Gastautor / 08.11.2019 / 13:00 / Foto: Thamizhpparithi Maari / 31 / Seite ausdrucken

Parteien: Lasset uns undankbar sein!

Von Tobias Häßner.

Die DDR und ihre Staatspartei SED forderte von Ihren Bürgern nicht nur Treue, sondern auch Dankbarkeit. Alle sozialen Wohltaten, von der Schule über die Ausbildung und das Studium bis hin zur Gesundheitsversorgung, wurden vom Staat und der Partei zur Verfügung gestellt. Nun könnte man fragen, wer sonst in einer sozialistischen Planwirtschaft sollte für diese Dinge sorgen, wenn die meisten privatwirtschaftlichen Initiativen zum Scheitern verurteilt waren. Geschenkt. Auch als der Autor seine Ausbildung absolvierte, wurde er mit dieser offiziellen Erwartungshaltung konfrontiert. Dabei spielte es keine Rolle, dass er lieber studiert hätte, ihm dies aber trotz eines Notenschnitts von 1,3 mit Verweis auf seine Ablehnungshaltung hinsichtlich einer FDJ-Mitgliedschaft verweigert wurde.

Glücklicherweise ist die DDR Geschichte. An die genannte Erwartungshaltung wurde man jedoch kürzlich bei der Online-Lektüre der von mir früher so geschätzten FAZ erinnert. Das einstige konservative Flaggschiff der politischen Meinungsbildung kann für sich seit einigen Jahren durchaus eine gewisse Regierungsnähe in Anspruch nehmen, um es etwas zurückhaltend auszudrücken. Die Gedanken aber, die Jasper von Altenbockum in diesem Beitrag formuliert, sind zutiefst verstörend und offenbaren eine Systemnähe, die einem freien und unabhängigen Journalisten nicht gut zu Gesicht stehen.

Der Redakteur fragt, warum immer mehr Wähler den Parteien einen Denkzettel verpassen, obwohl die Deutschen so zufrieden wie selten zuvor seien. Mit Blick auf die jüngsten Wahlergebnisse in Ostdeutschland heißt es weiter: „Wahlen dienen den Glücklichen neuerdings auch dazu, die Hand zu beißen, die sie über Jahre und Jahrzehnte gefüttert hat.“ Zwar weist Altenbockum zurecht darauf hin, dass Dankbarkeit keine politische Kategorie sei. Seine Enttäuschung darüber, dass für viele Wähler Dankbarkeit als Haltung im politischen Alltag im Allgemeinen und im Verhältnis zu den Parteien im Besonderen offenbar überhaupt keine denkbare Kategorie darstellt, ist ihm aber anzumerken. 

Die Rolle der Parteien wird unerträglich idealisiert

Man reibt sich verwundert die Augen, nicht nur angesichts der inhaltlichen Aussage, sondern auch des gesamten Duktus. Unseren Wohlstand verdanken wir den Parteien, die uns gnädigerweise mit dem Lebensnotwendigen versorgen? Hier wird zum einen ein vermeintliches Abhängigkeits- und Zuwendungsverhältnis formuliert, welches eines – für die Demokratie unerlässlich – kritischen Staatsbürgers unwürdig ist. Zum anderen wird die Rolle und Aufgabe von Parteien als entscheidende Akteure der politischen Interessenvermittlung in unerträglicher Weise idealisiert.

Parteien streben nach Macht – so einfach und realistisch lässt sich die Politische Soziologie Max Webers in diesem Kontext auf den Punkt bringen. Die Aussage, dass Parteien „maßgeblich dazu beigetragen haben“, dass die Deutschen so glücklich sind, verkennt in gefährlicher Weise die Wirkungszusammenhänge der parlamentarischen Demokratie. „Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“, heißt es lapidar im Grundgesetz. Sie werden ausreichend finanziert und bieten ihren Mitgliedern attraktive Karrieremöglichkeiten. Das ist die nüchterne Beschreibung für unser politisches System. Wenn Parteien zu etwas beigetragen haben, ist es in erster Linie Politikverdrossenheit.

Ja, Dankbarkeit ist eine gesunde Lebenseinstellung. Ich bin für vieles dankbar, auch im Politischen: für unsere Freiheitlich Demokratische Grundordnung, für unsere Verfassung, für die Deutsche Einheit und die Befreiung durch die Alliierten 1945. Aber ganz sicher nicht für die Parteien, so notwendig sie für das Funktionieren unserer Demokratie sein mögen. Bei Glück als Resultat politisch-gesellschaftlichen Handelns denke ich in erster Linie an die US-Amerikaner, die Demokratie und Wohlstand nach Deutschland gebracht haben, an Wirtschaftsunternehmen, die trotz wachsender Bürokratie und steigender Steuerlast dafür arbeiten, dass Deutschland wettbewerbsfähig bleibt und an die vielen Millionen Steuerzahler, die unseren Wohlstand jeden Tag neu erarbeiten. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Deutschen sind nicht glücklich wegen, sondern trotz ihrer Parteien. Und im Bild zu bleiben: Die Wähler beißen nicht in die Hände, die sie füttern, sie ziehen sich von denen zurück, die sie immer weiter mit Legitimation füttern sollen.

