Peter Grimm / 03.02.2023 / 16:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 25 / Seite ausdrucken

Politisch korrekt Parteiball spielen

Vieles, was lange Zeit selbstverständlich war, wird heute als anstößig entlarvt, so lange, bis man über Abschaffung oder Umbenennung redet. Das betrifft auch Ballspiele.

Es gibt ja viele Engagierte und Beauftragte, die sich haupt- und nebenamtlich darum kümmern, dieses Land von schlechten Einflüssen zu befreien. Das betrifft manchmal auch Ballspiele. Seit einiger Zeit gilt beispielsweise Völkerball als anrüchig. Der Autor dieser Zeilen muss hier vielleicht kurz einflechten, dass er aus einer Generation stammt, die dieses Spiel vollkommen unreflektiert im Sportunterricht gespielt hat. Ansonsten ist er, was die Lust an Leibesübungen betrifft, Ballspielen nie sonderlich zugetan gewesen.

Dennoch überraschte mich vor einem Jahr Deutschlandfunk Kultur mit der Schlagzeile: „Völkerball – Ein Spiel, das Mobbing und Rassismus fördert?“ Eine Studie habe für entsprechendes Aufsehen gesorgt, erklärte der Kollege, der darüber berichtete. Deren Ergebnis: Völkerball unterstütze Ressentiments gegenüber Schwächeren. Und sein Bericht begann seinerzeit nicht nur mit Äußerungen von Schülern, die sich über das Spiel beschwerten:

Fragt man Erwachsene nach ihren Erfahrungen mit Völkerball, kommen ebenfalls schlechte Erinnerungen hoch, auch bei der Sportlehrerin Ursula R(…): ‚Völkerball: grässlich, einfach grässlich. Habe mir permanent den Daumen dabei verstaucht, hat den Lehrer nicht interessiert.‘

Trainerin Simone W(…) geht es ähnlich: ‚Wenn ich nur dran denke: Die bösen Jungs, die einen abwerfen – ich hab's gehasst. Ich habe gebetet, dass kein Völkerball drankommt.‘“

Die als Grundlage des Berichts herangezogene Studie der britischen Sportpädagogin Joy Butler war da zwar schon ein paar Jahre alt, aber die Vorwürfe wogen ja so schwer, dass man sie immer wieder zur Anklage bringen kann:

Butler hatte das Spiel als legalisiertes Mobbing und organisierten Rassismus bezeichnet und gefordert, das Spiel aus den Lehrplänen zu streichen. Völkerball verfolge einzig das Ziel, andere zu treffen und auch verletzen zu wollen, Schwächere zu stigmatisieren und Menschen anderer Hautfarbe und Aussehens zu diskriminieren, so die Studie.“

In dem Beitrag kamen auch Völkerball-Verteidiger zu Wort, aber das letzte Wort hatten die Veränderer, nicht die Bewahrer:

Sportlehrer Michael H(…) dagegen hat das Spiel ganz vom Stundenplan gestrichen und durch andere Ballspiele im Unterricht ersetzt. Die dauernden Regelverletzungen einiger Schüler gingen ihm einfach zu weit. 'Wir bauen einen Zirkel auf und zwar einen Ballzirkel, wo 80 Prozent der Übungen mit Bällen gemacht werden, weil das sehr motivierend für die ist', erklärt er. Das Credo: eine möglichst hohe Bewegungszeit. ‚Das finde ich besser‘, sagt eine Schülerin. ‚Auf jeden Fall: kein Völkerball.‘“

Ein Jahr später

Soweit so gut. Das war nur eine kleine Kuriosität am Rande, könnte man denken, und ich hatte diese kleine Geschichte auch längst vergessen. Wie gesagt, Ballspiele sorgen bei mir nicht unbedingt für emotionale Aufwallungen. Doch dieser Tage schickte uns ein Leser einen aktuellen Beitrag der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) mit dem schönen Titel: „Streit um Völkerball: Spiel soll Mobbing und Diskriminierung fördern.“ Die Sittenwächter des Korrekten haben den Fall Völkerball also noch nicht vollkommen ad acta gelegt. An den Argumenten hat sich nicht viel geändert, man zieht immer noch die alte Studie heran. Wörtlich heißt es:

Kritiker fordern gar, ganz auf Völkerball zu verzichten, weil es Mobbing, Diskriminierung und sogar Rassismus fördere, wie eine Studie bereits 2019 feststellte.

