Von Klaus König.
Im letzten Teil meiner Artikelserie möchte ich Ihnen meine Empfindungen über den inneren Zustand der Polizei mitteilen. Da der Verbund in der Kollegenschaft oft Gegenstand medialer Debatten ist, zunächst ein paar Einschätzungen hierzu.
Als Polizist wird man kontinuierlich mit prekären Einsatzlagen konfrontiert. In diesen ist ein schnelles sowie entschlossenes Handeln und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unter den Polizeibeamten oftmals entscheidend. Die latent vorhandene Gefahr, in eine (auch gesundheitlich) bedrohliche Situation zu geraten und die damit einhergehenden gemeinsamen Einsatzerfahrungen führen dazu, dass man seine Dienstgruppe als eine Art „Zufluchtsort“ erachtet, wo Geschehnisse im Nachhinein besprochen werden können oder auch einfach mal „Dampf abgelassen“ wird. Diese heilende Wirkung bei der Verarbeitung von belastenden Einsatzsituationen ist nicht zu unterschätzen und bewirkt bei einem Großteil der Beamten, dass heikle Einsatzabläufe nicht ins Private übertragen, sondern mit der Uniform „abgelegt“ werden. Das mag sich zunächst einmal befremdlich anhören, aber ich kenne es selber, dass auch bedrückende polizeiliche Einsätze aus dem Dienstalltag, bei entsprechender Verarbeitung, schnell in Vergessenheit geraten, sobald die Dienstkleidung ausgezogen ist. Zahlreichen Personen ist dieser Zusammenhalt unter den Polizisten auf den ersten Blick suspekt.
Auch einige „Experten“ bezeichnen diese Verbundenheit unter den Polizeibeamten schnell abwertend als „Korpsgeist“. Die beschriebenen Gefahrensituationen führen jedoch zwangsläufig dazu, dass sich ein anderes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt, als es etwa bei einem Bürojob der Fall wäre. Diese enge Bindung, das sei ausdrücklich erwähnt, führte in meinen Jahren als Polizeibeamter in einem Brennpunktviertel mit vielen schwierigen Einsätzen nie dazu, dass rechtswidrige Maßnahmen untereinander geduldet oder vertuscht wurden!
Das bedeutet natürlich nicht, dass diese Handlungen in der Polizei noch nie vorgekommen sind. Gleichwohl sollte man meiner Meinung nach Abstand davon nehmen, diese Verbundenheit vorschnell zu diskreditieren, nur weil sie einem unverständlich ist.
Wie ich bereits im dritten Teil meines Berichts erläutert habe, ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei statistisch gesehen hoch (84%). Ich hoffe ausdrücklich, dass das Ansehen in diesem Maße erhalten bleibt, möchte an dieser Stelle jedoch ebenfalls eine gewisse Skepsis einräumen und diese erläutern.
Ungeeigneter Nachwuchs sorgt für Frustration
In den letzten Jahren sind von vielen Bundesländern die Voraussetzungen für den Polizeiberuf signifikant gesenkt worden. Ziel der Maßnahmen war es, die Bewerberzahlen zu erhöhen, um die große Zahl der Pensionäre zu ersetzen. Die Folgen der Herabsenkungen sind unmittelbar zu bemerken. Immer öfter kommt es nun vor, dass Anwärter als Praktikanten an den Polizeidienststellen ihren Dienst verrichten und dabei nicht den Mindestanforderungen in Wort und Schrift genügen oder sich im Umgang mit dem Bürger, aber auch mit Kollegen, als völlig ungeeignet für den Polizeiberuf erweisen. Aufgrund der großen Zahl von Pensionierungen wird seitens der Politik und der Polizeiführung jedoch die Erwartung formuliert, dass möglichst viele Anwärter die Ausbildung bzw. das Studium erfolgreich beenden. Im Umkehrschluss ergibt sich dadurch, dass die Möglichkeiten des berechtigten Durchfallens des Praktikanten deutlich minimiert werden. Dieser Umstand führt dazu, dass Praktikanten, die grundsätzlich nicht für den Polizeidienst geeignet sind, mit großem zeitlichen Aufwand der anleitenden Beamten ausgebildet werden müssen. Diese Zeit fehlt dann folglich in anderen Bereichen, sodass insgesamt die polizeiliche Arbeit darunter leidet.
