Kathi Garnier, Gastautorin / 05.10.2020 / 16:00 / Foto: Marc Caraveo / 46 / Seite ausdrucken

Panikmache allenthalben: Ein Corona-Bericht aus Frankreich

Von Kathi Garnier.

Es ist wieder soweit. Allen schlottern schon die Knie im Angesicht der Todesstatistiken. Wir sind jetzt bei einer Million angekommen. 

Mein französischer Lieblingssender France Inter, (öffentlich-rechtlich, also mit Steuergeldern finanziert und den Anschein von seriöser Berichterstattung vermittelnd), machte gestern wieder eine Schlagzeile mit folgendem (von mir frei übersetzten) Titel, „Eine Million Tote: Covid ist eine der häufigsten Todesursachen der Welt.” Dabei werden schöne Statistiken gezeigt mit bunten Balkendiagrammen, in denen Covid-19 mit katastrophalen Krankheiten wie der spanischen Grippe und Aids verglichen wird. Das Problem ist nur, dass die Vergleiche hinken. 

Witzigerweise räumen die Autoren des Artikels selbst ein, dass der Vergleich nicht funktioniert, das hindert sie aber nicht daran, Balkendiagramme zu zeigen, auf denen H.I.V. scheinbar weniger tödlich sei als Covid-19, nur dass der Autor vergisst hinzuzufügen, dass bereits seit 40 Jahren an H.I.V. geforscht wird und dass sich dank der Präventions-Maßnahmen, – die im Übrigen weitaus weniger die Freiheit des Individuums beschränken als bei Corona, – das H.I.-Virus weniger verbreitet ist als das Coronavirus, welches ja erst seit einem knappen Jahr im Umlauf ist. Hier sehen Sie das unsägliche Diagramm.

Es wird übrigens auch nicht gesagt, dass dieses Jahr, 2020, die Todesraten bei den Ansteckungskrankheiten Tuberkulose, H.I.V. und Malaria wieder angestiegen sind, da – dank der überaus rational zu Ende gedachten (Vorsicht, Ironie) Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 – die Erkrankten nicht behandelt werden konnten. „Warum?“, fragt sich der aufgeklärte, halb informierte Konsument öffentlich-rechtlicher Medien. Das liegt daran, dass man eine einzelne Viruserkrankung, nämlich Covid-19, als gefährlicher als alle anderen Viruserkrankungen eingestuft und Maßnahmen ergriffen hat, die kranken Menschen nicht ermöglichen, Krankenhäuser aufzusuchen oder sich in Behandlung zu begeben, da die hospitalen Einrichtungen entweder für Coronapatienten reserviert wurden oder die strengen Lockdownbestimmungen in manchen Ländern den Transport zu den Krankenhäusern verhindert haben. Die New York Times berichtet, dass allein drei Monate Lockdown zu zusätzlichen 1,4 Millionen Tuberkulosetoten, 500.000 zusätzlichen H.I.V.-Toten sowie 385.000 zusätzlichen Malariatoten in Afrika, Asien und Lateinamerika führen werden.

Corona-Tote haben im Schnitt zwei bis drei weitere Krankheiten

Aber warum weit in die Ferne schweifen? Wir finden bestimmt auch ein paar „Kollateraltote“ in Frankreich: Wussten Sie, dass sich während des Lockdowns die Anzahl der Herzinfarkte im Raum Paris verdoppelt hat? Und wussten Sie, dass durchschnittlich 30.000 Krebsdiagnosen im Monat in Frankreich getätigt werden? Im Zeitraum von März bis Ende Mai waren es quasi null Diagnosen, weil die Leute Angst hatten, ins Krankenhaus zu gehen. Das heißt, dass etwa 90.000 Krebserkrankungen verschleppt wurden, was das französische Zentrum für Krebsforschung zu der Hochrechnung führt, dass aufgrund verspäteter Behandlungen bis zu 10.000 Menschen durch die Konsequenzen des Lockdowns sterben werden. In England übersteigt die Zahl der unbehandelten Krebstoten übrigens die Zahl der Coronatoten im Zeitraum des Lockdowns. 

