Paris und Auschwitz: Angriffe auf das Shoah-Gedenken

Der vonseiten der „Palästina-Solidarität“ gerne erhobene Vorwurf, der „Schuldkult“ verschaffe dem Staat Israel einen unfairen Wettbewerbsvorteil, schlägt sich immer öfter in Anschlägen auf das Shoah-Gedenken nieder.

In Paris ist die Mur des Justes, die Mauer der Gerechten, geschändet worden. Sie ist jener Teil des Shoah-Denkmals, der viertausend Männern und Frauen gewidmet ist, die zur Zeit der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs Juden vor der Deportation gerettet haben. Nun wurde er mit roten Handabdrücken beschmiert, einem Symbol, das auch bei den aktuellen Pro-Hamas-Demonstrationen verwendet wird. Wie die linksliberale Tageszeitung Libération vermeldete, vermuten Ermittler der Pariser Polizeipräfektur einen „Coup Moskaus dahinter, der das Ziel verfolge, Frankreich zu destabilisieren. Zuerst hatte die Wochenzeitung Le Canard enchaîné – eine traditionsreiche Satirezeitung, die gleichzeitig für ihren seriösen investigativen Journalismus bekannt ist – darüber berichtet, anschließend der öffentliche Sender France Info.

Laut diesen Informationen haben die Ermittler anhand von Bildern der Videoüberwachung und der Ortung von Mobiltelefonen zwei Sprayer und einen Komplizen, der die Szene filmen sollte, identifiziert. Die drei Männer, alle Bulgaren, waren in einem Hotel im 20. Arrondissement untergebracht. Unmittelbar nach der Schändung der Mauer der Gerechten sollen sie Paris mit einem Flixbus Richtung Brüssel verlassen haben. Die Tat, die in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai verübt wurde, erinnert an antisemitische nächtliche Aktionen in Paris, die im letzten Herbst und Winter verübt worden waren.

In der Nacht des 26. Oktober 2023 etwa wurden zwei Personen festgenommen, die Davidsterne an Hauswände gesprüht hatten. Es handelte es sich um ein Ehepaar aus Moldawien. Bei der Vernehmung sagten die beiden Verdächtigen aus, dass sie zwischen drei- und fünfhundert Euro erhalten hätten, ihnen das Flugticket von Chisinau nach Frankreich bezahlt und Mobiltelefone zur Verfügung gestellt worden seien.  Ein dritter Mann, der vor Ort anwesend war, soll ihnen Schablonen und Farbdosen besorgt haben. Er soll auch Fotos von den Davidsternen gemacht haben, um sie in sozialen Netzwerken zu verbreiten. Einem zweiten Team soll die Flucht gelungen sein.

Schmierereien

In einem zusammenfassenden Vermerk der Generaldirektion für innere Sicherheit (DGSI), der an das Außenministerium weitergeleitet wurde und aus dem die Tageszeitung Le Monde zitierte, hieß es, die „Operation Davidsterne“ sei vom „5. Dienst des FSB“ gesteuert worden, der innerhalb des russischen Sicherheitsdienstes für internationale Operationen zuständig ist. „Eine Desinformationskampagne, die sich in Wirklichkeit als Teil einer umfassenderen Einmischungsoperation in mehreren europäischen Ländern und in Moldawien herausstellte“, so die Zeitung. In der Nacht auf den 23. Januar wurden im IX. Pariser Arrondissement, genannt Opéra, südlich von Montmartre, in dem viele Juden leben, antijüdische Schmierereien auf die Fassaden von Geschäften gesprüht: Davidsterne sowie der Slogan „Ich bin Rassist“ und ein Schriftzug, der wohl das deutsche Wort „Jude“ darstellen sollte, wobei das „d“ allerdings eher einem „b“ ähnelte, also „Jube“. 