Die Probleme sind nicht nur an den Praxis-Dienststellen zu vernehmen. Aufgrund der großen Zahl von Anwärtern in den einzelnen Ausbildungsklassen ist eine strukturierte sowie nachhaltige Vermittlung von Lehrinhalten in den Polizeischulen kaum noch möglich. Ich habe schon von einigen Kollegen die Äußerung gehört, dass sich darauf fokussiert werden sollte, geeignete und dafür weniger Anwärter einzustellen, als möglichst viele und darunter auch zahlreiche ungeeignete Personen. Die Auswüchse dieser Fehlentwicklungen waren medial bereits zu vernehmen. Es bleibt abzuwarten, wie sich dadurch das Bild der Polizei in den nächsten Jahren entwickelt. In der Vergangenheit hat sich bei einigen Beamten jedoch auch aufgrund anderer Konstellationen eine gewisse Frustration entwickelt, die meiner Einschätzung nach ebenfalls nicht folgenlos bleiben wird. Insbesondere erfahrenere Kollegen sind desillusioniert ob der derzeitigen polizeilichen Situation. Es gibt nicht wenige Polizisten, die die Jahre bis zu ihrer Pensionierung herunterzählen und dies offen kommunizieren. Ein großer Teil dieser Polizisten sind nicht die in jedem Beruf bekannten „Querulanten“, die durch ihre unangenehme Art in Ungnade gefallen sind. Nein, bei diesen Beamten handelt es sich um Leistungsträger, die mit ihrer Einstellung, als Polizist für „Recht und Ordnung“ zu sorgen, immer mehr entmutigt werden.
Für mich ist es immer wieder erschütternd, zu sehen, wie Beamte, die im besten Sinne pflichtbewusst und gewissenhaft sind, durch die derzeitige Situation in Justiz, Politik und daraus folgend der Polizei regelrecht mürbe gemacht werden. Die Beamten distanzieren sich förmlich innerlich von der polizeilichen Arbeit. Bei einigen wird „Dienst nach Vorschrift“ geleistet und Dinge, die von der Politik oder der Polizeiführung vorgegeben werden und kaum nachvollziehbar sind, werden immer regungsloser hingenommen, um sich nicht weiter in eine psychische Konfliktsituation zu begeben. Die frustrierten Beamten sind zahlenmäßig in der Kollegenschaft gewiss in der Minderheit. Auf die Gründe, weshalb das meiner Meinung nach so ist, werde ich weiter unten im Text eingehen. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass es natürlich Folgen für die polizeiliche Aufgabenerfüllung hat, wenn Leistungsträger, plakativ gesagt, „abstumpfen“.
Unterstellung angeblichen Fehlverhaltens
An dieser Stelle mögen Sie nun einwerfen, dass man sich als Beamter mit solchen Umständen zu arrangieren hat, da einem für seine Tätigkeit im Staatsdienst auch zahlreiche Annehmlichkeiten gewährt werden. Grundsätzlich ist das nicht ganz von der Hand zu weisen, aber ich möchte Ihnen ein Beispiel geben:
Stellen Sie sich vor, Sie fahren Streife und beobachten eine Straftat. Natürlich möchten Sie diese Straftat pflichtbewusst ahnden, da Sie es als Ihren Job empfinden, den Rechtsstaat durchzusetzen. Der Täter läuft weg, aber Sie schaffen es, ihn zu stellen. Da der Delinquent sich massiv wehrt, müssen Sie körperlichen Zwang anwenden, um diese Handlungen zu unterbinden. Letztlich gelingt es Ihnen, den Täter zu fesseln und der Dienststelle zuzuführen. Sie schreiben Ihren Bericht mit einem guten Gefühl, denn auch wenn der Täter die Polizeistation nach kurzer Zeit wieder verlassen kann (wieder einmal), denken Sie, dass Sie Recht und Gesetz im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchgesetzt haben. Am nächsten Tag erfahren Sie jedoch, dass Bekannte des Täters in gewissen Interessenorganisationen tätig sind, Kontakte in die Politik haben und Ihr Handeln nun debattiert wird. Natürlich ist das vollkommen in Ordnung für Sie, denn zu einem Rechtsstaat gehört auch, sachlich und neutral die Fakten zusammenzuführen und kritische Fragen zu stellen. Sie merken allerdings, dass die Debatte eine ungute Richtung einschlägt, denn Sie haben plötzlich das Gefühl, dass es gar nicht mehr um die Straftat geht, die sie anfangs ahnden wollten, sondern um Ihr angebliches Fehlverhalten. Auf Rückendeckung können Sie zudem anhand der diffizilen Gemengelage nur bedingt hoffen.
Nun sind Sie ein erfahrener Beamter, der aufgrund der Umstände in Politik und Polizeiführung ohnehin frustriert ist. Würden Sie in einer ähnlichen Situation bei ihrem nächsten Dienst wieder so agieren oder würden Sie sich denken, „egal, dann ist er halt weg“?