Mir scheint also, die Autoren auf France Inter haben sich bei der Verfassung des Titels für ihren Artikel vertippt. Sie wollten wohl schreiben: „Die Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 sind eine der häufigsten Todesursachen der Welt.“ Oder irre ich mich da? Aber was bedeutet eigentlich „Todesursache?“ Hat man da eigentlich mittlerweile eine klare Definition?

Die US-Seuchenschutzbehörde hat in diesem Sommer eine Präzisierung der Todesursachen in ihrer Corona-Statistik vorgenommen (Ganz still und leise, von den öffentlichen Medien ganz unbemerkt?): Im Schnitt sind bei einem Corona-Toten zwei bis drei weitere, schwere Erkrankungen auf dem Totenschein vermerkt. Nur bei etwa 6 Prozent ist ausschließlich Covid-19 als alleinige Todesursache angegeben. Außerdem sind über 50 Prozent aller Opfer über 80 Jahre alt. Ist nun die Lungenkrankheit weniger tödlich als bisher gemeldet oder besteht immer noch akute Gefahr für die gesamte Menschheit?

Im Interview mit CNN klärt uns Bob Anderson, Statistiker bei der US-Seuchenbehörde, auf: Zwar hätten bei 94 Prozent der Corona-Toten tatsächlich zwei bis drei weitere (schwere) Erkrankungen vorgelegen, doch in fast allen diesen Fällen sei Covid-19 auf dem Totenschein als die entscheidende „zugrundeliegende Todesursache“ verzeichnet. Aha! 

Einmal Corona infiziert, immer Corona infiziert

Interessante Interpretationsweise – die eines Statistikers wohlgemerkt, nicht eines Gerichtsmediziners, – die wohl einer neuen Auffassung von Todesursächlichkeit entspricht. Scheint hier nicht ein neuer Zeitgeist vorzuherrschen, der die Virusinfektion vor alles andere stellt? Ich nenne hier mal ein Gegenbeispiel: 

Vor noch nicht allzu langer Zeit – etwa vor einem knappen Jahr – waren Viruserkrankungen der Atemwege grundsätzlich noch keine offizielle Todesursache. Woher ich das weiß? Ein entfernter Bekannter von mir ist kürzlich mit 55 Jahren verstorben. Er hatte Leukämie im Endstadium und hatte sich noch kurz vor seinem Tod eine Influenza-Infektion eingefangen. Auf seinem Totenschein steht aber nicht Influenza, sondern Krebs, da jeder Arzt sehen konnte, dass er im Endstadium war. Dieser „Fehler“ wäre mit der heutigen Zählweise wohl nicht passiert. 

Heute – und mit der neuen Erkenntnis über die Viruserkrankungen im Allgemeinen und Covid-19 im Besonderen – ist jeder Tote, der vor seinem Tod positiv auf das SARS-CoV-2-Virus getestet wurde, ein Coronatoter, egal, an welcher Vorerkrankung er gelitten hat oder unter welchem Auto er tot hervorgeholt wurde. Laut europäischer Seuchenbehörde legt aber jedes europäische Land eine andere Frist fest, ab wann der Test gültig sei. In Österreich sind es 28 Tage, in UK dagegen unbefristet. Einmal Corona infiziert, immer Corona infiziert, laut Statistik. Ob der Wissenschaftlichkeit dieses Vorgehens stellen sich hier viele Fragen. 

Sollte man nicht jedes Jahr die Schulen schließen?

