Peter Grimm / 28.09.2024 / 14:00 / Foto: KI / 78 / Seite ausdrucken

Parlamentsfrieden an der Brandmauer?

Nach dem Urteil des Landesverfassungsgerichts wurde in Thüringen die im Chaos gestrandete konstituierende Sitzung des Landtags jetzt fortgesetzt. Sind die Zeiten einer überparteilichen Ämtervergabe an der Parlamentsspitze endgültig Geschichte?

Der letzte Donnerstag stand bekanntlich im Zeichen einer konstituierenden Landtagssitzung, die nicht über den ersten Tagesordnungspunkt hinaus kam und bekanntlich im Chaos eines Geschäftsordnungsstreits endete, weil die Parlamentsmehrheit der Brandmauerfraktionen entgegen bisheriger Gepflogenheiten noch rasch die Spielregeln für die Wahl des Landtagspräsidenten ändern wollte. Schließlich galt es, zu verhindern, dass dieses Amt wie bisher an die stärkste Fraktion geht, denn dieses Mal war die AfD die stärkste Fraktion, und Mitglieder dieser Partei, die immerhin die Stimmen von einem Drittel der Wähler repräsentiert, soll weiterhin möglichst von jedem herausgehobenen Amt ferngehalten werden.

Der AfD-Alterspräsident versuchte das – nicht unbedingt mit Geschick – zu verhindern. Beide Seiten blockierten sich gegenseitig, und das Landesverfassungsgericht musste entscheiden, wie die Sitzung heute fortzusetzen war. Am späten Freitagabend wurde das Urteil bekanntgegeben: Da es das verfassungsmäßige Recht der Abgeordneten sei, sich ihre Geschäftsordnung selbst zu geben und sie auch jederzeit zu ändern, müsse der Antrag von CDU und BSW auf Änderung der Wahlregeln vor der Wahl des Landtagspräsidenten behandelt werden. Der bisher gepflegte Parlamentsbrauch zur konstituierenden Sitzung genießt im Gegenzug keinerlei verfassungsrechtlichen Schutz. Insofern ist die Rechtslage klar und das Urteil wahrscheinlich – so erscheint es dem juristischen Laien, der diese Zeilen hier schreibt – juristisch nicht zu beanstanden.

Schade um den dabei beerdigten Parlamentsbrauch ist es trotzdem, denn er war ein Zeichen dafür, dass sich die Abgeordneten aller Couleur grundsätzlich mit einer gewissen Überparteilichkeit auf die Besetzung der Posten an der Parlamentsspitze einigen sollten und konnten. Und dieses Zeichen war mehr als nur ein kleines Symbol, es war Ausdruck einer parlamentarischen, ja einer demokratischen Kultur, in der der politische Gegner nicht als erbitterter Todfeind behandelt wird. Aber in Zeiten des allgemeinen Niedergangs ist das Ende eines solchen demokratischen Brauchs vielleicht nicht überraschend.

Für manchen Beobachter überraschend war hingegen vielleicht die ruhige, professionelle und friedliche Atmosphäre, in der die zuvor in lautem Chaos gestrandete konstituierende Sitzung des Landtags ihren Fortgang nahm. Der Alterspräsident folgte den Regieanweisungen des Verfassungsgerichts. In der Debatte über den Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung sprachen die Parlamentarischen Geschäftsführer aller Fraktionen zumeist in einem ruhigem und unaufgeregtem Ton. Vor allem die Vertreter von CDU und AfD prägten den Anfang der Debatte mit ruhig und nachvollziehbar vorgetragenen Argumenten. Da gab es keine Sprechblasen, keine Provokationen. Es gab unaufgeregte Schuldzuweisungen und Gegendarstellungen. Zeitweise wirkte es so, als wollten diese Redner nach dem Chaos-Donnerstag beweisen, dass auch Abgeordnete des Thüringer Landtags die Kunst der zivilisierten parlamentarischen Debatte noch beherrschen.

Ausgrenzung stärkt die AfD immer weiter

Die Wahl des Landtagspräsidenten verlief dann ohne Überraschungen. Die AfD-Kandidatin Wiebke Muhsal fiel durch und der Kandidat der zweitgrößten Fraktion Thadäus König (CDU) wurde von den Mandatsträgern aller Fraktionen außer denen der AfD gewählt. Der nächste heikle Punkt, an dem manche Beobachter vielleicht etwas Unruhe erwartet hätten, war die Wahl der Vizepräsidenten. Die alles beherrschende Frage war: Würde eine Mehrheit der Abgeordneten für die AfD-Kandidatin stimmen oder bliebe die Partei auch von diesem Amt ausgegrenzt. Eigentlich war zu erwarten, was geschah, nämlich dass Wiebke Muhsal auch hier nur die AfD-Stimmen bekam und damit scheiterte. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die AfD nicht bei allen anderen Kandidaten geschlossen gegen sie stimmte. Das lässt sich trotz der geheimen Wahl anhand der Zahlen sagen. Die AfD war mit 32 Abgeordneten im Plenum vertreten. Gegen den BSW-Kandidaten Steffen Quasebarth stimmten aber nur zwölf Abgeordnete bei 15 Enthaltungen. Wobei die Enthaltungen wahrscheinlich nicht alle von der AfD kamen. Cornelia Urban von der SPD kassierte lediglich 14 Nein-Stimmen bei neun Enthaltungen. Lediglich bei der Linken Lena Sanye Güngör könnte es angesichts von 34 Nein-Stimmen bei sechs Enthaltungen sein, dass alle AfD-Mandatsträger gegen sie gestimmt haben.