Politische Entscheidungen werden lieber nicht hinterfragt
Dieses Beispiel soll veranschaulichen, welche Konsequenzen die Frustration der Polizisten für den Bürger und die Sicherheit der Bevölkerung haben kann, wenn gewisse Fehlentwicklungen nicht gestoppt werden. Noch ist allerdings die Einstellung, etwaige Straftaten konsequent zu ahnden und sich dabei auch in schwierige Situationen zu begeben, bei den Kollegen (auch bei den beschriebenen „Desillusionierten“), selbstverständlich weiterhin vorhanden. Nahezu alle Polizisten, mit denen ich im dienstlichen Alltag zusammengearbeitet habe, gehen weiterhin pflichtbewusst und gewissenhaft ihrer Arbeit nach. Dieses Verantwortungsbewusstsein führt dazu, dass trotz der politischen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen und den damit immer schwieriger werdenden Rahmenbedingungen derzeit noch eine gute Struktur erhalten bleibt, welcher die Bürger – meiner Auffassung nach – vertrauen können.
Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass die von mir beschriebenen frustrierten Beamten, auch wenn sie oftmals Leistungsträger sind oder waren, in der Kollegenschaft eine Minderheit darstellen. Dieser Fakt ist allerdings zunehmend bemerkenswert… Es bedarf einer näheren Betrachtung, weshalb ein Großteil der mir bekannten Polizisten maximal punktuell kritisch zu gewissen Entwicklungen steht und die dazugehörigen Ursachen bzw. Hintergründe nicht sonderlich hinterfragt. Mit den eher unkritischen Kollegen sind zunächst einmal jene gemeint, die bereits seit einigen Jahren ihren Dienst verrichten und in dieser Zeit zwangsläufig mit einigen Ungereimtheiten konfrontiert wurden. Ich habe selbst bei offensichtlichen Unfassbarkeiten die betreffenden Kollegen sagen hören, dass man ja ein „kleines Licht“ sei, deshalb die Entscheidungen der Politik sowie der Polizeiführung nicht richtig einschätzen könne und sich somit kein Urteil anzumaßen habe. Damit war das Thema für diese Polizisten dann beendet.
Diese Verlautbarungen sind für mich zunächst menschlich verständlich. Wenn man Dinge zu sehr hinterfragt, führt dies natürlich zu einem inneren Konflikt, der sich zwangsläufig auf das persönliche Empfinden auswirkt. Das wiederum führt zu Stress, welchem man sich möglichst nicht aussetzen möchte. Die Folge ist, dass man bestimmte Gedankengänge vermeidet und auch die Konsequenzen von klar ersichtlichen Fehlentwicklungen nicht in einen großen Zusammenhang setzt. Bei den neu eingestellten Kollegen ist gleichwohl ein von vornherein bestehendes gewisses Desinteresse an politischen und gesellschaftlichen Hintergründen zu vernehmen. Diese Bewertung möchte ich, das sei ausdrücklich gesagt, nicht pauschal aussprechen, allerdings ist diese Interesselosigkeit bei gewissen Äußerungen zahlreicher Berufsanfänger deutlich erkennbar. Die beschriebene, innere Konfliktvermeidung und die Gleichgültigkeit führen dazu, dass ein großer Teil der Polizisten auf der jeweiligen „Welle mitreitet“, welche gerade medial oder politisch „en vogue“ ist. Bei gewissen Debatten (z.B. „Rassismus in der Polizei“) wird zwar hin und wieder das Unverständnis artikuliert, im Großen und Ganzen hält man sich allerdings an die vorgegebenen Narrative.
Polizei darf nicht als bloßer Handlanger der Politik fungieren
Damit einhergehend ist vermehrt zu erkennen, dass die vorgegebenen Leitlinien der Politik bei der Einsatzabarbeitung im Vordergrund standen bzw. stehen und der polizeiliche Erfolg fortwährend daran bemessen wird, ob diese Leitlinien bestmöglich durchgesetzt wurden.
Dazu sei gesagt, dass die Politik der Polizei natürlich weisungsgebunden ist. Allerdings darf sich daraus nicht die Situation entwickeln, dass die Polizeibehörde als bloßer „Handlanger“ der Politik fungiert. Das primäre Ziel der Polizei sollte demnach nicht sein,„roboterhaft“ politische Maßgaben zu vollziehen, sondern auch, falls notwendig, politische Entscheidungen und Vorgaben zurückzuweisen, wenn rechtsstaatliche Grundsätze bzw. Prinzipien der Verhältnismäßigkeit tangiert werden. Die Polizei folgt den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit natürlich auch weiterhin. Allerdings ist es, wie gesagt, nicht von der Hand zu weisen, dass Sichtweisen von Politikern oder auch der Polizeiführung von einigen Polizisten unhinterfragt aufgenommen werden und das Handeln stark danach ausgerichtet wird.
