Andrej Holm ist als Berliner Bau-Staatssekretär und Mitglied des Senats von Berlin untragbar. Ein Widerspruch zu einem Beitrag von David Ensikat im Tagesspiegel.
Von Philipp Lengsfeld.
Ich habe diesen Artikel am 21. Dezember geschrieben und unmittelbar dem Tagesspiegel zur Veröffentlichung angeboten. Bis heute hat der Tagesspiegel trotz mehrfacher Erinnerung an zwei verantwortliche Redakteure nicht reagiert. Dafür schreibt das Blatt heute, dass eine Entscheidung im Fall Holm unmittelbar nach den Feiertagen ansteht. Ich danke der Achse des Guten, dass dieser Text jetzt noch rechtzeitig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Eigentlich wollte ich mich zum Fall Holm nicht ausführlich äußern. Ich habe immer betont, dass ich über Jugendliche in der DDR, insbesondere in der Spätphase, die ich in Ostberlin miterlebt habe, nicht den Stab brechen will. Das Verhalten von Andrej Holm und seinen lautstarken Unterstützern, insbesondere aber der Artikel von David Ensikat im Tagesspiegel vom 21. Dezember, lässt mich jedoch umdenken.
Denn eines darf nicht passieren: Es mag noch angehen, dass ein SED-Karrierist um seinen Posten als Staatssekretär kämpft. Es ist auch verständlich, wenn auch politisch unklug, dass die Partei, die ihn als Coup berufen hat, den schweren Fehler nicht eingestehen will und deshalb unter allen Umständen an ihm festhält. Was aber nicht angeht und dies wird tendenziell gerade versucht, ist mit Hilfe der causa Holm die DDR-Diktatur-Aufarbeitung und die Opfer zu diskreditieren.
Aber Schritt für Schritt. Wir reden über die Zeit der Vorwende 1988/89 in Ostberlin – David Ensikat und Andrej Holm Jahrgang 70, ich selber Frühjahr 1972. Uns trennten vielleicht 1-2 Klassenstufen. Wir reden deshalb in dieser Sache auf Augenhöhe. Aber diskutieren wir den Sachverhalt wirklich fair und abgewogen? Natürlich war Andrej Holm sehr jung als er mit 14 Jahren das erste Mal eine Verpflichtung für eine hauptamtliche Karriere beim Ministerium für Staatssicherheit abgab. Und natürlich wurde er zwar älter, als dieses karrieresichernde Versprechen (offiziell Offizierslaufbahn) mehrfach, nach meiner Erinnerung mindestens einmal pro Schuljahr, wiederholt werden musste. Und natürlich war er erst knapp 19 Jahre als er am 1. September 1989 seine Karriere als Offiziersschüler der Stasi tatsächlich auch antrat.
Man kannte die Perfidie der Stasi nicht? Wirklich?
Aber schauen wir auf die anderen Jugendlichen der betroffene Jahrgänge: Haben wir uns alle zu einer Offizierslaufbahn (ob NVA oder MfS mal beiseite) verpflichtet? Nein! Aber wussten wir nicht, was es bedeutet, wenn man sich statt für eine Offizierslaufbahn nur für die Mindestwehrdienstzeit von 1,5 Jahren verpflichtet? Und nur fürs Protokoll, diese Fragen (Länge des Wehrdienstes, Berufswunsch) wurden im DDR-System permanent offiziell von schulischer Seite gestellt. Doch, wir wussten es ganz genau. Wer sich die Chance auf einen begehrten Abiturplatz erhalten wollte, musste sich für drei Jahre NVA als Minimum verpflichten.
Gegen die Jokerkarte Offizierskarriere kam man damit zwar noch lange nicht an, aber mit einem Berufswunsch Lehrer hat man seine Chance immerhin so gewahrt, dass man auf einen Abiturplatz hoffen konnte. Viele, sehr viele haben ihn trotzdem nicht bekommen. Und hatten dann als Jahrgang 72 und älter zwar nach dem Mauerfall die Chance, das Abitur nachzuholen, aber schon einen erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber Karrieristen wie Andrej Holm. Und da reden wir noch nicht mal vom Wunschstudienplatz, der mit der tatsächlichen Offizierslaufbahn auch gesichert war.