In der Nacht auf den 3. Februar sprühte jemand Davidsterne und erneut das Wort „Jude“ (bzw. „Jube“) an die Rollläden von Geschäften, diesmal in Montmartre, dazu den vermutlich absichtlich kryptischen Schriftzug „Marro Ives Razzia“. Bei diesen Taten wurde bislang kein Verdächtiger ermittelt. Im aktuellen Fall als auch in jenem der verhafteten Moldawier vermuten die Ermittler laut Canard enchaîné eine russische Kampagne. Das Blatt zitierte einen ungenannten „ranghohen Beamten“ und „Geheimdienstexperten“ mit den Worten: „Seit der Ausweisung von etwa vierzig als Diplomaten getarnten Spionen aus der russischen Botschaft in Paris am 4. April 2022 fehlt es Moskau an Agenten, um seine Destabilisierungsoperationen bei uns durchzuführen. Daher greifen sie auf moldawische oder bulgarische Subunternehmer zurück, die nur solange hier sind, bis sie ihre Arbeit erledigt haben. … Das ist eine verschlüsselte Botschaft an [den französischen Präsidenten] Macron, um ihm zu signalisieren, dass Russland in der Lage ist, auf französischem Boden zu agieren, wann immer und wie immer es will.“

Was ist davon zu halten? Natürlich ist es möglich, dass der russische Geheimdienst in Frankreich antisemitische Schmierereien in Auftrag gibt, doch die vorgelegten Beweise sind bislang eher dünn. Grotesk ist eine andere Nacht-und-Nebel-Aktion, hinter der laut Canard enchaîné ebenfalls Russland vermutet wird: In Paris wurden Graffiti mit dem Schriftzug „Achtung! Möglicher Sturz vom Balkon!“ gesprüht. Sie beziehen sich darauf, dass der nationale Immobilienverband im April davor gewarnt hatte, dass während der Olympischen Spiele (26. Juli bis 11. August) in Paris Balkone einstürzen könnten, falls sich zu viele Menschen auf ihnen zum Feiern versammeln. Weder gibt es Beweise für eine russische Urheberschaft dieser Graffiti noch ist erkennbar, welchen Nutzen der Kreml daraus ziehen sollte. Präsident Emmanuel Macron verurteilte die Schändung des Shoah-Denkmals, ohne auf die Russland-Spekulationen einzugehen: „Die Mauer der Gerechten unter den Völkern zu beschädigen, die ein Damm der Aufklärung gegen den Nationalsozialismus waren, bedeutet, das Andenken dieser Helden als auch jenes der Opfer der Shoah zu verletzen“, sagte er. Der Präsident versicherte, die Republik werde „unbeugsam gegenüber dem abscheulichen Antisemitismus“ sein.

Störungen in Auschwitz

Währenddessen wurde auch in Auschwitz das Gedenken an die Shoah geschändet. Der jährlich stattfindende „Marsch der Lebenden“ von Auschwitz nach Birkenau wurde von Störern mit Palästinenserflaggen und Luftballons unterbrochen, die sich den Teilnehmern der Gedenkveranstaltung in den Weg stellten. Die öffentlich-rechtliche deutsche Nachrichtenwebsite tagesschau.de verharmloste die störende antisemitische Agitprop-Aktion mit den Worten: „Am Rande der Gedenkveranstaltung gab es auch einen pro-palästinensischen Protest“, ohne zu reflektieren, was dieser vermeintliche „pro-palästinensische Protest“ inmitten einer Ehrung der Ermordeten des Holocaust zu suchen haben mag. Wie die britische Tageszeitung Daily Mail berichtete, ging Ende April ein Mann durch das Holocaust-Gedenkmuseum in Auschwitz, filmte sich dabei und sagte: „Ihr gehört hierher. Dies ist der Ort, aus dem ihr stammt. Ihr habt diese Lager und Ghettos verlassen. Lang lebe Palästina.“ Auf X sind Aufnahmen eines anderen Mannes zu sehen, der mit einer Palästinenserflagge durch die Gedenkstätte Auschwitz läuft und ein Schild mit den Worten „Israel verübt einen Genozid in Gaza“ in die Höhe hält.

Niemand wird glauben, dass der russische Geheimdienst all dies organisieren musste. Das können die Antisemiten selbst. In diesen Aktionen zur Störung der Totenruhe und des Holocaustgedenkens kulminieren zwei Tendenzen des gegenwärtigen Antisemitismus: Den Juden, die für den Antisemiten das absolut Böse sind, wird stets das schlimmstmögliche Verbrechen vorgeworfen: Früher war es der Deizid, die Juden als angebliche Mörder Christi. In der heutigen säkularen Zeit lautet der Vorwurf stets Genozid, also Völkermord. Mittlerweile wird ihnen auch Scholastizid, also die absichtliche Zerstörung des palästinischen Bildungswesens oder Domizid, also die absichtliche Zerstörung palästinensischer Häuser und Wohnungen vorgeworfen.Eine andere Entwicklung ist, dass der Vorwurf, die Juden benutzten den Holocaust für ihre egoistischen Zwecke und es müsse einmal Schluss sein mit dem angeblichen „Schuldkult“ und dem vermeintlich übertriebenen Gedenken, nicht mehr länger eine Domäne der Neonazis und all derer ist, die man früher die „Ewiggestrigen“ zu nennen pflegte.

