Manfred Haferburg / 07.01.2019 / 06:29 / Foto: Eugène Delacroix / 47 / Seite ausdrucken

Paris brennt nicht, aber die Wut wächst

Gestern las ich die Überschrift in Bild-Online: „Paris brennt“. Der Bericht war mit dramatischen Bildern von einer Art Bürgerkrieg in Frankreich unterlegt. Ich kann ihnen versichern: Das waren Fake News – Paris brennt nicht. 

Der 5. Januar, am Samstag, gingen zum 10. Male die Gelbwesten auf die Straße, um gegen Macrons Politik der Abzocke einfacher Leute zu protestieren. In Paris zählte die Polizei etwa 4.000 Demonstranten. Das sind deutlich weniger als in den Wochen vorher, aber immer noch genug, dass sich Krawallmacher – Casseurs – zwischen ihnen verstecken können. Die zündeten einige Müllcontainer, Motorroller, Autos und Papierabfallhaufen an. Auf der Seine brannte in der Nähe des Musée d’Orsay ein Restaurantschiff teilweise aus, weil jemand einen Brandsatz durch die Scheibe geworfen hatte.

Aber, welches Interesse sollten die Gilets Jaunes daran haben, ein Restaurant abzufackeln? Das sind Franzosen, die gehen ins Restaurant, um zu essen und Rotwein zu trinken. Zwischen der Polizei und den Casseurs gab es die üblichen Rangeleien, den Einsatz von Blendgranaten und, wie immer, jede Menge Tränengas. Auf den Champs-Elysées gab es aber auch rührende Szenen. Gelbwesten und Polizisten umarmten einander und wünschten sich „meilleur voeux“ – ein Gutes Neues Jahr.

Warum stellen deutsche Medien den Gelbwestenprotest eher ins schlechte Licht? Die deutsche Regierung und die mit ihr verbandelten Journalisten brauchen Macron in Frankreich als letzten Verbündeten zur Unterstützung ihrer Politik. Da stört es natürlich gewaltig, dass die Beliebtheitswerte von Macron noch schlechter sind als die seines abgewählten Vorgängers Hollande. Und der wurde vor seiner Abwahl schon nur noch als eine Witzfigur namens „Wackelpudding“ gehandelt. Erneut droht die Gefahr von Linksaußen – Mélenchon – und Rechtsaußen – Le Pen, die sich beide gerne mit den Gelbwesten schmücken möchten und sich verbal mit ihnen solidarisieren. Aber die Gelbwesten sind eher in der Mitte der französischen Bevölkerung zu finden und haben daher die Sympathie der meisten Franzosen. Viele Gelbwesten geben offen zu, Macron gewählt zu haben. Nun sind sie zutiefst enttäuscht und wütend über sich selbst.

80 Prozent der Franzosen wollen Macrons linksgrüne Politik nicht 

Ich war am Silvester in der Nähe der Kirche Notre Dame und spazierte in der jungen Neujahrsnacht mit meiner Frau die fünf Kilometer nach Hause. Sie müssen wissen: In Frankreich wird nicht geböllert. Die Menschenmassen auf dem Prachtboulevard Champs-Elysées hatten sich nach Mitternacht schon weitgehend zerstreut. Übriggeblieben und noch unterwegs waren allerdings hunderte junge Leute aus den Banlieues – den schwierigen Vororten im Norden von Paris. Sie bereiteten der Polizei jede Menge Probleme. Viele waren betrunken, bekifft und unberechenbar in ihrem Verhalten. Ich sah ein Moped in eine Polizeigruppe fahren. Für uns hieß es, den aggressiven Gruppen ausweichen und öfter mal die Straßenseite wechseln oder einen Umweg machen. 

In der vergangenen Woche hat die Regierung erneut einige Fehler gemacht, welche die Wut der Franzosen anstachelte. Macron tönte in seiner Neujahrsansprache, dass er seine grünlinke Politik unbeirrt fortsetzen wolle. Das wollen aber 80 Prozent der Franzosen nicht. Macron hatte vor zwei Wochen 10 Milliarden teure soziale Versprechen gemacht – die Anhebung des Mindestlohnes und die Aussetzung von Steuererhöhungen. Prompt jammerten deutsche Medien, dass dadurch Frankreich die europäischen Stabilitätskriterien nicht würde einhalten können.

