Dushan Wegner, Gastautor / 20.09.2021 / 12:00 / Foto: S.F. Leonard / 32 / Seite ausdrucken

Parolen im Gemüseladen

Ein Händler, der sich „Ich verkaufe nicht an Andersdenkende“ ins Schaufenster stellt, was sagt er wirklich? Vielleicht dies: „Ich bin gehorsam, ich ordne mich unter. Bitte, Propaganda, lasst mich weiter mitspielen!“

Im Jahr 1978 schrieb der tschechische Dichter und Dramaturg (sowie natürlich spätere Staatspräsident) Václav Havel einen Essay mit dem Titel „Moc bezmocných“, zu Deutsch: „Die Macht der Machtlosen“. Havel bespricht in jenem Essay die Macht des politischen Sozialismus und die Gegenstimmen der Dissidenten (die er im einleitenden Satz via „Ein Gespenst geht um“-Formulierung wie einen Spiegel des Marxschen Kommunismus aufstellt).

Im dritten Abschnitt jenes Essays entwirft Havel das später in der Literatur bekannt gewordene Bild vom Gemüsehändler:

„Der Geschäftsleiter eines Gemüseladens platzierte in seinem Schaufenster, zwischen den Zwiebeln und Karotten, den Slogan: 'Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!' – Warum tat er das?“ (Václav Havel, Moc bezmocných, 1978; meine Übertragung aus dem Tschechischen)

„Auf mich ist Verlass“

Havel vermutet, dass der Händler das Schild als Teil der Lieferung erhielt. Bei der überwiegenden Mehrheit der Gemüsehändler lässt sich davon ausgehen, so der Autor, dass sie sich über den Inhalt des Slogans nie Gedanken gemacht haben. Es wurde von ihm erwartet, den Slogan auszustellen, so wurde es immer getan – und wenn sie es nicht täten, würde es Ärger geben.

Dem Händler ist der semantische Gehalt der Worte reichlich gleichgültig. Er stellt den Slogan auch gewiss nicht ins Schaufenster, weil er sich in tiefstem Herzen nach den erklärten Zielen sehnt. Der Gemüsehändler hat es schlicht getan, weil es, so Havel, „eine der tausend 'Kleinigkeiten'“ ist („je to jedna z tisíce 'maličkostí'“), die man tun muss, um ein relativ ruhiges Leben führen zu können.

Der Gemüsehändler hat nie wirklich über die Botschaft nachgedacht, und er könnte auch nicht sagen, wie die Vereinigung der weltweiten Arbeiter seiner Meinung nach praktisch passieren soll. Die erste Botschaft, die der Gemüsehändler durchs Aufstellen des Slogans wirklich aussendet, richtet sich nach oben. Indem der Gemüsehändler das Schild aufstellt, sagt er: „Auf mich ist Verlass“ („je na mne spolehnutí“), und: „Ich bin gehorsam, und daher habe ich Anspruch auf ein ruhiges Leben!“ („jsem poslušný, a mám proto právo na klidný život“).

Summe der Macht

Natürlich erinnert uns Havels Gemüsehändler an heutige Händler, die sich Schilder ins Schaufenster kleben, wie sehr sie doch Andersdenkende und die jeweils aktuellen Regierungsgegner verachten. Es erinnert vielleicht auch an Konzerne, die ihre Skandale mit Regenbogenflaggen und anderer Instant-Moral übertünchen wollen.

Havel könnte in uns tatsächlich so etwas wie Verständnis für die Mitläufer und Gerngehorsamen wecken. Havel scheint sie so zu entschuldigen: „Die glauben selbst nicht unbedingt an die Slogans, die sie ins Fenster hängen, die wollen nur in Ruhe gelassen werden.“ – Ich würde Havel entgegnen: „Das mag im tschechischen Sozialismus so gewesen sein. Im neuen deutschen Sozialismus aber, aufgeheizt von Sozialisten in Staatsfunk und diversen Vereinen, meinen erschreckend viele Gemüsehändler es ernst, wenn sie die Slogans der Propaganda nachplappern und in ihre Schaufenster hängen!“

Indem der Gemüsehändler die Slogans der Macht zu seinen werden lässt, wird er zum Teil der Macht – und das Regime weitet seine Macht aus. Ein Händler, der sich heute einen Hetz-Spruch gegen Andersdenkende ins Schaufenster klebt, er signalisiert damit natürlich zuerst, dass er in Ruhe gelassen werden möchte, etwa von den Antifa-Schlägerbanden oder von ideologischer Repression durch die lokale Regierung (man vergleiche die Schilder in den Fenstern von verzweifelten Geschäftsinhabern, als im „Wahlkampf“ 2020 in den USA der BLM-Mob die Geschäfte plünderte und in Brand setzte; siehe etwa hier, hier, hier, et cetera).

