Manfred Haferburg / 19.04.2017 / 11:48 / Foto: Cezary p / 5 / Seite ausdrucken

Paris vor der Wahl – Wasserstandsmeldung Nr. 3

In einer Woche wird in Frankreich gewählt. Aber fangen wir doch lieber mit etwas Nettem an: Paris brennt nicht und Land unter ist auch nicht. Die Seine schlängelt sich in ihrem Bett gemächlich an der Notre Dame vorbei und die Liebespaare machen das, wofür sie nach Paris gekommen sind: sie küssen sich innig und lassen sich von der Politik nicht stören. Dafür hat ihnen die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo geschickt und mittels ihrer Salamitaktik einen neuen Raum geschaffen. Zwischen dem Place de la Concorde und der Bastille hat sie die einstige Schnellstraße Voie Georges Pompidou direkt am Seineufer unter dem Motto „Paris holt Luft“ erst an einem Sonntag im Monat, dann ein Jahr später an jedem Sonntag und schließlich ein paar Jahre später ganz und gar für den Autoverkehr geschlossen.

Mein Lieblingstaxifahrer schimpft sie dafür uncharmant „Saloppe“. Ich liebe die Idee, hat die Stadt doch dort jetzt Spielplätze, Kletterwände für Kinder, Sportgeräte und viel Sitzgelegenheiten am Wasser installiert, wo Liebespaare schmusen können. An schönen Tagen nehmen tausende Pariser und Touristen diese neuen Flaniermeile an. Ein paar Bistros auf Schiffen haben schon festgemacht und bieten bezahlbare Erfrischungen auf dem Wasser an. Dafür staut sich jetzt der Verkehr regelmäßig vor dem Louvre – man kann eben nicht alles haben. Vor kurzem hat die gleiche Salamitaktik auf den Champs-Èlysées begonnen.

Wenn Wahlen vor der Tür stehen, laufen auch in Frankreich die Umfragekünstler aller Couleur zu Hochform auf. Je nach politischer Präferenz jubeln sie ihre Kandidaten hoch oder die Gegner in die statistische Versenkung – die leidgeprüften deutschen Leser kennen das ja. In einer jüngsten Umfrage hält Le Pen mit 23,5 Prozent ihre Spitzenposition knapp vor dem ehemaligen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, der auf 22,5 Prozent kommt. Auf dem dritten Platz liegt der Kandidat der Republikaner, François Fillon (19 Prozent).

Diese beiden Kandidaturen werden nach wie vor von Korruptionsvorwürfen gegen die Kandidaten überschattet. An vierter Stelle rangiert der unabhängige Sozialist Jean-Luc Mélenchon (18,5 Prozent). Der Bewerber der derzeit regierenden Sozialistischen Partei, Benoît Hamon, liegt mit 8,5 Prozent abgeschlagen auf dem fünften Rang. Die erste Runde der Präsidentschaftswahl findet am 23. April statt, eine mögliche Stichwahl am 7. Mai. Warum die deutschen Journalisten neuerdings statt Macron ausgerechnet den erklärten Europakritiker Mélenchon in den Wahlhimmel heben, verstehe wer will.

Die Bundeswarnblinkanlage Steinmeier mischt sich ein

Ein Pariser Freund hat mir die Unvorhersagbarkeit des diesjährigen französischen Wahlergebnisses erklärt. Er meint, dass die Wähler bei den letzten beiden Wahlen 2007 und 2012 vor der relativ einfachen Wahl standen, für rechts oder links zu stimmen. So wurde 2007 der rechte Sarkozy Président de la République française. Er enttäuschte die Franzosen so sehr, dass sie 2012 den linken Hollande wählten. Der enttäuschte noch mehr, so dass ein Jahr später schon kein Franzose mehr zugeben wollte, jemals Holland seine Stimme gegeben zu haben.

Im Jahr 2017 ist die Qual der Wahl viel nuancierter geworden. Vom linken Linken, der gegen die EU ist bis zur rechten Rechten, die über den Verbleib Frankreichs in der EU das Volk befragen will, sind alle Schattierungen im Angebot. Flüchtlingskrise und islamischer Terror spielen im Wahlkampf eine große Rolle, dazu kommen Kriminalität in den Banlieues und diverse Intrigen der Kandidaten. Kurz gesagt – die Umfragen hält mein Freund für reine Kaffeesatzleserei, keiner kann so richtig das Wahlergebnis vorhersagen. Und das ist gut so, lassen wir uns einfach überraschen.

Wie immer, wenn irgendwo auf der Welt gewählt wird, möchten am liebsten die Etablierten in Deutschland entscheiden, wer die Wahl gewinnt. Die neue Bundeswarnblinkanlage Frank-Walter Steinmeier, der ja schon die Amerikaner vor der Trump-Wahl gewarnt hatte, hat die Franzosen vor einer Wahl der Rechtspopulistin Marine Le Pen zur Präsidentin gewarnt. Man stelle sich das mal aus französischer Sicht vor - ein deutscher Bundespräsident warnt die Franzosen, ja nicht „die Falsche“ zu wählen! Steinmeier sagt, die Franzosen sollten nicht auf die „Sirenengesänge“ derer hören, die Frankreich eine „große Zukunft“ versprächen, zugleich aber beseitigen wollten, „was heute auch zu Frankreich gehört – ein Garant europäischer Stabilität und Grundpfeiler der Europäischen Union zu sein.“ Zum Glück ersparte er den Franzosen, was sonst nach Meinung deutscher Spitzenpolitiker noch so alles „zu Frankreich gehört“. Und überhaupt, ist das die charmante deutsche Diplomatie? Ich weiß nicht, wie sich ein deutscher Bundespräsident seine Staatsbesuche bei Staatsoberhäuptern vorstellt, die er vor der Wahl öffentlich mal eben als Hassprediger oder Sirenen beleidigt hat.

