Quentin Quencher / 11.08.2022 / 16:00 / Foto: Sandro Halank / 25 / Seite ausdrucken

Patricia Schlesinger und die moralische Lizenzierung

Wir wundern uns, wie beispielsweise Frau Schlesinger, die vom RBB, sich moralisch fragwürdig benehmen kann, aber wenn die Verfehlungen dann an die Öffentlichkeit kommen, sich auch noch empört gibt. Ist es Skrupellosigkeit oder das Fehlen jeglicher Moral?

Wir können es nur vermuten, aber ein Aspekt scheint mir in diesem Zusammenhang doch einer Betrachtung wert, und das wäre die „moralische Lizenzierung“. Untersuchungen haben nämlich ergeben, dass gerade Menschen, die sich als die Guten wähnen, das setze ich mal bei den ÖRR-Leuten voraus, oft ein sehr rücksichtsloses Verhalten an den Tag legen. Auf Wikipedia ist dazu zu lesen:

„In einer kanadischen Studie wurde das Verhalten von Menschen untersucht die entweder in einem Ökoshop (Gruppe 1) oder in einem konventionellen Geschäft (Gruppe 2) einkaufen. Dabei zeigt sich, dass Menschen aus Gruppe 1 eher geneigt waren im Vertrauensspiel das Vertrauen einer anderen Person zu missbrauchen. In einem anderen Spiel zeigte sich, dass Menschen aus der Gruppe 1 eher bereit waren zu lügen und zu betrügen als Menschen aus Gruppe 2.“

Auf einmal ergibt das Verhalten von Frau Schlesinger einen Sinn. Das vieler anderer auch, nicht nur in der Politik, da aber besonders. Entschuldigen Sie bitte, ich sprach von Frau Schlesinger, um dann gleich mit der Politik fortzufahren, ohne Überleitung, aber ich kann Politik und Medien derzeit eh kaum auseinanderhalten, dann passiert so was eben.

Politiker wohl eher skrupellos als naiv

Vielleicht sollten wir besser von den Gutmenschen sprechen, anstatt korrekt in Politiker und Journalisten zu unterscheiden? Aber eigentlich kann ich damit nichts anfangen, weil der Begriff Gutmensch mir immer suggeriert, dass diese so abwertend Bezeichneten lediglich die Kollateralschäden ihrer guten Taten oder ihrer guten Überzeugungen nicht sehen wollen, es also nicht viel mehr als Naivität ist, was man ihnen vorwerfen könnte. Sicherlich gibt es solche Naivlinge, aber nicht in der Politik, diesem Raum, in dem Sendungsbewusstsein, Machtstreben und Selbstdarstellung die dominierenden Töne sind. Denen dort unterstelle ich mehr Skrupellosigkeit und weniger Naivität.

Zurück zur „moralischen Lizenzierung“. Wenn es aber diese gibt, quasi als ein Mechanismus, der dem Menschen hilft, mit der Widersprüchlichkeit der eigenen Handlungen klarzukommen, dann brauche ich die Vorwürfe der Naivität oder der Skrupellosigkeit nicht mehr, muss nicht meine Moral gegen die Morallosigkeit meiner Gegner setzen. Was die wahrscheinlich mit mir oder meinesgleichen umgekehrt genauso machen. Daraus wird sich dann auch kein Disput entwickeln können und am Ende bleibt nicht viel mehr übrig als gegenseitige Beschimpfungen.

Wenn wir nun also wissen, dass sich moralisch gebende Menschen immer auch vor ihrer Moral schützen, sie praktisch ein inneres Konto führen, mit Soll und Haben, dann führt das zu der Frage, welchen Aussagewert die Moral, mit der sich die Menschen kleiden, schmücken, vielleicht verkleiden, überhaupt noch bei der Bewertung ihrer Persönlichkeit hat?

Wer sich moralisch gibt, ist oft ein ***

„Freiheit ist nicht, wo die Vernunft Macht hat, sondern dort, wo Recht der Vernunft Einhalt gebietet.“, schrieb ich mal nach einem Streitgespräch der Philosophen Boris Groys und Vittorio Hösle. Heute möchte ich aber unbedingt die Moral einfügen und sagen: „Freiheit kann nur dort sein, wo der Vernunft und der Moral Einhalt geboten wird.“

Nein, ich werde mich jetzt hier nicht auf philosophisches Glatteis begeben, schon gar nicht was die Themen Vernunft und Moral angeht, da sind viel größere Denker, als ich je einer sein könnte, gehörig auf die Nase gefallen. Ist Ihnen, verehrter Leser, bei diesen Worten nicht auch sofort der „kategorische Imperativ“ eingefallen? Vergessen Sie das alles bitte, meine Betrachtungen gründen sich auf meine Beobachtungen, auf nichts sonst.