Wollte die AfD mit diesem Stimmverhalten ihren Wunsch nach Kooperation ausdrücken? Ist für alle anderen Parteien das Verfassungsgerichtsurteil nun ein Signal, den Brandmauer-Kurs der größtmöglichen AfD-Ausgrenzung fortzusetzen? Reagiert die AfD nun lautstark und empört?

Während des Wahlgangs im Parlament jedenfalls nicht. Der frisch gewählte Parlamentspräsident fragte die Fraktion, ob sie mit ihrem Wahlvorschlag für das Vize-Präsidentenamt noch einmal ins Rennen gehen wolle und bekam in ruhigem Ton zur Antwort: "in dieser Sitzung nicht". Das klingt ganz so, als würde endlich das geschehen, was bei der Besetzung eines solchen Amtes eigentlich normal war: Man einigt sich auf einen Kandidaten, der auch für die Mandatsträger anderer Parteien wählbar ist. Sollte jetzt ausgerechnet in Thüringen nach dieser Parlamentsaufführung zwischen Putsch und Posse im Landtag ein zivilerer und professionellerer Umgang mit den bislang meist Ausgestoßenen beginnen? Man kann es kaum glauben, aber es wäre an der Zeit. Mit der Fortsetzung der Ausgrenzungs-Rituale machen die Ausgrenzer die AfD erfahrungsgemäß immer stärker und in Teilen auch radikaler. Nur einsehen wollen sie diesen Kausalzusammenhang bislang kaum.

 

Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.

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Gottfried Meier / 28.09.2024

Es werden damit nicht nur die Abgeordneten einer Partei ausgegrenzt, sondern auch die Wähler der größten im thüringischen Landtag vertretenen Partei. Die Altparteien und das BSW spalten ein Land und nehmen das billigend in Kauf. Gut ist das nicht.

B.Jacobs / 28.09.2024

Dank den bescheuerten Wählern droht uns wieder eine Diktatur, um so mehr, wenn Deutschland als Krieg Verlierer aufgeteilt wird. Die Wessis halten an ihren Systemparteien fest, werdet sehen, zu viele fallen noch auf die Versprechen rein und da kann der Osten strampeln wie er will. Warum hat den Rothschild Merkel allen Gegnern der Krieg erklärt, selbst dem linken BSW, weil dann ihr Machtapparat bröckeln wird. Ich war nie Freund der Linken, dazu habe ich die Diktatur der DDR zu sehr genossen, aber einen Kriegsgipfel mitten in D. als Kriegserklärung gegen Russland, waren 2 Weltkriege mit so vielen Opfern nicht genug?

A. Ostrovsky / 28.09.2024

@Lutz Herrmann : >>Auf dem Niveau ist Thüringen angekommen!<< ## Da ist nichts angekommen. Es ist die alte Macht. So wie in Italien die Mafia die alte Macht ist, die immer existierte und immer existieren wird. Aber man spricht nicht darüber. Kritisch wird es erst, wenn sie ihren Einfluss ausdehnen. Das gilt für beide.

B.Jacobs / 28.09.2024

Ich frage es mal so, warum ist Wagenknecht die Einzigste, außer der AFD, die Diplomatie statt Waffen fordert,  Das war doch früher bei den alten Politikern, die schmerzhaft Krieg erlebt haben selbstverständlich! Wo bleiben die feigen Ratten, zum Kriegsgipfel mitten in Deutschland NEIN zu sagen. Wollen sie Krieg, nachdem sie unser Land in Grund und Boden gewirtschaftet haben? Haben sie das unermessliche Leid der Kriegsgenration je begriffen? Krieg ist kein Spiel!

Paul Franklin / 28.09.2024

@Steffen Huebner: Das Gericht hat keine Geschäftsordnung außer Kraft gesetzt. Es hat dem Landtag lediglich bestätigt, dass er, nachdem er zusammengetreten und beschlussfähig ist, sich jederzeit eine Geschäftsordnung geben kann, d.h. auch eine bestehende ändern kann - auch VOR der Wahl des Präsidenten. Das ist eigentlich relativ einfach nachzuvollziehen. Denn wenn der Landtag sich einen Präsidenten wählt und der Landtag sich eine Geschäftsordnung gibt, dann benötigt es offensichtlich keinen Präsidenten, um ein Landtag zu sein, der seine Geschäftsordnung festgelegt. Steht alles so in der Verfassung. Das hier 150 Jahre parlamentarische Gepflogenheit auf dem Altar des AfD Derangement Syndroms geopfert wurde, steht auf einem anderen Blatt. Dem Gericht kann hier meiner Meinung nach kein Vorwurf gemacht werden.