Sie vergaßen dabei zu berichten, dass Macron acht Milliarden dafür ausgeben will, die französische Energieerzeugung grüner zu machen. Das versteht kein Franzose, da Frankreich einen sehr guten vorderen Platz bei der CO2-Vermeidung hält: Frankreich liegt auf Platz sechs, während Deutschland weit abgeschlagen auf Platz 19 liegt. In Frankreich gibt es keine Angsthysterie gegen die 53 stromproduzierenden Kernkraftwerke. Warum 12 CO2-freie AKW durch tausende, auch nur CO2 freie, aber dazu noch hässliche und teure Windräder ersetzen und dafür Milliarden Geld der kleinen Leute ausgeben? 

Es sind die tausend Nadelstiche, mit denen linke Regierungen das Volk piesacken, welche die Leute wütend machen. Versetzen Sie sich mal in die Lage eines Arbeiters aus der Bretagne, der jeden Tag mit seinem Auto eine Stunde zur Arbeit fahren muss. In der Bretagne gibt es wenig Autobahnen. Zum Ärger vieler Pendler hat die Macron-Regierung die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen von 90 auf 80 km/h gesenkt sowie einen Wald von Blitzern aufstellen lassen. Die Strafen sind rigoros. Dazu soll der Arbeiter noch höhere Steuern auf den Treibstoff zahlen? Wozu – damit ein Teil der Kernkraftwerke abgeschaltet werden kann: 12 von 53? Wer soll das verstehen? Benzin, Diesel und Strom sind 2018 ohnehin schon teurer geworden und mit den höheren Energiepreisen steigen die Preise für alles andere weiter an. Lebensmittel sind in Frankreich teurer als in Deutschland. Auf Grund solcher Gründe kommen die Gelbwestenproteste auch nicht aus der Hauptstadt Paris, sondern weitgehend aus dem ganzen Land. 

Die Verhaftung des LKW-Fahrers Eric Drouet

Einen weiteren Fehler machte die Macron Regierung, als sie am Mittwoch einen Sprecher der Gelbwesten, den charismatischen LKW-Fahrer Eric Drouet (hier ein Video der Verhaftung), beim Anzünden von Gedenkkerzen für die verletzten Gelbwesten und Polizisten auf dem Etoile wegen einer „unangemeldeter Demonstration“ festnehmen ließ. Es brach ein derartiger Proteststurm los, dass die Regierung Angst vor der eigenen Courage bekam und Drouet nach einigen Stunden wieder laufen ließ. Das war eine sehr weise Entscheidung, sonst hätte womöglich dieser Tropfen das Fass zum Überlaufen gebracht und es hätte am Samstag ein neues 1789 gegeben. Immerhin war Drouet vor einigen Tagen schon einmal verhaftet worden, weil er angeblich eine verbotene Waffe – einen Stock – bei sich hatte. 

Die Forderungen nach einem Rücktritt Macrons und seiner Regierung werden lauter. Woche für Woche müssen am Wochenende mehr als 100.000 Polizisten mobilisiert werden. Ich vermute, allein diese Kosten der Demonstrationen gehen in die hunderte Millionen. Gegendemonstrationen habe ich noch keine gesehen. Die Gilets Orange jedenfalls, die dazu hochgeschrieben wurden, sind private Sicherheitsunternehmen, die die Polizei unterstützen.

Ich war nicht überall und jederzeit bei den Protestdemonstrationen anwesend. Daher kann ich nicht ausschließen, dass es auch von Seiten der Gilets Jaunes zu Gewalttätigkeit kam. Ebenso wenig wie von Seiten der nunmehr seit Wochen überbelasteten und bis auf die Zähne gestressten Polizei, vor der ich in größter Hochachtung meinen Hut ziehe. 

Bisher reagiert die Regierung eher besonnen. Der Innenminister Christoph Castaner heizt den Konflikt nicht an und macht insgesamt einen vernünftigen Eindruck. Nicht so Macron, er ist inzwischen ein rotes Tuch für die Leute. Die Situation ist verfahren, die Wut der Bevölkerung wächst. Die Franzosen tragen ja keine Zipfelmützen, sondern Jeanne d’Arc trägt eine Jakobinermütze. Keiner weiß, wie es weitergeht. En Marche ist schwer ins Stolpern gekommen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Jan Fiedler / 07.01.2019

Natürlich haben die Deutschen Politiker und Ihre Mainstream Medien Angst, gewaltige Angst a. das Macron fällt, und in derer Augen Gott bewahre Le Pen an die Macht kommt, dann ist Essig mit dem bisherigen EU Sumpf, und die AFD könnte richtig Aufwind bekommen, und b. das der Gelbwesten Funke doch noch in Deutschland überspringt, es grenzt ja bis jetzt ja schon an ein Wunder, das das noch nicht passiert ist, hier ist die Lage ja genauso schlimm, wie in Frankreich, wenn nicht sogar noch schlimmer.