Und beobachtet habe ich eben, dass Personen, die sich ach so moralisch geben, manchmal eigentlich Arschlöcher sind, und die Theorie von der moralischen Lizenzierung erklärt mir, warum die dennoch mit sich im Reinen sein können.

Dieser Text ist ebenfalls auf Quentin Quenchers Blog Glitzerwasser erschienen.

Foto: Sandro Halank CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Olaf Hüffner / 11.08.2022

Nun, die besagte Dame ist mit dem Vorsitz der ARD und der Intendanz beim eher unbedeutenden RBB in den Mittelbau des deutsch-europäischen Hochadels aufgenommen worden. Als Teil dieses Feudalkonstrukts ist sie und die Mitglieder der Verwaltungsräte die Moral - so wird es dem gemeinen Volk, dem Plebs oder der grex -je nach gusto- verkauft. Und wer sind diese Verkäufer? Natürlich die Medien, wovon nun besagte Dame ein nicht unmaßgeblicher Teil war. Und wer an dieser Berechtigung zur allgemeingültigen Moral zweifelt, begründet daher den Anlass zur Empörung. Kurz gefasst: Könnte man heute noch ein Teil des Feudalstaates Louis XV. auf moralische Aspekte hinterfragen, wären die Reaktionen identisch mit denen besagter Dame. Aber kein Grund zur Sorge: die Dame wird weich fallen und vielleicht hat schon bei den Vorgesetzten der ermittelnden Staatsanwaltschaft das “Telefon geklingelt ...... “.

Rainer Niersberger / 11.08.2022

An den Autor : Die Satz - oder Aussageergaenzung ist bekannt. Sie ist allerdings den hier üblicherweise genannten Tieren gegenueber aeusserst unfair und sachlich bezogen auf diese nicht richtig. Die, am Ende muessige, Frage waere allenfalls, ob man heute als “charakterliche” Voraussetzung bestimmte Eigenschaften mitbringen muss, wobei fehlende Moral und Skrupellosigkeit mit ” und” verbunden sind, oder ob der typische Werdegang dieser Figuren die hier beschriebenen Eigenschaften hervorbringt. Ich neige klar zur ersten Variante, wobei der leichte Erfolg und die Länge Unantastbarkeit dieser Subjekte durchaus bestaetigend wirkt und zu weiteren “Aktivitäten” motiviert. Vermutlich sind sie zunaechst wirklich ueberrascht und reagieren eher reflexiv. Zudem haben sie gelernt, dass heute mit einem mea culpa wenig zu gewinnen ist. Das verbreitete Mittel der Wahl ist der Angriff nach (echter) Entrüstung, verbinden mit der Empörung der Feudalisten, was sich das gemeine und undankbare Fussvolk hier erlaubt.  Zudem hat sich die Taeter - Opferumkehr bei richtigem Geschlecht und richtiger Partei durchaus bewährt. Ob die mentale Entwicklung allerdings nur die Machthaber bzw deren Auswahl erfasst hat, darf bezweifelt werden. Die bekannten Phaenomene der Dekadenz, Regression und des charakterlichen Verfalls, bekannt unter dem Werte - oder besser Tugendwandel, den KZ - Aufsehereigenschaften, sind weit ueber die Elite hinaus verbreitet. Entsprechend haelt sich die Reaktion der Untertanen in Grenzen, wenn nicht sogar Verständnis und Nachsicht herrschen. Nicht zuletzt bestimmt letztlich der Demos, von wem er sich (gerne) beluegen, ausnehmen und verelenden laesst. Er koennte sich ja, anstatt diese Typen auch noch zu waehlen, dagegen wehren, denn die causa Schlesinger steht pars pro toto, aehnlich wie der Fall des Syrers, der heute im Haus der Integration messerte.  Das sind eindeutige Verfallssysmptome, leider ohne die längst angesagten Reaktionen.

Wilhelm Lohmar / 11.08.2022

Alles nicht von der Hand zu weisen, aber ich fürchte, daß ein Text wie dieser beispielsweise an KGE einfach nur abperlen wird.

Robert Krischik / 11.08.2022

Statt “manchmal eigentlich” würde ich “fast immer” schreiben. Also: Und beobachtet habe ich eben, dass Personen, die sich ach so moralisch geben, fast immer Arschlöcher sind, ...

Hans Reinhardt / 11.08.2022

Ein solches Verhalten ist im höchste Maße unverschämt, gar keine Frage. Trotzdem widert es mich bei weitem nicht so an wie das jämmerliche Zurückrudern und die bußfertige Selbstkritik der neuerdings Gecancelten. Lieber ein ehrliches Arschloch als ein kriechender Kretin.

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