Annette Heinisch / 31.01.2022 / 16:00 / Foto: achgut.com / 40 / Seite ausdrucken

Politik in Deutschland: Einheit der Vielfalt

Heute werden die Verantwortlichen nicht nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ausgewählt, sondern nach Parteibuch, Geschlecht oder Herkunft. Logische Folge: Inflation der Inkompetenten und damit Staatsversagen.

In einem einzigartigen Wutanfall hat der Chefredakteur der WELT, Ulf Poschardt, unter der Überschrift „Willkommen in der Bundesclownsrepublik Deutschland“ schonungslos mit der Ampel-Politik abgerechnet. Dabei trifft er offenbar die Stimmung der Leser. Die Zusammenfassung des leider hinter der Bezahlschranke verborgenen Artikels lautet:

„Ob Ukrainekrise, Energiewende oder die unsägliche Corona-Politik: Die Ampel-Koalition lässt keine Chance aus, Deutschland auf groteske Sonderwege zu führen. Die Fixsterne dabei: moralischer Hochmut, Feigheit und Bequemlichkeit. Wir Deutschen sind ein schlechter Witz geworden.“

Der deutsche Sonderling ist ein unendliches Thema. Neben den völligen Absurditäten der Corona- und Energiepolitik hat Poschardt das grundlegende Problem anhand eines sehr wesentlichen Politikbereichs prägnant formuliert:

„Die europäische Sicherheitsarchitektur bricht auseinander. Auch weil die Deutschen es vergeigt haben. Wie so oft verhindert die Neigung zur Selbstbeschäftigung, das Drehen in eitlen Selbstbefriedigungsschleifen das Vermögen, überhaupt zu sehen, wo wir eigentlich stehen. Wie ehrgeizig und fleißig wir sein müssten, wie mutig und verantwortungsbereit. Die Moralliturgie in den meisten Medien feiert die Sonntagsreden der Politik, anstatt sie auseinanderzunehmen.“

Dieser eine Absatz stellt komprimiert die derzeitige Situation dar. Ergänzend hat Dr. Gunter Frank in einem Interview auf die Kompetenz-Entkernung unserer Institutionen hingewiesen. Kein Wunder, wenn die Verantwortlichen nicht nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ausgewählt werden, sondern nach Parteibuch, Geschlecht oder Herkunft. Zwar ist das Prinzip der Bestenauslese, jedenfalls für Beamte, im Grundgesetz verankert, konkret in Art. 33 Abs. 2 GG, nur scheint das Grundgesetz nicht mehr der feste Anker unseres Staates zu sein. Wenn aber Qualifikation nicht entscheidet, dann ist die Inflation der Inkompetenten und damit das Versagen des Staates die logisch absehbare Folge.

Der mündige Bürger als Schreckgespenst

Fehlendes Können wird naturgemäß nicht eingeräumt, sondern übertüncht durch schöne Worte und angeblich hochstehende Moral. Das funktioniert unter anderem deshalb, weil die Medien ihrer Aufgabe als kritischer Beobachter nur ungenügend nachkommen. Natürlich ist es ein Problem, wenn diese oft eher als Marketingabteilung der Politik wahrgenommen werden, insoweit ist die Selbstkritik Poschardts richtig. Das ist es aber nicht allein.

Ein weiterer Aspekt ist, dass die Beeinflussung nicht nur der Erwachsenen, sondern schon der Kinder in Bildungseinrichtungen sehr stark und oft einseitig ist. Die Bildung ist in der Hand der Politik, ein fataler Fehler, wie ich finde. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu freiheitsliebenderen Ländern wie z.B. dem Vereinigten Königreich. Diese Weichenstellung ist wechselwirkend: Da die Briten freiheitsliebender sind, haben die Eltern bezüglich der Bildung ihrer Kinder mehr Wahlmöglichkeiten. Da sie mehr Wahlmöglichkeiten haben und dadurch geübter sind, mit Freiräumen umzugehen, sind sie freiheitsliebender. In Deutschland scheint jedoch die Vision des mündigen, eigenverantwortlichen Staatsbürgers mitnichten das Ideal der Politik zu sein, eher das Schreckgespenst.

Ein weiteres, ganz grundlegendes Problem ist die politische Einheit in Einfalt. Mittlerweile haben nahezu alle Parteien „Dreck am Stecken“, d.h. alle sitzen beim Vertuschen ihrer Fehler in einem Boot. Das aber bedeutet: Es gibt kein Rettungsboot für diejenigen, die das Sinken des Staatsschiffes bemerken.

