Annette Heinisch / 17.08.2024 / 16:00 / 13 / Seite ausdrucken

Politik mit Schönheit

Viele regierende Politiker fürchten sich derzeit vor Wahlen und hoffen, sie hinter einer Brandmauer zu überstehen. In einer Stadt im Großraum von Paris sorgte ein Bürgermeister lieber dafür, dass sich die Bürger wieder wohlfühlen.

Liebe Politiker, wollt ihr gerne wiedergewählt werden? Dann habe ich einen guten Rat, macht es wie Philippe Pemezec, Bürgermeister von Le Plessis-Robinson, der seit 1989 im Amt ist, wieder gewählt 2023. Das ist eine wirklich lange Zeit! Was macht ihn so beliebt?

Es ist kein Wunder, sondern eigentlich ganz einfach: Er machte die kleine Stadt schön, schuf ein bezauberndes, menschliches und lebenswertes Umfeld für die Bürger der Stadt am Rande von Paris. Eigentlich war diese auf dem Wege, eines der berüchtigten „banlieues“ von Paris zu werden. Der Ort war hässlich, die üblichen „modernen“ Betonklötze der Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts säumten die Straßen, dabei war alles ziemlich heruntergekommen. Verfall prägte das Stadtbild. Zwei Drittel der Häuser waren in einem schlechten Zustand, die öffentlichen Plätze vermüllt, die Kriminalitätsrate hoch. 1989 war Le Plessis-Robinson dabei, einer der problematischsten Banlieues im Großraum Paris zu werden.

Dann wurde Pemezec zum Bürgermeister gewählt. Er machte sich zusammen mit dem Architekten Francois Spoerry auf, die Stadt umzugestalten, im klassisch-französischem Sinne „schön“ zu machen. Wenn man durch den Ort geht, so sieht er heute aus, wie man sich die typische französische Stadt vorstellt, mit charmanten Kandelabern statt hässlichen Laternen, hinreißenden Häusern der sogenannten „sanften Architektur“ mit teils reichen Ornamenten und verzierten Balkonen, viel Grün und Wasser, bunten Blumen: ein Ort, an dem sich jeder Franzose (und wohl auch jeder Deutsche) wohlfühlt. Wer sich ein Bild von der Verwandlung von einem grauen, heruntergekommenen Vorort zu der charmanten, lebenswerten Kleinstadt heute machen will, kann dieses hier tun.

Ein solches Projekt bedarf langfristiges Denken

In anderen Beiträgen habe ich bereits meinen ausgeprägten Hang zur Architektur offenbart. Architektur ist aber kein Selbstzweck: Nicht nur, dass die Umgebung Menschen beeinflusst – umgekehrt zeigt Architektur auch, was Architekten und Stadtplaner von ihren Mitmenschen halten. Wollen sie eine Behausung für den „neuen Menschen“ bauen, Altes zerstören, um ihn besser (um)erziehen und in ein politisches Raster pressen zu können, oder schätzen sie Menschen in all ihren Facetten? Sollen Menschen einfach nur „untergebracht“ werden, oder soll eine lebens- und liebenswerte Welt entstehen? Ob man seine Mitmenschen als Bauern im Schachspiel sieht, die man nach Belieben verschiebt oder aber ob man sie ehrlich wertschätzt, all das erkennt man in der Architektur. 

Eine der Lektionen, die in Le Plessis-Robinson gelernt wurden, ist, dass ein solches Projekt langfristigen Denkens bedarf. Nicht der schnelle Gewinn oder die nächste Wahl sind entscheidend, sondern so etwas entsteht nur über einen längeren Zeitraum mit Geduld und Beharrlichkeit. Ebenfalls wichtig: Man muss „skin in the game“ haben. Wer einfach irgendwo lebt oder sonst wegzieht, hat niemals diese Bindung und das Verantwortungsgefühl, welches dafür nötig ist. U.a. deshalb wurden dort viele Wohnungen den Bürgern zum Kauf angeboten. Dies gilt auch für Sozialwohnungen, die zu einem Sonderpreis von den Bewohnern erworben werden konnten, 80 Prozent von ihnen nahmen das Angebot an.

