Von Werner J. Patzelt.
Junge Leute sind eher bereit als ältere Wähler, Kritikern bestehender und als ungut empfundener Zustände ihre Stimme zu geben. Warum junge Leute rechts wählen – und was daraus folgt.
Bekannte Muster
Lange Zeit wirkte es wie eine soziale Gesetzmäßigkeit, dass junge Leute mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden sind und deshalb fortschrittliche Parteien wählen, also solche der politischen Linken. Deshalb gab es in deren Lager keinen Zweifel daran, dass man das Wahlalter absenken solle – einst von 21 auf 18 Jahre, dann von 18 auf 16, zumindest für Kommunal- und Europawahlen als Einstieg in ein allgemein früheres Wahlrecht. Und weil entsprechende Untersuchungen seit dem Aufstieg der Grünen zeigten, dass die biographisch frühe Prägung auf eine weltanschaulich markante Partei sich auch im Alter oft nicht verliert, war klar: Es dürfte nach flächendeckender weiterer Absenkung des Wahlalters nur eine Sache von wenigen Jahren sein, bis nicht-konservative Parlamentsmehrheiten dauerhaft gesichert wären.
Neueres Wahlverhalten
Tatsächlich fiel bei den Bundestagswahlen seit 2013 der Anteil von 18- bis 24-jährigen Wählern an den Zweitstimmen nicht zeitgeistig-linker Parteien sehr stark. Mit 2017 als Zwischenschritt sank der auf die Union entfallende Stimmenanteil von 30 auf 10 Prozent, bei der SPD von 24 auf 15 Prozent. Linkspartei und AfD kamen in dieser Altersgruppe 2021 nur auf jeweils 8 Prozent, und das bei Verlusten von rund zwei Prozent seit der Wahl von 2017. Doch die Grünen waren in jenen acht Jahren von 11 auf 23 Prozent geklettert, was ganz in die etablierten Erwartungen passte. Dass in dieser Zeitspanne auch die FDP von 4 auf 21 Prozent stieg, war eine Überraschung. Man erklärte sie als jugendliche Unzufriedenheit mit der Politik der späten Merkel-Jahre.
Dann kamen die Schocks der Europawahl von 2024, bei der schon die 16-Jährigen eine Stimme hatten, und der drei ostdeutschen Landtagswahlen vom gleichen Jahr. Der Anteil der Grünen sackte ab von 34 Prozent im Jahr 2019 auf nunmehr noch 11 Prozent. Der Stimmenanteil der Union nahm in dieser Alterstruppe hingegen von 12 auf 17 Prozent zu, jener der AfD sogar von vordem nur 5 auf nunmehr 16 Prozent. Die Linke verlor ein wenig auf 6 Prozent, SPD und FDP blieben in diesem Alterssegment im Wesentlichen stabil bei 9 bzw. 7 Prozent; und das neue BSW erreichte sogar auf Anhieb 6 Prozent. Ein Drittel der jungen Leute wählte also rechts, während nur ein Viertel für traditionell linke Parteien stimmte.
Wider alle Hoffnungen, mit denen Deutschlands Linke sich aus diesem niederschmetternden Wahlergebnis herausredete, kam es wenige Monate später bei den Landtagswahlen noch schlimmer. In Sachsen erreichte die AfD bei den Wählern zwischen 18 und 24 Jahren nicht weniger als 31 Prozent, die CDU immerhin 18 Prozent. Die FDP aber schmierte völlig ab. Unter den linken Parteien wurden nur die Linke mit 13 Prozent sowie das BSW mit 10 Prozent zweistellig; Grüne und SPD landeten bei 8 bzw. 7 Prozent. In Thüringen lag damals die AfD unter den Jungwählern sogar bei 38 Prozent, die CDU allerdings nur bei 13 Prozent. Die den Ministerpräsidenten Ramelow stellende Linke erreichte bei ihnen noch 16 Prozent, das neue BSW nicht weniger als 12 Prozent, während SPD und Grüne nur auf 7 bzw. 5 Prozent kamen. Erneut verschwand die FDP. Im Wesentlichen ähnlich waren die Ergebnisse wenig später in Brandenburg, nur dass die dort traditionell regierende SPD mit 19 Prozent ungefähr auf dem Rangplatz des BSW in Thüringen ankam. Linke und Grüne dümpelten hingegen mit 7 bzw. 6 Prozent auf so niedrigem Niveau wie SPD und Grüne in Thüringen. Erneut verschwand die FDP in der jüngsten Wählergruppe. Die von ihr am häufigsten gewählte Partei war auch diesmal die AfD mit 31 Prozent, weit vor der CDU mit 9 Prozent.
