Kürzlich hat der Großmeister der nichtmarxistischen, der unscharfen Kapitalismuskritik in Belgrad nicht nur seine politischen Sympathien bekundet sondern auch sein Unbehagen an der eigenen Lebenswelt. Handke hatte nämlich nicht nur gesagt, er würde den ultranationalistischen Kandidaten Tomislav Nikolic wählen, er hatte auch gestanden, dass er weder in Frankreich noch in Österreich von seinem Wahlrecht Gebrauch mache. Offenbar fehlt ihm in beiden Fällen ein Nikolic…
Dieser ist bekanntlich der bevollmächtigte Stellvertreter von Vojislav Seselj für das tägliche Geschäft. Der mutmaßliche Kriegsverbrecher ist ja in Den Haag untergekommen, und zwar ohne ein Recht auf Freigang. Das ist schlecht für Seselj aber ganz gut für die Karriere seines Stellvertreters und selbst für die Truppe der beiden, die Radikale Partei Serbiens, bestätigt es doch ihrer erwartungsvollen Klientel schon mal symbolisch, dass die Organisation standfest bleibt. Und was kann für einen Nationalisten wichtiger sein als Standfestigkeit! Zur Erinnerung: Bei uns hieß es mal Nibelungentreue.
Der Wahlsonntag aber wurde zu einem schwarzen Tag für Handke. Ist doch mit dem Sieg des pro-europäischen Boris Tadic auch Serbien als letztes Refugium des gegen die Waren- und Medienwelt fechtenden Schriftstellers ausgefallen. Zumindest für die nächsten Jahre wird es seiner handkeschen Aufgabe als Naturschutzpark, in dem die Biene fleißig Waben baut und der Mann verzweifelt jagt, nicht gerecht werden können. Nikolic kann sich immerhin noch als Oppositionsführer trösten, aber was soll Handke machen, außer schreiben?
Wenn man zunächst auch aufatmen darf, mit dem Wahlsieg der westlich orientierten Demokraten ist noch keines der Probleme aus der Welt geschafft. Wenn die EU, angesichts des Wahlausgangs, blumige Worte an Belgrad zu richten weiß, zumal die aktuelle slowenische Ratspräsidentschaft die Balkanfloskeln noch ganz gut zu beherrschen scheint, sollte sie sich auch an ihren eigenen unsoliden Beitrag zum Stand der Dinge erinnern.
Wesentlich beigetragen zur Munitionierung der Nationalisten hat schließlich die lamentable Kosovo-Politik des Westens in den letzten Jahren. Dass es 1999, als man eingriff, um die Rechte der albanischen Minderheit ging, hat der EU Kriterien vorgegeben, die man bis heute nicht mehr losgeworden ist. Man verteidigt anscheinend, sowohl in den Kanzleien als auch vor Ort, immer noch Minderheitenrechte, obwohl die Albaner de facto die Region längst übernommen und, entgegen aller Beteuerungen, die anderen Gruppen davongejagt oder ghettoisiert haben. Weniger erfolgreich waren sie bei der Organisation der Müllabfuhr und der Elektrizitätsversorgung. Warum eigentlich lautet die Hauptforderung der Kosovoalbaner Unabhängigkeit und nicht stabile Elektrizität?
Mit dem Entgegenkommen in der Unabhängigkeitsfrage des Kosovo hat man die zukünftige Orientierung Serbiens fahrlässig gefährdet. Die EU-Statement-Politik hat den politischen Disput in Serbien ein weiteres Mal auf den Machtkampf reduziert. Ein Klassiker des Unruhestiftens in der Region hat sich auch prompt zu Wort gemeldet und seine Schirmherrschaft angeboten. Allein die Tatsache, das Russland als Alternative am Horizont erscheint, sollte einen das Ausmaß der Katastrophe, in der sich Serbien befindet, erkennen lassen. Denn wer verbündet sich schon gerne mit Russland! Mit Russland verbündet man sich nie wegen Russland sondern weil man meint, einen Verbündeten gegen jemand anderen zu brauchen. Wie die preußischen Generäle 1812 in Tauroggen gegen Napoleon oder die Reichswehr in der Weimarer Republik gegen die Restriktionen von Versailles.
Angesichts des Ernstes der Lage wäre es gescheiter den Kosovo das sein zu lassen, was er ist, nämlich ein Protektorat, und sich statt dessen den Anbindungsmöglichkeiten Serbiens an die EU zu widmen. Und das nicht nur wegen der Zukunft Serbiens sondern, wie die slowenische Ratspräsidentschaft sagt, wegen „der entscheidenden Rolle Serbiens auf dem westlichen Balkan“. Wenn die Lage in der Region jemals stabil sein soll, dann wird das nur mit der Beteiligung Serbiens gehen. „Wir haben gezeigt“, sagte Tadic, nach seinem Wahlsieg, „welches demokratische Potenzial Serbien besitzt“. Mit anderen Worten, Serbien war ein wichtiger Ordnungsfaktor auf dem Balkan und Serbien wird dieses auch wieder sein. Trotz Nikolic, trotz Handke.