Sehr geehrter Herr Richardt, ein erfrischender Artikel. Endlich nennt es jemand mal beim Namen. Ich möchte nur drei Bemerkungen beisteuern: 1) Auf einem Internet-Forum las ich neulich den luziden Kommentar (frei wiedergegeben) “..was heisst hier, in einem demokratsichen Staate solle Volkes Wille sich durchsetzen? Wenn man in Deutschland das Volk, also buchstäblich jeden Bürger und Bewohner auf sich allein gestellt eine gemeinsame Gestaltung der Zukunft und Gesellschaft mit gleichem Gewicht zur Verlautbarung zugelassen hätte, dann lebten wir (gemeint: die Deutschen) noch heute gänzlich ohne Staat…” Offenbar braucht es als Initiationsakt für einen Staat so etwas wie Gründerväter - wohlmeinende, weise Paternalisten, die das Vertrauen der Bevölkerung in einer Art Vorschuss geniessen und von ihr Gestaltungsfreiheit übertragen bekommen haben. 2) In der US-amerikanischen Politik-Szene war mal ein gewisser Cass Sunstein schwer angesagt. Er verbreitete mit Erfolg, der Bürger schlechthin bedürfe regelmässig eines “nudges”, einer kleinen Kopfnuss, um das Richtige eher zu tun als das Falsche (von der Regierung Unerwünschte). Er plädierte dafür, der Staat solle mit allerhand zwielichtigem Gewächs und mit grenzwertigen Methoden z.B. die “Truther”-Szene infiltrieren, damit dort nicht so arg die schädlichen Losungen ausgebrütet würden und am Ende noch wegen Popularität Verbreitung fänden. Auf seinen Aufsatz mit A. Vermeulen angesprochen, konnte er sich an diese eine Veröffentlichung nicht mehr erinnern - so viele hat der raus, der Wissenschaftler. Potzblitz! 3) An einer Stelle schildert Alan Sabrosky den Dialog am Army War College mit einem jungen Austausch-Studenten aus Israel. Der habe stolz verkündet: “So nach und nach sitzen unsere Landsleute und ihre Verbündeten in jeder Kammer, in jedem Gremium von Euch ein und üben Kontrolle aus. Darauf sind wir stolz. Halt, nicht böse werden! Es ist doch zu euerm Guten. Versteht das doch!” Man mag wünschen, dass dieser Dialog so nie stattgefunden hätte, gänzlich unwahr oder zumindest bei weitem nicht repräsentativ sei. Wobei: Gönner- und Ziehväter der einzigen verbleibenden Supermacht zu sein, ist natürlich ein ethisch-sozialer Aufstieg - zumal für geflohene Kasachen.
Ich hatte einige Zeit eine berufliche Flaute (ich bin freiberuflicher Übersetzer), und Mühe, das tägliche Essen auf den Tisch zu kriegen. Die Einführung der gesetzlich vorgeschriebene Krankenkasse, die wir einem ehemaligen Mitglied einer marxistisch-maoistischen Zelle (Ulla Schmidt) und einer Kanzlerin zu verdanken haben, deren Doktorarbeit über die Vorzüge des Sozialismus ich gern einmal lesen würde (zu schade, dass die Arbeit irgenwie verschollen ist !), war für mich ein harter Schlag. Man wollte mir das Haus wegnehmen, das ich von meinen Eltern geerbt hatte. Ich wollte unter gar keinen Umständen zum Sozialamt, und war der Meinung, dass das eine private Sache der Einstellung wäre. Man sagte mir jedoch, dass ich “mich strafbar” machen würde, wenn ich nicht zum Sozialamt gehen würde. Glücklicherweise hat sich meine berufliche Situation dann doch noch verbessert. Aber inzwischen kann man keiner mehr vormachen, dass wir hier in einer Demokratie leben. Deutschland ist inzwischen so links geworden, dass von Demokratie eigentlich nur noch eingeschränkt die Rede sein kann. Dass wir eine “freie Rede” haben, darf uns darüber nicht hinwegtäuschen, denn wenn die Politiker das Gefühl hätten, dass sich dadurch irgendetwas ändern würde, dann hätte man schon längst Gesetze dagegen erlassen.
