Pierre Heumann
Nach massivem Raketen beschuss aus dem Gazastreifen hat Israel eine grössere Offensive gegen die radikal- islamische Hamas gestartet. Dabei wurden mindestens 21 Menschen getötet und mehr als 100 verletzt. Nach den Luftangriffen auf Terrorziele hat Premier Benjamin Netanyahu die Armee angewiesen, Vorbereitungen für eine Bodenoffensive im Gazastreifen zu treffen. Dazu gehört auch die Mobilisierung von bis zu 40 000 Reservisten. «Dies ist der erste Schritt, in den kommenden Tagen muss man sehen, ob es dafür Gründe gibt», meinte ein Militärsprecher.
Der bewaffnete Arm der Hamas kündigte eine «überraschende Ausweitung unserer Attacken» an. Zum ersten Mal seit fast zwei Jahren feuerten militante Palästinenser am Abend mindestens eine Rakete auf den Grossraum Tel Aviv ab. Sie sei von der Raketenabwehr abgefangen worden. In Jerusalem schlug eine Rakete in ein Haus ein.
Von einer Eskalation im Gazastreifen könne Hamas nur profitieren, heisst es in Gaza. Ihr Zustand ist derzeit in vielerlei Hinsicht desolat. Sie ist international und regional isoliert. Zum Regime in Kairo herrscht Funkstille, die Grenzübergänge nach Ägypten und Israel sind geschlossen, und die einst guten Beziehungen zu Teheran eingefroren.
Auch Innenpolitisch hat die Regierung in Gaza eine bittere Bilanz vorzuweisen. Die Einheitsregierung mit Mahmud Abbas zeigt keine Erfolge. Die wirtschaftliche Lage ist desolat. Viele Hamas-Beamte erhalten ihre Löhne nicht, die Stromversorgung ist bloss an wenigen Stunden pro Tag gesichert. Abbas, der eben noch einen Schulterschluss mit der Hamas vorangetrieben hatte, zeigt ihr jetzt die kalte Schulter. Arabische Nationen kommen der Hamas ebenfalls nicht wirklich zu Hilfe.
Um sich aus dieser fast totalen Isolation und der sich zuspitzenden Notlage zu befreien, setzt die Hamas bewusst auf Eskalation. Je schlimmer die Bilder und Szenen sind, die über das Fernsehen ins Ausland übermittelt werden, desto mehr Hoffnung macht sich die Hamas-Riege auf eine Besserung ihrer Lage. Erstens sollen die Ägypter unter Druck gesetzt werden, die Beziehungen zur Hamas auf ein höheres Niveau anzuheben. Zweitens erhofft sich die Regierung in Gaza eine Klimaverbesserung zu Teheran: Wenn die Ayatollahs den palästinensischen Widerstand gegen Israel anerkennen, würden sie sich finanziell erkenntlich zeigen. Drittens werde der Westen Israel unmissverständlich auffordern, die Angriffe auf Ziele in Gaza einzustellen und das Waffenstillstandsabkommen zu respektieren, das vor rund zwei Jahren abgeschlossen wurde.
Während die Hamas glaubt, von einer Eskalation nur gewinnen zu können, hatte Israels Premier Benjamin Netanyahu bisher versucht, einen neuen Krieg in Gaza zu vermeiden. Deshalb setzte er der Hamas Ende letzter Woche ein Ultimatum. Wenn der Raketenhagel auf den Süden Israels innerhalb von 48 Stunden kein Ende habe, werde er Massnahmen ergreifen müssen, drohte er. Der Hinweis auf Gefahr hat seine Wirkung allerdings verfehlt. Denn in Gaza wurde er nicht als Warnung, sondern eher als Aufforderung zur Eskalation verstanden.
Anders als in früheren Krisen fallen jetzt die Ägypter als Vermittler eines Waffenstillstandes aus. Seit der Machtübernahme von Abdel Fattah al-Sisi kümmert sich nur noch ein subalterner Beamter im ägyptischen Geheimdienst um die Kontakte zur Hamas. Unter Mubarak und Mursi hatte sich Geheimdienstchef Omar Suleiman noch persönlich um die Vermittlung von Waffenstillstandsabkommen zwischen der Hamas und der israelischen Regierung gekümmert.
US-Präsident Barack Obama hat sich in einem Gastbeitrag in der israelischen Tageszeitung Haaretz optimistisch zu den Friedensaussichten geäussert. Frieden sei möglich, aber beide Seiten müssten bereit sein, dafür Risiken einzugehen, lautet sein Vorschlag: «Wenn der politische Wille zu ernsthaften Verhandlungen existiert, werden die USA da sein, bereit, unsere Rolle zu übernehmen», versprach Obama.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 8.7.14