Jesko Matthes / 21.08.2017 / 06:02 / Foto: ENERGY.GOV / 30 / Seite ausdrucken

Plutonium? Ja bitte!

Von Fabian Herrmann

Pluto beziehungsweise Hades, der griechisch-römische Gott der Unterwelt, wird heutzutage als ein düsterer Geselle angesehen, ja, in fälschlicher Gleichsetzung der antiken Unterwelt mit der monotheistischen Hölle, als eine Art Teufel. Doch der Glaube an ein Straftribunal nach dem Tode für während des Lebens begangene Missetaten existierte in der klassischen Antike in dieser Form nicht, der Hades war eine dämmrige Landschaft, in der die Verstorbenen weilten – manchen Vorstellungen zufolge auch eine Art Wartesaal, in dem die Seelen ihrer nächsten Inkarnation harrten (Reinkarnationsglaube war in der Antike weitverbreitet, siehe zum Beispiel Aeneas' Besuch in der Unterwelt in Vergils „Aeneis“) – und Pluto mitnichten irgendein Bösewicht.

Da war der „Kriegsgott“ Mars beziehungsweise Ares viel weniger populär, zumindest die anderen olympischen Götter hatten ein gespanntes Verhältnis zu ihm. Pluto dagegen herrschte nicht nur über die Toten: Er war auch der Gott der Ernte und des Goldes beziehungsweise des Reichtums (sowohl Feldfrüchte wie Erze kommen ja aus dem Erdinneren hervor), weswegen er des Öfteren mit einem Füllhorn abgebildet wird.

In seinem Artikel „Nukleare Schlafwandler“ auf „Achse des Guten“ verwechselt Jesko Matthes Pluto mit Mars. Es geht um nukleare Proliferation und das Risiko, das von kleinen, aggressiven Staaten wie beispielsweise Nordkorea ausgeht, wenn es ihnen gelingt, sich Kernwaffen zu verschaffen – die harte Kante, die der amtierende US-Präsident Donald Trump gegen Nordkorea fahre, sei daher gerechtfertigt. Egal, wie man Trumps Politik im Einzelnen beurteilt: Bei seiner Einschätzung des Proliferationsrisikos sieht Jesko Matthes die größte Gefahr in der Verbreitung von Plutonium. Doch Plutonium ist weder das einzige waffenfähige Nuklid (dazu eignen sich prinzipiell alle fissilen Isotope, also Uran 233, Uran 235, Plutonium 239, Americium 242-metastabil und einige andere), noch ein „Teufelsstoff“, auch wenn der Name mit seinem dunklen „u“ und „o“-Vokalen durchaus ein wenig dräuend klingt.

Die erste militärisch eingesetzte Kernbombe zerstörte Hiroshima, sie enthielt Uran 235 in einer „Kanonenrohranordnung“ – das bedeutet, dass ein Uranzylinder mit einer chemischen Treibladung in einen zweiten, ruhenden Hohlzylinder aus Uran hineingeschossen wurde, was die nukleare Detonation auslöste. Der zweite (und, wir wollen es hoffen, auf immer letzte!) Nuklearangriff erfolgte mit einer Plutonium-Implosionsbombe auf Nagasaki. Implosionswaffen nutzen eine hohlkugelförmige Sprenglinse, die innen mit Kernsprengstoff ausgekleidet ist; die chemische Detonation kompaktiert das fissile Nuklid, wodurch es sofort prompt überkritisch wird. Die einfachere Kanonenrohrtechnik ist für Plutonium ungeeignet: Denn dieses ist stets mit einer gewissen Menge Pu-240 verunreinigt, welches durch spontane Spaltungen ständig Neutronen freisetzt, so dass die Kettenreaktion beginnen würde, bevor die Massen sich völlig vereint haben – eine Verpuffung statt einer Detonation wäre die Folge.

Ein Reaktor ist keinesfalls eine „Waffenzaubermaschine“

Von da an beruhten fast alle Kernwaffen auf Plutonium. Der Grund war jedoch nicht, dass Plutonium irgendwie besonders geeignet ist, als Kernsprengstoff zu dienen, sondern einfach, dass dies die wirtschaftlichste Variante war, an ein fissiles Nuklid der erforderlichen Reinheit zu gelangen. Die Anreicherung von Uran bis zur Waffenfähigkeit war mit den Technologien der 1950er und 60er höchst aufwändig und teuer. Günstiger schien es, Plutonium aus Uran 238 durch Neutronenbestrahlung zu produzieren. Meist baute man dazu spezialisierte, militärische Reaktoren. Die „Doppelnutzung“ ziviler Kernkraftwerke kam vor – erwähnt sei der sowjetische Kanalreaktor RBMK (der „Tschernobyl-Typ“) oder auch die britischen MAGNOX –, war jedoch nicht die Regel.