Ursprünglich entsprach es konservativem Gedankengut, sich bei der Vergabe von Posten im Beamtenapparat an die Kriterien des Grundgesetzes zu halten. Demgegenüber waren sozialdemokratisch geführte Bundesländer bekannt für ihren „roten Filz“. Den Genossen gut bezahlte Posten im Staatsdienst zu verschaffen, wurde geradezu als Pflicht angesehen; es nicht zu tun, als ehrenrührig. „Man muss auch gönnen können“, hörte man dann oft – und eine Hand wusch die andere. Der Staatsrechtler und ehemalige Zweite Bürgermeister Hamburgs, Ingo von Münch, sagte einmal den schönen Satz: „Wo immer man in Hamburg hinfasst, man fasst in rote Grütze.“ (hier, leider hinter der Paywall).

Wer etwas kann, meidet die Politik wie der Teufel das Weihwasser

Das Netzwerk der Begünstigungen sollte damals, vor fast 25 Jahren, in einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden, allerdings unter Vorsitz der SPD. Der Erfolg war dementsprechend. Mittlerweile haben sich die anderen Parteien diesem Niveau angeglichen, der Staat ist zur Beute der Parteien verkommen. Das aber führt natürlich dazu, dass Menschen, die auf anständige Weise etwas leisten können, die Politik meiden wie der Teufel das Weihwasser. Der Mangel an fähigem Personal beschleunigt seinerseits den Abstieg, und zwar ganz unabhängig davon, welche Partei regiert.

Poschardt weist in seinem Artikel darauf hin, dass der vernunftbefreite Atomausstieg von einer schwarz-gelben Koalition zu verantworten ist. Man könnte hinzufügen, dass dies ebenso für die komplett misslungene Euro-Rettung gilt, deren Auswirkungen uns nun auf die Füße fallen. Ihrem Ruf als Umfaller-Partei werden die Liberalen trotz aller Bemühungen von Kubicki derzeit wieder bei der Frage der Impfpflicht gerecht.

Da aber alle Parteien gleichermaßen das Problem der Inkompetenz haben, können sie nur überleben, wenn sie zusammenhalten. Nur dann, wenn der Bürger keine andere Wahl hat, als zwischen den gleichermaßen Inkompetenten zu wählen, haben alle eine Überlebenschance. Die Demokratie wird dadurch zur Farce.

Beim Bürger entsteht der Eindruck, einer Einheitsfront gegenüberzustehen, einer Einheit der Einfalt. Dies führt zu dem Vergleich mit den „Blockparteien“.

Irrtum als geniales Meisterwerk der absurden Realität

Das aber beschleunigt den Vertrauensverlust der Bürger in die Politik. Ohne Vertrauen ist Führung nicht möglich, denn das Vertrauen ist die Brücke, über welche die Gefolgschaft führt. Zwang ist immer der ultimative Beweis des Führungsversagens. Der westliche Fortschritt beruht auf dem Grundsatz von Versuch und Irrtum. Dieser ist die Grundlage allen Lernens. Dass ein Versuch schiefgeht, ist kein Problem. Ein Problem entsteht erst dann, wenn man den Irrtum nicht erkennt oder nicht zugibt, sondern aus Eitelkeit und Inkompetenz sich dazu versteigt, den Irrtum als geniales Meisterwerk der absurden Realität zu verkaufen.

In den letzten Jahren oder sogar Jahrzehnten passierte genau das. Die Boten mit der Nachricht über den Irrtum wurden mundtot gemacht, um diesen zu vertuschen. Mehr und mehr ist das einst kennzeichnende Merkmal des Westens, nämlich das kritische Denken, als falsch und moralisch verwerflich gebrandmarkt worden. Das ist eine Folge der Inkompetenz, denn wer sich sachlichen Argumenten nicht gewachsen fühlt, muss einen rationalen Diskurs zwangsläufig mit moralisch-emotionaler Empörung unterdrücken. Ohne kritische Reflexion kann man aber keine Probleme lösen. Erst dann, wenn kritisches Denken nicht nur wieder salonfähig, sondern geradezu erwünscht ist, offene und ehrliche Debatten wieder möglich sind, besteht Hoffnung. Nur dann kann auch wieder Vertrauen entstehen, was wiederum die Grundlage der Führung in Freiheit ist. Vertrauen und Freiheit bedingen sich gegenseitig.

Poschardt schließt mit der Frage, wann Deutschland zur Besinnung kommt. Das wird erst dann passieren, wenn eine Partei dies begreift, das sinkende Schiff verlässt und den Bürgern ein Rettungsboot des rationalen, vernünftigen Denkens anbietet.

