Peer Ederer, Gastautor / 17.08.2019 / 10:00 / Foto: Arnaud 25 / 14 / Seite ausdrucken

Populäre Fleischirrtümer (3): Falschalarm Regenwald-Vernichter

Die Vernichtung der tropischen Regenwälder der Welt ist eine menschengemachte Tragödie. In allen vier Regionen, in Südamerika, in Zentral- und Westafrika, dem indischen Subkontinent und in Südostasien gehen Jahr für Jahr riesige Flächen an Regenwald verloren. Im Vergleich zur Vorkolonialzeit haben wir bereits etwa die Hälfte der tropischen Regenwälder umgepflügt und wenn das jetzige Tempo anhält, werden die Wälder um das Jahr 2100 herum verschwunden sein, samt aller darin heimischen Tiere und Pflanzenarten. Angeblich seien unsere Rinder-, Schweine- und Hühnerherden daran schuld, denn typischerweise werden 60 Prozent der weltweiten Entwaldung der Tierhaltung angelastet, weil diese Tiere so viel günstiges Tierfutter nachfragen würden. Das ist aber eine Milchmädchenrechnung und verhindert, dass das eigentliche Problem gelöst wird.

Die europäische Eule ist ein Segen für die Palmölplantage in Malaysia, die ich besuchte. Nichts hält die Ratten- und Mäusepopulation besser unter Kontrolle als diese Eule, die mich etwas schläfrig anschaut, da sie in ihrem Tagschlaf gestört wurde – hier, irgendwo mitten in den endlosen Palmölplantagen Malaysias. Unterdessen erklärt mir der Forschungsleiter der Firma Sime Darby, eines der größten Palmölherstellers der Welt, dass sie problemlos die Produktivität ihrer Plantagen verdoppeln bis verdreifachen könnten. Er erklärte auch, warum das nicht geschieht: „Ihr im Westen wollt das ja nicht wirklich, ihr redet nur, und tut nichts, und unterdessen gehen unsere wertvollen Wälder zugrunde.“ Starke Worte aus Malaysia.

Palmöl ist eines der gesündesten und vielseitigsten Nahrungsmittel unserer modernen Welt. In einem typischen europäischen Supermarkt ist Palmöl in jedem zweiten Produkt enthalten, nicht nur in den Lebensmitteln, sondern auch in Seifen, Putzmitteln, Kosmetika und so weiter. In weiten Teilen Asiens und Afrikas ist die Versorgung mit Palmöl zum Kochen überlebensnotwendig. In Europa dagegen wird zirka die Hälfte der Palmölimporte zu Diesel verarbeitet, angeblich zwecks Förderung von erneuerbaren Rohstoffen.

Rodung als Quelle der Korruption

Grob gesagt, gibt es zwei Sorten von Palmöl – solches, das nachhaltig hergestellt wird, und solches, das auf gerodetem Regenwald erzeugt wird. Die Unterscheidung ist etwas arbiträr, denn auch die nachhaltigen Plantagen waren früher einmal Regenwald, nur sind diese bereits zur Kolonialzeit für Gummiholzplantagen und ähnliches abgeholzt worden. Nur 21 Prozent des Palmöls sind als nachhaltig zertifiziert, wobei deutlich mehr nachhaltig produziert wird. Das Problem ist aber, dass nur etwa die Hälfte des zertifizierten Öls als solches gekauft wird, und das auch nur, weil in Europa so viel davon im Diesel endet. Der Markt hat nicht genügend Interesse, zertifiziertes Öl zu kaufen, und deswegen ersparen sich die Produzenten den Aufwand der Zertifizierung. Dabei ist zertifiziertes Öl nicht einmal teurer in der Herstellung. Es wäre auch nicht teurer, die Produktivität der bestehenden Plantagen zu steigern, anstatt frischen Regenwald abzuholzen, eher im Gegenteil. Ähnliches gilt auch für die Plantagen in Südamerika für die Tierfutterherstellung, wo der Amazonas neuerdings wieder in Rekordgeschwindigkeit gerodet wird.

Ähnlich widersprüchlich ist das scheinheilige Verhalten der Europäer, wenn es um Sojaeinfuhren geht. Mit allen Tricks wehren sich die Bauernverbände gegen die Einfuhr südamerikanischen und US-amerikanischen Rindfleisches. Die Masse der Rinder grast dort auf natürlichen Weiden. Wir führen aber Soja ein, um unsere Rinder in Tierställen füttern zu können. Dazu kommt, dass durch diesen Import von Soja die Güllebilanz durcheinander gebracht wird. Wir führen sie praktisch via Soja ein, weil mehr Gülle in den Ställen entsteht, als im natürlichen Kreislauf wieder auf die Äcker eingebracht werden kann.

