Ja doch, mir gefällt, dass vor der Moneda – dem Präsidentenpalast von Santiago de Chile, den General Pinochet am 11. September 1973 bombardieren ließ – eine Statue von Salvador Allende steht, einem dicklichen Mann mit Schnauzbart und Brille. Im Nationalmuseum sah ich dann in natura eine halbe Brille von ihm in einer Vitrine; so, wie sie zerbrach, als er sich – mit einem Sturmgewehr, heißt es – das Leben nahm. Nein, ich halte Allende nicht für einen Heiligen, nicht mal für einen besonders kompetenten Politiker.
Aber es wäre besser gewesen, er hätte seinen Sozialismus ganz friedlich in den ökonomischen Matsch fahren dürfen. Denn General Pinochet hat nicht nur ungefähr 3000 Menschen umbringen und noch viele Tausende mehr foltern lassen. Dieses faschistische Mistschwein hat auch – tja, so vertrackt dialektisch ist die Geschichte! – der linken Utopie ihren Heiligenschein gerettet.
Über dem Schrecken seines Putsches vergisst man allzu leicht, dass Chile vor jenem 11. September 1973 eine Gesellschaft im freien Fall war.
Übrigens kann ich mir, während ich einen Tag lang durch Santiago de Chile schlendere, beim besten Willen nicht vorstellen, dass hier jemals eine Diktatur geherrscht haben soll. Die Chilenen sind viel zu freundlich, viel zu hilfsbereit und fröhlich, auf den ersten dummen Blick bemerke ich keinen der üblichen Diktaturdachschäden. Dabei hat das Mistvieh sich doch erst Ende der Achtziger in Pension begeben, und tot ist der General mit der Sonnenbrille auch erst seit sechs Jahren. Also, irgendwas müsste doch noch zu spüren sein! Voilà, ich bin ein Tourist und sehe wenig. Santiago de Chile kommt mir wie eine äußerst zivilisierte Metropole vor.
Die Fußgängerzone in der Innenstadt gefällt mir, die Plaza de Armas mit der großen Kathedrale und dem Brunnen und den Bänken, die kleinen Läden, die am Wegrand liegen; die Cafés sind gut, das Licht ist warm und klar zugleich wie am Mittelmeer. Interessante Gesichter. Es gibt hier auch – wie in Italien und Portugal – den Typus des Gentleman alter Schule: glatt zurückgekämmte weiße Haare, häufig Schnurrbart, Jackett und Schlips auch bei Affenhitze, und man spürt: Dieser Herr würde der Dame seines Herzens wohl Pralinenschachteln schenken.
(Leider fällt mir beim Schreiben auf, dass Pinochet in Zivil wohl ähnlich ausgesehen hätte.)
Wahrscheinlich bin ich pervers, aber mir schmeckt sogar „mote con huesillo“, das chilenische Sommergetränk. Es wird an jeder zweiten Kreuzung angeboten. Getrocknete Pfirsiche, die in einem klebrigsüßen Syrup schwimmen, dazu kommen geschälte gekochte Weizenkerne.
Gewöhnungsbedürftig, das heißt mit anderen Worten: nach dem zweiten Schluck aus dem Plastikbecher für 550 Pesos war ich süchtig. Der Taxifahrer, mit dem ich mich gleich anfreundete, nahm mich durch ein paar alte Viertel mit, wo ich sofort nach einer Wohnung Ausschau hielt. Als wollte ich hier leben. Freilich fiel mir auf, dass in der Innenstadt überall Polizisten stehn: manche mit Hund, manche auf dem Pferd, alle mit gut sichtbarer Knarre.
War das jetzt deshalb, weil gerade die argentinische Präsidentin auf Staatsbesuch weilte, oder ist das hier immer so?