Ein weiterer Aspekt ist, dass die „Blockarchitektur“ aufgehoben und sehr klar definiert wurde, welche Bereiche öffentlich und welche privat sind. Bei großen Wohnblocks gibt es große Areale um die Häuser herum, die halb öffentlich sind, was heißt: Keiner fühlt sich so wirklich dafür zuständig oder verantwortlich. Also verwahrlosen sie. Das ist in Le Plessis-Robinson nicht der Fall, hier sind die Verantwortlichkeiten klar festgelegt. Dass auch sozialer Wohnungsbau schön sein kann, zeigt der Ort anschaulich. Von außen lassen sich in keiner Weise die Unterschiede zwischen sozialem und freiem Wohnungsbau erkennen. 

Schönheit richtet einen auf, inspiriert und gibt Hoffnung

Die vielleicht wichtigste Lektion ist: „Beauty does matter“, so heißt es im Video. Natürlich ist Schönheit wichtig, sie macht einen entscheidenden Unterschied. Für den Bürgermeister war das selbstverständlich, er fing zunächst an, ganz einfach viele Blumen zu pflanzen. Die transformative Kraft der Schönheit führte dann zu weiterreichenden Änderungen im Stadtbild und vor allem im Selbstverständnis der Menschen, die dort wohnen. Die Bürger wurden achtsamer, die Bindung an den Ort stieg, sie identifizierten sich mit der schönen Umgebung, es siedelten sich mehr Geschäfte an, der Aufschwung nahm seinen Lauf.

Le Plessis-Robinson hat wieder eine Seele. Und es gibt eine Einsicht in dem Video, die man gar nicht oft genug wiederholen kann: „Schönheit und Menschenwürde gehen Hand in Hand. Menschen, die keine Wahl haben, zu zwingen, in hässlichen Betonschachteln zu leben, ist unethisch. Denn Schönheit richtet einen auf, inspiriert und gibt Hoffnung. Und das verdient jeder.“

Die Wertschätzung, die der Bürgermeister seinen Bürgern, auch den Ärmsten unter ihnen, entgegenbrachte, wurde von ihnen erwidert. „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“ So ganz anders als die Art, mit der wir Bürger oft von Politikern beschimpft und diffamiert werden, oder?

 

Annette Heinisch, Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank- und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht. Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.

Foto: Guy Courtois CC BY-SA 4.0, Link

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Leserpost

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L. Limbus / 17.08.2024

Es ist ja nicht so, dass dieses Architekturverständnis eine Innovation der 20er Jahre dieses Jahrhunderts wäre. Siehe die “Wohnschlösser” eines Ricardo Bofill, oder die Bewegung der “Analogen Architektur” - beides aus den kreativen 80ern. Viel eher zeigt die Bereitschaft zur Durchsetzung solcher Projekte heute, dass es die politische Landschaft ist, welche sich im Wandel befindet. Türen gehen auf.

Sam Lowry / 17.08.2024

Ich kenne einen Architekten, der baut kubische Betonklötze mit viel zu kleinen Fenstern. Sogar an seinem eigenen Haus sind die Hecken kubenförmig. Wächst Natur in Würfelform? Das Geschäft scheint jedenfalls sehr gut zu laufen für diese Art von Häusern. Irgendetwas ist kaputt in den Birnen… das Licht ist aus…

Eva Mieslinger / 17.08.2024

Danke für das Video. Auf dem YouTube-Kanal finden sich noch weitere spannende Videos. Der Autor scheint mir definitiv kein Angeber zu sein - er fordert die Zuschauer sogar zu Kritik auf. Und er liefert weitergehende Informationen - z.B. wo Architektur gelehrt wird, bei der die klassischen Skills und eine andere Herangehensweise unterrichtet wird. Sehr verständlich sein Bedauern, dass er im Studium keine solche Möglichkeit hatte. Umso besser seine Initiative, interessierte Individuen zu vernetzen.

Christel Beltermann / 17.08.2024

Der Mensch braucht Schönheit, Futter und Balsam für die Seele und die Phantasie. Wenn marxistische, menschenfeindliche Gleichmacher das anders sehen, soll das ihr alleiniges Problem bleiben. Wer Grau liebt und kaum Blumen mag, ist seelisch nicht ganz gesund.

Barbara Strauch / 17.08.2024

Man traut seinen Augen nicht. Unglaublich, in Deutschland undenkbar. Hier gilt immer noch das Motto der Bauhäusler, daß “Ornament ein Verbrechen” sei. Man denke nur an den Kampf um die Berliner Innenstadt nach dem Mauerfall, wobei der aus Lübeck importierte Stadtbaumeister das Schlimmste zu verhindern suchte (mit seiner “Traufhöhe”, die heftig bekämpft wurde). Teile der “modernisierten” Mitte bewegen sich schon wieder in Richtung Slum (Sony-Center). Das Stadtschloß, schamhaft Humboldt-Forum genannt, ist allein einer grandiosen Privatinitiative zu verdanken. Danke für das ermutigende Beispiel in Le Plessis-Robinson!