Warum wird der Regenwald gerodet, wenn es günstiger wäre, bestehende Plantagen zu verbessern und mit ihnen mehr zu produzieren? Und warum wird das wenige, was als nachhaltig zertifiziert wird, nicht ausreichend nachgefragt? Die Antwort auf die erste Frage ist leichter. Vereinfacht gesprochen: Politiker und andere Machthabende können an der Rodung des Regenwaldes mitverdienen. Rodungen sind eine Quelle der Korruption. An der Produktivitätssteigerung ist Korruption so gut wie unmöglich. Deswegen passiert Ersteres (die Rodung), und das Zweite (die Produktionssteigerung) nicht.

Eine Milliarde reicht nicht

Denn diese Korruption ist systemisch in die politischen und wirtschaftlichen Strukturen der betroffenen Länder eingearbeitet, sodass einzelne wohlmeinende Lokalpolitiker und Wirtschaftsführer dem nicht entkommen können, selbst wenn sie wollen. Dass diese Strukturen sich von innen heraus reformieren, ist schwer vorstellbar und hat auch bereits jahrzehntelang nicht funktioniert. Der einzige kleine Erfolg war in den letzten Jahren in Brasilien zu verzeichnen, wo das Tempo der Amazonasrodungen deutlich zurück ging. Seit der neuen Regierung unter Jair Bolsonaro, wird auch dieser Erfolg gerade wieder umgekehrt.

Wie lukrativ diese Korruptionsmaschine ist, kann an dem Vorschlag gesehen werden, den die norwegische Regierung an die indonesische Regierung im Jahr 2010 gemacht hat. Wenn die Indonesier ihre bestehenden Gesetze zur Eindämmung der Regenwaldrodung effektiver durchsetzen würden, dann würden sie dafür von Norwegen eine Milliarde Dollar geschenkt bekommen. Norwegen bietet dieses Geld seit 2010 fortlaufend an, aber ohne Erfolg – eine Milliarde reicht nicht. An den Rodungen wird mehr verdient.

Dass Korruption und Armut die Ursachen für Regenwaldrodung sind und nicht die Nachfrage nach Lebensmittelproduktion ist unter den entsprechenden Experten unstrittig. Zum Beispiel wurde 2018 in einem Bericht der 2008 von der UN gegründeten REDD Initiative festgehalten: „An analysis of the underlying drivers, drawing largely on 31 national REDD+ R-PPs, reveals that countries identify weak forest sector governance and institutions, including conflicting policies beyond the forest sector, and illegal activity (related to weak enforcement), as critical underlying drivers of deforestation and degradation”.

Auch ein deutsch-koreanisches Forscherteam veröffentlichte 2019 ihre Untersuchungen, dass Fleischverzicht in Deutschland keinerlei Auswirkungen auf den tropischen Regenwald haben würde.

Wenn man wollte, könnte man etwas tun

Zusammengefasst: es stimmt, dass auf den gerodeten Flächen, insbesondere der Regenwälder Südamerikas, Afrikas und Südostasiens, Lebensmittel angebaut werden. Es stimmt, dass viele dieser Lebensmittel für die Tierfütterung verwendet werden, oder im Zwischenschritt als Weideflächen für Rinderherden dienen, denn diese Zwischennutzung macht eine ehemalige Waldfläche leichter bearbeitbar für eine anschließende Plantage. Aber der Umkehrschluss stimmt nicht: "Wenn es weniger Tierhaltung gäbe, dann würde weniger gerodet." Das ist falsch. Es ist weder notwendig noch ökonomisch sinnvoll, Wälder zu roden, um die Tiere in der Massentierhaltung zu füttern. Wälder werden gerodet, weil lokale Machthaber in den betroffenen Ländern an dieser Schändung der Natur viel Geld verdienen können. Der europäischen Tierhaltung vorzuwerfen, sie wäre für die Rodung der Regenwälder verantwortlich, ist ähnlich falsch, wie zu behaupten, dass Alkoholismus durch das Angebot von Alkohol entsteht, oder dass Frauen durch ihre Attraktivität dafür verantwortlich sind, vergewaltigt zu werden.    

