Manfred Haferburg / 11.12.2018 / 12:00 / Foto: Unbekannt / 44 / Seite ausdrucken

Paris – Vom Zittern der Eliten

Emmanuel Macron, der Sunnyboy Frankreichs, hat zur Nation gesprochen und vorher jede Menge Kreide gefressen. Macron versuchte in seiner Rede (Deutsche Übersetzung hier) empathisch zu wirken, indem er die Terminologie der Gelbwesten nachahmte – er sprach von den „Verletzten“ der Gesellschaft – den Geschiedenen, den Alleinerziehenden, den Geringverdienern, die nicht mehr über die Runden kämen, während er mit anderen Dingen beschäftigt war, während seine Prioritäten woanders lagen. Das klang fast wie ein Schuldeingeständnis.

Empathie ist aber nicht wirklich Macrons Stärke. Er übernahm – im Stil von modernen Politikern – nur „einen Teil der Verantwortung“ für die Wut und Entrüstung. Gleichzeitig schob er den Löwenanteil der Misere seinen Vorgängern der letzten 40 Jahre in die Schuhe. 

Nach vier Wochen der Rebellion, nach dutzenden Verletzten, nach vier Toten, nach Wochen des Schweigens sagte Macron: „einige Forderungen“ der Gelbwesten seien legitim, er selbst fühle die Wut „zum Teil“ mit. Viele werden sich ob der Absurdität der Situation gefragt haben: Warum dann trägt Macron bei seiner Rede keine gelbe Warnweste? Macron schaute wie ein ertappter Lausbub drein, als er eine Art sozial-ökonomischen Notstand ausrief.

Dann gab Macron irgendwie den Sarkozy. Er versprach in seiner Rede notgedrungen den wütenden Bürgern, die nicht genug Brot haben, ein paar Kuchenkrümel. Was soll er auch machen, die Kassen sind leer. Der Präsident versprach die Anhebung des Mindestlohnes um 100 Euro pro Monat, Zurücknahme der Sozialabgabenerhöhung der Renten, Zurücknahme der geplanten Steuererhöhungen auf Kraftstoffe und Energie, eine künftig unversteuerte Überstundenbezahlung. Er appellierte an Unternehmer, die – wenn das Unternehmen es sich leisten könne – eine Art „Jahresendprämie“ zahlen sollten, die dann nicht versteuert würde. 

Die französische Presse lässt nicht alles durchgehen 

Da half auch kein Make-up. Macron gab während seiner Rede kein gutes Bild ab. Sein Einlenken geht mit einem Gesichtsverlust einher. Aber er tut niemandem leid, weil er sich selbst in diese peinliche Lage manövriert hat. In Frankreich funktioniert das Aussitzen von Problemen nicht so wie in Deutschland. Die Presse in Frankreich lässt der Regierung nicht alles durchgehen. 

Ich werde den Eindruck nicht los, dass heute etwas anders war als sonst bei den Diskussionen im Fernsehen. Normalerweise sind die französischen Eliten stolz auf ihre Diskussionskultur. Man drückt sich gewählt aus, lässt den Anderen ausreden, bleibt höflich und zurückhaltend. Den eingeladenen Politikgrößen stand gestern abend die Furcht ins Gesicht geschrieben. Sie überschrien sich gegenseitig, die charmanten Moderatorinnen wirkten irgendwie hilflos. Der Grund für diese Panik ist wohl, dass die Politik spürt: Die sozialen Ankündigungen werden die gelbe Revolution nicht mehr besänftigen können. Verlangt werden nämlich längst nicht mehr nur soziale Maßnahmen, verlangt wird mehr Demokratie. Forderungen nach Volksentscheiden und mehr Volksbeteiligung an der Politik stehen im Raum. Das macht den oberen Zehntausend mehr Angst als alle Staatsschulden und Sozialausgaben zusammen.