Das Bild, welches Jasper von Altenbockum durch seine Lobeshymne von den Parteien und damit der politischen Klasse in Deutschland zeichnet, entspricht vielleicht sogar deren Selbstwahrnehmung. Die Gegenleistung des Wählers für seine Dankbarkeit wäre dann konsequenterweise seine Stimme. Das Fatale an dieser Beschreibung ist jedoch, dass Altenbockum ganz offensichtlich von diesem gönnerhaften Blick der wohltätigen Parteien auf ihre empfangenden Wähler als wünschenswertem Normalzustand ausgeht. Deshalb ist sie so verstörend.

Tobias Häßner, Jahrgang 1971, hat Politikwissenschaft und Marketing studiert.

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Leserpost

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Steffen Rascher / 08.11.2019

So sieht es aus wenn der Schwanz mit dem Hund wedeln will. Irre komisch das Ganze. Bei allem Ärger sollten wir das Lachen nicht vergessen. Lachen wir sie also einfach aus! Dann singen wir noch ein Spottliedchen in etwa so:  - Dem Wilhelm dem doofen, dem Oberjanoven dem hamse de Krone jeklaut.  ... jaa, jaa ...  Stammt so von 1919 “Wem ham ´se de Krone jeklaut?”. Gibt bestimmt noch mehr.

Stefan Lanz / 08.11.2019

Den Wohlstand haben wir uns nicht wegen, sondern trotz der Parteien erarbeitet… So wird ein Schuh daraus.

Volker Altenähr / 08.11.2019

Es verschlägt einem die Sprache. Wer füttert hier wen ? Unser derzeitiges politisches Personal strotzt vor Dummheit und Selbstgefälligkeit.Eines der Haupt-“Verdienste” der Groko ist die Umverteilung von Steuergeldern insbesondere auch an unsere “Gäste” .

Petra Wilhelmi / 08.11.2019

Besonders lustig finde ich die naive Frage, warum Wähler den Parteien ein Denkzettel verpassen. Leider kann ich diesen Schreiberling nicht ins Gesicht lachen oder mich kugeln. So IST Demokratie. Das Volk wählt und die Parteien haben eigentlich vor dem Volk stramm zu stehen und für das Wohlergehen des Landes Sorge zu tragen. Wahrscheinlich kennt der Schreiberling auch die Eidesformel nicht, die z.B. auch. die Bundeskanzlerin abgelegt hat und die sie laufend bricht. Zur Demokratie gehört auch ein Denkzettel, wenn die Parteien außerhalb dessen, was das Volks will, agieren. Das sollte ganz normal sein. Ganz normal sollte es auch sein, dass die Parteien in sich gehen und über ihren Mist, den sie verzapfen, nachdenken. Nun, mit dem Denken ist das so eine Sache. Wenn dort oben nichts ist, wird es auch mit dem Nachdenken schwierig. Besonders lustig finde ich die Passage, dass wir bösen Deutschen das machen, obwohl es uns doch so gut wie nie geht. Meint der Kerl das ernst? Hat er zuviel verbotene Substanzen geraucht oder ist er ist er nie aus seiner Wohnung/Haus gekommen oder “nur”  schlicht und ergreifend zu dumm und glaubt an die veröffentlichten Umfragen und Statistiken? Was ich unverschämt finde, ist, dass er moniert, dass wir Ostdeutschen die Hand beißen würden, die uns füttert. Das ist mir in meiner Lehrzeit schon einmal an den Kopf geworfen worden, als ich damals die Beatles verteidigte gegen den sozialistischen Mief. Bitte Herr Schreiberling: Ich bin noch nie gefüttert worden. Alles, aber auch alles habe ich mir erarbeitet, viel gelernt, viel gearbeitet, nebenher studiert und wenn es sein musste mit vielen Überstunden. Man muss sich nicht von so einem ungebildeten und unwissenden Etwas so etwas unter die Nase reiben lassen. Keiner von uns Deutschen hat das notwendig.