Erschwert wird dieser Zustand durch den Umstand, dass die Polizei hierarchisch aufgebaut ist. Dies ist grundsätzlich von Vorteil, da bei Einsatzanlässen klare Strukturen und Befehle vorgegeben werden müssen, um zu einem zielführenden Ergebnis zu kommen. Allerdings bemerke ich immer wieder, dass Personen, die eine gewisse Erfahrung vorweisen können, ihre Autorität (teilweise auch unbewusst) ausnutzen, um auch persönliche Bewertungen über gesellschaftliche oder politische Entwicklungen innerhalb des Kollegenkreises offen zu kommunizieren. Trifft diese Autorität auf die von vielen Kollegen betriebene „Gleichgültigkeit“, sich mit gewissen Dingen auseinanderzusetzen, werden die Verlautbarungen und Einschätzungen oftmals unhinterfragt übernommen und die Standpunkte somit verfestigt. Insgesamt sehe ich in diesen Entwicklungen eine große Gefahr, da ich denke, dass die Polizei strikt unpolitisch zu sein hat. Dies setzt allerdings voraus, dass man sich als Polizist informiert, um mehrere Betrachtungsweisen zu gewissen Entwicklungen zu erhalten und das eigene Handeln sowie die Zusammenhänge des polizeilichen Alltags in einen Kontext setzen zu können. Erst dadurch kann sich ein umfassenderes und nicht von anderen Personen vorgegebenes Bild angeeignet werden.
Gefahr des massiven Ansehensverlustes
Dieses eigene Bild sollte wiederum explizit nicht dazu führen, dienstliche Tätigkeiten an den persönlichen Bewertungen zu orientieren. Vielmehr ermöglicht eine angeeignete „Weitwinkelperspektive“, dass keine einseitigen Freund-Feind-Schemata entstehen und man nicht als beschriebener „Handlanger“ agiert. Letztlich obliegt es jedem einzelnen Beamten, je nach Sachverhalt und rechtsstaatlichen Grundsätzen zu entscheiden und dann gegebenenfalls Sanktionen bei Verstößen zu verhängen, und nicht einem Politiker, der noch nicht einmal vor Ort ist. Die Abkehr des objektiven, faktenbasierten und abwägenden Polizisten hätte nämlich als Konsequenz, dass ein Polizist, wie in vielen Ländern dieser Welt, sein Handeln auf eine bestimmte Klientel sowie dessen gewünschte Maßnahmen ausrichtet und dabei beispielsweise den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr ausreichend beachtet. Das kann von keiner Seite aus gewünscht sein und würde auch bei der Bevölkerung auf Dauer zu einem massiven Ansehensverlust führen.
Ich weiß, und das kann ich mit Gewissheit herausstellen, dass alle mir bekannten Polizisten den Anspruch haben, rechtsstaatliche Grundsätze zu erfüllen, keine Erfüllungsgehilfen einer gewissen Klientel zu sein und diese Art des Handelns auch entschieden ablehnen. Um diesem Anspruch allerdings auch gerecht werden zu können, ist nach meinem Dafürhalten in gewisser Weise ein Ausbrechen aus der eigenen Trägheit notwendig. Erst dann ist nämlich die Bildung eines Problembewusstseins möglich.
Was kann ich Ihnen nun zu guter Letzt sagen? Ich bin der Meinung, dass die Bevölkerung weiterhin allen Grund dazu hat, der Polizei und den dort tätigen Beamten ihr volles Vertrauen entgegenzubringen. Gleichwohl ist die Polizei vor äußeren Einflüssen nicht geschützt. Diese Einwirkungen dürfen nicht dazu führen, dass die Polizei sich als Behörde in eine Richtung entwickelt, die mit einem großen Vertrauensverlust in der Bevölkerung verbunden ist. Mit den Artikeln versuche ich, einige der vorliegenden Problemstellungen zu erläutern. Gleichfalls nehme ich mir nicht heraus, im Besitz einer allgemeingültigen Wahrheit zu sein. Dennoch habe ich die Hoffnung, dass die Darstellungen und auch Anregungen in den Artikeln von geneigter Stelle zumindest aufgenommen und nicht sofort negiert werden.
Der Name des Autors wurde von der Redaktion geändert.
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