Man kann nur hoffen, dass dies bald geschieht.

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Joerg Machan / 31.01.2022

Ich schätze, dass die Mehrheit der Leser der Achse nicht die AfD gewählt hat. Die bekommen also das, was sie gewählt haben. Der Rest der Leser aber kennt doch die Problematik. Ihr Artikel kommt mir vor, wie ein Kommentar im Mercedesmagazin über die Unfähigkeit von VW gute Autos zu bauen. Geben Sie uns eine Perspektive und einen Schimmer von Hoffnung. Bitte.

F. Hoffmann / 31.01.2022

„Vielheit der Einfalt“ wäre für Rotgrüngelb auch zutreffend.

Helmut Bühler / 31.01.2022

Die Hoffnung des letzten Satzes teile ich nicht. Keine Partei wird ausscheren. Warum auch, es gibt ja schon eine Partei mit deutlich größerer Kompetenz, die aber nicht gewählt wird. Zwar merken tatsächlich viele Bürger, wieviel Blödheit uns regiert, das ändert aber leider nichts am tiefsitzenden Staatsvertrauen. Meine immer noch grün wählenden Freunde sind zwar genervt über die Inkompetenz, glauben aber immer noch ganz fest, dass unsere Politiker das Beste für uns wollen und vielleicht auch weiter schauen als wir. Das wird sich nicht ändern, ehe nicht alles zusammenbricht. Im Übrigen fürchte ich, dass wir jetzt schon den Point of no Return überschritten haben, also schon unumkehrbar am Zusammenbrechen sind. Oder glaubt jemand ernsthaft, nur so als Beispiel, dass die vielen hundert vergammelten Autobahnbrücken erfolgreich saniert werden? Wer soll das denn machen? Wir haben weder die planerische noch die logistische Kompetenz, dafür aber an die 300 Genderlehrstühle mit ebenso vielen lebenslangen Professoren. Dafür wurden Ingenieurswissenschaften, Pharma und Informatik zur Ader gelassen und, schlimmer noch, zusätzlich mit unfähigen Quotenweibern befüllt. Nein, Schland hat fertig, egal, was wir jetzt noch tun.

Fred Burig / 31.01.2022

Sehr geehrte Annette Heinisch, ihre Überschrift: “Heute werden die Verantwortlichen nicht nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ausgewählt, sondern nach Parteibuch,” ist ein alt bekanntes politisches Ritual aus “Kommunisten- Zeiten”. Man kann nur hoffen, dass es in gleicher Weise wieder überwunden wird, wie damals in der DDR nach der Wende - diesmal aber samt allen Wurzeln! MfG

Marcel Seiler / 31.01.2022

Richtig. Während es früher Honoratioren gab, die es auf sich nahmen, sich aus Gründen der Selbstachtung in die Politik zu begeben, gehen heute Fanatiker und Karrieristen in die Politik. Sie kämpfen sich in den Parteien nach oben, deren Soziotop Selbstdarsteller, Skrupellose und Unintelligente nach oben befördert. Moralisiererei, kombiniert mit Rücksichtslosigkeit, schlägt Wissen und Achtsamkeit um Längen. Die Krake Politik hat Presse, Beamtentum und Bildung infiziert. – Wir brauchen eine demokratische Großreform oder Revolution, hoffentlich friedlich, die diese fatale Systemlogik beendet, damit endlich wieder Fähige in die hohen Ämter kommen können.

Gus Schiller / 31.01.2022

Bei der derzeitigen personellen Lage der Parteien sehe ich dunkelschwarz. Woher soll der weiße Ritter kommen, der Scholzland aus dem Morast zieht? Ich tippe auf den mittleren Osten. Seine Vorhut bereitet gerade das Feld für eine unfreundliche Übernahme vor. Da man hier mit Genderei und Klima beschäftigt ist, fällt das nur keinem auf.

martin schumann / 31.01.2022

Die Partei der Kompetenten, die das begriffen hat, gibt es bereits. Das Begreifen war der Grund für ihre Gründung. Das Wählen kann die AfD dem Souverän natürlich nicht abnehmen.

Winfried Jäger / 31.01.2022

Nachtrag: In Karlsruhe sitzt der Kopf, der am erbämlichsten stinkt. Von dort ist keine Hilfe mehr zu erwarten. Deswegen müßte man langsam mal darüber nachdenken, ob nicht Art. 20 Abs. 4 GG in Betracht zu ziehen ist. Aus logischen Gründen kann diese Vorschrift nicht von Karlsruhe überprüft, liegen gelassen und am Ende per Beschluß als nicht anwendbar erklärt werden.

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