Jedoch, indem der Händler den Slogan ins Schaufenster stellt, um die Macht zu beschwichtigen, stärkt und erweitert er die Macht. Selbst wenn die Unterwerfung eines einzelnen Gemüsehändlers die Summe der Macht nicht um viel erweitert, so verhindert sie, dass derselbe Händler sich für eine andere Sache stark macht. Die totalitäre Macht verträgt kein Machtvakuum, deshalb muss sie jeden auch nur möglichen Freiraum ausfüllen, sprich: total sein.

Es geht um Angst

„Wir haben gesehen“, so Havel im fünften Abschnitt jenes Essays, „dass die wahre Bedeutung des Slogans des Gemüsehändlers auf keine Weise zusammenhängt mit dem, was der Text besagt.“

Der Text sagt etwas von Arbeitern und Sozialismus, die Aussage ist aber: „Ich habe Angst, und also ordne ich mich brav ein, womit ich mir das Recht erkaufe, in Ruhe gelassen zu werden.“ – Gerade für heutige „Gemüsehändler“ ließe sich ergänzen: „Es sind wirtschaftlich wacklige Zeiten, und da will ich Teil der Macht werden! Statt einer von denen zu sein, die sich fürchten, will ich durch meinen Gehorsam einer von denen werden, vor denen die Ungehorsamen sich fürchten.“

Es geht um Angst. 2016, nach dem Anschlag auf den Breitscheidplatz, schrieb ich den Essay „Ich habe keine Angst mehr“. Nun, meine Angst bezog sich damals aufs Aussprechen von Wahrheit. – Eine andere Sache aber hatten wir damals nicht genug bedacht: Selbst wenn du keine Angst hast, so lebst du in einer Welt, welche von den Ängstlichen geschaffen wird.

Selbst wenn du mutig genug bist, die Slogans der Partei nicht in deinem Schaufenster aufzustellen, so wirst du doch Möhren und Zwiebeln von anderen kaufen wollen – die Frage ist, ob der Gemüsehändler dann nicht zu ängstlich ist, dir die Möhren und Zwiebeln zu verkaufen.

Havel schließt jenen Essay mit der Frage, ob die bessere Zukunft immer ein entferntes „Dort“ sein muss. Was, so fragt er, wenn die bessere Zukunft schon längst da ist? Was, wenn nur unsere Blindheit und unsere Schwäche verhindern, dass wir es in uns sehen und weiterentwickeln? – Ich wage nicht, dem Dichter zu widersprechen. Wohl dem, der in der Welt der ängstlichen Gemüsehändler seinen eigenen Gemüsegarten hat, metaphorisch gesprochen natürlich – und vielleicht bald auch ganz konkret.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Dushan Wegner.

Foto: S.F. Leonard Flickr via Wikimedia Commons

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Hans-Peter Dollhopf / 20.09.2021

Ab dem 26. wird bei mir der Spruch gelten: “Da soll sich gefälligst der Staat drum kümmern.” Ich mach ab dann keinen Finger mehr krumm.

Richard Loewe / 20.09.2021

als wir in den USA ankamen, waren wir super happy, daß wir einen Bäcker fanden, der baguette tradition wie in Paris machte. Dann kam Corona und der super linke Bäcker in einem super linken Stadtteil machte begeistert mit. Und die Kunden auch. Eine manchmal 50m lange Schlange vor der Tür von glücklichen Maskierten - ich als Unmaskierter hatte immer viel Platz hinter mir. Nach kurzer Zeit ging das nicht mehr. Also habe ich angefangen, Brot zu backen und nach kurzer Zeit war mein Brot genauso gut wie das, was in einem guten Bäcker in Paris oder Garmisch aus dem Ofen kommt Regal. Wurst (vom Schwarzgeräuchertem bis zur hannoverschen Schlackwurst mache ich schon lange selbst). Gemüse allerdings kaufen wir bei Sam’s Club oder bei unserem Bauern (wie ein Berkshire Hog und ein halbes Rind) und unser Bauer hat eine Israel- und eine amerikanische Flagge am Haus. Ich habe das Gefühl, daß unsere Nische überleben wird, weil es genug von uns gibt und unsere linken Nachbarn kein Interesse haben, Blockwart zu spielen. Die wollen lieber unsere fränkische Hirschbratwurst auf dem Grill.

Wolfgang Janßen / 20.09.2021

Dieser Essay enthält einen logischen Fehler. Wenn der Händler nicht an anders Denkende verkauft, muss man ja zuerst wissen, was er selber denkt. Das geht aus dem Schild nicht hervor. Vielleicht ist er ein Kritiker der Regierung und verkauft nicht an Personen, die regierungstreu sind. Oder er ist regierungstreu und verkauft nicht an Kritiker. Das müsste zuerst eruiert werden. Zum Beispiel durch Befragung. Dann kann man sich kurzfristig anpassen, wenn man die Ware dringend benötigt. “Wes’ Brot ich ess, des’ Lied ich sing” bekommt dann einen ganz anderen Klang,  wenn es sich um einen Bäcker handelt.

