Quentin Quencher / 01.04.2017 / 06:09 / Foto: Motorenbau / 14 / Seite ausdrucken

Polizei-Präsenz: Wie mein Landleben leidet

Seit nun knapp neun Jahren wohne ich in einem rund 6 000-Seelen-Ort südlich von Stuttgart. Kürzlich wurde ich dort das erste mal von der Polizei angehalten. Es war schon dunkel, bewölkt wars auch, kurz vorher hatte es geregnet. Im Auto saßen außer mir noch eine meiner Töchter (13) sowie meine Frau. Wir fuhren langsam durch ein paar Seitenstraßen und schauten nach Hausnummern. Die Tochter wollte unbedingt einen Job, also trägt sie nun zwei Mal die Woche Zeitschriften und Kataloge aus. Dafür gibt es zwar nicht viel Kohle, aber das ist ihr egal. Sie wollte es unbedingt, also habe ich zugestimmt, solange die Schule nicht darunter leidet soll es mir recht sein. Nur meiner Frau gefiel es gar nicht, ein junges Mädchen abends allein durch den Ort streifen zu lassen machte ihr Angst. Und so habe ich mich bereit erklärt, die ersten paar Male der Tochter zu helfen und sie mit dem Auto chauffiert. Wahrscheinlich hat das mich mehr Sprit gekostet, als meiner Tochter damit verdient. Aber darum geht es ja auch nicht.

Ich bin dann einer Polizeistreife aufgefallen, die mich anhielten und kontrollieren. Führerschein und Papiere wollten sie sehen. Schnell war klar: Von mir wollten die eigentlich nichts. Als sie merkten, warum ich so merkwürdig unterwegs war, brachen sie die Kontrolle ab, ich hatte die Fahrzeugpapiere noch nicht mal heraus gekramt, und wünschten uns noch einen schönen Abend.

Was macht die Polizei eigentlich in solch ein Kaff? Hier gibt es nicht mal eine Wache, die nächste ist in Nürtingen. Doch ein paar Flüchtlingsunterkünfte sind auch hier, zu denen wurden sie schon ein paar Mal gerufen weil es dort Probleme gab, habe ich jedenfalls im Polizeibericht gelesen. Und ein paar Mal wurde auch eingebrochen in diesem Ort, stand da ebenfalls.

Meine Frau war begeistert von dem „peaceful place“

Vor neun Jahren, als wir hier her zogen, sah ich die ersten Jahre bestimmt kein Polizeiauto, höchstens mal auf der Hauptstraße, mit Blaulicht und Tatütata unterwegs irgendwohin, nur nicht zu einem Vorfall hier in dem Ort. „Gibts hier überhaupt keine Polizei?“ fragte mich damals meine Frau. Für sie, in den Philippinen aufgewachsen, erschien das beinah leichtsinnig. Doch nur ganz am Anfang, später war sie begeistert von dem „peaceful place,“ wenngleich ein wenig langweilig. Aber hier funktionierte ein friedliches Zusammenleben auch ohne Polizei. Das war vor nicht mal zehn Jahren.

Früher, ja ich muss früher sagen, obwohl nur ein paar wenige Jahre vergangen sind, fuhr ich schnell mal mit dem 50iger Roller zum Bäcker, Metzger, zum ALDI und zum REWE oder zur Post, gibt es alles hier im Ort. Wenn dann auch noch das Wetter mitspielte, verzichtete ich auf den Helm und ließ meine langen Haare im Fahrtwind flattern. Das hat hier keinen richtig interessiert, nur manchmal drehte sich vereinzelt einer nach mir um, meist mit einem Lächeln im Gesicht.

Für mich waren diese kurzen Besorgungsfahrten auch so was wie ein Statement an meine Mitmenschen hier, wie genau ich es denn mit der Befolgung von Regeln halte. Ich weiß, es klingt ein wenig lächerlich, aber für mich waren diese Mopedfahrten im Ort, ohne Helm, immer auch mit einem klitzekleinen Gefühl von Freiheit verbunden. Eben nicht alle Kommandos oder Regeln immer befolgen zu müssen, nur weil es ein Gesetz gibt.

Plötzlich müsste ich einen Helm tragen

Auf den ersten Blick hat sich nicht viel geändert, hier, doch irgendwie ist alles anders geworden. Nun kommt der Sommer und ich überlege mir gerade, mir wieder so einen kleinen Motorroller zuzulegen; mit dem kann ich schnell zum Einkaufen fahren, über die Feldwege düsen, oder runter nach Nürtingen, wenn es da was zu erledigen gibt. Schnell mischen sich Bedenken in meinen Wunsch: Wird die Polizei im Sommer immer noch so präsent im Ort sein, Streifen in den Nebenstraßen fahren, wie das derzeit oft der Fall ist? Ich müsste damit rechnen ständig Strafzettel zu bekommen, oder wäre gezwungen auch im Sommer einen Motorradhelm zu tragen.

Es ist klar, warum die Polizei heute in diesem meinem Wohnort nun häufiger zu sehen ist als früher, Stichwort: Wohnungseinbrüche und Flüchtlingsunterkünfte. Und den meisten Einwohnern hier wird es gefallen, wenn sie ab undzu die Gesetzeshüter patrouillieren sehen. Ein Bedürfnis nach Sicherheit wird befriedigt. Ob es wirklich was bringt, diesbezüglich, will ich gar nicht beurteilen. Auch ich habe ja im Prinzip nichts dagegen, nur, ein klitzekleines Stück Freiheit ist für mich verloren gegangen. Nein, ich werde mir keinen neuen Motorroller kaufen, mit jedem mal wenn ich mir den Helm auf den Kopf setze, würde ich daran erinnert was sich verändert hat. Das werde ich mir nicht antun.

