Gunnar Heinsohn / 09.07.2016 / 06:05 / Foto: Rutte / 6 / Seite ausdrucken

Post-EU-Allianzen: Theresa Mays U-Boot-Strategie

Es genügt nicht, sich von einem Kollektiv loszureißen, das seine noble, aber ökonomisch verwegene Rolle im Schutz von Euro, Südeuropa, Afrika und dem Islambogen sieht. Wer den Brexit nicht als Alleingang ins Kleine will, sondern das Vereinigte Königreich als Anker für eine Allianz europäischer Nationen begreift, die dem globalen Wettbewerb mit Ostasien standhalten kann, der muss Führungskraft signalisieren.

Theresa May, die jetzt nur noch Andrea Leadsom im Kampf um die Spitze der britischen Torys gegen sich hat, zeigt ihr strategisches Talent, als sie am 4. Juli 2016 – inmitten von nationalem Händeringen und internationalen Pfundturbulenzen – die Modernisierung der englischen Atom-Unterseeboote in das Zentrum ihres Wahlkampfes stellt: “Es wäre der reine Wahnsinn, auch nur eine Sekunde daran zu denken, Britanniens unabhängige nukleare Abschreckung aufzugeben. Wir brauchen einen kompletten Satz von vier Booten, um rund um die Uhr jeden Gegner in Schach halten zu können. Wir bleiben an der Seite unserer NATO-Partner und stehen voll zu unseren globalen Verpflichtungen“. 

Die 59-jährige Pfarrerstochter will aber Vanguard, Victorious, Vigilant und Vengeance nicht nur im aktiven Dienst halten. Diese 16.000-Tonnen-Kolosse mit sechzehn Raketen, die je acht Nuklearwaffen in 12.000 km entfernte Ziele tragen können, sind mit bis zu dreißig Dienstjahren nicht mehr jung. May will deshalb bis zum Ende des Jahrzehnts sicherstellen, dass sie durch modernere Exemplare ersetzt werden, um selbst gegen eine wachsende Zahl konventioneller und nuklearer Bedrohungen gewappnet zu sein. Deutschland kann – wie die Kanzlerin am 7. Juli – vor Irans neuen Vorstößen bei der Nuklearbewaffnung zwar warnen, wäre einer Erpressung aber hilflos ausgesetzt.

Den in Berlin nach Orientierung suchenden Ländern bleibt das nicht verborgen. Selbst wenn sie Brüssel nicht sonderlich mögen, schätzen sie die bisherige Kombination aus wirtschaftlicher Partnerschaft in der EU und dem militärischen Bündnis in der NATO. Seit dem 23. Juni 2016 aber ist einer der beiden EU-Nuklearpfeiler weggebrochen. Lediglich Frankreich mit ebenfalls vier – und nur wenig kleineren – U-Booten der Triomphant-Klasse ist in Europa noch so unantastbar wie Russland oder Großbritannien.

Wenn London unter Theresa May alsbald um Mitglieder für eine optimierte Union mit unverändertem Freihandel, offenem Kapitalverkehr, aber ohne globale Sozialhilfe wirbt, könnte gerade die Investition in den nuklearen Schutzschild den Ausschlag geben. Der gesamte Norden von Island über die skandinavische Halbinsel bis hin nach Estland könnte sich angesprochen fühlen. Niemand dort kann sich wirklich alleine verteidigen. Die ökonomische und mentale Verwandtschaft zu den Briten spürt man ohnehin. Ihre Sprachen beherrschen fast alle. Wenn die militärische Anlehnung hinzutritt, gibt es eine Option, nach der viele insgeheim längst Ausschau halten.

Multinational und in keiner Hinsicht chauvinistisch käme hier eine neue Allianz auf die Beine. Den Besten im übrigen Europa böte sie Hoffnung für die Zukunft. Den Ländern, die auf unverändertem Kurs beharren, könnte sie Mut machen, irgendwann ähnlich progressive Bündnisse ins Auge zu fassen.