Sabine Schönfelder / 07.01.2019

Die mediale Auslese der französischen Gelbwestenwut ist alleine für die deutsche Bevölkerung inszeniert. ‘Schaut euch das an’, sagt der Staatsfunk, ‘wollt ihr, daß eure Autos, Geschäfte und Straßenlaternen zerstört werden? Also deutscher Mainstreamler, kuschel dich in dein Sofas und ergötze dich an den französischen Zerstörungsorgien. So sind wir Deutsche nicht.’ Leider, finde ich. Der Luftpumpe Macron geht die Luft aus und die europäische Spitze gerät geschlossen in ein dunkles Licht. Macron verhaßt, Merkel im Sinkflug und Juncker schwankt angetütert über europäischen Boden. Prost Mahlzeit!

Fritz kolb / 07.01.2019

Die Bürger in Frankreich wollten eine ausgewogene Politik der Mitte, mit nationaler Interessenwahrung, Herr Haferburg. Da gebe ich Ihnen vollkommen recht.  Nur deshalb wurde en Marche erfolgreich, eben um ganz links und ganz rechts zu vermeiden. Nun spüren die Franzosen, daß sie einem grünen Ideologen mit schon pathologisch anmutender Machtattitüde als Präsident aufgesessen sind. Ich komme gerade aus Südfrankreich zurück und habe dort, in den zurückliegenden Wochen, mit einigen Franzosen darüber gesprochen. Viele sind regelrecht entsetzt über das Verhalten und die Pläne Macrons, die ihre Lebensverhältnisse deutlich verschlechtern würden. Viele sind auch der Meinung, daß er sich viel zu sehr der EU und Deutschland verpflichtet fühlt und damit die Interessen der Franzosen verrät. Und viele fragen mich, warum wir in Deutschland unsere linksideologische Regierung nicht entmachtet haben, spätestens bei den letzten Bundestagswahlen. Sie begreifen einfach unseren lähmenden Gleichmut nicht und mir fällt schwer, das zu erklären.

Kay R. Ströhmer / 07.01.2019

Nun, was hat die Franzosen Macron wählen lassen? Es ging darum, Marine LePen zu verhindern. Diesen Zweck hat Macron erfüllt - und das war es dann auch. Falls irgendwann einmal mehr Substanz vorhanden gewesen sein sollte, ist diese spätestens mit dem Abgang seiner engsten Vertrauten aus ihren Ämtern verschwunden. Macron enttäuscht die Hoffnungen und Erwartungen seiner Wähler täglich aufs Neue mit weiteren politischen Dummheiten. Dadurch, dass er sein Versprechen auf eine vernunftgeleitete Politik offenkundig nicht einhält, steht er zudem als wortbrüchig da. Sein Verhalten nützt mittlerweile seinen politischen Gegnern mehr als seiner eigenen sogenannten “Bewegung”. Er wird sich nicht halten können. Und er hinterlässt seinen Nachfolgern verbrannte Erde. Die Franzosen werden sich vermutlich nicht zweimal hintereinander mit demselben Trick täuschen lassen.

A. Witzgall / 07.01.2019

Der Gelbwesten-Franzose trägt seinen Protest offen, entweder indem er die Weste anzieht, oder er legt, wie es massenhaft (z.B. auf Parkplätzen vor Einkaufszentren oder den Straßen) zu sehen ist, seine gelbe Weste gut sichtbar auf das Armaturenbrett seines Autos. Der Deutsche Michel möchte tunlichst nicht dabei ertappt werden, wie er politisch eingestellt ist, bleibt zuhause und pflegt seine Ängste. Ich habe in den letzten Wochen nicht eine einzige Gewaltaktion der Gelbwesten bei meinem Aufenthalt in der Bretagne erlebt. Auch in Brest oder anderen bretonischen Städten gab es deren Camps an den großen Kreisverkehren. Man hupt oder hebt freundlich die Hand, wenn man sich gegenseitig begenet. Meine Freunde kommen aus verschiedenen politischen Lagern. Gelb sind die meisten, da gibt es keine Parteigrenzen. Inzwischen zurück aus Frankreich, liegt auch bei mir die gelbe Weste auf dem Armaturenbrett. Irgendwann muss die persönliche Revolution ihren Anfang nehmen.