Ab 2019 werden wohl für die Kleinverdiener 50 bis 100 Euro mehr im Portemonnaie sein. Das reicht dann eventuell für die Bezahlung der Telefonrechnungen der ganzen Familie. Die Franzosen wollen aber von ihrem Einkommen nicht nur telefonieren, sie wollen wieder so würdig lebe, wie sie das noch vor einigen Jahren konnten. Macron wird notgedrungen einige Fehler der letzten 18 Monate korrigieren: Er sagte dazu: „Wir sind an einem historischen Moment für unser Land angelangt, der auch eine Chance ist“. Das hätte er wohl gerne. Ich habe da meine Zweifel, ob die Gelbwesten eine Chance für die Regierung Macron sind. 80 Prozent der Franzosen aller politischen Richtungen sympathisieren mit den Gilets Jaunes. Davor zittern die Eliten und haben womöglich Albträume. 

Und alles in allem sind das auch keine guten Nachrichten für Angela, Annegret und Andrea.

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Norbert Rahm / 11.12.2018

Herr Haferburg, ich möchte mich zuerst anderen Kommentatoren anschließen: Vielek Dank für die großartige zeitnahe Berichterstattung nahe am Geschehen. Ich habe die Rede vorhin gelesen, sie war in der Tat schwach, ein Video zeigte mir zudem einen auch im Auftreten ungewohnt schwachen Macron. Schlimm war jedoch, wie ähnlich sie im Geiste den mittlerweile typischen deutschen Entschuldigungsreden war: Er übernimmt Verantwortung, aber im gleichen Atemzug, eigentlich war und ist er aber für nichts verantwortlich, vieles ist nur “gefühlt” und so weiter. Vielleicht fürchten unsere Politiker das Beispiel der Gelbwesten, auch wenn der deutsche Michel schon immer hinterher und ein Schnarchsack war. Aus denselben Gründen verfolge ich das Geschehen: Es macht mir Hoffnung, dass doch nicht alles immer alternativlos weitergeht wie bisher. Wenn auch vorerst nur in Frankreich.

Wilhelm Müller / 11.12.2018

Macron reagiert anders auf die Proteste als Madame Alternativlos? Das liegt vermutlich daran, dass es der eine mit Galliern und die andere mit Warmduschern zu tun hat.

fritz kolb / 11.12.2018

Ich wünsche den Gelbwesten in Frankreich, daß sie sich weiter selber treu bleiben. Auf eure Politiker wie Macron zu hoffen, das wäre einfach nur realitätsfern, Politikern zu glauben, was sie in einer Krise oder vor der Wahl versprechen, das allerdings wäre einfach nur dumm. Und lasst euch auch von den Deutschen nicht beeinflussen, die sind für Generationen paralysiert und leben weiter ihren Schuldkult aus. Und auch die Beiträge hier bei der Achse dürfen euch nicht täuschen, wir sind hier nur eine kleine Minderheit der Aufrechten, praktisch wie Asterix und Obelix in der Römerzeit in eurem Land. Macht weiter euer Ding, bitte.

Claudia Maack / 11.12.2018

@jogi alb liegt völlig richtig mit seiner Einschätzung der Misere Frankreichs, die man nicht allein Macron ankreiden kann. Er erntet nur die Folgen der fatalen Sozialisten-Geschenke aus Mitterands Zeiten, die kein Präsident je gewagt hat zurückzunehmen. Kein Land kann gegen so viele Urlaubstage, so hohe Löhne bei so wenig Arbeitsleistung, die Frühverrentung und die Faulenzerei in den Banlieues anverdienen. Frankreich bekämpft die Misere mit immer mehr Wohltaten, die es sich nicht leisten kann und reitet sich damit immer weiter in den Dreck. Wie ein Magen, der anfängt, sich selbst zu verdauen, wenn die Schutzschicht abgetragen ist.  Anstatt neuer Geschenke, die überhaupt nichts bewirken, sollte Macron eine gnadenlose Reform wie Frau Thatcher durchziehen. Doch das wird auch er sich nicht trauen. Das Problem sind auch nicht “die Reichen”, sondern die vielen Staatsdiener, die über Vetternwirtschaft zu ihren Jobs gekommen sind und immer neue Privilegien einfordern. Was für die Arbeiterschaft genauso gilt, die keineswegs die ausgebeute Unschuld darstellen.  Die Müllkutscher in Marseille arbeiteten beispielsweise immer nur 4 Stunden am Tag und ließen den Rest der Zeit die Stadt im Müll versinken. Jahrelang wagte keiner, etwas dagegen zu sagen. Und die intelligenten jungen Leute, die an hervorragenden Prépas und Grandes Écoles sehr anspruchsvoll ausgebildet wurden, was den Staat immenses Geld kostet, gehen massenhaft ins Ausland, weil ihnen Frankreich nichts mehr bieten kann außer einem Gehalt, das gerade mal für eine überteuerte Bude in einem hässlichen Pariser Vorort reicht.