David Ensikat suggeriert, dass die Endzeit der DDR zwar irgendwie unangenehm war, aber dass ‚man‘ eigentlich nicht wusste, wie schlimm es wirklich war. Insbesondere kannte man die Perfidie der Stasi nicht. War es wirklich so? Meine Erfahrungen sind anders. In meinen Jahrgängen kannte ich genug Jugendliche, die erhebliche Probleme mit der Staatsmacht hatten. Natürlich waren dies zunächst ‚nur‘ Polizei, Transportpolizei und Kripo. Aber diese Erfahrungen waren schon außerordentlich unschön, die Steigerung zur Armee und zur Staatssicherheit war doch jedem klar. Übrigens gab es gerade in der Ostberliner Punk- und Jugendszene viele Kinder aus Funktionärshaushalten, die mit der Doppelmoral und Heuchelei der herrschenden Klasse gebrochen hatten und dafür teilweise einen sehr hohen Preis zahlten.
Distanziert sich Holms glaubwürdig von der DDR und ihren Methoden?
Andrej Holm wusste 1989 genau, was er tut. Er war nicht nur zum frühestmöglichen Zeitpunkt Kandidat der SED. Er trat seinen Dienst bei der MfS-Bezirksverwaltung Berlin 3 Monate nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking an. Genau in den Tagen, als in der DDR von Seiten der SED und der Staatssicherheit genau diese Option des Machterhalts durch Diffamierungskampagnen und Aufhetzung aller staatsnahen Funktionäre und Verantwortlichen vorbereitet wurde.
In der Bezirksverwaltung Berlin wurden zu dieser Zeit, wie im ganzen Land, die Listen der zu verhaftenden Personen und die Logistik für die Internierungslager aufgebaut. Auf den Listen standen viele Namen von Jugendlichen seines Jahrgangs. In diesen Tagen unterschrieb Holm handschriftlich, alle Kräfte und Fähigkeiten zur Umsetzung der Beschlüsse der SED einzusetzen und auch unverzüglich Familienangehörige oder Personen, die zur häuslichen Gemeinschaft gehören, zu denunzieren. Braucht es wirklich noch den Nachweis, dass er auch konkret an einem dieser Vorgänge beteiligt war?
Aber gut, dies ist über 27 Jahre her. Zeigt Holms weiterer Lebensweg, dass er aus dieser Zeit gelernt hat? Denn das suggeriert David Ensikat. Distanziert er sich glaubwürdig von der SED/PDS und der DDR und ihren Methoden? Ich habe da einen anderen Eindruck.
David Ensikat sagt, Holm hätte ‚seither 27 Jahre unbescholten auf der guten Seite der Macht verbracht‘. Ist dies wirklich so? Nach vorfristigem Ende seiner Offizierskarriere am 31. Januar 1990 wählt er nicht den ursprünglichen Weg in den Journalismus, sondern steigt in das aufstrebende Fach der Stadtsoziologie ein, mit Studium und Promotion an der HU.
Nebenbei mischt er in den vielen Sanierungsgebieten dieser Stadt aktiv mit. Für Ensikat die ‚gute Seite der Macht‘ – aber auch in der Hausbesetzer- und Aktivistenszene gab es die Pragmatiker auf der einen Seite und die Dogmatiker und Scharfmacher auf der anderen. Dabei ging es auch um die Wahl der Mittel (fair oder denunziatorisch; friedlich oder mit Gewalt). Ich bin mir sehr unsicher, ob Holm da wirklich auf der, guten Seite der Macht‘ stand.