Wolf von Fichtenberg / 08.11.2019

Ich mache es kurz und verweise auf das Parteiengesetz, hier direkt auf § 1 “Verfassungsrechtliche Stellung und Aufgaben der Parteien”. Darin - für JEDEN nachlesbar: (...), Absatz 2 - (2) Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mit…(...). Dieses leitet sich auch aus dem Artikel 21 des Grundgesetzes ab (...) GG, Absatz 1.:  “Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit…”(...)——Sie wirken also mit an dem, was das Volk will.  Befragen Sie das Volk um den Willen zu erforschen? Handeln sie nach den bekommenen Antworten?  Die Frage beantworte jeder Leser für sich selbst. Parteipolitiker werden sagen: “Es steht doch alles im Parteiprogramm” und sehen das sogleich als eine Art Freifahrtschein an. Das ist falsch denn es zeigt nur in welche Richtung es es gehen soll. Gemäß dem GG ist das Volk der Souverän, der Politiker - speziell der Abgeordnete - ist nur ein bezahlter Angestellter, der, so scheint es, leider eine selbstbedienende Eigendynamik entwickelte und eher dem Lobbyisten lauscht als dem Volk zuzuhören.

Michael Müller / 08.11.2019

Altenbockum hat das gleiche Weltbild wie die brandenburgische SPD-Funktionärin kurz vor der Landtagswahl: Ja, was haben die Leute denn? Also ich versteh das nicht. Denen geht’s doch gut! Man muß nur mal die Leserbriefe in der FAZ lesen, um zu verstehen, daß deutsche Journalisten und Politker wie Drakula durch die Welt wanken und verzweifelt auf den Sonnenaufgang warten.

Jens Boysen / 08.11.2019

Sehr geehrter Herr Häßner, ich stimme dem Tenor Ihres Beitrags völlig zu und gehöre auch zu denjenigen, die sich gegen die bei uns leider weitverbreitete antiamerikanische Haltung wenden. Dennoch stört mich hier wie in vielen anderen Beiträgen aus dem merkelkritischen Lager jener Defätismus, mit dem immer wieder behauptet wird, die Amerikaner bzw. die Westmächte hätten uns die Demokratie gebracht. Das ist so in mehrererlei Hinsicht falsch: Erstens ist unser demokratisches Geisteserbe seit dem 18. Jh. dem der westlichen Nationen absolut ebenbürtig. Zweitens ging es im Zweiten Weltkrieg nicht um unsere “Befreiung” und auch nicht primär um die anderer Völker und Personengruppen, sondern um handfeste strategische Interessen (was nicht ausschließt, das wir jedenfalls im Westen nach 1945 ziemlich viel Glück hatten). Drittens war die Weimarer Republik entgegen der bösen Fama eine hochentwickelte und trotz aller Mängel zumindest bis 1930 gut funktionierende Demokratie, die im Westen wie im Osten ihresgleichen nicht hatte (an ihrem Niedergang haben die Westmächte übrigens erheblich mitgewirkt). Und viertens ergab es sich hieraus, dass nach dem Krieg aus den USA zurückkehrende deutsche Emigranten maßgeblich auf Basis ihrer “Weimarer” Erfahrungen den Wiederaufbau prägten (vgl. Udi Greenberg, The Weimar Century: German Émigrés and the Ideological Foundations of the Cold War, Princeton 2016).

Bernhard Freiling / 08.11.2019

Das ist m.E. der rote Faden, der sich seit ungefähr 30 bis 40 Jahren durch unser Leben zieht. “Die Politik” soll die Rahmenbedingungen schaffen, damit wir ein “glückliches und zufriedenes Leben” führen können. Zu diesem Behufe wurden die Abgeordneten in die Parlamente gewählt. WIR finanzieren ihnen ein weitestgehend von materiellen Sorgen befreites Leben, damit sie diese Rahmenbedingungen erschaffen. Dazu müssen sie UNS aufs Maul schauen. Und UNS dankbar für die Chance sein, die sie von uns erhalten haben. Mitnichten aber ist “die Politik” für unser Glück und unsere Zufriedenheit verantwortlich. Das sind wir ganz alleine, indem wir die Rahmenbedingungen besser oder schlechter nutzen. /// Leider begann “die Politik” zum o.g. Zeitpunkt, die Verhältnisse umzukehren. Durch immer mehr (durch uns selbst finanzierte) Wohltaten hat sie immer mehr Menschen von diesen abhängig gemacht und ihnen den Eindruck vermittelt, Glück und Zufriedenheit würden von “der Politik” bereit gestellt. Viel zu Viele von uns glauben das auch und bezweifeln heute nicht mehr, “der Politik” dankbar sein zu müssen. Nicht schön und auch nicht angemessen, aber absolut menschlich, wenn Politiker diese Konstellation hemmungslos ausnutzen und nach Kräften fördern. “Den Michel” scheint es ohnehin nicht zu stören. Für den scheint das die Normalsituation zu sein. /// Durch diese gedankliche Perversion wird das Podest, auf das wir “die Politik” gestellt haben, immer höher. So hoch, daß sogar Geisteszwerge wie Baerbock oder Roth oder Gabriel oder Steinmeier oder Maas (nur als Beispiel), die im “normalen Leben” Angst haben müßten, sich beim Sturz von der Teppichkante ernsthaft zu verletzen, auf uns herab schauen können. /// Ist das nicht “zum in die Tischkante beissen”?

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