David Harnasch / 10.01.2008 / 05:15 / 0 / Seite ausdrucken

Petraeus-Interview in der Weltwoche

Urs Gehriger führte für die Weltwoche ein höchst lesenswertes Interview mit General David H. Petraeus:

Als Sie das Oberkommando im Irak angetreten haben, hatten sie ein brandneues Handbuch für den Anti-Guerilla-Krieg im Gepäck. Sie selbst haben das Werk mit verfasst. Erklären Sie bitte, wie diese neue Strategie den Irak stabilisieren hilft.
Es ist eine Kombination von gezielten Kampfoperationen, zusätzlichen Streitkräften und breiter Truppenpräsenz. Neu ist die Art und Weise, wie unsere Soldaten in die Nachbarschaften gehen und mit der Bevölkerung leben. Alle Zugführer leben mit ihren Soldaten draussen unter dem Volk; ausser den Nachrichtendiensten und dem Stabstruppen ist niemand mehr auf den grossen Basen, die Soldaten kehren nur noch zur Versorgung dahin zurück. Ihre Stützpunkte sind die Joint Security Stations (gemeinsame US-irakische Posten) und Combat Outposts (Aussenposten mitten in irakischen Wohnquartieren). Und dort müssen sie auch sein, um die Bevölkerung zu beschützen. Begonnen hat diese Umstrukturierung der Truppenpräsenz in Ghazaliyah in Westbagdad. Der Ort war eine Geisterstadt, und langsam ist das Leben dort wieder zurückgekehrt. US-Truppen haben dies nicht alleine erreicht, sondern mit tatkräftiger Hilfe der irakischen Sicherheitstruppen und einer Kampfbrigade aus Georgien. Entscheidend ist jedoch die Hilfe durch die Bevölkerung. In jenen Gegenden, die keine Sicherheit, keine Polizeipräsenz hatten, werden wir zusehends von neu formierten Bürgerwehren, sogenannten Concerned Local Citizens (besorgten lokalen Bürgern) unterstützt, die uns wichtige nachrichtendienstliche Hinweise weiterleiten, welche sie von der Bevölkerung erhalten.
[...]
Warum hatten viele Sunniten al-Qaida anfänglich unterstützt?
Weil sie sich nach der Befreiung des Iraks von Saddam Hussein nicht respektiert fühlten, weil sie ihrer Privilegien entledigt worden waren. Enttäuscht wandten sie sich von der schiitisch dominierten Regierung ab. Doch bald begannen sie, die Unterdrück-ungsmechanismen der Fanatiker noch mehr zu hassen. Es kursierten Geschichten, wonach al-Qaida den Menschen nicht bloss das Rauchen untersagte, sondern Rauchern sogar die Finger abschnitt. Das ist unglaublich, erst recht für eine Gesellschaft von passionierten Zigarettenkonsumenten. Es ist schlicht bizarr, wie rigide sich die Fanatiker gebärdeten, mit Zwangsheiraten und so weiter. Die Abneigung gegen dieses Regime ist allgegenwärtig.”

Anmerkung: Rauchern die Finger abhacken - Wenn das die Künast liest…

“[...] Im Gespräch mit Soldaten im Feld sind mir zwei Dinge aufgefallen: Erstens sind sie deutlich optimistischer als noch vor einigen Monaten. Gleichzeitig ist eine gewisse Frustration zu spüren. Sie sagen: «Wir wurden für den Kampf ausgebildet, und jetzt machen wir vor allem Nation-Build-ing.» Ist das die künftige Rolle der US-Streitkräfte?
Unsere Armee hat den Bodentruppen mit Nachdruck eine neue Idee auferlegt, die wir «Full Spectrum»-Operationen nennen. Das heisst: Alle Operationen bestehen aus einem Mix von Offensive, Defensive sowie Stabilisierungs- und Unterstützungsoperationen. Dies ist ein grosser Bruch mit der Vergangenheit. Als Befehlshaber des Combined Arms Center in Fort Leavenworth, Kansas, war ich massgebend an der Ausarbeitung der neuen Doktrin beteiligt. Wir unterzogen die Kampfausbildungszentren und alle Offiziersausbildungskurse einer Generalüberholung. Wir nahmen die ersten Lektionen, die wir im Irak gelernt hatten, in die Revision auf. Ich denke, diese Doktrin enthält, worauf wir uns künftig einstellen müssen. Beispiel ist das Marine Corps, das bereits nach der Idee eines Drei-Block-Kriegs funktioniert: Kämpfen – Stabilisieren – Aufbauen. Es folgt der Idee, dass dieselben Truppen, die grössere Kampfoperationen durchgeführt haben, auch die Stabilisierungs- und Wiederaufbauoperationen durchführen. Nation-Build-ing ist also Teil des Pakets, das wir künftig zu leisten haben. Nation-Building ist etwas, was wir künftig noch viel öfter werden tun müssen.
[...]
Welches sind die Kräfte, die den Irak zusammenhalten?
Am wichtigsten ist die Rolle der Zentralregierung bei der Verteilung der Erdölgewinne. Obwohl ein entsprechendes Petro-Gesetz noch nicht verabschiedet worden ist, werden Öleinkünfte über das Budget verteilt. Dieses Faktum wird im Ausland oft übersehen. Ausserdem werden die Gewinne in etwa so verteilt, wie es proportional zu den Bevölkerungsanteilen sein sollte. So erhält die kurdische Regionalregierung beispielsweise 17 Prozent. Gemäss dem Budgetplan für 2008 werden die Provinzen neu einen gesteigerten Anteil erhalten. Wir glauben, dass das Budget ziemlich früh in diesem Jahr verabschiedet werden wird, was ziemlich bemerkenswert wäre. Ausserdem ist das Pensionsgesetz bereits unter Dach und Fach. Dies hat leider in der Weltöffentlichkeit kaum Beachtung gefunden, dabei ist dies ein grosser Erfolg der Versöhnungspolitik. Pensionsgelder werden nunmehr Zehntausenden von Irakern zukommen, die während der ersten Jahre nach der Befreiung davon ausgeschlossen gewesen waren. Wie gesagt sind die irakischen Politiker selbst nicht zufrieden mit dem bisher Erreichten. Doch in einigen Bereichen gibt es einen langsamen, aber kontinuierlichen Fortschritt. Im neuen Jahr werden wir se-hen, ob sich die irakischen Führer zusammenraufen können, wie es die Bevölkerung von ihnen verlangt. Es ist ein hartes Ringen. Politik im Irak ist wie Kampfsport. Doch vergessen wir nicht, dass es um fundamentalste Fragen geht. Mein Land hat Jahrhunderte gebraucht, um die States’ Rights (Rechte der Bundesstaaten) zu regeln. Und wir sind immer noch nicht fertig damit.”

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