Von Tobias Häßner.
Die DDR und ihre Staatspartei SED forderte von Ihren Bürgern nicht nur Treue, sondern auch Dankbarkeit. Alle sozialen Wohltaten, von der Schule über die Ausbildung und das Studium bis hin zur Gesundheitsversorgung, wurden vom Staat und der Partei zur Verfügung gestellt. Nun könnte man fragen, wer sonst in einer sozialistischen Planwirtschaft sollte für diese Dinge sorgen, wenn die meisten privatwirtschaftlichen Initiativen zum Scheitern verurteilt waren. Geschenkt. Auch als der Autor seine Ausbildung absolvierte, wurde er mit dieser offiziellen Erwartungshaltung konfrontiert. Dabei spielte es keine Rolle, dass er lieber studiert hätte, ihm dies aber trotz eines Notenschnitts von 1,3 mit Verweis auf seine Ablehnungshaltung hinsichtlich einer FDJ-Mitgliedschaft verweigert wurde.
Glücklicherweise ist die DDR Geschichte. An die genannte Erwartungshaltung wurde man jedoch kürzlich bei der Online-Lektüre der von mir früher so geschätzten FAZ erinnert. Das einstige konservative Flaggschiff der politischen Meinungsbildung kann für sich seit einigen Jahren durchaus eine gewisse Regierungsnähe in Anspruch nehmen, um es etwas zurückhaltend auszudrücken. Die Gedanken aber, die Jasper von Altenbockum in diesem Beitrag formuliert, sind zutiefst verstörend und offenbaren eine Systemnähe, die einem freien und unabhängigen Journalisten nicht gut zu Gesicht stehen.
Der Redakteur fragt, warum immer mehr Wähler den Parteien einen Denkzettel verpassen, obwohl die Deutschen so zufrieden wie selten zuvor seien. Mit Blick auf die jüngsten Wahlergebnisse in Ostdeutschland heißt es weiter: „Wahlen dienen den Glücklichen neuerdings auch dazu, die Hand zu beißen, die sie über Jahre und Jahrzehnte gefüttert hat.“ Zwar weist Altenbockum zurecht darauf hin, dass Dankbarkeit keine politische Kategorie sei. Seine Enttäuschung darüber, dass für viele Wähler Dankbarkeit als Haltung im politischen Alltag im Allgemeinen und im Verhältnis zu den Parteien im Besonderen offenbar überhaupt keine denkbare Kategorie darstellt, ist ihm aber anzumerken.
Die Rolle der Parteien wird unerträglich idealisiert
Man reibt sich verwundert die Augen, nicht nur angesichts der inhaltlichen Aussage, sondern auch des gesamten Duktus. Unseren Wohlstand verdanken wir den Parteien, die uns gnädigerweise mit dem Lebensnotwendigen versorgen? Hier wird zum einen ein vermeintliches Abhängigkeits- und Zuwendungsverhältnis formuliert, welches eines – für die Demokratie unerlässlich – kritischen Staatsbürgers unwürdig ist. Zum anderen wird die Rolle und Aufgabe von Parteien als entscheidende Akteure der politischen Interessenvermittlung in unerträglicher Weise idealisiert.
Parteien streben nach Macht – so einfach und realistisch lässt sich die Politische Soziologie Max Webers in diesem Kontext auf den Punkt bringen. Die Aussage, dass Parteien „maßgeblich dazu beigetragen haben“, dass die Deutschen so glücklich sind, verkennt in gefährlicher Weise die Wirkungszusammenhänge der parlamentarischen Demokratie. „Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“, heißt es lapidar im Grundgesetz. Sie werden ausreichend finanziert und bieten ihren Mitgliedern attraktive Karrieremöglichkeiten. Das ist die nüchterne Beschreibung für unser politisches System. Wenn Parteien zu etwas beigetragen haben, ist es in erster Linie Politikverdrossenheit.
Ja, Dankbarkeit ist eine gesunde Lebenseinstellung. Ich bin für vieles dankbar, auch im Politischen: für unsere Freiheitlich Demokratische Grundordnung, für unsere Verfassung, für die Deutsche Einheit und die Befreiung durch die Alliierten 1945. Aber ganz sicher nicht für die Parteien, so notwendig sie für das Funktionieren unserer Demokratie sein mögen. Bei Glück als Resultat politisch-gesellschaftlichen Handelns denke ich in erster Linie an die US-Amerikaner, die Demokratie und Wohlstand nach Deutschland gebracht haben, an Wirtschaftsunternehmen, die trotz wachsender Bürokratie und steigender Steuerlast dafür arbeiten, dass Deutschland wettbewerbsfähig bleibt und an die vielen Millionen Steuerzahler, die unseren Wohlstand jeden Tag neu erarbeiten. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Deutschen sind nicht glücklich wegen, sondern trotz ihrer Parteien. Und im Bild zu bleiben: Die Wähler beißen nicht in die Hände, die sie füttern, sie ziehen sich von denen zurück, die sie immer weiter mit Legitimation füttern sollen.
Das Bild, welches Jasper von Altenbockum durch seine Lobeshymne von den Parteien und damit der politischen Klasse in Deutschland zeichnet, entspricht vielleicht sogar deren Selbstwahrnehmung. Die Gegenleistung des Wählers für seine Dankbarkeit wäre dann konsequenterweise seine Stimme. Das Fatale an dieser Beschreibung ist jedoch, dass Altenbockum ganz offensichtlich von diesem gönnerhaften Blick der wohltätigen Parteien auf ihre empfangenden Wähler als wünschenswertem Normalzustand ausgeht. Deshalb ist sie so verstörend.
Tobias Häßner, Jahrgang 1971, hat Politikwissenschaft und Marketing studiert.