Waterfront Hotel in Stanley auf den Falklandinseln. Stanley ist ein natürlicher Hafen, ich schaue also aufs Wasser hinaus, das den Sonnenglast einfängt. Ein roter Frachter liegt vor Anker. Dahinter ein Hügel, das Gras ist gelb, dazwischen winzige grüne Sträucher, die rote säuerliche Beeren tragen; die Leute hier nennen sie Diddle-Dee. Die meisten Autos auf den Straßen sind Geländewagen. Natürlich fahren sie links. Auf der rechten Seite mussten die Falklanders nur während der argentinischen Besatzung fahren, die, glaube ich, 72 Tage lang dauerte.


Gestern war ich mit Dave, einem Veteranen der Royal Marines, in den Hügeln jenseits von Stanley, wo die Argentinier sich 1982 zwischen den Steinen verschanzt hatten. „Es war ein altmodischer Krieg“, sagte Dave, „die britischen Soldaten sahen, wen sie erschossen oder mit dem Bajonett erstachen.“ Manche der argentinischen Rekruten waren 17 Jahre alt und hatten keine Ahnung, wo sie sich befanden. Die argentinischen Offiziere stahlen ihren Soldaten die Verpflegungen. Manchmal tauchten argentinische Soldaten bei den Falklandern auf und bettelten um Essen.

Es gab für diesen Krieg einen – und nur einen einzigen – Grund: Die Militärjunta in Argentinien wackelte. S gab Demonstrationen in den Straßen von Buenos Aires. Der argentinische General Galtieri sah nur noch ein Mittel, sein verrottetes Regime zu retten: Nationalismus. Also die Besatzung der Falklandinseln vor der Küste Argentiniens. Anfangs klappte das gut, plötzlich waren auch argentinische Linke, auch Gewerkschaftler auf der Seite Galtieris. Aber nachdem die Briten die Inseln zurückerobert hatten, kippte das ganz schnell in sein Gegenteil um. Durch den Sieg auf den Falklandinseln schenkten die Briten den Argentiniern, auch wenn das nicht ihr Kriegsziel war, eine Demokratie.

Die eigentliche Ironie bei der Sache habe ich aber erst hier kapiert. Vor 1982 wäre das Foreign Office die Inseln eigentlich ganz gern losgeworden. Die Falklanders, die gern Briten bleiben wollten, galten als „nuisance“. Die Bevölkerung war auf 1800 Leute gefallen. Viele der Mädchen blieben nicht, sondern suchten sich Männer unter den Seeleuten, die auf Besuch kamen. „Die Argentinier hätten kene Truppen schicken sollen“, sagte mir jemand, „sondern ein paar hundert hübsche Mädchen. Die Sache wäre gegessen gewesen.“

Der Falklandkrieg bewirkte aus argentinischer Sicht in jeder Hinsicht das Gegenteil von dem, was er bewirken sollte. Er konsolidierte das Regime nicht, sondern führte zu seinem Sturz. Und er führte nicht dazu, dass die Faklandinseln argentinisch wurden; vielmehr wurden sie nun erst recht britisch. Heute leben auf den Falklands ca. 2800 Leute, 200 Schafzüchter, 2600 in Stanley. Eine Minidemokratie mit einem Gouverneur, der Her Majesty the Queen vertritt. Die Falklands gelten technisch nicht als Teil von Großbritannien, sondern als Overseas Territory.

„Du verstehst“, sagte mir Darren Christie, der Pressesprecher der Regierung. „Wenn wir morgen Argentinien sein wollen, dann sind wir Argentinien.“ Die Falklanders wollen aber lieber an Großbritannien angeschlossen bleiben. Es gibt Familien hier, die ihre Geschichte vier, fünf, sechs Generationen zurückverfolgen können.

Der Konflikt mit Argentinien hat das Ende der Diktatur überlebt. Dieser Tage härte man wieder ziemlich kriegerische Töne von Präsidentin Kirchner (die hier mit verzogenen Mundwinkeln „Körtschner“ ausgesprochen wird). Als Reaktion sind die Union Jacks, die man überall an den Autos sieht, jetzt gerade besonders groß. Mehr als tausend Soldaten sind permanent hier stationiert – und ein britisches Kriegsschiff mit Flugabwehrraketen – und eine Miniaturluftwaffe. Abschreckung. Außerdem sind die Falklands für die britischen Streitkräfte so etwas wie ein Riesentruppenübungsplatz. Die Falklands sind größer, als man beim Blick auf die Landkarte vermutet; etwa dieselbe Fläche wie Connecticut.

Mittlerweile hat es angefangen zu nieseln. Das Wetter hier ist so: Entweder es windet, oder es windet gewaltig, oder man kann sich gegen den Wind lehnen. Dazwischen scheint mal die Sonne, oder es nieselt, oder es pladdert. Kein Wunder, dass sich Briten hier rundum wie zuhause fühlen; und kein Wunder, dass ich mir bei dieser Recherchereise einen Stockschnupfen geholt habe.

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