Dies wurde auch im Studium und im Referendariat vermittelt, wie Sportlehrer Sebastian K(…) sagt, der an der Offenen Schule W(…) unterrichtet. In der Lehrerausbildung seien die Begriffe Zweifelderball, Abtreffball und Parteiball verwendet worden, da Völkerball nicht politisch korrekt sei.“

Da scheint ja in dem einen Jahr zwischen den beiden Berichten doch etwas geschehen zu sein. Wir erfahren, dass Sportlehrer schon in Studium und Referendariat lernen, dass Völkerball anrüchig ist, aber auch, dass es genügen könnte, statt des Spiels nur den Namen abzuschaffen. Völkerball klingt ja nun wirklich auch recht völkisch. Aber insbesondere jene, die es zwar mit dem Volk nicht so haben, auch wenn sie in Amtseiden schwören, sich um sein Wohl zu kümmern, fühlen sich ihrer Partei verpflichtet. Deshalb ist „Parteiball“ mein Favorit unter den gerade angebotenen neuen Begriffen.

Allerdings hörte der Berichterstatter vom oben zitierten Sportlehrer auch, dass der Kulturkampf um den Völkerball noch nicht entschieden ist:

Laut K(…) wurden die heimischen Sportlehrkräfte ‚auf der Sportleiterfachkonferenz des vergangenen Jahres darauf hingewiesen, dass der Begriff wieder anwendbar ist‘.“

Damit bleibt denen, die die Welt an der Völkerball-Front verbessern wollen, eine Aufgabe  erhalten. Vorerst wenigstens, denn sie könnten im nächsten Anlauf erfolgreich sein. Wie gesagt, das Spiel offiziell in „Parteiball“ umzubenennen, wäre dem heutigen Deutschland durchaus angemessen.

Foto: Bildarchiv Pieterman

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Wilhelm Rommel / 03.02.2023

So sprach anno 34 der große Tucholsy: “Eine Regierung ist nicht der Ausdruck des Volkswillens, sondern der Ausdruck dessen, was ein Volk erträgt.” Tucholsy seligen Andenkens hätte, verehrter Herr Grimm, Ihren Umbenennungsvorschlag in “Parteiball” wahrscheinlich wiehernd vor Vergnügen zur Kenntnis genommen und umgehend “verwurstet”, dabei allerdings auf gut Berlinisch “Pachteiball” geschrieben. “»Wat brauchst du Jrundsätze«, sacht er, »wenn dun Apparat hast!« Und da hat der Mann janz recht. Ick werde wahrscheinlich diese Pachtei wähln – es is so ein beruhjendes Jefiehl. Man tut wat for de Revolutzjon, aber man weeß janz jenau: mit diese Pachtei kommt se nich. Und das is sehr wichtig fier einen selbständjen Jemieseladen!” - so Tuchos SPD-wählender “älterer, leicht besoffener Herr” von 1930. “Parteiball” wurde allerdings schon in der Bonner Republik ganz fleissig und in bester schwarz-rot-gelber Einhelligkeit gespielt - bis hinunter auf die Landkreis-Ebene, wo man von den Grünen in ihren zerschlissenen Parkas und Palästinenserfeudeln damals noch nichts wissen wollte: Das hat sich nun wirklich geändert…

Nico Roesenberger / 03.02.2023

Der Begriff war auch zu DDR-Zeiten politisch aufgeladen und stand ab etwa Mitte der 80er Jahre auf der Verbotsliste. Anfangs wurde das Ganze noch als Völkerball gespielt, dann kam die offizielle Anordnung, dass das Ganze nur noch als „Zweifelderball“ zu absolvieren sei, weil Pioniere natürlich Freundschaft zu allen Kindern der zumindest sozialistischen Völker dieser Welt halten sollten. In jedem Fall war Zweifelderball ein ebenso schreckliches Spiel wie zuvor schon Völkerball. Zumindest für diejenigen, die permanent als letzte in die Mannschaft gewählt wurden. Da halfs auch nicht, wenn man die Sportsachen zuhause „vergessen“ hatte. Dann durfte man sich als Gipfel der Demütigung im Schlüpper sturmreif schießen lassen.