Ist das nicht erstaunlich? Und die Medien scheinen das völlig unhinterfragt so stehenzulassen. Im Gegenteil. Anstatt sich zu freuen und zu verkünden – Oh, welch ein Glück, in Wahrheit sind von dieser schlimmen, neuen Erkrankung nur sehr wenige gesunde Menschen ohne Vorerkrankung betroffen und wir brauchen uns um unsere Gesundheit nicht mehr zu sorgen als angesichts anderer Viruserkrankungen – wird unsere Zukunft ganz schwarz gemalt. Covid-19 kann schlimm enden, keine Frage, aber andere Virus-Erkrankungen können das auch.

Auch Deutschlands Maskottchen und neuer Jesusersatz, Christian Drosten, räumt ein, dass es insgesamt große Unterschiede gebe, was den Grad der Infektionssterblichkeit in den verschiedenen Altersgruppen betreffe. So würde bei den Über-85-Jährigen einer Analyse zufolge jeder Dritte an Covid-19 sterben – Drosten zieht hier einen Vergleich zu den Pocken im Mittelalter und Ebola auf dem afrikanischen Kontinent –, bei Personen zwischen 35 und 44 Jahren liege die Infektionssterblichkeit dagegen im Bereich wie bei der Influenza. Hier würde also jeder 2000. Infizierte die Krankheit nicht überleben. Wieder spannend und auch von keinem Medienvertreter ausdrücklich hervorgehoben (warum auch, ist ja irrelevant) ist die Tatsache, dass Ebola und Influenza im Schnitt viel mehr Kinder und junge Menschen hinwegraffen als Covid-19. Sollte man in der Konsequenz jetzt nicht jedes Jahr die Schulen schließen?

Kaum eine öffentliche Behörde differenziert so genau bei der Angabe der Toten wie die US-Seuchenbehörde. Kaum ein (Wissenschafts-)Journalist hinterfragt diesen Mangel an Differenzierung bei den Behörden und in der Berichterstattung. Kaum eine Zeitung findet diese Information der Rede wert und berichtet von der Korrektur der Corona-Statistik. Warum wohl? Würden dann vielleicht die martialischen Maßnahmen und unser Weltbild infrage gestellt? Wie wäre es, wenn wieder etwas mehr Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit in die öffentliche Debatte käme? Wäre das nicht schön?

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Kathi Garniers Blog.

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Leserpost

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Steve Acker / 05.10.2020

Ich hab schon diverse Berichte gehört, dass z.B. alter Mensch an Krebs stirbt, Und die Angehörigen sind dann erstaunt, dass auf dem Totenschein Corona steht ! Eine frage hierzu: besteht eventuell ein finanzielles Interesse daran dass bei einem Verstorbenen als Todesursache Corona ausgewiesen ist ? Kann vielleicht das Krankenhaus dann mehr abrechnen mit der Krankenkasse ? zb. mit Begründung erhöhter Hygieneaufwand ?

Eckhart Diestel, Arzt / 05.10.2020

@Reinhardt - wobei man wissen möchte, was der Grund für diese stationären Behandlungen war. Kopfschmerzen, eine laufende Nase, ein Fieber. Selbst bei Aufnahme in eine Intensivstation möchte man wissen, warum - war es vorbeugend, war es dringlich, was ist daraus geworden ? Denn da die Tönniesmitarbeiter alle weit unter 80 sind und vermutlich nicht multimorbide sind, sind sie nicht gefährdet, wenn die Obduktionsergebnisse Hamburg und damit die bekannte Pathophysiologie und der Verlauf dieser viralen Erkrankung weiterhin zutreffen.