Wenn man wirklich wollte, könnte man gegen die Regenwaldabholzung etwas tun. Per Satellitenbilder können wir täglich erfassen wo auf der Welt gerade viel Wald verschwindet. Wir wissen es bis auf den Quadratmeter genau. Anstatt es nur dem kleinen Norwegen zu überlassen, den Indonesiern den Fortbestand des Regenwaldes abzukaufen, könnte Gesamteuropa ein entsprechend höheres Kaufgebot abgeben. Eine Milliarde Dollar hört sich zwar viel an, aber angesichts der Größe zum Beispiel eines Landes wie Indonesien, ist es tatsächlich ein viel zu kleiner Preis. Wenn wir Europäer den Regenwald erhalten wollen, dann müssen wir mehr dafür bezahlen. Wir könnten auch als Konsumenten verstärkt darauf achten, nur solche Produkte zu kaufen deren Palmöl oder Sojabohnenanteile nachhaltig zertifiziert sind. Aber auch das ist den meisten Europäern nicht wichtig genug.

Dass es aber auch uns in Europa nicht wirklich um die Rodung der Regenwälder geht, sondern um andere politische Güter, sieht man am Palmöldiesel. Da wird in einem Atemzug dafür geworben, weniger Fleisch zu essen, um die Regenwälder zu schützen, und im nächsten wird das Lebensmittel Palmöl, das in den Regenwaldgebieten angebaut wird als Diesel verbrannt, weil es sich um einen nachwachsenden Rohstoff handelt. So etwas könnte auch als „korrumpiert“ bezeichnet werden. Deswegen ist der Forschungsleiter von Sime Darby auch so enttäuscht von uns: „Ihr redet nur, und tut nichts, während unsere Wälder zerstört werden.“

Lesen Sie morgen: Warum es moralisch nicht verwerflich ist, Tiere zu essen.

Teil 1 finden Sie hier.

Teil 2 finden Sie hier.

Prof. Dr. Peer Ederer hat an der Sophia Universität in Tokyo (BA) und der Harvard Business School in Boston, USA (MBA) studiert. Er promovierte an der Universität Witten-Herdecke in Finanzökonomie. Er ist unter anderem Honorarprofessor der Zeppelin Universität in Friedrichshafen mit den Schwerpunkten Humankapital, Wachstum und Innovation und leitet das „Global Food and Agribusiness Network“ mit Unterstützung der China Europe International Business School Zurich Campus.

Im Rahmen seiner Tätigkeiten berät er Firmen aus aller Welt, die in der Agrarwirtschaft und Lebensmittelindustrie arbeiten. Nur objektive und wissenschaftliche Erkenntnisse sind dabei gefragt. Auftragsforschungen mit Zielvorgaben oder Lobbyarbeit in jedweder Form sind nicht Bestandteil seiner Arbeit.

Weiterführende Informationen und Quellen finden Sie unter den folgenden Links:

www.foodandagribusiness.org/quo-vadis-meat-2050-part-4-climate/

Nachhaltiges Palmöl:

askrspo.force.com/s/article/Why-is-only-half-of-the-available-sustainable-palm-oil-sold

www.br.de/radio/bayern1/inhalt/experten-tipps/umweltkommissar/palmoel-kraftstoff-nutella-schokolade-umweltkommissar-100.html

Gründe für Regenwaldrodung:

assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/65505/6316-drivers-deforestation-report.pdf

www.zdg-online.de/uploads/tx_userzdgdocs/M.Schmitz-Globale_Auswirkungen_einer_rein_pflanzlichen_Ernaehrung-2018_01.pdf

Die Norwegen-Milliarde:

https://redd-monitor.org/2017/12/28/after-seven-years-norways-us1-billion-redd-deal-in-indonesia-is-still-not-stopping-deforestation/

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Leserpost

netiquette:

Margit Broetz / 17.08.2019

“Rodung als Quelle der Korruption” Gilt das nicht auch umgekehrt? Aktuell gerade in Brasilien? @Albert Pflüger / 17.08.2019 “In Afrika kann man schön beobachten, daß sich eine Schicht von Entwicklungshilfeprofiteuren an den Schalthebeln der Macht hält, die keinerlei Interesse an der Entwicklung ihrer Länder hat.” Gilt das nicht auch für die Entwicklungshilfeindustrie hierzulande, die von sowas lebt? Volker Seitz schreibt öfter Interessantes in dieser Richtung.

