Vielen Dank für diesen wichtigen Beitrag! Selbst Dozenten an US- Universitäten beklagen sich seit Längerem über die zunehmende pubertäre Altklugheit, mit welcher Studenten geistverengende Selbstzensur besonders in geisteswissenschaftlichen Fakultäten verlangen, bis hin zur Forderung, Shakespeareausgaben zu verkürzen und zu beschneiden. Es ist das klebrige Monstrum, das sich “Political Correctness” nennt, das, solche Blüten treibend, nun der postmodernen Kultur, deren Kind es ist, täglich spürbar auf die eigenen Füße fällt. Daß besonders in Deutschland dieser rechthaberische Infantilismus so um sich greifen kann, hat übrigens Geschichte: Schon Georg Christoph Lichtenberg klagt um 1770, daß wohl nirgendwo als in Deutschland man den Kindern beibringt, die Nase zu rümpfen, bevor sie imstande sind, sie zu putzen… Auf die Einlassung eines Zeitungsredakteurs, uns Schülern der Sechziger Jahre hätte man nur Nutzloses in der Schule eingetrichtert, antwortete ich einmal: “Stimmt! Denn unsere Lehrer versuchten, uns auf ein Leben als erwachsene Menschen vorzubereiten, indessen wir unsere eigene Pubertät zur Leitkultur erhoben haben.” (Uns machte übrigens der Kunstlehrer mit Schiele bekannt, und der Deutsch- und Geschichtslehrer ließ uns Traklgedichte lernen. Derselbe übrigens, der ausführlich Geschichte, Taten und Folgen des Nationalsozialismus behandelte und 1965 mit uns nach Israel fuhr. Hier punktgenau versagt die Bildungspolitik bei sämtlichen Parteien: Die SPD, deren Urgroßväter sich um Arbeiterbildung hochverdient gemacht hat und die wie ihre Schwesterpartei CDU glaubt, mit mehr Geld für Schulhausrenovierungen werde das Niveau verbessert; die FDP, die längst ihrer mittelständischen Klientel ein Alternativmodell zur leistungsfeindlichen Schulpraxis vorgelegt haben müßte; die Grünen fallen beim Bildungsthema aus dem Diskurs, denn sie sind die Hauptadressaten. In ihrem Gesellschaftsbild finden sich sämtliche Malaisen der verfehlten Bildungs- und Kulturpolitik der letzten dreißig Jahre: Gesamtschule, Inklusion, Leistungsnivellierung durch Orientierung am Schwächsten, Autoritätsverlust und Gewaltbereitschaft durch Ponyhofmentalität statt Liebe und Zurechtweisung etc. Dazu eifriges Beklatschen einer selbsternannten Menschheitsverschlimmbesserung durch “Gender”-Politik, d.i. Schlenderphilosophie vom Kindergarten an. Die solchermaßen danebengegangene Bildungspolitik hatte das allmähliche Durchdringen sämtlicher Kulturbereiche zur Folge, also Schere in den Köpfen von Kulturpolitikern, Lehrern, Feuilleton, Rezension und - halt, gerade wollte ich “Theater” hinzusetzen, aber hier vollzieht sich die Unterordnung unter das Diktat der Einfalt in besonderer Weise: im dicken Programmheft gebildete Prescription des Guten und Gerechten, auf der Bühne Destruktivität, klamottierende Verfremdung und Fäkalsprache und -gebaren als guter Ton. Der gute, alte “Tabubruch” erfordert hier soviel Mut wie Schuhplattln im Trachtenverein, aber, wehe es verläßt einer den heiliggesprochenen Weg der “Dekonstruktion”. Zum ersten Mal in der Kulturgeschichte läuft die “Avantgarde” dem Zeitgeist hinterher, - ein lächerlicher, aber gefährlicher Vorgang. Wir brauchen eine Kultur-Reform im Sinne des Wortes: Wiederherstellung der Form, und zwar der Form der Geistesfreiheit.