Jesko Matthes' Bemerkung, ein kanadischer CANDU-Schwerwasserreaktor mit Natururanbrennstoff sei ein praktischer Weg zur Nuklearwaffe, scheint zweifelhaft. Die Extraktion des Plutoniums aus den bestrahlten Brennelementen wäre zwar möglich, aber doch unnötig aufwändig, insbesondere, da sie ständig ausgetauscht werden müssten, um hinreichend reines Pu-239 zu gewinnen – der Anteil an Pu-240 darf 7 Prozent nicht überschreiten, da ansonsten auch die Sprenglinsenmethode nicht funktioniert und nur eine Verpuffung auslöst. Das Austauschen der Brennstäbe ist bei einem CANDU zwar einfacher als bei einem gewöhnlichen Leichtwasserreaktor, aber immer noch recht aufwändig: Zuvor muss der Druck in den Druckröhren abgebaut werden. Ein Reaktor ist keinesfalls eine „Waffenzaubermaschine“, die man bloß anzutippen braucht, damit reichlich Kernsprengstoff hervorsprudelt.

„Wenn ich Kim-Jong Un wäre...“ – nein, hier soll kein Schulaufsatz verfasst werden. Nichtsdestotrotz: Ein Gewaltherrscher, der schnell und billig an eine Kernwaffe kommen möchte, wäre heutzutage gut beraten, jeglichen Reaktor links liegenzulassen. Moderne Anreicherungsverfahren, beispielsweise mithilfe von Laser, machen die Uranbombe zur ökonomischsten Variante. Anstatt Natururan in einen CANDU zu stecken und es teilweise in Plutonium umzuwandeln, ist es inzwischen deutlich einfacher geworden, das enthaltene Uran 235 bis zur Waffenfähigkeit anzureichern. Man spart massiv Infrakstruktur, Zeit, Material und Aufwand, wenn man den Reaktor aus der Gleichung eliminiert.

Doch Beschaffung des waffenfähigen Materials ist nur die halbe Miete. Nukleare Gefechtsköpfe kann man nicht in einem Schuppen zusammenbauen. (Dass Gangster oder Terroristen solch eine Waffe in Eigenregie anfertigen, wie in manchen Actionfilmen dargestellt, ist mithin noch unglaubwürdiger als die Fähigkeit der Helden solcher Filme, unzähligen von allen Seiten heranpeitschenden Kugeln auszuweichen oder ein Maschinengewehr aus einer Hand abzufeuern, ohne sich das Handgelenk zu brechen oder sich selbst in den Fuß zu schießen.) Die Komplexität des konventionellen Teils ist nicht zu unterschätzen: die hochpräzise Anordnung der Sprenglinsen, die Zündung selbiger, die auf Mikrosekunden genau gesteuert werden muss, die dafür erforderliche Elektronik und der Zusammenbau des Gesamtapparates.

Niemand würde eine ungetestete Kernwaffe „auf gut Glück“ einem Feind vor die Füße werfen. Zahlreiche Versuche sind erforderlich, bis man einen hinreichend zuverlässigen Gefechtskopf hat. Jesko Matthes erwähnt zutreffenderweise, dass natürlich auch noch ein Dislozierungssystem erforderlich sei – ballistische Rakete, Lenkflugkörper, Bomber, Haubitze, etc. Bei der hohen Zerstörungskraft von Kernwaffen sei bereits ein sehr ungenaues System wie die deutsche V-2 im Zweiten Welktkrieg hinreichend, um ein (ungehärtetes) Ziel durch einen Treffer in die weitere Umgebung einzuäschern. Unerwähnt bleibt allerdings, dass die Neigung der höchst unzuverlässigen V-2, wenige Sekunden nach dem Start außer Kontrolle zu geraten, in rasenden Schlaufenbahnen durch die Luft zu torkeln und in der Nähe des Startgeländes in einem Feuerball aufzuschlagen, möglicherweise die Soldaten zögern lassen würde, sie zum Transport einer nuklearen Nutzlast einzusetzen.

Ein Plutoniumbarren wird einen Menschen in der Nähe nicht schädigen

Ob Kim Jong-Un bereits über eine Rakete verfügt, die es erlaubt, das amerikanische Hauptland zu treffen, ist offen – Seoul und Tokyo dürften sich in Reichweite seiner Waffen befinden, eventuell auch Guam, Hawaii und Anchorage; inwiefern die Reaktion der US-Regierung auf sein „nukleares Säbelrasseln“ sinnvoll ist, kann diskutiert werden. Klar ist auf jeden Fall, dass die Darstellung von Plutonium 239 als „gefährlichste Substanz der Welt“ nicht gerechtfertigt ist. Ein Plutoniumbarren wird einen in der Nähe stehenden Menschen nicht schädigen: Das Metall ist radioaktiv – ein Alphastrahler, doch diese Strahlen durchdringen die Haut nicht. Es ist chemotoxisch, doch man müsste an dem Barren ziemlich lange lecken, um eine schädliche Stoffportion aufzunehmen. Das auf der Erde natürlich vorkommende Radium ist deutlich giftiger, und bei manchem Biotoxin (bespielsweise Botox) würde in der Tat einmaliges Lecken reichen, um sich umzubringen. Nur wenn man den Barren zersägen, zerfräsen, schmelzen oder ähnliches möchte, sollte man auf Schutzkleidung und Atemmaske nicht verzichten, denn Stäube können in den menschlichen Körper eindringen, wo Alphastrahlung und chemische Giftigkeit ihre gefährliche Wirkung zu entfalten vermögen.