Bei den Wahlen des Jahres 2024 errang die AfD bei den Jungwählern also im Durchschnitt 29 Prozent, gefolgt von der Union mit 14,3 Prozent. Und die Christdemokraten lagen damit immer noch deutlich vor SPD, BSW sowie Linker mit im Durchschnitt jeweils zehn Prozent, oder gar vor den Grünen mit durchschnittlich nur 7,5 Prozent. Heuer wählten, bei einem bundesweiten Urnengang und drei in Ostdeutschland, nicht weniger als 43 Prozent der jungen Leute rechts, bloß gut 38 Prozent links. Dabei muss sogar bedacht werden, dass bei den für ostdeutsche Wähler so wichtigen Themen wie der Migrationspolitik und der Russlandpolitik sich die Positionen von BSW und AfD nur wenig unterscheiden. Der tatsächliche Anteil rechts eingestellter Jugendlicher könnte also durchaus höher liegen, wobei junge Männer noch rechter, junge Frauen hingegen linker wählen. So ist es freilich auch weitgehend in der erwachsenen Wählerschaft.
Eine Erklärungsskizze
Gelten alte Gewissheiten somit nicht mehr? Nicht länger stimmen offensichtlich Formeln wie „jung gleich links“ oder „jung gleich grün“. So wird es wohl auch noch etliche Jahre bleiben und Einfluss auf das künftige Wahlverhalten dieser Alterskohorte haben. Doch das Grundmuster ist anscheinend unverändert: Junge Leute sind eher bereit als ältere Wähler, den Kritikern bestehender und als ungut empfundener Zustände ihre Stimme zu geben. Nur sind es eben nicht mehr die Konservativen, welche die für junge Leute wichtigen Zustände prägen und deren öffentliche Erörterung dominieren. Grüne und Linke haben sich nämlich seit vielen Jahren mit ihren politischen Gestaltungswünschen durchgesetzt.
Zugleich sind für die jungen Leute an die Stelle abstrakt-allgemeiner Sorgen – einst um den Fortbestand der deutschen Wälder, dann um die Stabilität des Erdklimas – inzwischen konkret-lebensweltliche Sorgen getreten. Die reichen von solchen nachwirkenden Erlebnissen mit der jungen Migrantengeneration, bei denen tief verankerte Instinkte zur Absicherung eigener Territorien und Jagdreviere in Spiel kommen, bis hin zu den persönlichen Erwerbsaussichten und Rentenperspektiven, die man weithin als schlechter denn die der Elterngeneration empfindet. Also erhofft man die Eröffnung alternativer Chancen. Dass Lockdowns zu Corona-Zeiten die jungen Leute besonders hart trafen, wird ebenfalls zum sich ausbreitenden Eindruck beigetragen haben, nicht nur mit Deutschlands Politik, sondern auch mit vielen jener Leute stimme so manches nicht, die diese Politik gestaltet oder gerechtfertigt haben.
Zwar begannen die Probleme mit Deutschlands passiver Einwanderungspolitik, mit mangelhafter Integration der Zugewanderten, auch mit höheren Kriminalitätsraten unter diesen bereits zur Regierungszeit der CDU-Kanzlerin Merkel. Doch deren Politik wurde gerade von den Konservativen und Rechten in und außerhalb der Union klar abgelehnt, während Sozialdemokraten, Grüne, Linke und das mit ihnen allen sympathisierende Milieu der Akademiker- und Kirchenkreise diese Politik regelrecht eingefordert sowie gegen alle Kritiker nachgerade eifernd verteidigt hatten. Seit einiger Zeit sind nun vor allem junge Leute regelmäßig in ihren Schulen, oft auch an ihren Arbeitsplätzen und ohnehin in ihrem Freizeitleben an öffentlichen Plätzen vielfach mit den üblen Folgen solchen Zuwanderungsgeschehens konfrontiert.