Mir kommt das Wort “Wahnsinn” über die Lippen. Ich schüttele den Kopf, kann nicht begreifen was aus uns geworden ist. Das Denken vernebelt, von Stolz keine Spur, nur kriecherische Duckmäuserei und das alles wofür?
Ja, die Kunst sei rein wie einst das Jesulein.
Vielen Dank für den Text! Natürlich mag es so wirken, als würde hier in einer Art des vorauseilenden Gehorsams der zu erwartenden Kritik durch feministische Umtriebler vorgebeugt. Vielleicht ist dies auch so. Ich mag Schiele sehr, dennoch könnte ich es verstehen, wenn sich der eine oder andere von großflächigen Plakaten provoziert fühlte. Kunst ist halt Kunst, und nicht jeder mag alle Spielarten. Ich sehe also in den “zensierten” Plakaten kein sonderliches Problem. Wer Schiele schätzt, sieht es und fährt nach Wien, weiß also, was sich unter den “Bannern der Tugend” verbirgt. Viel wichtiger ist es doch, dass diese Ausstellung stattfindet und beworben wird! Das Pendel des Zeitgeistes schwingt immer hin und her und bringt an seinen Extrempunkten viel Seltsames zu Tage. Aber solange es in Bewegung bleibt, schwingt es auch wieder in die Gegenrichtung. Richtig schlimm wäre es, wenn es am seinem Scheitelpunkt verharrte und stehen bliebe. Dann hätten wir weder was zu lachen noch zu meckern. Ach übrigens, Georg Trakl kann bei Interesse sehr schön im Projekt Gutenberg nachgelesen werden…
Ja, es ist schon schizophren: Schöne Frauen in Dessous als Plakat in der Öffentlichkeit sind sexistisch, Pornographie ist Ausbeutung von Frauen und eine offene Vulva auf einem Plakat über eine Egon-Schiele-Ausstellung wird mit Zensurbalken versehen. Josef Filsers Briefwexel: Die Malerei ist schon eine Kunst, aber bloß bis zum Nabel…“ Andererseits geht es mir mit der bildenden Kunst der sog. Moderne, wie mit des Kaisers neuen Kleidern. Der Künstler ist 100 Jahre tot und ganz viele Kunsthistoriker und sonstige Experten, nicht zu vergessen die Szene der Mäzene, Sammler und Kenner erklärt dessen Werke für bahnbrechend, Tabubruch, große Kunst. Wie leicht diese Szene über den Löffel zu balbieren ist, habe ich mit nicht geringer Schadenfreude am Fall Beltracchi verfolgt. Die „originalen“ Werke dieses Künstlers, soweit im Fernsehen gezeigt, machen mich wieder eher depressiv. Darf ich manche dieser Exponate nicht auch einfach mal traurig, eklig, pottenhässlich finden? Sind wir zu wenige, die sich getrauen, dies einfach mal auszusprechen? Zum Trost gibt es ja die herrlich schrägen Postkartenmotive im „Antidespressivum“ zum Sonntag, für die ich Herrn Bechlenberg heute leider nicht danken kann, da „die 24h verstrichen sind“.
Könnte Michelangelo heute noch seine Statuen “David”, “Morgenrot” und “Die Nacht” machen? Es sind ja Nachtbilder von idealisierten Körpern, die von denen sich Männer bzw. Frauen mit nicht perfekten Körpern diskriminiert fühlen könnten.
Danke für diesen einfühlsamen Artikel über Trakl und Schiele an einem tristen Sonntagmorgen in einem noch tristeren Deutschland!
Eine ähnliche Auseinandersetzung um Parthenophilie gab es auch schon im Sommer 2010, als Sprengel-Museum in Hannover Mädchenakte der “Brücke”-Expressionisten Kirchner, Heckel und Pechstein zeigte (HAZ vom 27.08.2010). Man darf sich allerdings schon fragen, wo die Grenzen der Kunst sind. Pädophilie war auch schon vor 100 Jahren strafbar, und nicht zu Unrecht sind wir heute (noch?) gegen Kinderehen.
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