Ist nur eine kleine Geschichte aus der Provinz. Der Städter, der Großstädter sowieso, wird mit den Schulter zucken und sagen: „Dem seine Probleme hätte ich gerne!“ Er wird an die NoGo-Areas denken und meine Beschwerde über zu viel Polizei im Kaff belustigend finden. Aber genau deshalb bin ich ja aufs Land gegangen. Wenn sich die Provinz nun immer mehr den Städten angleicht, wo kann ich dann noch hingehen um sein zu dürfen wie ich bin? Die Rückzugsräume werden weniger.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Quentin Quenchers Blog Glitzerwasser hier.

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Leserpost

netiquette:

Arthur Dent / 01.04.2017

Ich als Städter kann Sie sehr gut verstehen. Ob Polizei oder Zahnarzt, bei beiden ist man froh, wenn man sie nicht benötigt. Doch wenn man sie braucht ist man trotzdem froh, dass es sie gibt. Allerdings gibt es einen gewaltigen Unterschied: Ob ich einen Zahnarzt benötige, kann ich zu einem Großteil selbst beeinflussen, bei der Polizei kann man es nur alle vier Jahre, indem man Parteien wählt, die keine Politik machen, die zur Verschlechterung der Sicherheit führen.

rainer bayer / 01.04.2017

wie wär’s mit einem “richtigen” motorrad und einer “richtigen” gemeinschaft von motorradfahrern? dann dürfen sie sich freiwillig einmal im jahr wegen begehung eines bagatelldelikts in der ortspresse bewundern lassen, und den rest des jahres haben sie ruhe - wenn ihnen nicht gerade eine gemeinschaft mit dem gleichen namen, aber ohne motorrad und ohne deutschen pass das “revier” streitig macht.

Karla Kuhn / 01.04.2017

Von 1978 bis 1992 habe ich in einem 1000 Seelen Dorf im LKr.  Starnberg gelebt.  Ich kann mich nicht erinnern, daß es in dieser Zeit einen Einbruch gegeben hat. Mittlerweile hat sich die EW Zahl drastisch erhöht.  Dieser kleine Ort, der S Bahn Anschluß hat, wird immer wieder von Dieben heimgesucht.  Eine Flüchtlingsunterkunft ist nicht vorhanden, sie wurde ca. drei bis vier Kilometer weiter errichtet.  Es ist ein “wohlhabender” Ort, vorwiegend Ein- und Zweifamilienhäuser wahrscheinlich hat sich das rumgesprochen.  Die “Ureinwohner” dieses Ortes und die Zugezogenen scheinen auch wenig Kontakt miteinander zu haben.  Das “idyllische” Dorfleben -was es sicher vorher auch nicht gab aber man kannte sich mit Namen und grüßte sich- gibt es nicht mehr.  Da haben es Diebe besonders leicht.  Ein Fernsemoderator, der extra wegen der Ruhe aufs Land gezogen ist, hat vor Jahren mal gesagt, daß es lauter zugeht als in der Stadt.  Das kann ich bestätigen. Es wird den ganzen Tag gesägt, gebohrt, gehämmert, Laub geblasen oder Schmutz, was besonders hygienisch ist und natürlich wird ständig Rasen gemäht.  Wenn man in der Stadt nicht direkt an einer Hauptstraße wohnt, so wie ich, ist es auch nicht lauter. Was die Polizei betrifft, die sehe ich auch selten.

Peter Weinreich / 01.04.2017

Seit Merkel das Grundgesetz bricht, erlaube ich mir auch vermehrt kleine Regelwidrigkeiten wie das Fahren ohne Gurt im Dorf (alles 30 km/h-Zone). Auch wenn ich mal werde zahlen müssen, werde ich das nicht ändern. Dafür fühle ich mich wieder wild und verwegen wie in jungen Jahren.

Günther Kühnle / 01.04.2017

Sie schreiben mit aus der Seele. Nach der Flutung von Merkels Fachkräften - Drogen, Gewalt,sexuelle Belästigung - zogen wir von süddeutschen Großstadt zurück aufs Land. Dort? Resignierte Deutsche, Hass erfüllt gegen einander, frustriert, Alkohol, Party, graue Wölfe, Testosteron, aggressive Moslems, rumänische Bettel- und Diebesbanden. Wir wohnen wieder in dieser Großstadt. Wenn schon Untergang, dann bitte mit Niveau. Die Rückzugsräume werden kleiner und weniger. Unendliche Geschichte. Jeder gegen jeden.

Hans Meier / 01.04.2017

Wir sollten unsere Rückzugsräume so richtig aggressiv verteidigen, ich hab zum Bsp. ein „betretene der Baustelle verboten“ - Schild in der Einfahrt zum Grundstück angebracht. Das Wichtigste habe ich schon erledigt aber es wird konsequent weiter gebaut, denn wenn es gut aussieht, funktioniert und Spaß macht, dann gibt die Objektivität mir eine Antwort ohne Interpretation.

Ramón-Riccardo / 01.04.2017

Großartiger Text. Ich stamme ursprünglich auch aus der Nähe einer 5.000 Seelengemeinde. Ein schöner Ort(Seelow), wie sie es sagten, das Landleben war unbeschwert und leicht. Man hat gerne Regeln ignoriert, aber immer mit genug “Rücksicht” auf andere. Es war einfach herrlich, manchmal sehne ich mich zurück. Dann kam 2015 und alles wurde anders. Mehr Polizei, mehr fremde Menschen zur Tageszeit und weniger Menschen am Abend oder in der Nacht. Die Feste wurden weniger und es kamen weniger Besucher. Das Landleben starb langsam ab. Einfach schade.

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