Pop-Philosophen wie Omri BoehmDirk Moses und Charlotte Wiedemann haben sich auf dem rechtsextremen Grabbeltisch bedient und tragen mit Stolz die Retroklamotten. Wie man in der Modebranche sagt: „Alles kommt wieder.“ Die so Argumentierenden sind überzeugt, dass das Gedenken der Shoah dem Staat Israel einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschaffe und darum zurechtgestutzt gehöre. Ideen führen zu Taten. Darum war es zu befürchten, dass die linke Anti-Israel-Fraktion sich nicht lange damit begnügen würde, nur in Zeitungskolumnen das Shoah-Gedenken zu verunglimpfen, sondern irgendwann auch in den Gedenkstätten auftauchen würde, um die Totenruhe zu stören und gegen die Gedenkenden zu demonstrieren. Dies wie auch der Hass, der Juden in den USA vonseiten der vermeintlichen „Palästina-Solidarität“ entgegenschlägt, zeigt, dass die Antisemiten es immer weniger für nötig erachten, ihren Hass auf Juden, lebende und tote, als „Kritik an Israel“ zu maskieren.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.

Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009); „Kreditinferno“. „Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ (2012).

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

S. Marek / 31.05.2024

Die Geschosse der Hamas - Raketen, Flugkörper, Mörser - haben im Laufe der Jahre, einschließlich der fünf von der Hamas angezettelten Kriege zwischen 2008 und 2023, Zehntausende von Israelis in Luftschutzkeller gezwungen. Und dass die Gruppe Zivilisten ins Visier nimmt, ist ein Kriegsverbrechen. Doch der tatsächliche Tribut, den die Terrorgruppe durch ihre Angriffe mit Geschossen in Form von verlorenen Menschenleben und beschädigtem Eigentum forderte, war (anders als bei der Invasion der Hamas mit Gewehren, Messern und Granaten am 7. Oktober 2023) viel geringer als das, was die Organisation anstrebte. Im Gegensatz dazu war die Projektion der eigenen völkermörderischen Agenda der Hamas - wie sie in ihrer Charta ausdrücklich erklärt und in ihrem Massaker vom 7. Oktober demonstriert wurde - auf Israel und die Zuschreibung an den jüdischen Staat ein weltweiter Erfolg. Sie wird von führenden Regierungsvertretern auf allen Kontinenten nachgeplappert, auch von Mitgliedern des Kongresses; von Dozenten und Studenten an angesehenen und weniger angesehenen Universitäten, wo immer es solche Einrichtungen gibt; und von nichtsahnenden, aber immer modischen und moralisch kompromittierten großen Medien. Die Behauptung, die Israelis würden einen Völkermord begehen, ist zu ihrer „Wahrheit“ geworden. Sie spucken sie aus, auch wenn sie die Versprechen der Hamas ignorieren, das weiter zu verfolgen, was sie als ihr religiöses Ziel bezeichnet, die Welt von allen Juden zu befreien. Sie tanzen nach der Hamas-Melodie von einem Völkermord im Gazastreifen, obwohl Israels Bemühungen, eine wirklich völkermörderische Organisation auszurotten, in der Tat einen proportional weit geringeren zivilen Blutzoll zur Folge hatten als jeder andere Krieg gegen Kräfte, die sich in der städtischen Bevölkerung einnisten und diese Bevölkerung als Deckung nutzen.

Franz Klar / 31.05.2024

@Chris Kuhn : “Israel interessiert in 140 Ländern der Welt so gut wie niemanden, so viel hier auch getextet wird” . Das nennt die Fachwelt den “Ignoratorischen Antisemitismus” . Besonders üble Spezialform !

Franz Klar / 31.05.2024

“In Paris ist die Mur des Justes, die Mauer der Gerechten, geschändet worden” . 1989ff wurde die Mauer der Antifaschisten durch selbsternannte “Mauerspechte” geschändet . An den Folgen leiden wir noch heute ...