Es macht dann schon etwas mit Schülern und Auszubildenden, wenn sie bei der Konfrontation mit jugendlichen Zuwanderern sich immer wieder vorsichtshalber zum Kneifen entschließen, und es macht auch etwas mit jungen Frauen, wenn sie den Eindruck haben, sich nicht mehr unbefangen abends oder in Schwimmbädern bewegen zu können. Und während es Frauen nicht vorgehalten wird, wenn sie sich dann eben zurückziehen, so widerspricht es doch bis heute den westlichen Leitbildern von Männlichkeit, in Konfliktfällen einfach klein beizugeben. Also ist es kein Wunder, dass inzwischen junge Männer noch mehr als junge Frauen der AfD als einer Partei zuneigen, die sich immer schon gegen die Migrationspolitik von Sozialdemokraten, Grünen, Linken und eines Teils der Union stellte. Diese absehbar missratende Politik hat inzwischen dazu geführt, dass die angenehmen, so lange für selbstverständlich genommenen Lebensumstände im deutschen Sozialstaat und kollektiven Freizeitpark nunmehr am Kippen sind. Genau dagegen protestiert die nachwachsende Generation.
Außerdem gilt, wenn derzeit auch spiegelverkehrt, die alte Pädagogeneinsicht weiter, dass rechte Lehrer eine linke Schülerschaft aufkommen lassen. Als Reaktion auf das – vermeintlich oder wirklich – „spießige Klima“ der „bundesdeutschen Restaurationszeit“ seit 1949 wurde denn auch immer wieder die – nicht nur studentische – Kulturrevolution von 1968ff erklärt. Seit langem sind nun aber sehr viele Lehrer nach politischer Grundeinstellung und Habitus durchaus nicht konservativ, sondern progressiv. Sogar das konservativste aller aktuellen politischen Ziele, nämlich den Klimawandel aufzuhalten, kommt im Gewand des nunmehr fälligen Fortschritts einher und verlangt: Weg von den alten Denk- und Verhaltensgewohnheiten!
Wenn aber junge Leute jahrelang gepredigt bekamen, es brauche zur Erlösung von allen möglichen deutschen Übeln fortan unbedingte Weltoffenheit, Vorfreude auf die entstehende multiethnische und multikulturelle Gesellschaft, obendrein willige Verzichtskultur um des Klimas willen und überhaupt allgemeine Bußfertigkeit aufgrund der nachwirkenden Verbrechen weißer Männer, dann stieg eben die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Zurückweisung solcher Denk- und Verhaltensangebote immer mehr. Und während man anzugstragende Oberstudienräte einst zu geringen Transaktionskosten mit linken Sprüchen provozieren konnte, gelingt das heute in einer das altersübliche Revoluzzertum ebenso befriedigenden Weise durch absichtliche Verletzungen der Gebote und Verbote politischer Korrektheit. Im billigsten Fall reichen Buchstabenkombinationen wie „18“ oder „88“ bzw. zur Schau gestellte N-, Z- und I-Wörter, um Trotz gegen vielerlei Erziehungs- und Kontrollversuche der Erwachsenenwelt auszuleben.
Das alles scheint sich auszudrücken im Rechtsgehabe, das sich seit etlichen Jahren unter jungen Männern beobachten lässt, auch in der jetzigen jugendlichen Wahlpräferenz für die AfD als einer „Alternativpartei schlechthin“, desgleichen in der gewiss noch lange weiterwirkenden Ausprägung politischer Identitätskerne als „rechts“, „heimatverbunden“ oder „national“. Im Grunde erkennt man, nur mit verändertem Vorzeichen, jene Prozesse, in denen die Woodstock- und Mao-Generation Identitätskerne wie „anti-autoritär“ und „erlösungsgewiss“ entwickelte. Um identitätsstiftende Leitbegriffe und Fahnenwörter herum, auch in der rhetorischen oder körperlichen Konfrontation mit anderen, entsteht dabei ein Gruppenbewusstsein oder Zusammengehörigkeitsgefühl, das durchaus nicht der Kopräsenz derer bedarf, die derlei teilen, sondern das zur Gefühls- und Verhaltenskoordination über Raum und Zeit hinweg leicht schon durch symbolische Andeutungen aufgerufen werden kann.
