Südkorea ist überaltert, holt sich keine ausländischen Arbeiter ins Land, hat nahezu keine Bodenschätze, war unterdrückte Kolonie der Japaner und vom brutalen Korea-Krieg verwüstet – nun überholt es Deutschland technisch und intellektuell.
Deutschlands Bevölkerung belegt weltweit nur den 19. Rang, schafft 2021 bei den streng gesiebten PCT-Patentanmeldungen aber den fünften Platz. Doch Feiern bleiben aus. Man spürt, dass da ein immer noch Guter längst strauchelt. Seit 1993 ermittelt WIPO (World Intellectual Property Organization) das innovative Vermögen der Menschheit. Von 1993 bis 2002 erreicht Deutschland hinter den USA einen glänzenden zweiten Platz. 2003 allerdings zieht Japan vorbei. Es folgt ein Jahrzehnt mit der deutschen Bronzemedaille, das China schließlich 2013 beendet, um 2019 selbst die Spitze vor den USA zu übernehmen. Da die asiatischen Länder demografisch vor der Bundesrepublik liegen, scheint es sich um einen ganz natürlichen Prozess zu handeln.
Doch 2020 verdrängen 50 Millionen Südkoreaner über 80 Millionen Deutsche vom vierten Platz. Immerhin gewinnen sie mit 20.060:18.643 nur knapp. Üppige Muße fürs Erfinden im Covid-Jahr 2021 gibt Hoffnung auf Rückgewinn der verlorenen Position. Allerdings sinkt Deutschland 2020 erstmals auch mengenmäßig ab. 2021 bestätigt sich dieser Trend. Südkorea baut mit 20.678 (+3,2%) zu 17.322 Patenten (-6,4%) seine Führung wuchtig aus. 1993 hatte Deutschland noch 28:1 (3.459:125) vorne gelegen.
Auch Japan hängt Deutschland ab
Bei den 50 besten Privatfirmen von 2021 liegen beide Staaten mit je vier Mitgliedern zwar gleichauf, aber die koreanischen (auf den Rängen 3, 4, 24 und 40) registrieren rund 7.300, die deutschen hingegen nur 2.900 Patente (auf den Rängen 18, 34, 38 und 43 mit Bosch, Siemens, BASF und Schäffler). Mit 15 Unternehmen – vor 13 chinesischen und 10 amerikanischen – unter diesen Top-50 zeigt auch Japan, dass es 2003 keineswegs aufgrund seiner Menschenzahl Deutschland überholt hat. Mit zwei Dritteln der japanischen Bevölkerung müsste die Bundesrepublik bei gleicher Qualität heute ja nicht nur vier, sondern zehn Firmen in dieser Gruppe stellen. Das Können des Inselreiches bestätigt sich bei Robotern, von denen es global mehr als die Hälfte liefert.
Japans ökonomische Struktur bildet seit der Meiji-Reform (seit 1868) preußisch-deutsches Eigentums- und Vertragsecht, das 1910 auch das annektierte Korea übernimmt. Nahe ist man sich auch bei Kriegszerstörungen im 20. Jahrhundert, wobei es Korea mit dem bis 1953 dauernden Korea-Krieg am härtesten trifft. Mangel an Bodenschätzen und Fläche sowie geringe Geburtenraten nötigen alle drei, den Verstand als entscheidenden Rohstoff zu nutzen. Und eben da geht man verschiedene Wege. Während Deutschland – zuerst nur die BRD – seit den 1960er Jahren Ausländer ins Land holt, um Eigentümer überholter Branchen länger profitabel zu halten, drängt Ostasien seine Talente rigoros in Hightech-Industrien, denen Ungelernte nicht helfen können.
Nun ließe sich die fernöstliche Migrationspolitik immer noch übernehmen. Doch Seoul arbeitet zusätzlich mit einem Faktor, den man nicht nachmachen kann: Bei PISA 2018 hat Südkorea unter 1.000 Kindern 69 Meisterrechner, Deutschland aber nur 28. Bei TIMSS 2019 erreichen Südkoreaner in Mathematik durchschnittlich 600 Punkte (Platz 3 hinter Singapur und Hongkong), die Deutschen dümpeln bei 521 (Platz 25). Niemand weiß, warum das so ist. Es führt gleichwohl dazu, dass Südkorea neben Taiwan das einzige Land ist, das 5-Nanometer-Halbleiter bauen kann. Machen, was andere einfach nicht hinbekommen, ist eine mächtige Rezeptur, wird hierzulande aber als Lieferkettenproblem schöngeredet. Für eine Rückkehr von Europäern in diese Kette fehlt nicht Geld, sondern Verstand. Solange man bei Mathe-Assen hinten liegt, kann Ostasien nur dominanter werden. Dass da kein unabwendbares Schicksal waltet, demonstriert die Schweiz. Sie erringt bei einem Zehntel der deutschen Bevölkerung 2021 gut drei Zehntel der deutschen PCT-Patente.
Dr. phil. Dr. rer. pol. Gunnar Heinsohn (*1943; emer. Prof.) hat 1993 an der Universität Bremen das Rafael-Lemkin-Institut als Europas erste Einrichtung für vergleichende Völkermordforschung gegründet und bis 2009 geleitet.