S.Buch / 20.09.2021

Im neuen, dritten deutschen Sozialismus ist es so, wie im ersten. Und der hat bekanntlich bitterböse geendet.

Volker Kleinophorst / 20.09.2021

“Ich weiß jetzt genau, wen ich wähle! Einen großen fucking Meteoriten!” Bartzissey auf Twitter nach dem Triell.

Bernd Ackermann / 20.09.2021

“Arbeiter aller Länder, vereinigt euch”, “No G20, spare our store”, “Black owned business”, “Juden unerwünscht”, “No Dogs, No Blacks, No Irish”, “Whites only”, “Blanke Gebied” oder eben heute “Nur für Geimpfte” - es sind meist alles Symptome derselben Krankheit Angst. “Never take counsel of your fears”, wie Andrew Jackson sagte, Angst in ein schlechter Ratgeber. Die Arbeiter haben den Teufel getan sich zu vereinigen und den Kommunismus abgeschüttelt, in Hamburg wurden die Läden trotzdem von der Antifa verwüstet, ebenso wie die schwarzen Geschäfte in den USA, das Dritte Reich ging unter, im UK, den USA und Südafrika ist die Segregation Vergangenheit - wie lange wird “Nur für Geimpfte” Bestand haben? Solange wie die Menschen es sich gefallen lassen und ihre Angst nicht überwinden. Wenn aber Hunderttausende denken, dass einer allein doch nichts machen kann, werden wir darauf sehr lange warten müssen.

Gudrun Meyer / 20.09.2021

Den Händler, der sowieso schon von einer Gesundheitsdiktatur geschäftlich geschädigt wurde und jetzt nicht einfach “nein” sagen kann, wenn er als Mitläufer gegen die AfD, Werte-Union oder gegen “rächz” im allgemeinen “gebraucht” wird, kann ich verstehen und entschuldigen. Das gilt auch dann, wenn er oder sie gehirnwaschen genug ist,  “freiwillig” ein Schild “Wir verkaufen keine Pegida-Blumen! Aktiv gegen Rechts!” auszuhängen, mit dem er veröffentlicht, dass er keine Produkte von Michael Beleites führt, der übrigens nicht zu Pegida gehört und nicht mal in deren Nähe steht, sondern lediglich den Vorschlag gemacht hat, mit Pegida-Anhängern zu reden, statt Brüllkrämpfe und persönliche Verleumdungen gegen sie zu liberaldemokratischem und antifaschistischem “Widerstand” zu erklären. Was ich nicht verstehe und nicht entschuldige, ist die Hetze, die von Politikern (meist, aber nicht nur der linken Parteien), Bossen der steuerfinanzierten “N"GOs und Schlepperorganisationen,  am ununterbrochensten jedoch von der regimenahen Journaille ausgeht. Diese Leute, die den “Kampf gegen rächz” mit praktisch jedem anderen Thema verschmolzen haben, gehören vor Gericht: wg. Stilllegung unantastbarer Grundrechte, wg. inhaltlich unhaltbarer Hetze gegen Andersdenkende (z.B gegen “rechte Schwurbler, Verschwörungstheoretiker und Antisemiten der “Querdenker”-Szene”, wg. Auslieferung absehbarer Opfer an immigrierte Schwerkriminelle, die nicht mehr ausgewiesen werden dürfen, weil Menschlichkeits-Ideologen die Rechte dieser Verbrecher weit über denen der Opfer ansiedeln. Ein nicht-muslimischer Schwarzafrikaner, der schon lange in D lebt und diese Dinge einschätzen kann, sagte dazu: “Die da oben erziehen uns zu Schafen, und dann lassen sie die Wölfe auf die Weide!” Genauso ist es. Also, lieber Herr Wegner: in der Sachen haben Sie völlig recht, glaube ich, aber Sie unterschätzen die Hilflosigkeit der desinformierten bis gehirngewaschenen, situativ unter Dauerdruck stehender, kleinen Mitläufer.

Volker Kleinophorst / 20.09.2021

War nicht Angst mal ein ganz schlechter Ratgeber (Merkel). Ach ja das war bei der Masseninvasion 2015. Bei Corona war/ist das anders. Nur haben sich die negativen Prognosen zur Grenzöffnung bewahrheitet. Weswegen dieses Thema im hirntoten Gelalle des Kanzlertriells keine Rolle spielte. Auch nicht bei den Fragen der sogenannten Journalisten. Aust sagte im Presseclub es gäbe eine Wahl zwischen drei sozialdemokratischen Parteien. Also wo Aust das demokratisch verortet. Aber sozialistisch hat er sich wohl nicht getraut?

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