Hinzu kommt der Strukturwandel unserer Öffentlichkeit. Der hat nicht nur mit der Polarisierung des Mediensystems sowie der Diskursstränge zwischen Linksgrün-Woken und Neuen Rechten zu tun, sondern auch mit dem Wandel der Mediennutzung im Generationenwechsel. Jene öffentlich-rechtlichen Medien samt der sogenannten Qualitätspresse, die seit langem stark von linksgrün-woken Journalisten geprägt werden, sind allesamt wichtige Informations- und Unterhaltungsmittel der alternden und älteren Generation.
Junge Leute hingegen nutzen die öffentlich-rechtliche Medien klar seltener, greifen noch seltener zu den etablierten Zeitungen und Zeitschriften, sondern bewegen sich vor allem in oder zwischen den Meinungshöhlen sozialer Medien. Besonders gern Twitter/X oder TikTok nutzend, verlassen sie sich auf deren von pfadabhängigen Algorithmen angezeigten Informations- und Meinungsangebote, vertrauen Influencern und stehen auf emotionale Häppchen, wie sie in Reels serviert werden.
Das alles lässt für sie die Welt anders, auch einfacher aussehen, als sie sich in der linksliberalen ZEIT oder der rechtsliberalen WELT ausnimmt. Also leben sie vielfach in einer anderen Wahrnehmungswirklichkeit als ältere Leute, beglaubigen diese geteilten Wahrnehmungen durch Redewirklichkeiten, die auf ähnlicher Mediennutzung beruhen, verfestigen lebensweltliche Gräben durch eigendynamische Milieubildung und wirken durch ihr von alledem geprägtes Wahlverhalten auf die am Ende eben doch gemeinsame Gesellschaft zurück.
Neue Verantwortungspflichten der AfD
Das vor Augen wird klar, welche besondere Verantwortung gerade die AfD für jene jungen Leute trägt, die ihr aus allen umrissenen Gründen zuneigen. In als unbeständig, gar als unsicher wahrgenommenen Lagen neigen nun einmal gerade junge Leute zur Radikalität bei deren Beschreibung, Erklärung und möglichen Remedur. Jung sind denn auch heute die Fürsprecher eines deutschen Kalifats und waren einst jene, die begeistert den Realsozialismus aufbauten oder in Hochschulen und auf öffentlichen Plätzen die verhassten Republik von Weimar bekämpften.
Zwar versteht man, warum politische Anführer solche Mobilisierungspotentiale gern für sich und gegen ihre Gegner nutzen. Dennoch gehört es sich nicht, gerade junge Leute und deren Wählerstimmen vor allem als Mittel zum Zweck anzusehen und einzusetzen. Gewiss ist es schön, wenn die sich unter der eigenen Flagge versammeln. Verantwortungsbewusste Politiker müssen ihren Anhängern aber gerade deshalb Denk- und Verhaltensangebote machen, die in sich vernünftig und hinsichtlich der zu erwartenden Konsequenzen auch rechtfertigbar sind. Freilich hatten sich einst auch altbewährte Parteien wie die SPD und FDP von ihren radikalisierten Jugendverbänden zu trennen. Doch besser wäre es, durch geduldige Überzeugungsarbeit und eigenes Vorbild dort politischen Radikalismus gar nicht erst entstehen zu lassen. Das aber wird nur gelingen, wenn die AfD als Mutterpartei selbst ein gutes Beispiel abgibt – und jedenfalls ein besseres als heute.
Prof. Dr. Werner J. Patzelt war Gründungsprofessor des Dresdner Instituts für Politikwissenschaft und hatte die Professur für Politische Systeme und Systemvergleich von 1991 bis 2019 inne. Mehr zu seiner Person hier. Seinen eigenen Blog finden Sie hier.