Wilfried Cremer / 31.05.2024

hi, in dem Zusammenhang von Vor- und Nachteil sprechen, ist kulturlos. Darauf muss man sich nicht einlassen. Zumal das Großmaul sich nach seiner letzten Demütigung nicht mehr erheben wird.

Klaus Keller / 31.05.2024

Matthias Beltz meinte in einem völlig anderen Zusammenhang: Es geht den Leuten nicht darum selbst recht zu haben, sondern das der andere unrecht hat. Das scheint auch hier der Fall zu sein. Anstatt sich auf die Förderung der eigenen Gruppe zu konzentrieren versucht man die Anderen zu schädigen. In Bezug auf eine mögliche 2 Staatenlösung für Israelis und Palästinenser, bei der beide friedlich nebeneinander leben sollen ist das keine gute Grundhaltung. Das diese Leute keinen Anstand haben und absichtlich andere provozieren und verletzten wollen ist auch offensichtlich. Das die russische Regierung dahinter steckt bezweifle ich, was nicht ausschließt das es dort auch Idioten gibt. Die Aussage eines iranischen Revoluzzers, Israel sei ein Stützpunkt des kapitalistischen Westens im Herzen der islamischen Welt, lässt auf Allianzen unterschiedlichster Gruppen schließen.

Chris Kuhn / 31.05.2024

Israel interessiert in 140 Ländern der Welt so gut wie niemanden, so viel hier auch getextet wird.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Stefan Frank / 06.06.2024 / 12:00 / 29

Die Demokratin auf der Terror-Konferenz gegen Israel

Die für ihren Hass auf Israel berüchtigte Abgeordnete des US-Repräsentantenhauses Rashida Tlaib radikalisiert sich immer mehr und wird fünf Monate vor den Präsidentschafts- und Kongresswahlen…/ mehr

Stefan Frank / 30.05.2024 / 15:00 / 6

Drohung mit „Zionisten-Liste“ in Amerika

Kaum eine Autostunde von der amerikanischen Metropole New York entfernt, werden jüdische Kinder auf ihrem Weg zur Schule bedroht und ihre Eltern als Völker- und…/ mehr

Stefan Frank / 24.05.2024 / 06:00 / 151

Was sie euch morgen verbieten wollen!

Um das Klima zu schützen, fordern Autoren einer neuen Studie die Einschränkung von Werbung, um die Bevölkerung zum Kauf klimafreundlicher Produkte zu erziehen. Es ist…/ mehr

Stefan Frank / 14.05.2024 / 12:58 / 23

Unterstützten deutsche Unternehmen die Hamas?

Ein Bericht des Hessischen Rundfunks recherchierte die intransparenten Zahlungen und Förderungen von Bauprojekten im Gazastreifen durch die deutsche Staatsbank KfW und die GIZ (Foto: GIZ-Vorstandssprecher…/ mehr

Stefan Frank / 04.05.2024 / 14:00 / 15

Columbia-Universität – Geiselnahmen und Blockade

Die antisemitischen Vorfälle auf US-Universitäten und die Untätigkeit der Hochschulleitungen sind für jüdische Studenten mittlerweile so bedrohlich geworden, dass einige Mutige ihre Alma Mater verklagen.…/ mehr

Stefan Frank / 30.04.2024 / 16:00 / 11

Columbia-Universität – Campus des Hasses

In der Forbes-Liste der besten amerikanischen Universitäten rangiert die Columbia University in New York auf Platz sechs. Noch weiter vorne ist die private Elitehochschule beim Antisemitismus…/ mehr

Stefan Frank / 24.04.2024 / 16:00 / 13

Hamas-Terror: Wachen jetzt sogar Israels linke Journalisten auf?

Seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober haben einige Haaretz-Journalisten erstaunliche Beobachtungen gemacht und Schlüsse gezogen. Die Frage ist: Warum erst jetzt? Die Kolumnistin der israelischen…/ mehr

Stefan Frank / 23.04.2024 / 16:00 / 47

Tagesschau-Theologie mit Ayatollah Khamenei

In einem Tagesschau-Porträt wird der Oberste Führer des Irans als Theologe dargestellt, dessen einziger Wunsch ist, sein Lebenswerk zu retten, der jedoch gegen seine Überzeugung…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com