M. Corvinus / 17.08.2024

Sie haben absolut recht! Es ist alles nur eine Frage des Willens. Warum z.B. ist Paris so schön? Weil Haussmann einen Plan hatte und dieser von den Investoren zu befolgen war. So wohl auch die Ringstraße in Wien. Wenn man als Kommune natürlich nur die Grundstücke möglichst teuer verticken will und dafür auf gestalterische Auflagen verzichtet, darf man sich nicht über das Aussehen unserer Städte wundern. Überall nur noch seelenlose Neubauprojekte, ja ganze Stadtteile mit dem Charme einer Lidl-Filiale: Kubischer Geschossbau in beige und anthrazit, mit viel Glas und Metall.  +++  Dass es auch anders geht bewies Georg Winter 2014 in Hamburg-Eimsbüttel: Er baute eine Stadtvilla im Passivhaus-Standard nach historischem Vorbild. Die Baukosten lagen lediglich 10 % über denen eines konventionellen Passivhauses (Hamburger Abendblatt vom 27.08.2014 - inzwischen leider hinter PayWall).  Das ist für einen heutigen Investor natürlich eine üble Zumutung. Aber an einem solchen Objekt werden auch in 200 Jahren Menschen noch gerne wohnen wollen und sich die Betrachter erfreuen. Ob das dann noch Autochthone sein werden, wage ich allerdings zu bezweifeln ...

Helmut Driesel / 17.08.2024

  Urbane Schönheit kann nur entstehen, wenn die Bürger selber ihre Phantasie, Zeit, Arbeit und Geduld,  aber auch ihre Mittel einbringen. Das kann man nicht per Dienstleistung buchen. Dafür braucht man einen Grad von Verständnis, der entweder da ist oder fehlt. Also ich bin immer belächelt worden, wenn ich bei Gelegenheit gestand, dass ich mich gerne mit dem Thema Idylle beschäftige. Aber es gibt gewiss auch Harmonie und Schönheit abseits jeder Idylle oder Romantik. Viel leichter finden Sie heute einen Bürgermeister oder Stadtrat, der bereit ist 200000E für eine unter jedem Niveau gestaltete Grünanlage auszugeben. Es werden für tausende Euro Bäume gepflanzt, die dann im größten Hitzesommer aller Zeiten nicht gegossen oder sogar beim nächsten Rasenschnitt mit der Motorsense entrindet werden. Ich meine, es sieht überall so aus, wie es die Leute gut finden. Und das sagt auch immer etwas über die Leute aus, die dort wohnen. Das kann man nicht herabwürdigen. Letztlich haben alle Menschen auch das Recht, dass ihnen solche Sachen egal sein dürfen.

T.S. Schmidt / 17.08.2024

Ich habe mir das Video angeschaut, bin aber sehr skeptisch über die Schlussfolgerungen von diesem belehrenden YouTube-Helden, der dieses Video wohl oberflächlich( mit generischen Filmschnipseln) aus der Distanz zusammengeschnitten hat, ohne lokale Interviews oder die Meinung von Kritikern. Man darf nicht vergessen, dass die sozialen Projekte der Vergangenheit ja auch meist durchaus gut gemeint waren, von fähigen Leuten geplant und auch nicht initial hässlich umgesetzt wurden. Die neuen Wohnungen waren normalerweise moderner, z.B. mit Bad und Aufzug, und die Anlagen waren zunächst gepflegt. Ich war noch in den 80ern zu Besuch in F bei Familien in Altbauwohnungen mit ganz niedrigen Standards. Viele Leute haben damals gerne in den neuen Banlieus gewohnt, lieber als unterm Dach im Marais. Die Situation in den Banlieus verschlechterte sich dann aus den bekannten wirtschaftflichen und sozialen Gründen. Ich interessiere mich nebenbei seit langem für Architektur und Städtebau. Da gibt es Prima Konzepte, die irgendwo isolliert super funktionieren und dann einen Preis bekommen. Die Nachahmung an anderen Orten klappt normalerweise nicht und weiterreichende gesellschaftliche Probleme wurden mit guter Architektur wahrscheinlich noch nie behoben.

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