Nach der Wahl in Sachsen und Thüringen fühlte sich die CDU kurz als Sieger, dabei steckt ihre Führung in beiden Ländern in einem Dilemma: Sie muss entweder mit Linksaußen-Parteien paktieren oder die Brandmauer schleifen.
Sachsen und Thüringer haben nun ihre Landtage gewählt. Nach vielen Wochen des Wahlkampfes und der von vielen Institutionen vorgebrachten Appelle, die Wähler mögen die Demokratie retten und bitte nicht die AfD wählen. Einen Erfolg für die Demokratie gab es immerhin: Im Vergleich zu den Landtagswahlen 2019 ist die Wahlbeteiligung in beiden Freistaaten deutlich gestiegen. Dieses doch eindeutig gute Ergebnis sollte alle Demokraten freuen, wurde aber kaum angemessen gewürdigt. Kein Wunder, denn das Publikum wartete in ganz Deutschland vor allem auf das ganz große Drama.
Und wie dramatisch ist das Ergebnis jetzt, das die Bildung von Mehrheitsregierungen rein rechnerisch nur in inhaltlich unmöglichen oder durch Brandmauer-Beschlüsse ausgeschlossenen Konstellationen ermöglicht?
Aus der SPD vernahm man trotz der dramatisch schlechten Ergebnisse ein deutliches Aufatmen, denn immerhin gelang der Kanzler-Partei der Wiedereinzug in beide Landtage. Die quasi historische Schmach, erstmals in der Bundesrepublik bei einer Wahl an der Fünfprozent-Hürde zu scheitern, blieb der Partei erspart. Und auch wenn die Partei erneut die schlechtesten Landtags-Wahlergebnisse ihrer Nachkriegsgeschichte zu verzeichnen hatte, könnte sie in beiden Ländern sogar wieder als ein kleiner Partner in der Landesregierung sitzen.
Die Grünen konnten nur in Sachsen aufatmen und sich am Wiedereinzug erfreuen. In Thüringen haben die Wähler die bisher in Erfurt mitregierende Partei aus dem nächsten Landtag verstoßen. Die FDP stieg in beiden Ländern in die Liga der Kleinst- und Splitterparteien ab. Sie ist in absehbarer Zeit für die Landespolitik in Sachsen und Thüringen irrelevant. Insgesamt waren die Ergebnisse für die Berliner Ampel-Parteien also desaströs.
Drei Parteien feierten sich an dem Wahlabend als Sieger. Die AfD legte erwartungsgemäß kräftig zu und wurde in Thüringen mit knapp einem Drittel der Stimmen stärkste Partei. In Sachsen verfehlte sie den ersten Platz auf dem Siegertreppchen nur knapp. Hier blieb die CDU mit knapp einem Drittel der Stimmen die stärkste Partei und musste nur einen Verlust von 0,2 Prozentpunkten hinnehmen. Das fühlte sich für Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wie ein Sieg an.
In Thüringen gewannen die Christdemokraten 1,9 Prozentpunkte hinzu und feierten ihre 23,6 Prozent ebenfalls wie einen Sieg. Und weil sich das Etikett „zweitstärkste Partei“ für eine CDU nicht siegreich genug anhört, erklärte deren Spitzenkandidat Mario Voigt, sie wäre vom Wähler zur stärksten Kraft der demokratischen Mitte gemacht worden. Ein Textbaustein, den er am Wahlabend gefühlt in jedem Statement unterbrachte. Wenn das für die CDU wirklich Siege waren, dann hat ihre Führung wohl zunächst übersehen, dass sie sich in Sachsen und Thüringen kräftig ins Dilemma gesiegt hat.
Noch ein Sieger und ein Verlierer
Doch bevor wir darauf eingehen, müssen natürlich noch ein Sieger und ein Verlierer erwähnt werden. Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat aus dem Stand 11,8 (Sachsen) bzw. 15,8 Prozent (Thüringen) der abgegebenen Stimmen gewinnen können. Die Wagenknechte konnten wirklich einen Sieg feiern, wofür sie sich aber auch bei den Medien und einigen Anti-AfD-Kampagneros bedanken müssten. Sahra Wagenknecht war in den Medien monatelang mit ihrem Bündnis stets präsent, sogar schon, als es noch gar nicht gegründet worden war. Und wenn Genossin Wagenknecht beispielsweise in puncto Migration unbequeme Wahrheiten aussprach und Konsequenzen forderte, auf die die Bürger warten, dann wurde ihr nicht in dem Maße „Hass und Hetze“ oder „Populismus“ unterstellt wie der Konkurrenz von der AfD. Etliche Meinungsbildner hofften wohl, der linke Populismus à la Sahra würde den Rechten schaden und leisteten dem gern Vorschub.
