Zum 13. Mal gingen die Gelbwesten auf die Straße. Zum 13. Mal hatten die CRS-Gendarmen keinen freien Samstag. Zum 13. Mal heulten die Sirenen der Polizeifahrzeuge durch die Pariser Innenstadt. Zum 13. Mal flogen Tränengasgranaten, Knallgranaten und Gummikugeln in die Menge. Die „Revolution der Mittelschicht“ (Elie Cohen) etabliert gerade eine neue Tradition. Und die Meisten hatten doch Macron gewählt, um Le Pen zu verhindern.
Am Samstag, dem 9. Februar um 11:00 Uhr, auf den Champs Elysées konnte man ein paar tausend Leute in gelben Westen im Chor rufen hören: „Macron, Demission“. Das heißt übersetzt: „Macron, Rücktritt“ und ist eher die höfliche Variante von „Macron muss weg!“. Man konnte auch Sprechchöre hören und auf Transparenten lesen: „Macron, dégager“, das ist die weniger höfliche Variante und meint: „Macron, hau ab.“ Es kommen Erinnerungen an die Wahlkampfbesuche von Kanzlerin Merkel im Osten Deutschlands auf.
Der Riss in der französischen Gesellschaft verläuft nicht vertikal zwischen „lechts und rinks“, sondern horizontal zwischen „denen da oben und denen da unten“. Zwischen denen da oben, die keinerlei finanzielle Sorgen hegen und zum Teil auf Kosten derer da unten leben, die nicht mehr wissen, wie sie mit ihrem Einkommen auskommen sollen. Der Riss klafft zwischen denen, die das vermeintliche Klima-Ende der Welt auf Kosten derer verhindern wollen, die real irgendwie über das Ende des Monats kommen müssen, bis es die nächste Lohnzahlung gibt. Der französische Geldadel interessiert sich nicht für die Probleme der einfachen Franzosen, die Steuern für den Staat erarbeiten. Deshalb rufen die Gelbwesten: „Ihr redet vom Ende der Welt, wir reden vom Ende des Monats“. Und weil es 12 Monatsenden im Jahr gibt, hören sie auch nicht auf zu protestieren.
Die Franzosen lassen sich nicht alles gefallen
Die Franzosen haben eine niedrige Protestierschwelle. Man kann auch sagen, sie lassen sich nicht alles gefallen. In Frankreich sind „die da unten“ ihrer Wolkenkuckucksheim-Eliten mehr als überdrüssig. Dazu trägt Macrons Regierungsstil bei, der gekennzeichnet ist von Selbstherrlichkeit und entrückter Eitelkeit. Sein Hang zu Pomp und Glanz hat ihm einen Ruf von Sonnenkönigsallüren eingebracht. Die Steuerzahler wollen nicht mehr für die Rechnungen seiner Maskenbildnerin (26.000 Euro in drei Monaten), für die ihrer Ansicht nach sinnlosen Rechnungen von Geschirrkäufen einer Millionärin auf Steuerzahlerkosten (die Angaben reichen von 50.000 bis zu 500.000 Euro für neues Geschirr im Élysée-Palast – hatten die vorher keines und haben von Papptellern gegessen?) zur Kasse gebeten werden. Die meisten Franzosen haben kein Interesse daran, ihre CO2-freien Kernkraftwerke gegen CO2-freie Windräder auszutauschen und dafür acht Milliarden Euro pro Jahr auszugeben – was für den französischen Steuerzahler zugegebenermaßen äußerst preiswert im Vergleich zu den Kosten der Energiewende für den deutschen Steuerzahler ist.
Um die Wogen zu glätten, startete die Regierung jüngst eine große nationale Debatte. Macron höchstselbst stellte sich in verschiedenen Orten und in Problembezirken der Pariser Vorstädte der Diskussion mit Bürgermeistern und Bürgern. Er gab sogar Fehler zu – allerdings ohne zu sagen, was er ändern wird. Aber er gab sich interessiert und schrieb sich die angehörten Probleme in seiner Kladde auf. Der versierte Fernsehzuschauer allerdings konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als würde Macron sich schlicht eine neue Kladde besorgen, wenn die alte vollgeschrieben ist. Geholfen hat es bisher nichts.
Zudem halten sich in Frankreich hartnäckig Gerüchte über Emmanuel und Brigitte Macron. Die Franzosen haben ihren Präsidenten stets die Geliebten durchgehen lassen, Mitterand lebte mit einer Zweitfamilie in heimlicher Bigamie, Hollande preschte mit dem Motoroller durch Paris – vom Motorradhelm inkognito gehalten – zu seiner Schauspielerfreundin. Und nein, Macron wird keine Geliebte nachgesagt.
Es gibt allerdings andere Umstände, über die in den deutschen Medien nur verdruckst berichtet wird. Was womöglich an Sprengstoff hinter der Affäre Benalla, dem kometenhaften Aufstieg eines 26-jährigen Leibwächters vom gegelten Türsteher zum Kabinettsmitglied und Diplomatenpassinhaber mit Schlüssel zum Privathaus der Macrons in Le Touquet steckt, ist politischer Sprengstoff und Benalla ein Fall für die Justiz. On vera – man wird sehen, was passiert.