So geht langsam die Freiheit den Bach runter und unsere gesellschaft wird immer sozialistischer. Es gibt einfach zuviele Menschen, welche, wie unser Staat glauben, daß nur der Staat weiss, was für das einzelne Individuum gut ist. So gesehen eine Schrittweise Verdoofung der Menschen. Die Verdoofung wird ja auch in der Schulbildug gefördert: Kinder, welch kaum noch richtige Orthografie lernen, katastrophale Ergebnisse bei Lernstandserhebungen und Schrittweise Senkung des Lernniveaus. Demnächst bekommt man in Deutschland das Abitur, wenn man Lesen und Schreiben kann. Doof macht glücklich. Ein Hoch auf unseren Staat.
Herr Richardt, so sehr ich die FDP auch aus tiefstem Herzen hassen, aber mit dem Impf-Beispiel haben Sie leider ein sehr schlechtes gebracht. Im Gegensatz zu Entscheidungen, die nur mich persönlich betreffen ist die Impfung etwas, das auch meine Umwelt betrifft, die durch mein Nichthandeln zu Schaden kommen kann. Es wäre also vergleichbar nicht mit dem Gurt-Piepsen sondern ohne Bremsen und mit abefahrenen Reifen auf der Autobahn 250 zu fahren - es gibt halt auch noch andere Menschen auf der Strasse, deren Gesundheit bspw. einen Tuev aus liberalen Gründen rechtfertigt. Weiterhin ist die Bezeichnung “paternalistisch” für ein solches Verhalten ziemlich daneben. Nachdem wir mehr und mehr Frauen in die Politik bekommen haben in den letzten Jahren wird unsere Gesellschaft immer totalitärer, daher wäre “maternalistisch” angebrachter.
Vater Staat sorgt für seine Kinder und er ist nicht allein. So sorgen sich Parteien, Lobbyistengruppen, Gutmenschen jeder Farbe, Sorte und Art, Vorbeter der gerade angesagten Gesinnung, Ernährungberater und was da noch so kreucht und fleucht. Sie führen uns Unwissende wohlwollend, aber zunehmend bestimmt sich politisch-korrekt und ethisch einwandfrei zu äußern, fair-trade Kaffee zu trinken und grün-vegetarisch-vegan zu essen. Es ist sicher nicht bös gemeint, aber Astrid Lindgren wußte eben nicht, dass das Wort “Negerkönig” ganz, ganz falsch ist und die Hersteller der Negerküsse konnten sich gerade eben noch zu den Schokoküssen retten, bevor sie der Boykott der hochmoralischen Süßigkeitenesser traf. Dabei auch diese belasten verantwortungslos das Gesundheitssystem durch ungesunde, unverantwortliche Essgewohnheiten. Und so geht es weiter und weiter, ein Dominoeffekt. Alle Gebote und Verbote, alle unsichtbaren Gesinnungswegweiser sind ja nur zum Besten des unreifen Bürgers, dessen Erziehung offensichtlich lebenslanger Bemühungen bedarf durch solche, die sich im Besitz des politisch-korrekten, ethisch-einwandfreien Wissens fühlen und dies gerne im vollen Bewußtsein ihrer Wichtigkeit über alle Kanäle und alle Medien verquatschen. Um nicht den Humor zu verlieren, bleibt nur Erich Kästner: Ja die Bösen und Beschränkten sind die Meisten und die Stärkern. Aber spiel nicht den Gekränkten. Bleib am Leben, sie zu ärgern!
“Ein australisches Gericht zwingt einen Zeugen Jehovas gegen seine religiöse Überzeugung zu einer lebensverlängernden Bluttransfusion. “ Bei diesem Punkt könnte man allerdings darüber streiten, ob es sich um Paternalismus im selben Sinne wie die anderen genannten Beispiele handelt. Hier handelt es sich um eine unmittelbar lebensrettende Maßnahme. Aktuell dazu: In Florida hat ein Gericht entschieden, dass die indianischen Eltern einer (ich glaube) zwölf Jahre alten krebskranken Tochter das Recht haben, ihr Kind aus dem Krankenhaus zu nehmen und einer modernen Krebsbehandlung zu entziehen, um sie statt dessen mit traditioneller Stammesheilkunst zu behandeln. Die Ärze sagen: Mit modernen schulmedizinischen Methoden hätte das Kind eine 90%ige Überlebenschance. Ohne eine solche Behandlung hingegen ist der baldige Tod fast hundertprozentig sicher. Ich kritisiere selbst sehr häufig Paternalismus in verschiedenen Formen. In diesem Fall aber bedeutet das Gegenteil von Paternalismus offenbar auch schon mal, dass ein Gericht ein Kind zum fast sicheren Tod verurteilt.
Es ist vielmehr ein Maternalismus als ein Paternalismus.
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