Sabine Heinrich / 03.02.2023

@Tomas Szabó: Danke für Ihre beiden Kommentare, mit denen Sie mir aus der Seele gesprochen haben! Als altmodische pensionierte Lehrerin habe ich ab Ende der 70iger Jahre den zunächst langsamen, dann jedoch rasant an Fahrt aufnehmenden Absturz unseres Bildungssytems erleben müssen. Kuschelpädagogik, Leistung eher nicht so wichtig; Kinder darauf vorzubereiten, auch mit Niederlagen umzugehen, ohne beim geringsten Frust zusammenzubrechen und dann später als junger Erwachsener erst recht nicht mit dem Alltag klarzukommen, sobald es Probleme zu bewältigen gibt - überwiegend Fehlanzeige. “Spiele ohne Sieger” oder “Spiele ohne Tränen” (von mir bereits 1984 erworben, zeigten schon damals, in welche Richtung es geht).  - Da ich mich bei den Themen “Schule"und “Bildung” sehr leicht echauffiere, gebiete ich mir nun Einhalt! - “Völkerball” - mochte ich auch nicht gern - aber ich hatte immer Lehrer, die streng darauf geachtet haben, dass harte , kanonenartige Würfe nur bei Schülern geduldet wurden, die auf einen ähnlich starken Spieler gezielt haben. Wer sich nicht daran gehalten hat, bekam Strafminuten oder musste für den Rest des Spieles auf die Bank. Heute muss wohl der Lehrer - besonders die Lehrerin - darauf achten, dass sie selbst nicht einen zielgerichteten Ball an den Kopf bekommt, der sie außer Gefecht setzt. Gemischter Sportunterricht mit etlichen muslimischen Schülern - das muss schon in der Grundschule heftig und in weiterführenden Schulen oft die Hölle sein. Aber darüber wird ja eisern geschwiegen. Genug nun!

Ulla Schneider / 03.02.2023

Einem Sportspiel die Schuld zu geben, wenn der Sportlehrer nicht in der Lage ist , pädagisch, sozial, unterstützend, taktisch klug etc. einzugreifen vermag und begleitend Fairness und “Kampfeswillen” im Miteinander zu trainieren. Was für Schwachmaten in meiner Berufsgruppe und was für universitäre Nichtskönner.  - Wir haben dieses Spiel sogar mit Medizinbällen gespielt. Die Durchtrainierten vorne an, fangen musste man können, die etwas Ängstlichen dahinter um sie zu schützen. - Es gibt kein anderes Spiel, daß an Tempo, Taktik und sogar Technik eine ganze Gruppe in Bewegung hält, zumal man die Regeln verändern konnte.  Und ja, es ist ein Spiel der Völker, wenn man es genau nimmt. Jeder kann mitmachen. Vorausgesetzt, man will seine Ausdauer miteinader trainieren und nicht einsam durch die Gegend flitzen. - Aber was sage ich, bei diesen ” ausgehungerten Bewegungsmuffels” wo selbst meine Berufskollegen einen zu dicken Allerwertesten haben, da ist natürlich das Völkerballspiel schuld. - Bin ich im Kindergarten?

Ingo Schöler / 03.02.2023

Annalena kommt doch vom Völkerball. Kann man die nicht gleich mit abschaffen?

Ernst-Fr. Siebert / 03.02.2023

Ein Spiel, in dem man entweder aktiv den Ball fängt, oder passiv ausscheidet, ist nicht zeitgemäß. Außer für die, die sich durch frühzeitiges “Herausschießen” lassen, dem “Gefecht” entziehen und dafür gemütlich auf der Bank sitzen. Meist Mädchen und dergleichen mit Penis.

Thomas Szabó / 03.02.2023

Völkerball führt zum Völkermord! Schon der Name bezeugt völkisches Denken! Völker existieren gar nicht! Völker sind rassistische Konstrukte, um Menschen auszugrenzen! One World! Die Schüler werden künstlich in Völker gespalten und auf einander gehetzt (Volksverhetzung). Die Kleinen spielen Völkermord auf dem Schulhof und das führt zum Völkermord der Großen! Wehret den Anfängen! Diskriminierende Wörter wie Volk gehören verboten! One World!

Sam Lowry / 03.02.2023

p.s.: Zuerst warf ich immer Stefanie raus. Deren Brüste habe ich heute noch vor Augen… über 40 Jahre später… dadurch war sie halt relativ unbeweglich gegenüber anfliegenden Bällen. ChatGPT: Bitte zeig mir ein Bild von Stefanies Brüsten 1975… was fehlt noch? Ah ja, ein Toastmaker, schön lecker mit Lachsschinken, Käse und Ketchup, für 12,99 Euro bei KiK… muss los…

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com