Stefan Frank / 13.06.2025 / 14:00 / Foto: Imago / 2 / Seite ausdrucken

Paris, Mailand, Hannover: Großangriff auf das Holocaust-Gedenken

Wieder Angriff auf das Holocaust-Gedenken in Paris: Vor knapp einem Jahr wurde die Pariser Shoah-Gedenkstätte mit roter Farbe geschändet, diesmal mit grüner. Erneut war die Mauer der Gerechten das Ziel.

Die geschändete Mauer in einem Gehweg neben der als Museum gestalteten Gedenkstätte in Paris trägt die Namen von über 3.900 Männern und Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs unter großem persönlichen Risiko zur Rettung von Juden in Frankreich beitrugen. Sie alle werden seit 1963 von der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem mit dem Titel „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.

In der Nacht vom 30. auf den 31. Mai wurden in Paris die Fassaden von zwei Synagogen und einem Restaurant mit grüner Farbe beschmiert. Es handelt sich um die Synagoge Agoudas Hakehilos, die Synagoge Tournelles und das koscheres Restaurant Chez Marianne, alle im Marais-Viertel im vierten Arrondissement. Auch an einer dritten Synagoge im zwanzigsten Arrondissement wurden laut Le Parisien Schäden festgestellt.

Geplante Tat

Fotos von der Synagoge Agoudas Hakehilos zeigen, dass es sich um eine geplante Tat mit einiger krimineller Energie handelt. Der Gehweg vor der Synagoge wurde großflächig mit Farbe beschmiert, dazu Bereiche der Fassade in etwa drei Metern Höhe, die ohne Hilfsmittel kaum zu erreichen sind. Diese Taten wurden nicht spontan im Vorbeigehen verübt.

Die Tatsache, dass gleich mehrere Orte im selben Viertel Ziele von Sabotage wurden, verdient Beachtung. Entweder handelte es sich um mehrere Täter, die koordiniert zur selben Zeit zuschlugen; oder es war ein Einzeltäter, der so wenig Angst davor hatte, entdeckt zu werden, dass er seelenruhig durch das Viertel lief und nacheinander ein Gebäude nach dem anderen angriff. Dies wäre möglich, da es Berichten zufolge eine halbe Stunde dauerte, bis die Tat entdeckt wurde.

Überwachungsaufnahmen der Pariser Shoah-Gedenkstätte zeigten gegen halb fünf Uhr morgens eine schwarz gekleidete Person beim Farbsprühen. Um fünf Uhr wurde eine Polizeistreife aufmerksam. In der Nähe des Restaurants wurde eine geöffnete Dose mit grüner Farbe gefunden. Die Pariser Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen wegen „Sachbeschädigung aus religiösen Gründen“ eingeleitet.

Regierung äußert Abscheu

Die französischen Behörden verurteilten die Anschläge. Innenminister Bruno Retailleau äußerte seine „große Abscheu“ und wies darauf hin, dass antisemitische Taten über sechzig Prozent der „antireligiösen Vorfälle“ in Frankreich ausmachten. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo bezeichnete die Taten als „Einschüchterungsversuche“ und kündigte an: „Wir werden das nicht tolerieren.“

Während die grüne Farbe diesmal großflächig versprüht wurde, war die Mauer der Gerechten vor einem Jahr mit roten Handabdrücken verunstaltet worden. Diese Handabdrücke erinnerten viele an den Lynchmord von Ramallah im Jahr 2000, als ein palästinensischer Mob in einer Polizeistation zwei israelische Reservisten grausam zu Tode gefoltert hatte, die sich mit ihrem Auto in der Stadt verfahren hatten. Ein Foto des zwanzigjährigen Palästinensers Abdel Aziz Salha, der vor einer tosenden Menge seine mit dem Blut der Opfer beschmierten Hände aus dem Fenster reckt, wurde zu einem der symbolträchtigsten Fotos der sogenannten Zweiten Intifada.

Am Holocaustmahnmal filmten am Tag nach der Tat laut Le Parisien Touristen die beschädigte Mauer der Gerechten, auf der sich eine lange grüne Farblinie über etwa zehn Meter erstreckt: “Chloé, die gerade in Paris zu Besuch war, betrachtete diesen traurigen Anblick, während sie ihren Kindern erklärte, wofür die Mauer steht. ‚Es ist schon herzzerreißend, all diese Namen zu sehen. Sie dann so beschmiert zu sehen, ist ein ziemlicher Schock. Es ist erschütternd‘, sagte sie. Ein anderer Passant zeigte auf die zahlreichen Videoüberwachungskameras in der Gegend. ‚Normalerweise sollte die Polizei den Täter schnell fassen‘, hoffte er.“

Kein Gedenken ist mehr sicher

Erst vor wenigen Wochen wurden in Mailand ebenfalls Wandmalereien zerstört, die an den Holocaust erinnerten. Und auch an der Gedenkstätte Ahlem in Hannover wurden Ende Januar Erinnerungskränze zerstört, die am Holocaustgedenktag, dem 27. Januar, dort abgelegt worden waren. Sie wurden beschädigt, in die Gartenanlage geworfen oder gestohlen, sagte eine Sprecherin der Region Hannover. 

