Rainer Bonhorst / 29.09.2017 / 06:15 / Foto: Olaf Kosinsky / 15 / Seite ausdrucken

Politisches Damenkränzchen mit Tupper-Party

Zugegeben, in Deutschland ist politisch einiges in Bewegung geraten. Ein Erdbeben? Na ja, auf der Richter-Skala ist es durchaus erkennbar. Aber ich halte mich gerade in Italien auf. Und von dort aus, also transmontan betrachtet, geht nördlich der Alpen alles doch sehr ordentlich, um nicht zu sagen deutsch zu. Weit und breit ist kein Beppe Grillo in Sicht, der im kommenden Jahr wahrscheinlich vorführen wird, was ein echtes italienisches Chaos ist.

Was ist die AfD schon: eine Ersatzgruppe für diejenigen, die CDU/CSU sehenden Auges rechts liegen ließ. Und so sehen die Chefs auch aus. Alexander Gauland trägt Zwirn und Miene eines pensionierten Beamten, der sein CDU-Parteibuch verloren hat und dem das Ersatzheft mit der Aufschrift „AfD“ nun eine ruppigere Sprache abverlangt. Und Alice Weidel? Gehobenes Damenkränzchen mit Verdacht auf akademische Tupperware-Parties. Bürgerschreck? Also, ich weiß nicht.

Da ist Italiens Beppe Grillo ein anderes Kaliber. Abgesehen von Drei-Tage-Bart und Wuschelhaar: Als Profi-Komiker tut er beruflich das, was deutschen Politikern allenfalls unfreiwillig unterläuft. Ein Spaßmacher als Gründer einer mehrheitsfähigen Partei? Das ist Italien. Seine Fünf-Sterne-Bewegung hat alle Chancen, anfang kommenden Jahres in Italien die Regierung zu übernehmen. Nicht allein, aber wohl zusammen mit der rechten Lega Nord.

Thing per Internet, was immer auch dabei rauskommt

Und was würde das für eine Regierung? Eine Art politisch irisierende Internet-Regierung, vergleichbar mit Donald Trumps Twitter-Aktionismus. Halblinks, halbrechts, und vor allem: jede Menge Direktdemokratie. Die Leute sollen über alles abstimmen. Thing per Internet, was immer auch dabei rauskommt. Im Vergleich dazu steht das deutsche System trotz AfD-Gottseibeiuns, Jamaika-Kungelei und der beleidigten SPD-Leberwurst stabil da wie ein Felsen.

Italiens Fünf Sterne sind das, was Amerikas Donald Trump als Einzelfigur ist. Hätte Trump eine eigene Partei und nicht nur die widerborstigen Republikaner, er könnte die Clowns-Rolle eines Beppe Grillo ganz übernehmen. Aber wie die Dinge im Kongress liegen, bleibt er mit seinem Getwitter direkt ans Volk meist auf halber Strecke stecken. Was die beiden fast zu Zwillingen macht, ist die Wurzel ihres Weges an die Macht: Viele Amerikaner und Italiener sind sich zum Verwechseln ähnlich in ihrem kaum noch zu beschreibenden Hass auf ein politisches Establishment, das als arrogant und korrupt wahrgenommen wird.

Das Establishment hält das natürlich für Majestätsbeleidigung. Auch bei uns ist das so, obwohl sich der Frust hier noch in vergleichsweise ordentlichen Bahnen bewegt. Bei uns kann man hier und da sogar noch so tun, als sei gar nichts geschehen. „Wir hätten uns etwas mehr Stimmen gewünscht.“ Wer so müde nach einer schallenden Ohrfeige reagiert, ist entweder unfreiwillig komisch oder schmerzunempfindlich oder beides. So fordert man fürs nächste Mal auch bei uns ein italienisches Chaos heraus. 