Peter Müller / 11.12.2018

Ja, gut, Monsieur Macron wirkt trotz eher jugendlichen Alters wie ein typischer, pompöser, abgehobener Präsident eben wirkt. Aber: ist wirklich alles schlecht, was er getan hat, tut oder tun will? Gelesen habe ich, das Renten unter 2.000 Euro von einer bestimmten Abgabe ausgenommen werden. Wer, bitteschön, hält dies hierzulande für einen niedrigen Rentenbezug? Hier sind Frauen mit Renten von unter 1.000 Euro keine Seltenheit. Damit will ich sagen, dass in Frankreich wohl entschieden andere Standards zu herrschen scheinen als hierzulande. “Das Land” lebt seit Jahren über seine ökonomischen Verhältnisse. Müsste da nicht angesetzt werden? Dazu gibt es eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, einen Zentralismus, der die Regionen vernachlässigt und vieles andere mehr. “Weg mit Macron” scheint da etwas einfach und die Forderungen der “Gelbwesten” sind verständlich, aber wer soll das bezahlen?

Uwe Dippel / 11.12.2018

Im Gegenteil, Herr Haferburg. Je schlimmer es wird, um so mehr rücken die Deutschen zusammen, den Gürtel enger schnallend, die Entbehrungen beinahe herbeisehnend. Weil sie sich dann so richtig gut fühlen können. Moralische Selbstaufrichtung, oder so. Lassen wir uns das mal auf der Zunge zergehen: die Gelbwesten haben begonnen mit - oder wegen - eines Spritpreises von 2€. Die Deutschen hingegen lassen sich ihre vor 3 oder 5 Jahre als umweltfreundlich gekauften Dieselautos von oben stilllegen. Und entweder finden sie das gut, weil grün und umweltfreundlich, oder Pappa und Mamma müssen ein paar Überstunden schieben und die Familie auf den Urlaub verzichten, damit man sich ein neues, diesmal hoffentlich sauberes Auto leisten kann. Wahrscheinlich hätten die Franzosen in der gleichen Situation schon den Elysee-Palast in Flammen gesetzt und die Erfindung von Dr. Guillotine wiederentdeckt. Wer hat denn den grössten Niedriglohnsektor Europas; und wer hat schon heute den höheren Mindestlohn? Richtig: Deutschland und Frankreich.

Thomas Bonin / 11.12.2018

Vorgestern erschien auf Welt-Online (anlässlich der aktuellen Ereignisse im Nachbarland) ein Interview mit Daniel Cohn-Bendit: vormals als Berufsrevoluzzer (An- oder Mitanführer der `68er Chaostage in Paris) am Start gewesen, mittlerweile (seit zig) Jahren fürstlich berappter Absitzer in der Grünen-Fraktion des EU-Parlaments plus (soll heißen, obendrein) ... bitte anschnallen! ... endlich auch Nebenverdienstler im Beraterpulk des französischen Präsidenten. Wer so hart für sein Auskommen arbeitet, darf natürlich gern mit Klugscheißereien aufwarten (im abgeschirmten Verlagsgebäude, versteht sich, nicht etwa vor Ort, wo gerade das Leben auf Frankreichs Straßen & Plätzen tobt). Hm, was wohl auf seinem Betriebsausweis steht? Vermutlich “Administrateur de banque sans responsabilité / Bank Director without responsibility / Bankdirektor ohne Verantwortung”. Oder einfach nur “Elite”?

Gabriele Schulze / 11.12.2018

Die Drecksarbeit machen die anderen Länder und nehmen es auch auf sich, die Bösen zu sein, wie in der Migrationsfrage. Nur dürften die deutschen Händchen beim Polieren des Heiligenscheins schon leise zittern. Hoffentlich. Wie köstlich, Herr Haferburg, am Schluß die drei A’ s!

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