Kein Mahnmal für die ermordeten Juden, für die Überlebenden oder für die Gerechten unter den Völkern ist mehr sicher, scheint es. Angriffe auf Synagogen, jüdische Friedhöfe und Gedenkorte der Shoah sind einerseits leider nichts Neues; in vielen Ländern Europas gibt es seit langem Rechtsextremisten und Neonazis, die solche Taten verüben, gerade auch in Frankreich. Besonders hervorzuheben ist allerdings, dass die jüngsten Schändungen offenbar in Zusammenhang mit dem Hass auf Israel stehen (in Mailand ist dies offenkundig: Dort hinterließ der Täter die Parole „Free PAL“), der ja nicht nur eine Domäne der extremen Rechten, sondern auch der radikalen Linken und des Antisemitismus unter Muslimen ist.

Hätte man früher einen Anschlag auf eine Holocaustgedenkstätte sofort als rechtsextrem eingeordnet, so kann man heutzutage ohne weitere Informationen nicht mehr wissen, wer dahintersteckt. Das gilt auch für den Anschlag auf die Demonstration für die Freilassung der von der Hamas am 7. Oktober 2023 Verschleppten in Boulder (Colorado). Der Ägypter Mohamed Sabry Soliman verletzte acht Frauen und sieben Männer im Alter zwischen 25 und 88 Jahren mit Molotowcocktails und einem selbstgebauten Flammenwerfer. Die Ermittler erklärten, der 45-Jährige habe die Attacke ein Jahr lang geplant. Ist Soliman ein Rechtsextremist? Ein Linksextremist? Ein Islamist? Oder einfach nur ein gewöhnlicher Judenhasser? 

„Sakralisiertes Gedenken“

Scharfe Abgrenzungen werden immer schwieriger, weil auch Linke Ideologien übernehmen, die lange Zeit typisch für Neonazis waren. Dazu gehört der Angriff auf das Holocaust-Gedenken. Neonazis haben dieses schon immer abgelehnt. In den letzten Jahren haben sich einige Linke ihnen angeschlossen. Der linke, israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm etwa will das, wie er sagt, „quasi sakralisierte Holocaust-Gedenken“ auslöschen. Der Holocaust müsse „mit der Wurzel ausgerissen“, der „angstbasierte, mythologische Holocaust-Messianismus“ entsorgt werden. Boehm lehnt es ab, der ermordeten Juden als Opfer zu gedenken, ohne der angeblichen Rolle der Juden „als Täter zu erinnern“.

Solche Ideen führen zu Taten. Jüdische Opfer – des Holocaust oder des 7. Oktober 2023 – ziehen den Hass der Antisemiten auf sich, weil sie die Vorstellung von den Juden als den Drahtziehern alles Bösen stören. Auschwitz erscheint den Antisemiten als ein besonders perfider Plan der Juden, um Palästina zu besetzen. 

Der Linksterrorist Dieter Kunzelmann (1939–2018), forderte darum einst, die Linke müsse den angeblichen deutschen „Judenknax“ überwinden. Auch der in North Carolina lehrende australische Historiker Dirk Moses hält den Holocaust für völlig überschätzt. So, wie amerikanische Meteorologen jeden Hurrikan irgendwann zu einem „tropischen Sturm“ herabstufen, ehe aus diesem dann bloßes Regenwetter wird, will Moses den Holocaust als einen Genozid unter vielen verstanden wissen. In der Folge müssen dann logischerweise auch die Opfer der Shoah herabgestuft werden. Und dann gibt es auch keinen Grund mehr, der Retter von Juden an einem öffentlichen Ort mitten in Paris zu gedenken. 

Wenn man weiß, was Boehm und Moses schreiben, versteht man vielleicht etwas besser, was in den Köpfen derer vor sich gehen mag, die in Paris und anderswo jüdische Gedenkstätten zerstören. 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.

 

Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise (2009); Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos (2012).

 

Foto: Imago

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Leserpost

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Jochen Lindt / 13.06.2025

Der Autor hat Henryk Broder vergessen. Broder war einer der ersten, der vor einer Holocaust-Industrie warnte. Ist sicher 20-30 Jahre her. Es gibt ja auch Leute, die verdienen damit Millionen, wie etwa dieser Stolperstein-Künstler, der nullkommanichts mit der jüdischen Gemeinde zu tun hat und sogar gegen ihren Willen handelt. So wird das Gedenken an die Opfer erst profanisiert, dann kommerzialisiert. Yad Vashem geht dagegen unter.  Schon allein durch die Kakophonie der Antisemitismusbeauftragten und ihrer Mahnungen, die keinen Mensch abseits der Flure ihrer Büros interessieren. Am schlimmsten aber ist die verfehlte Immigrationspolitik.  “Antisemiten werden nicht eingebürgert” sagt Frau Faeser. Wir alle wissen, dass das eine Lüge ist. Die Betroffenheit über jeden islamistischen Anschlag ebenso.

P. Bruder / 13.06.2025

Putins Wegwerfagenten wollen damit Europa destablisieren. Oder es stehen die Follower von Höcke & Co. dahinter, zumindest in den Kriminalstatistiken.

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