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Wolfgang Richter / 09.07.2016

Unsere sog. Kanzlerin ist ja auf dem derzeit in Warschau stattfindenden NATO-Gipfel noch nicht mal in der Lage, den ungehinderten Besuch der in der Türkei eingesetzten Bundeswehr-Angehörigen durch deutsche Parlamentarier und Bürger unterhalb der Ministerebene durchzusetzen, weder in direktem Gespräch mit dem Sultan, noch im NATO-Konsenz. Die auf der Hand liegende Entscheidung, dann halt die in der Türkei stationierten deutschen Truppenteile abzuziehen, kommt ihr in ihrem weltfraulichen Selbstdarstellungsdrang offenbar nicht in den Sinn, läßt sich widerstandlos erbärmlich vorführen. In der Situation ist ein Blick gen Britannien vermutlich ohnehin zu viel verlangt.

Waldemar Undig / 09.07.2016

Ich hoffe, es kommt so! :-)

Lambert Matthes / 09.07.2016

Sehr geehrter Herr Heinsohn, ich fürchte, Ihr überzeugender Beitrag über die interessante Perspektive einer “Nordunion” wird unsere beliebte Kanzlerin nicht erfreuen, falls deren Helfershelfer sie darüber informieren sollten.

Wieland Schmied / 09.07.2016

Zitat: “Den Ländern, die auf unverändertem Kurs beharren, könnte sie Mut machen, irgendwann ähnlich progressive Bündnisse ins Auge zu fassen.” Das aber ist teilweise ein Widerspruch in sich.  Illustriert gehört(e) zu den ‘auf unverändertem Kurs beharrenden Ländern’ zweifellos die Bunte Republik ....‘schland. Wer glaubt, daß sich die Merkel- und jegliche Folgedespoten je auf eine ‘progressive europäische Koalition’ mit anderen Staaten einließe, der muß ein grenzenloser Optimist sein. Das aktuel und künftig in jeder Hinsicht grenzenlos agierende ...‘schland wird ein staats- und ordnungspolitisches Vakuum darstellen, gegen das sich die umliegenden politischen Einheiten -zu ihre Interessen wahrende Bündnisse - zusammenschließen und strikt abgrenzen werden. Russland wird sich da als möglicher Katalysator, wenn nicht gar als der Organisator mit akzeptierter Führungsfunktion anbieten bzw. mausern. Berlin samt ‘schland wird zu Bürlün, zur No-Go-Area des neuen ‘Alten Kontinents’. Hoffentlich besteht für nonkonformistische Bewohner des früheren Deutschlands die Möglichkeit auf Asyl im freien Europa.

Martin Wolff / 09.07.2016

ENDLICH!  taucht hier auch mal ein Text auf, der mit einer konstruktiven, optimistischen Perspektive aufwartet. Bitte mehr davon.

H. Hain / 09.07.2016

Hm. Ich stolperte über den Satz “Der gesamte Norden von Island über die skandinavische Halbinsel bis hin nach Estland könnte sich angesprochen fühlen.” Vielleicht wäre hier eine tiefergehende Betrachtung dieser Behauptung sinnvoll. Bisher bin ich der Meinung, dass die Skandinavier ökonomisch linkslastiger sind als die Engländer (ohne EU). Allerdings habe ich beide Ökonomien nie verglichen. Aber sonderbar ist diese Behauptung schon. ... Ein bisschen Recherche zur Korrektur eigener Einschätzung ist sinnvoll und siehe da: nun habe ich auch den Grund gefunden. Es sind die Skandinavier und Island, mit Ausnahme DK, die den Eindruck trüben. http://www.heritage.org/index/ranking Ansonsten sehe ich es ähnlich. Den Angelsachsen traue ich eher zu, die Freie Marktwirtschaft wieder auf die Füße zu stellen,, wenn die Brüsseler Zentralisten nicht mehr mitreden dürfen.

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