Es ist allerdings nicht überraschend, dass die Partei, die sich von den SED-Erben abgespalten hat, am Ende vor allem frühere Linken-Wähler an sich binden konnte. In Thüringen verloren die Genossen des in Erfurt regierenden Bodo Ramelow 18 Prozentpunkte und kamen nur noch auf 13,1 Prozent. In Sachsen ist die Linke sogar an der Fünfprozenthürde gescheitert, kann aber dank zweier Direktmandate und der Grundmandatsklausel dennoch in den Landtag einziehen.
Bei allen Unklarheiten zeigt das Ergebnis eines ziemlich deutlich: Jenen Strategen in den Regierungsparteien aus Bund und Ländern, die vielleicht beim Aufkommen der Wagenknechte dachten, man könne jetzt den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, statt zu versuchen, mühsam mit eigenen Problemlösungen gegen die AfD zu punkten, haben die Wähler einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Insbesondere für die CDU wird das jetzt eines ihrer großen Probleme. Ob man die christdemokratischen Wahlergebnisse wirklich als Sieg feiern kann, ist an sich schon umstritten. Spätestens heute Morgen könnte dann richtig Katerstimmung aufkommen, denn eigentlich sind die Ergebnisse für die CDU verheerend, weil sie jeder Versuch einer Regierungsbildung vor eine grundsätzliche Zerreißprobe stellt. Entweder beginnt die Partei mit dem Abbruch der Brandmauer zur AfD, was ihre Spitzenkandidaten in beiden Ländern strikt ablehnen, oder man muss sich gleich mit zwei quasi kommunistischen Parteien einlassen.
Opposition aus AfD und SPD?
In beiden Ländern gibt es in den Parlamenten zwar eine überwältigende Mitte-rechts-Mehrheit, doch diskutiert wird nur über Mehrheiten ohne die AfD. Wie sollte Mario Voigt auch an der Brandmauer kratzen? Bei jeder Art von Zusammenarbeit wäre er der kleinere Partner. Und dann wird die Thüringer AfD auch noch von Björn Höcke geführt, der auch für die CDU-Führung in Bund und Ländern die AfD-Schreckgestalt schlechthin ist.
Da liegt es auf der Hand, eine Anti-AfD-Koalition zu schmieden. Das allein ist noch nicht neu. Aber die Partner sind es. Klar, mit der SPD zusammenzuarbeiten, wäre für Voigt und seine Partei kein Problem. Doch die SPD ist so schwach, dass es mit der Linken oder dem BSW als drittem Partner nicht reicht. Bliebe also nur noch ein Zusammengehen mit BSW und Linken, also den SED-Erben und ihrem Spaltprodukt. Wie soll das gehen?
Derzeit ist es Beschlusslage in der Gesamt-CDU, dass es keine Koalitionen mit der Linken geben solle. Gegenüber dem BSW gibt es keinen Abgrenzungsbeschluss, aber das liegt vor allem daran, dass darüber noch nicht gesprochen wurde. Die Wagenknecht-Partei ist einfach zu jung.
Nichtsdestotrotz scheint das auf eine Führungsfrau zugeschnittene Bündnis, trotz einiger ihrer vernünftig klingender Sätze, eine ideologische linke Kaderpartei zu sein, die sich kein Demokrat als Partner wünschen dürfte. Und ob die politisch frisch Geschiedenen überhaupt zusammenarbeiten wollen, ist auch fraglich.
Und selbst wenn die beiden Parteien vom linken Rand mit der CDU einen Modus zur Regierungsbildung finden sollten, dann stünden sie einer Opposition aus AfD und SPD gegenüber. Wem würde wohl das erwartbar verstolperte Regieren einer solch unpassend zusammengewürfelten Landesregierung nützen?
Für Sachsens Ministerpräsident Kretschmer sieht es auf den ersten Blick etwas besser aus. Er vertritt immer noch die stärkste Partei im Freistaat. Da erscheint auch die Hürde für Abbrucharbeiten an der Brandmauer niedriger. Immerhin wäre bei jeder Art der Kooperation unstrittig, dass die CDU den Ministerpräsidenten stellt. Es müsste ja auch nicht gleich eine Koalition sein. Wenn die AfD beispielsweise die Tolerierung einer CDU-Minderheitsregierung anbieten würde, was würde dann geschehen? Ohne formelle Koalition könnte man dem Verstoß gegen das Abgrenzungsverbot der Bundespartei ja die Erklärung anheften, man hätte die Brandmauer nicht völlig abgerissen.