Das Kreuz an der falschen Stelle
Im Jahr 2005 kommt es zu einer kitzligen Entscheidung. Holm möchte nach der Promotion seine Karriere an der HU fortsetzen, muss aber vor Annahme einer Vollzeitstelle den regulären Fragebogen zur Stasimitarbeit ausfüllen, übrigens ein mühsam erkämpfter Kompromiss gegen die Leute, die schon immer für den Schlussstrich waren. Statt nach 15 Jahren endlich reinen Tisch zu machen und sich auf eine offene Diskussion mit der HU einzulassen, die übrigens nie in dem Ruf stand, einen sonderlich unbarmherzigen Umgang mit Stasi-Mitarbeitern zu pflegen, wählt er wieder den einfacheren Karriereweg. Er kreuzte an, keine hauptamtliche Mitarbeit beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ausgeübt zu haben.
Dass dies nicht bewusst geschah, glaubt nicht mal Ensikat. Und hier passiert das Empörende: David Ensikat suggeriert im Tagesspiegel, dass diese Holm‘sche Karriereentscheidung quasi alternativlos war. Eine harte Unterstellung. Es ist doch gerade andersherum – Holms fehlende Offenheit bringt die Stadt und die HU jetzt in eine ganz vertrackte Lage. Wenn er 2005 reinen Tisch gemacht hätte, wäre die Diskussion jetzt eine ganz andere. Stattdessen schiebt die Linkspartei jetzt ihrer alten Staatuniversität (und als direkt vom Senat abhängige Institution alles andere als frei in ihrer Entscheidung) den schwarzen Peter zu und die linke Öffentlichkeit verlagert den Druck auf die Aufarbeitungsszene und die Opferverbände.
Aber hoppla, da ist ja noch der ‚offene Umgang‘ mit der Vergangenheit von 2007! Wie passt das ins Bild? Im Jahr 2007 wird von Seiten staatlicher Ermittlungsbehörden die ‚militante gruppe‘ ausgehoben. Eine Truppe, die ganz sicher nicht zur ‚guten Seite der Macht‘ gehört, sondern eine Untergrundgruppierung, die militante Anschläge als legitimen Teil eines revolutionären Kampfes zum Beispiel gegen Gentrifizierung (oder was als solche diffamiert wird) sieht. Andrej Holm wird der Mittäterschaft verdächtigt und verhaftet.
Ermittlungen gegen die ‚militante gruppe‘
Es bricht eine Kampagne zu seiner Entlastung los in deren Zuge auch ein Umstand öffentlich skandalisiert wird, der tatsächlich interessant ist: Im Zuge der Ermittlungen gegen die ‚militante gruppe‘ werden angeblich auch MfS-Unterlagen aus den Jahren 88/89 verwendet, da offenbar Mitglieder aus dem Umfeld der Gruppe schon zum linken Rand der DDR-Opposition gehört haben. Dieser Umstand wird in einem längeren Interview mehrerer Akteure in der taz öffentlich gemacht. Bei dieser Gelegenheit deckt Holm Teile seiner Biographie auf. Ein starker Schachzug, der nebenbei auch die Aufarbeitungsszene trifft. In dem Interview beklagen mehrere Akteure lauthals, dass sich die Aufarbeitungsszene nicht stärker solidarisch zeigt und den vermeintlichen oder tatsächlichen Skandal der Nutzung von MfS-Unterlagen nicht stärker anprangert.
Für mich ist die Sache eindeutig. Andrej Holm kann mit seiner Karriere gerne stadtsoziologisch forschen, aktivistisch tätig sein und seiner Partei, der SED-PDS-Linkspartei, als Experte zur Seite stehen. Ich bin mir sicher, dass er damit weiterhin einen guten Lebensunterhalt bestreiten kann.
Als Mitglied des Senats unserer Stadt Berlin ist er untragbar.
Philipp Lengsfeld wuchs in Ostberlin im Umfeld der Bürgerbewegung auf. Er war im September 1988 einer von vier relegierten Schülern der sogenannten Ossietzkyschulaffäre. Er ist CDU-Bundestagsabgeordneter für Berlin-Mitte.
Den Artikel von David Ensikat im Tagesspiegel finden Sie hier.