Als Aktinid mit ungradzahligem Atomgewicht ist Pu-239 natürlich auch fissil. Letzteres macht seine Verwendung als Kernsprengstoff möglich – aber seit den 1950ern ist viel Zeit ins Land geflossen, und die Uran-Anreicherungstechnologie wurde deutlich weiterentwickelt, so dass heutzutage der einfachste Weg zur Bombe nicht über den Reaktor führt.

„Man darf nicht ignorieren, was die Erzeugung von Plutonium für zukünftige Generation bedeutet“, schrieb einmal ein Kernenergiegegner. Das ist richtig. Was sie für zukünftige Generationen bedeutet, ist Folgendes: Dass sie neben Uran und Thorium einen weiteren Supernova-Treibstoff erhalten. Plutonium ist ein guter Brennstoff für schnelle Reaktoren. Das Minimum, das die Neutronen-Multiplikationskurve (Anzahl der Spaltneutronen über Energie) von Plutonium im epithermischen Bereich aufweist, macht es zu einem mittelmäßigen Brennstoff für thermische Reaktoren, doch im schnellen Energiebereich ist es kaum zu überbieten.

Es ist optimal zur katalytischen „Verbrennung“ des Nuklids Uran 238, welches auf der Erde so häufig ist, dass es eine erneuerbare Energiequelle darstellt. Plutonium könnte daher das Sprungbrett der Menschheit in eine postfossile Zukunft werden, eine Zukunft, die, im Gegensatz zu realistischen Solar- und Windszenarien, nicht von Knappheit, Armut und Stromsparen geprägt ist, sondern von Wohlstand – erneuerbarem Wohlstand, da die Mengen an Uran 238 in Erdkruste und Meerwasser für geologische Zeitspannen reichen. Das Füllhorn des Gottes Pluto hat seine Berechtigung.

Fabian Herrmann, Jahrgang 1979, ist Diplomphysiker. Er arbeitet seit 2012 als freischaffender Schriftsteller und seit 2017 als PR-Experte für das Institut für Festkörper-Kernphysik Berlin.

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HaJo Wolf / 21.08.2017

Es ist immer wieder toll, hier Fakten lesen zu können, die man in solch konzentrierter Form sonst nur mühsam zusammensuchen muss, was man mangels tieferer Fachkenntnisse (z.B. In der Atomphysik) normalerweise gar nicht kann. Danke!

B.Klebelsberg / 21.08.2017

Für jeden Text der Verstand in das Hysteriefeld der Kernenergie zu bringen versucht, muss man sich bedanken. Was ich hiermit tue!

Stefan Schütz / 21.08.2017

Hallo Herr Herrmann, Ach, das tut gut! Danke für diesen Text und Ihre Gedanken. Reine Wissenschaft, Technik und Ingenieurskunst ohne Ideologie und Weltuntergangsphantasien. In der heutigen Zeit selten anzutreffen. Mit freundlichem Gruß Stefan Schütz

Karl Heinz Münter / 21.08.2017

Die deutsche V-2 erreichte spätestens ab 1945 einen für die Kriegszeit recht hohen Grad an Zuverlässigkeit. Die beschriebenen Startunfälle sowie Flugversager zu Beginn der Flugphase sind zwar in Filmen gut dokumentiert, diese stammen jedoch überwiegend aus den Jahren 1943 und teilweise 1944. Es gab 1944 Probleme mit der Struktur der Rakete beim Wiedereintritt in tiefere Luftschichten. Diese wurden aber dann weitgehend gelöst. Der eingangs erwähnte Grad der Zuverlässigkeit hing auch von den schlimmen Bedingungen bei der Herstellung der Rakete bzw. Raketenteile ab, Stichwort Häftlingsarbeit. Ständige Probleme gerade beim Start bereitete allerdings die V-1. Da gab es regelmäßig Startunfälle mit Explosion der Trialen-Ladung vorne im Gefechtskopf.

Rudi Knoth / 21.08.2017

Nun ist es aber so, dass geraden Transurane wie Plutonium erfordern, dass man die Endlager auf eine sichere Lagerzeit von mehreren 100000 Jahren konzipieren muss. Und der schnelle Brüter in Kalkar wurde auch nicht in Betrieb genommen.

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