Klaus Metzger / 07.01.2019

Sie fragen, warum stellen deutsche Medien den Gelbwestenprotest eher ins schlechte Licht? Weil es im Kern ein Protest gegen Grüne Politik ist. Grüne Politik ist zutiefst unsozial. Sie belastet den “kleinen Mann“ zuerst und überproportional. Die deutsche Politik und die Medien haben Angst, dass der Protest auf Deutschland überschwappt. Auch bei uns wird das Leben immer teurer, dank der Grünen Wenden ins Nichts. Deshalb das negativ gezeichnete Bild der Gelbwesten. Analog zur rechten Ecke bei Kritik an der CDU/SPD Regierungspolitik.

Wolfgang Kaufmann / 07.01.2019

Intuitiv spüren die Franzosen wohl, dass in der EU eine deutsche Hegemonie Raum greift. Den Transmissionsriemen bildet eine Skala moralischer Imperative: Kant, Klima, Konjunktur. Die Franzosen hingegen halten es lieber mit dem kategorischen Infinitiv: savoir vivre, laisser faire.

Hubert Bauer / 07.01.2019

Ich habe gestern einen Ausschnitt von Lindners Rede beim Drei-Königs-Treffen der FDP gesehen. Da hat er gesagt, dass er stolz ist mit der Partei von Macron in den EU-Wahlkampf zu ziehen. Will Lindner solche Proteste auch in anderen europäischen Städten haben?

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Manfred Haferburg / 25.03.2024 / 12:00 / 107

ISAR 2: Das beste Kernkraftwerk der Welt wird zersägt

Die Rückbaugenehmigung für ISAR 2 ist erteilt, hieß es am Freitag. Der Betreiber Preussen Elektra könne den Rückbau unverzüglich durchführen. Eine wenig beachtete DPA-Meldung leitet…/ mehr

Manfred Haferburg / 08.03.2024 / 10:00 / 110

Bundesrechnungshof delegitimiert Habeck, Müller und Energiewende

Die Energiewende-Delegitimierer sitzen jetzt im Bundesrechnungshof. Ihr vernichtendes Fazit der Energiewende haben die Beamten sogar in einer Grafik (oben) karikiert. Der Bundesrechnungshof ist in der…/ mehr

Manfred Haferburg / 01.03.2024 / 06:00 / 61

Habecks Wetterwenden: Was, wenn Kernenergie wieder salonfähig wird?

Die Bundesegierung hat es sich angewöhnt, die alten Brunnen zuzuschütten, bevor es neue gibt. Jetzt erlaubt sie die bisher verteufelte CO2-Deponierung – und was ist,…/ mehr

Manfred Haferburg / 26.02.2024 / 06:15 / 101

Netzbetreiber warnen: Stromnetz kollapsgefährdet wie nie

Wie steht es um die Versorgungssicherheit, wenn die Stromerzeugung bis zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien erfolgt? Ein Netzbetreiber hat sie jetzt beantwortet. Ein Blitzeinschlag…/ mehr

Manfred Haferburg / 06.02.2024 / 06:00 / 84

Die Kohle bleibt: Ampel halbiert Gaskraftwerks-Pläne

In der neuen Kraftwerksstrategie der Bundesregierung schrumpfen die geplanten Gaskraft-Kapazitäten wie eine Eiskugel im Sommerurlaub – und noch nicht einmal die wird es geben. Verdruckst…/ mehr

Manfred Haferburg / 21.01.2024 / 14:00 / 8

„Ein grünes Requiem“

Die Lektion der unerwünschten Folgen gut gemeinter Projekte ist an den Grünen komplett vorbeigegangen. Das holen sie jetzt nach, auf unsere Kosten. Was Menschen auch…/ mehr

Manfred Haferburg / 08.01.2024 / 06:00 / 103

Nachhaltige Halluzinationen beim Chef der Bundesnetzagentur

Ja, Herr Müller, die Energieversorger brennen darauf, 60 Milliarden Euro in Gaskraftwerke zu investieren, die sich nicht rechnen können, da sie nur bei Flaute und…/ mehr

Manfred Haferburg / 26.12.2023 / 06:00 / 132

Weihnachten unter Räubern

„Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande?“, hieß es von Augustinus vor knapp 1.600 Jahren und diese…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com