J.G.R. Benthien / 17.08.2019

Ich sehe, lese und höre immer nur: Europa soll bezahlen. Wir brauchen definitiv kein Palmöl. Einzig ein europaweites Importverbot würde helfen. Als kleiner Junge vor 54+ Jahren habe ich garantiert kein Lebensmittel mit Palmöl gegessen, keine Seife oder Shampoo mit Palmöl gehabt, und Diesel wurde auch nicht mit Palmöl verlängert. Wo genau ist also das Problem? Ach so, wir können die Grenzen nicht schliessen, und die Umstellung der Produktionsverfahren ist wahrscheinlich ‘angeblich’ technisch nicht mehr möglich… Weniger Schwachsinn und mehr Vernunft — vor allem bei den Politkaspern — wäre hilfreich.

Albert Pflüger / 17.08.2019

Ich frage mich, warum es die Aufgabe der europäischen Steuerzahler sein könnte, die Regenwälder auf der anderen Globushälfte durch Zahlung einer Art Lösegeld vor der Rodung zu schützen. Ich bin eher der Meinung, jeder kehre vor seiner eigenen Tür. Ich halte nichts davon, in einen Korruptionswettlauf mit örtlichen Unternehmern zu treten, die ein Interesse an der Rodung haben. In Afrika kann man schön beobachten, daß sich eine Schicht von Entwicklungshilfeprofiteuren an den Schalthebeln der Macht hält, die keinerlei Interesse an der Entwicklung ihrer Länder hat. Sollte man nicht wiederholen. „Gut gemeint“ ist allzuoft das Gegenteil von gut.

Karsten Dörre / 17.08.2019

Interessanter Input mit einer Ausnahme - dass Palmöl als Lebensmittel gesund sein soll. Richtig ist, dass ungehärtetes Palmöl weitaus gesünder als gehärtetes Palmöl ist. In allen Nahrungsmitteln mit Palmöl/-fett befindet sich hingegen gehärtetes Palmöl/-fett.

Albert Schelling / 17.08.2019

Wenn Machthaber an der Rodung so viel Geld verdienen, stellt sich doch die Frage, wer bezahlt denn denn das Ganze.

Bernhard Moos / 17.08.2019

Sehr geehrter Herr Ederer, wie könnte man also die Produktivität der Palmölplantagen verdoppeln oder verdreifachen? Dazu steht nichts im Text. Das wäre schon interessant zu lesen. Gut, die Korruption verhindert womöglich die Steigerung der Produktivität, aber wie ginge es technisch bzw. biologisch? Mit freundlichen Grüßen

Jochen Grünhagen / 17.08.2019

Sehr geehrter Herr Professor Ederer, die Aussage, dass die Rinderhaltung in Südamerika und den USA überwiegend als Weidehaltung erfolgt ist nicht richtig. In den USA dominieren die sogenannten feedlots schon seit Jahren und mittlerweile stellen auch die Südamerikaner zunehmend auf diese industrielle Haltungsform um. Dagegen wirken auch die größten europäischen Bullenmäster wie kleinstbäuerliche Familienbetriebe.

Anders Dairie / 17.08.2019

INDONESIEN als Inselkette reicht von Sumatra bis West.Neuguinea (fast Australien) hat rund 17.500 Inseln, 360 Völker.  Das sind 245 Mio. Bürger, davon 200 Mio.  Mohamedaner,  meist Sunniten. Alle Bürger müssen sich zu einer Religion, strafbewehrt,  bekennen.  Rund 27 %  od. 66 Millionen gelten als arm. In manchen Gegenden über 40%.  Der Insel-Staat dürfte aus DJAKARTA mehr schlecht als recht zu beherrschen und zu verwalten sein, da zu ausgedehnt.  Prof. EDERER hat Recht,  wenn die Umweltzerstörung veringert werden soll,  muss weniger politischer als wirtschafticher Druck obwalten. Die Handels-Gesellschaften sind zu verpflichten, nur zertifiziertes Palmöl aufzukaufen bzw in Europa und Amerika anzulanden. Mit der Verpflichtung zur Nichtabholzung. In Asien wird man sich dafür kaum interessieren.  In China gar nicht.  Dass Korruption verringert würde, glaube ich nicht.  Weil diese Einnahmen ein fester Einkommensbestandteil der Oberschicht (in den vielen Regionen)  sein dürfte.  Die USA könnten das evtl. durchsetzen,  sonst keiner.  Weil dazu die komplexe Marinestruktur benötigt würde.

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