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Leserpost

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Karla Kuhn / 29.09.2017

Ich finde den Vergleich mit Trump völlig überzogen. Trump ist zwar nicht angepasst aber er ist intelligent und versucht sein Land zu stabilisieren.  Will man mit dem ewigen Trump Geleiere von sich selber ablenken ? Ich kenne einen Herrn Grillo nicht, ich befasse mich auch nicht mit der Politik Italiens, wir haben in Deutschland genug aufzuräumen und sollten erst mal vor der eigenen Türe kehren.

B.Klingemann / 29.09.2017

Neuwahlen! Dieses Wort hat einen betörenden Klang, dem die Deutschen zuhören würden und der sie aus ihrer Lethargie reißen würde. Man muss sich nämlich nicht immer einigen, auch im Parlament nicht. Dieser Mut zum Dissens und zum Respektieren einer anderen Ansicht fehlt der Mehrheit noch.

Uta-Marie Assmann / 29.09.2017

So ganz einig bin ich mit Ihnen nicht, was den Vergleich mit den USA angeht. Der Ober-Clown kann, wie man sieht, lange nicht alles, was er will, auch durchboxen. Die Kanzlerin - wie man ebenfalls sieht - offensichtlich schon: dank eines Parlaments, das sich sozusagen abgeschafft hat und eines Volks, das verlernt hat, sich zu wehren.

Wulfrad Schmid / 29.09.2017

Keine Regierung, das ist wirklich mal eine ausprobierenswerte Alternative. Schlimmer als 12 Jahre Merkel KANN es nicht werden.

Patrick Kaufhold / 29.09.2017

Eine objektive Beschreibung, nachdem man hierzulande schon manch geistig Verwirrten schreien hörte wir würden ein neues 1933 erleben. Danke für ein Stück Normalität inmitten der Wirren politisch korrekter Spinnerei!

Hans-Peter Hammer / 29.09.2017

Vielleicht täte uns ein solches direkt mal gut! Muß ja nicht gleich ein italienisches, sprich ein “spätrömisches” sein, ein belgisches täte es eventuell auch!

Bernd Lauert / 29.09.2017

Ich finde den Vergleich mit den USA erstaunlich. Deren Ober"clown” kann nämlich nicht einfach jeden Unfug gegen die Bevölkerung durchboxen. Wie unser “alternativloses” “wir schaffen das schon”-System gerade dagegen stabil wirken soll, erschließt sich mir nicht. Bei uns ist die Demokratie längst zu Grabe getragen worden, niemand kämpft noch für Initiativen, stattdessen wartet man einfach bis zur WM oder so wenn man lausige Gesetze durchkriegen will oder macht einfach mal und die Gerichten fangen den Blödsinn dann wieder ein. Da ist keine Stabilität, da ist nur völlige Entrückung zu sehen. Deutschland hat keinen Souverän mehr.

Susanne Carstens / 29.09.2017

“Zugegeben, in Deutschland ist politisch einiges in Bewegung geraten.” Ach(wie)gut! Nachdem wir vier Jahre lang ein teil- bis ganz- sediertes Parlament ertragen mussten, regiert von einer Frau, die sich unwidersprochen “Mutti” nennen ließ, erscheint jede politische Bewegung wie eine Sauerstoffdusche für einen Erstickenden (oder eine Erstickende oder welchen “Erstickungsgender” auch immer). Allerdings spielt sich die “politische” Bewegung aktuell zum großen Teil noch auf Kindergartenniveau mit offenbar großem Spaßfaktor für alle daran Beteiligten ab. Immerhin geht es um so wichtige “politische” Entscheidungen wie die neue Sitzverteilung im Parlament und die Zuteilung der Abgeordnetenbüros! Aber wie sagte die neue Fraktionsvorsitzende der SPD so schön: “Ab Morgen kriegen sie in die Fresse.” Vielleicht sollten wir doch Angst vor zuviel Bewegung haben? Ansonsten: So(!) ein Geschrei um rund ein Achtel zukünftiger Parlamentarier, die (vielleicht) “mal ordentlich auf den Putz hauen”!? Unglaublich!

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