Tolerierung als Türöffner
Es wäre eine Art Neuauflage des sogenannten Magdeburger Modells unter anderen Vorzeichen. Vor 30 Jahren hatte die SPD in Sachsen-Anhalt zusammen mit den Grünen ihre damalige Abgrenzung zur umbenannten SED, seinerzeit noch PDS, gelockert. Die wurde wegen ihrer Vergangenheit als DDR-Diktaturpartei seinerzeit noch von den demokratischen Parteien abgelehnt. Eine Zusammenarbeit mit ihr sollte es nicht geben. Doch um 1994 in Magdeburg eine Minderheitsregierung bilden zu können, schlossen SPD und Grüne mit den bis dato Ausgestoßenen eine Tolerierungsvereinbarung. Die SED-Erben sorgten jahrelang als stiller Teilhaber für die Mehrheiten erst einer rot-grünen, dann einer SPD-Landesregierung. Die erste richtige Koalition der SPD mit der PDS folgte 1998 in Mecklenburg-Vorpommern. Eine Tolerierung als Türöffner wäre also nichts Neues in Deutschland.
Auf der anderen Seite sind die möglichen Mehrheiten auch nicht gerade reizvoll. Kretschmer hatte ja schon seit 2019 mit SPD und Grünen koaliert, weil es anders keine Regierungsmehrheit ohne die AfD gegeben hätte. Und welche Optionen gibt es jetzt nach diesem Wahlergebnis? Die bisherige Koalition kann er nicht fortsetzen, denn die hat keine Mehrheit mehr.
Er kann mit dem BSW und entweder der SPD, den Grünen oder den Linken zusammengehen. Das sind für die CDU alles politisch eigentlich undenkbare Konstellationen. Ohne das BSW ginge nur das Zusammengehen mit SPD, Grünen und Linken. Das ist auch nicht besser und allemal alles andere als eine stabile Regierung.
Selbst wenn Kretschmer bereit sein sollte, sich auf solche Modelle einzulassen, um die Brandmauer zu retten, ist es äußerst fraglich, ob ihm seine Partei darin folgt. Sie kann mit solchen Regierungen kaum etwas gewinnen. Und die letzte Wahl hat zudem gezeigt, wem die politisch vollkommen unpassenden AfD-Verhinderungskoalitionen eigentlich nützen: der AfD. Wie viele CDU-Landtagsabgeordnete würden angesichts der in Rede stehenden Alternativen wohl mit einem Abbau der Brandmauer liebäugeln?
Aussitzen ist keine Option
Und wie sollte dann die Bundes-CDU reagieren? Einschreiten und versuchen, einen Brandmauerfall zu verhindern? Die ersten Reaktionen von Generalsekretär Linnemann vom Wahlabend lassen ahnen, dass man sich in Berlin am liebsten heraushalten möchte. Kein Wunder, eine Lösung hat Friedrich Merz nicht anzubieten. Von seinem Versprechen, die Brandmauer zu halten, kann er sich nicht so leicht verabschieden. Aber wie will er murrenden Parteimitgliedern erklären, dass eine bürgerliche Partei wie die CDU alle Abgrenzung zu Linksaußen-Parteien fahren lassen soll, um die Brandmauer nach rechts zu halten?
Die Christdemokraten fühlten sich kurz als Sieger und werden nun langsam begreifen müssen, in welchem Schlamassel sie sich befinden. Es dürfte auch keine hilfreiche Option sein, sich für keine der angebotenen Möglichkeiten zu entscheiden und auf Neuwahlen wegen Unregierbarkeit zu setzen. Die Chancen sind eher gering, dass die zu einem – aus CDU-Sicht – besseren Ergebnis führen würden.
Aussitzen geht auch nur begrenzt, denn was geschieht, wenn sich Björn Höcke einfach zur Wahl als Thüringer Ministerpräsident stellen würde? Da müssen es die anderen Parteien schaffen, spätestens im dritten Wahlgang mehr Stimmen für einen Kandidaten aus ihren Reihen aufzubieten, sonst wäre Höcke Ministerpräsident. Und diesmal könnte niemand mehr dekretieren, dass die Wahl rückgängig gemacht werden müsse. Was es für die Akteure auch nicht gerade leichter macht, sind die Landtagswahlen in Brandenburg in drei Wochen. Die Wähler dort können auf alle Signale aus Erfurt und Dresden reagieren.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.