Verbales Fetzen am gemeinsamen Ostermittagstisch

Die Qual der Wahl setzt sich bis in die Familien fort. Maman will Le Pen wählen, der Sohn ist ein Grüner und will für Hamon stimmen: „Pierre, Mélenchon ist der ideale Mann für Le Pen!“ „Maman, die Wahl wird gefälscht, eine halbe Million Wähler haben zwei Wahlkarten bekommen, die stimmen jetzt alle für Le Pen“… Da fliegen schon mal die verbalen Fetzen am gemeinsamen Ostermittagstisch, wo bei Rotwein und gigot d'agneau eigentlich Fröhlichkeit und Harmonie angesagt sind. In Frankreich geht - wie in Deutschland - ein Riss statt eines Rucks durchs Land. In fragwürdigen Umfragen liegt der Front National vorn, daher ist die Angst der Gauche vor einer „falschen Entscheidung“ der Wähler groß. Mutmaßlich linksextreme Attentäter haben am 13. April einen Brandanschlag auf das Wahlkampfbüro der französischen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen in Paris verübt.

Aber die Sonne scheint. Ich gehe am Seineufer spazieren und versuche, einen Sonnenplatz auf einem der Restaurantboote zu ergattern. Da kann ich den kletternden Kindern zuschauen oder die neuesten Wahlprognosen in der Zeitung studieren.

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Martin Wessner / 20.04.2017

Monsieur Melenchon ist ein nationalistischer Sozialist, währendessen Madame LePen eine sozialistische Nationalistin ist. Also praktisch zwei Enden ein und des selben EU-feindlichen Baguettes, das, wenn es von den Bürgern der Grande Nation mit Käse und Wein verspeist wird, mit großer Wahrscheinlichkeit dafür sorgt, dass der Titanic-Dollar, auch euphemistisch “Euro” genannt, hoffentlich alsbald Geschichte sein wird. Ich jedenfalls drückte Monsieur Melenchon ganz dolle meine beiden Daumen, denn welche Wonne und welcher Genuss muss es wohl für einen “kritischen Europafreund” wie mich sein, die ratlosen und entgeisterten Gesichter der Mächtigen in Brüssel und Berlin zu sehen, die nicht die geringste Ahnung haben werden, wie man mit einem Populisten umzugehen hat, der nicht rechts ist. Oh-‘la-‘la! Auf dieses köstliche 5 Sterne-Mahl französischer Politkochkunst freue ich mich schon jetzt.

Ulrich Volke / 19.04.2017

Kann man das in Frankreich noch lesen - die Zeitung?

Dr. Roland Mock / 19.04.2017

Lustig, daß Steinmeier vor der Wahl “der Falschen” warnt. Hat er 2012 auch vor der Wahl seines Genossen Hollande gewarnt? Denn der war ja wohl- wie seine desaströse Regierungsbilanz zeigt- falscher als falsch. Wie immer die Franzosen entscheiden werden: Ich hoffe für sie und für Europa, daß sie nicht mit der Marseillaise im Kopf (Klassenkampf auf Teufel komm raus), sondern nüchtern und rational abstimmen werden. Wenn sich in der Stichwahl zwei, die beide eine ultralinke Wirtschaftspolitik betreiben wollen (Le Pen und Melanchon) gegenüberstehen, ist fast egal wer gewinnt. Für Frankreich würden es weitere fünf verlorene Jahre werden. Und selbst der bislang so smarte und besonnene Macron (neben Fillon der einzige der 11 Kandidaten, der Marktwirtschaft buchstabieren kann) klopft auf der Zielgeraden antideutsche Sprüche. Na toll. Ob das Geschimpfe auf deutsche Exportüberschüsse helfen wird, daß die Franzosen mehr Citröns und Peugeots ins Ausland verkaufen können…. In jedem Fall wirds spannend.

Peter Zentner / 19.04.2017

Lieber Herr Haferburg, Sie sind erfrischend prägnant, wie immer. Ich danke Ihnen besonders für die Berufsbezeichnung “Bundeswarnblinkanlage”, die treffender nicht sein könnte. Frank-Walter Steinmeier ist bei weitem nicht der einzige deutsche Politiker, der diese Bezeichnung verdient. Aber er hat schon als Außenminister das grundlegende Handwerk dieses Amts weder gekannt noch respektiert: diplomatische Contenance und Diskretion anstatt kreischender Drehorgelei für einheimische Parteifreunde, “Aktivisten” und Ostermarschierer aller Art.

Marco Holter / 19.04.2017

Wenn Herr Steinmeier es ernst meint mit seinen Wahlempfehlungen, ja dann hätte er auch vor Melenchon warnen sollen. Seine Wahl wäre wohl auch nicht vorteilhaft für ein “weiter so” in Brüssel. Interessant wäre auch gewesen, wenn er auf Staatsbesuch in Ankara die Türken vor Erdogans “Ermächtigungsgesetz” gewarnt hätte. Aber dazu fehlt dann der Mut. Man hat uns, der Bevölkerung, ja gesagt, nach Brexit und Trump hätte man verstanden. Die versuchte Einflussnahme deutscher Politiker hatte sich da ja auf das deutsche Wunschergebnis nicht unbedinkt positiv ausgewirkt. Ich wäre mal auf die Reaktion von Hernn Steinmeier gespannt, wenn Herr Trump die Deuschen beim kommenden G20 Gipfel dazu aufrufen würde, dass man doch mal überlegen sollte die “große Vorsitzende” abzuwählen und nach Alernativen zu suchen.

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