A. Ostrovsky / 28.09.2024

@Lutz Herrmann : >>Lustige Gerichtsentscheidung.<< ## Die Christlich-Demokratische Union (DDR) war eine Blockpartei der “Nationalen Front”, = Vasall der SED. Sie ist die nach dem Untergang der DDR einzige unverändert sogar nahezu mit gleichem Namen in die Vereinigung übernommene Partei. Ihr Zusammenschluss mit der West-CDU ist, wie wir nun bildlich sehen können, eher symbolisch gewesen. Sümbolpolitik würde Mutti sagen. So tun, als ob. Diese Partei ist, speziell hinsichtlich ihrer Auffassungen der Demokratie von allen Parteien den Vorstellungen der SED am Nächsten. In dem Thüringer Parlament sind also die Blockpartei der Nationalen Front “CDU”, die SED nach mehreren Namensänderungen, zuletzt Die Linke, und eine Separation der Kommunistischen Plattform innerhalb der SED unter dem Namen BSW, und zuletzt mit sechs wackligen Sitzen die SPD, die in den Wirren der Wende als SDP gegründet wurde und der ich aus eigener Anschauung speziell in Thüringen zutraue, dass sie entgegen ihrem offiziellen Credo vor allem aus ehemaligen SED-Mitgliedern gebildet wurde. Das ist aber nur ein subjektiver Eindruck. Und neben diesen verschiedenen Teilen der ehemaligen SED gibt es dort noch die AfD. Und alles, was wir sehen können, spiegelt diese Verhältnisse wieder. In Thüringen wie ein Brennglas, denn außer Ramelow hat das gesamte Personal der drei bis vier SED-Nachfolger das Machtverständnis der Diktatur des Proletariats verinnerlicht “Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles fest in der Hand behalten”. Bei Ramelow selbst fehlt der erste Halbsatz im Glaubensbekenntnis Und weil das nun seit einem Menschenalter dort so funktioniert, haben die auch keine Beißhemmungen. Das sieht nur für Außenstehende so befremdlich aus. Dort in Thüringen selbst läuft das seit 80 Jahren so. Es wäre völlig naiv, von denen etwas anderes zu erwarten. Es gibt neben Erfurt nur noch einen Ort, wo das noch gravierender, Potsdam. Dort war die Hochschule des Ministeriums der Staatssicherheit der DDR.

A. Ostrovsky / 28.09.2024

@Lutz Herrmann : >>Lustige Gerichtsentscheidung.<< ## Die Christlich-Demokratische Union (DDR) war eine Blockpartei der “Nationalen Front”, = Vasall der SED. Sie ist die nach dem Untergang der DDR einzige unverändert sogar nahezu mit gleichem Namen in die Vereinigung übernommene Partei. Ihr Zusammenschluss mit der West-CDU ist, wie wir nun bildlich sehen können, eher symbolisch gewesen. Sümbolpolitik würde Mutti sagen. So tun, als ob. Diese Partei ist, speziell hinsichtlich ihrer Auffassungen der Demokratie von allen Parteien den Vorstellungen der SED am Nächsten. In dem Thüringer Parlament sind also die Blockpartei der Nationalen Front “CDU”, die SED nach mehreren Namensänderungen, zuletzt Die Linke, und eine Separation der Kommunistischen Plattform innerhalb der SED unter dem Namen BSW, und zuletzt mit sechs wackligen Sitzen die SPD, die in den Wirren der Wende als SDP gegründet wurde und der ich aus eigener Anschauung speziell in Thüringen zutraue, dass sie entgegen ihrem offiziellen Credo vor allem aus ehemaligen SED-Mitgliedern gebildet wurde. Das ist aber nur ein subjektiver Eindruck. Und neben diesen verschiedenen Teilen der ehemaligen SED gibt es dort noch die AfD. Und alles, was wir sehen können, spiegelt diese Verhältnisse wieder. In Thüringen wie ein Brennglas, denn außer Ramelow hat das gesamte Personal der drei bis vier SED-Nachfolger das Machtverständnis der Diktatur des Proletariats verinnerlicht “Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles fest in der Hand behalten”. Bei Ramelow selbst fehlt der erste Halbsatz im Glaubensbekenntnis Und weil das nun seit einem Menschenalter dort so funktioniert, haben die auch keine Beißhemmungen. Das sieht nur für Außenstehende so befremdlich aus. Dort in Thüringen selbst läuft das seit 80 Jahren so. Es wäre völlig naiv, von denen etwas anderes zu erwarten. Es gibt neben Erfurt nur noch einen Ort, wo das noch gravierender, Potsdam. Dort war die Hochschule des Ministeriums der Staatssicherheit der DDR.

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