Thomas Schmidt / 05.10.2020

Wer hätte gedacht dass auch Mathematiker zu dumm für Mathematik sein können? Diese dämlichen Vergleiche der aktuellen Todeszahlen mit anderen populären Todesursachen gehen dich offensichtlich voll am Thema vorbei. Und das Thema ist, dass die Wahrscheinlichkeit einer wöchentlichen Verdopplung der Todeszahlen bei Herzinfarkt oder Haushaltsunfall gegen null geht, bei einer Pandemie aber nicht. Und das es zudem ausgeschlossen ist, dass es plötzlich in einem Jahr eine Welle an Herzinfarkten gibt, die mehr Tote fordert als in den 150 Jahren vorher zusammen (so wie die spanische Grippe in Deutschland soviele Tote forderte wie alle anderen Seuchen zusammen in den 150 Jahren zuvor). Und dass es praktisch unmöglich ist, eine Wahrscheinlichkeit auszurechnen, ob die aktuelle Pandemie eine Jahrhundert Pandemie wird, oder eine gewöhnliche. Man kann nur auf Sicht fahren und die Massnahmen jeweils der aktuellen Lage der Pandemie anpassen. Und selbst wenn man sie eigentlich verachtet, muss man bestätigen dass die deutsche Regierung das sehr gut macht. Die konservativen schiessen sich dich selber ins Abseits mit dieser pseudo-objektiven Corona Kritik. Als bürgerlicher kann man echt verzweifeln, jetzt ist man auf beiden Seiten von Spinnern umzingelt, links den woken Klimahupfern, rechts den peinlichen Corona Leugnen. Herr lass Hirn regnen ....

Michael Sachs / 05.10.2020

Man muß vielleicht auch einmal darüber schreiben warum diese Krankheit so gefürchtet wird, es gibt ja viele Krankheiten die tödlich sind Herzerkrankungen u. Krebs z.B. was diese Coronaerkrankung aber so gefährlich macht ist die Tatsache das man nach 5 Minuten ohne Luft tot umfällt, davor haben die Menschen riesige Angst, bei Krebs hat man meistens noch etwas Zeit u. selbst Herzinfarkt ist häufig nicht sofort tödlich bzw. kündigt sich vorher an, bei dieser Krankheit aber gab es Fälle in NewYork da kamen Menschen ins Hospital lagen auf dem Bett u. waren 10 Minuten später tot.

Eckhart Diestel, Arzt / 05.10.2020

Es fehlt im Artikel der wichtige Hinweis: wenn eine Seuche ausgerufen wird, herrscht Seuchengesetz. Unter Seuchengesetz ist ein Arzt gesetzlich verpflichtet die Seuche als Todesursache anzugeben. Das macht Sinn, wenn man eine Verbreitung der Seuche durch Leichname verhindern will. Daher muss Corona unter ‘ursächliche Todesursache’ auf dem Totenschein stehen, - allerdings auch z.B. nach einem tödlichen Verkehrsunfall. Das bedeutet gleichermassen, dass bei keinem dieser Verstorbenen ein tatsächlicher Nachweis der Todesursache erbracht wird. Denn die Todesursache ist, wie gesagt,  per Gesetz schon vorher festlegt. Es ist logisch, dass man dann auf hohe Zahlen kommt. Auch kommen so junge Menschen in die Statistik. Gefährdet sind diese anerkanntermassen jedoch nicht.+++ Aus den Obduktionsergebnissen der Gerichtsmedizin Hamburg weiss man, dass der Virus bei vorerkrankten Senioren in den 80ern eine zusätzliche Belastung bringt, die selten den Tod verfrüht herbeiführen kann. Nicht mehr und nicht weniger. Die Zahlen der Statistiken der WHO, des CDC oder RKI spiegeln daher in keiner Form die tatsächliche Gefährdung des Einzelnen wieder.

Frances Johnson / 05.10.2020

@ Archi W. Bechlenberg: “Vermutlich darf man sich demnächst nicht einmal mehr selber treffen.” Made my day.

Wolfgang Richter / 05.10.2020

@ Dov Nesher - Abtreibungen -  Dann hätten sie auch die Zahl nennen sollen: um die 100 000 jährlich (diese Zahl steht seit 2000 in etwa jedes Jahr in diesem Bereich)  in dem Land, in dem Politik -vor allem die Sozen- damit wirbt, daß kein Kind zurück gelassen werde.

Peer Munk / 05.10.2020

Weltweiter Irrsinn.

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