Das Hauptziel der Gelbwesten ist ein Rücktritt von Macron. Sie versprechen sich davon einen Politikwechsel, den ich allerdings für ziemlich unwahrscheinlich halte. Erst muss wohl einmal alles Mögliche zusammenkrachen, ehe ein Neuanfang möglich ist. Aber dies ist nur meine eigene, recht unmaßgebliche Meinung. Und hoffentlich habe ich nicht recht.
Aktualisierung vom 10.02.2018 13:30 Uhr:
Schwere Verletzungen von Demonstranten bei Protesten der Gelbwesten in Paris
Die Informationslage über die schweren Verletzungen von Demonstranten gestern in Paris ist am Tag danach noch unübersichtlich. Offenbar durch eine Blendgranate der Polizei wurde gestern Abend vor 20:00 Uhr auf den Champs Elysées ein junger Mann schwer an der Hand verletzt. Medien berichten von einer angerissenen Hand oder mindestens vier Fingern. Anderen Meldungen zufolge soll die Handverletzung beim Gebäude der Nationalversammlung geschehen sein. Gibt es mehrere schwere Handverletzungen?
Man muss wissen, dass die Gendarmen bei den Gelbwestenprotesten von hochaggressiven Casseurs (Autonomen) attackiert werden, welche die Demonstrationen infiltrieren. Die Polizisten ihrerseits verwenden reichlich – das habe ich selbst erlebt – Tränengas und Blendgranaten. Blendgranaten sind Geschosse, die wie ein sehr großer Polenböller mit einem ohrenbetäubenden Knall und einem blendenden Lichtblitz explodieren. Darüber hinaus werden Gummigeschosse von der Größe von Tennisbällen auf die Demonstranten verschossen, die beim Auftreffen auf einen menschlichen Körper die getroffene Person umwerfen können und große Blutergüsse hervorrufen. Eine solche Kugel soll einer Demonstrantin schon ein Auge ausgeschossen haben.
Liberation berichtet über den 09. Februar: „Die Pariser Feuerwehr bestätigte uns, ohne etwas über die Ursache der Verletzungen zu sagen, dass "zwei Opfer zwischen 18.00 und 20.00 Uhr unterhalb der Champs-Elysées in Richtung Avenue Franklin-Roosevelt wegen schwerer Handverletzungen behandelt wurden".
Der Pressestelle der Pariser Polizeipräfektur berichtet von "einem schwer verletzten Opfer an der Hand" unter den 31 Verletzten am Samstag (24 unter den Demonstranten und 7 unter den Polizisten, "darunter ein Schwerverletzter"). Aber die Pressestelle der Präfektur veröffentlichte auch, dass das Opfer eine Frau ist. Dies deutet, wie die Mitteilung der Feuerwehr bestätigt, darauf hin, dass eine zweite Person an der Hand schwer verletzt wurde und dass es sich um eine Frau handelte. Wir wissen nicht, ob es eine Granatenverletzung ist“.
Andere unabhängige Medien berichten, dass die Verletzung im Bereich der Nationalversammlung geschah, als Demonstranten versuchten, den Zaun vor dem Gebäude einzureißen. Hiervon gibt es auch Videoaufnahmen unmittelbar nach der Verletzung, in denen ein Mann mit verbundenem Arm von Demonstranten und Polizisten in den abgesperrten Bereich eingelassen wird.
Ein Video der Gilet Jaunes zeigt Fotos eines jungen Mannes im Krankenhausbett, dessen rechte Hand fehlt. Das Internet Medium „Acte XIII“ berichtet: „Die Bilder sind schockierend. Vor der Nationalversammlung wurde einem Fotografen mit gelber Weste die Hand abgerissen, wahrscheinlich als Folge einer Blendgranate, bekannt als GLI F4, der von den Repressionskräften abgefeuert wurde“. Das Video am Ende dieses Berichtes ist schockierend und sollte nicht von sensiblen Personen angeschaut werden.
France Inter berichtet: „Die Situation war am Mittag um den Gebäudekomplex der Nationalversammlung in Paris angespannt. Eine Demonstration von mehreren tausend Menschen näherte sich (…) dem Gebäude ". Ein Journalist von Radio France notierte Inschriften wie "Wer nichts zerstört, hat nichts" oder "Castaner (frz. Innenminister) ins Gefängnis" an den Wänden des Außenministeriums.
Am Rande der Versammlung wurde einem Demonstranten die Hand abgerissen, wie die Agence France Presse (AFP) berichtet. Laut einem von der AFP interviewten Zeugen der Szene war es "eine Granate", die von der Polizei geworfen wurde und die Hand des Opfers schwer verletzte. "Anscheinend wurden die Gendarmen in die Enge getrieben. Der Demonstrant soll eine Granate in die Hand genommen haben, um sie zurückzuwerfen", sagte eine Polizeiquelle zu Reuters. Ein Zeuge der Szene hingegen sagte "Als die Flics versuchten, die Demonstranten zu zerstreuen, flog er eine Granate gegen seine Wade. Er versuchte, sie zu entfernen, damit sie nicht in an seinem Bein explodierte und sie explodierte, als er sie berührte".