Der fulminante Wahlsieg des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán schockiert Europas Linke und begeistert die Rechtspopulisten. Zwischen Abscheu und Jubel schlagen die Wogen hoch. Die Grünen wählen die Vokabel “traurig”, die SPD fühlt “bitter”, Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn diagnostiziert gar einen “Wertetumor”. Aus vier Gründen ist die Orbán-Wahl ein Fanal für den ganzen Kontinent.
Erstens hat der islamkritische Ministerpräsident mit seiner rechtskonservativen Koalition nicht bloß gewonnen, er hat triumphiert und neuerlich eine Zweidrittelmehrheit im Parlament errungen. Zweitstärkste Kraft ist obendrein die rechtsextreme Jobbik-Partei mit 19,7 Prozent der Stimmen geworden. In Brüssel und Berlin hatten viele darauf gehofft, dass Orbán und mit ihm die politische Rechte in Europa einen Dämpfer erhalten würden. Schien nicht die kontinentale Rechtswoge ihren Zenit überschritten zu haben? Offenbar nicht.
Damit gewinnt die rechte Bewegung in ganz Europa neuen Zustrom. Die Französin Marine Le Pen jubelt bereits, “die Umkehr der Werte und die Masseneinwanderung”, die von der EU vorangetrieben werde, sei “einmal mehr abgelehnt” worden. Der Niederländer Geert Wilders schwärmt von einem europäischen Signal und “exzellenten Ergebnis”. AfD-Bundesvorstand Beatrix von Storch verkündet: “Ein schlechter Tag für die EU, ein guter für Europa.” Orbán zeigt ihnen allen, was an rechter Mobilisierung noch geht.
Zweitens vertieft sich der Graben zwischen Ost- und Westeuropa. In ganz Osteuropa freuen sich die Regierungen unverhohlen über Orbáns Sieg, sie sehen in ihm eine Leitfigur gegen die Bevormundungspolitik Brüssels und Berlins. Polens Vizeaußenminister Konrad Szymansky betont, dass Orbáns Erfolg eine Bestätigung der “Emanzipationspolitik Osteuropas” in der EU sei. Tschechiens Premier Andrej Babis kündigt eine engere Allianz des rechten Ostblocks an. Sogar Österreich ist unter der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz ein neuer Alliierter der Osteuropäer geworden. Sie alle eint die konsequente Ablehnung einer Zuwanderung von Muslimen, sie wehren sich aber auch gegen eine weitere Zentralisierung der EU und sind empfindlich insbesondere gegen Alleingänge Berlins. Orbán wird unter Europäern als der wichtigste Gegenspieler von Angela Merkel in der Migrationspolitik angesehen. Sein triumphaler Wahlsieg wird damit auch als eine Niederlage für Merkel interpretiert.
Marcron und Merkel verlieren Rückhalt
Drittens wird eine politische Vertiefung der EU nun schwieriger. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Kanzlerin verlieren zusehends Rückhalt mit ihren Zentralisierungsplänen. Die teils belehrende, teils herablassende Tonlage aus Brüssel den rechten Regierungen im Osten gegenüber wird zum Problem im Reformprozess. Das Votum der Ungarn spornt nun viele an, gegenüber Brüsseler Modernisierungsplänen umso stärker Widerstand zu leisten. Insbesondere die von der EU beschlossenen Quoten zur faireren Verteilung von Asylbewerbern dürften nun obsolet werden.
Viertens zeigt Orbáns Durchmarsch, dass die Migrationspolitik derzeit der Schlüssel zum politischen Schicksal in Europa ist. Orbáns Wahlkampf war einzig auf das Zuwanderungsthema konzentriert. Der 54-Jährige warnte endlos vor Masseneinwanderung und präsentierte sich als Verteidiger eines “christlichen Europa”. Er spitzte die Debatte zu einem historischen Kampf der Zivilisationen zu und erreichte damit enorme Breitenwirkung in ganz Europa: “Wir betrachten diese Menschen nicht als muslimische Flüchtlinge. Wir betrachten sie als muslimische Invasoren.” Er habe nie verstanden, “wie in einem Land wie Deutschland das Chaos, die Anarchie und das illegale Überschreiten von Grenzen als etwas Gutes gefeiert werden konnte”. Just dieser Frontalangriff auf die Zuwanderungspolitik Merkels hat ihm den Sieg ermöglicht. Orbán besetzt das Thema, das derzeit in ganz Europa Wahlen entscheidet.
Die politische Klasse Berlins und Brüssels hat eines offenbar völlig unterschätzt: Immer mehr Europäer verlangen konsequenten Schutz vor islamischer Zuwanderung. Die Stimmung ist in wachsenden Teilen der Bevölkerung bei diesem Thema emotional aufgeladen. Die Wahlerfolgs-Vokabel von der “Invasion” verändert zudem den kommunikativen Duktus. Und immer mehr Politiker der Mitte schließen sich einer offen islamkritischen Sichtweise an – die innere Achse der europäischen Politik verschiebt sich damit nach rechts.
Der Sieg von Viktor Orbán in Ungarn beweise, “dass Konsequenz honoriert wird”, sagt Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer anerkennend. Der Premier habe “Kurs gehalten, das schätzt die Bevölkerung”. Dazu gehöre ein harter Kurs in der Flüchtlingspolitik. Und auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn meint, “bei aller Kritik an Viktor Orbán: Er setzt an der Grenze europäisches Recht um und sichert Europas Grenze.”
Damit wandelt sich die Tonlage in der Debatte auch Rechtspopulisten gegenüber. Die bisherige Strategie etablierter Parteien, über Stigmatisierung der Rechten als Rechtextreme die neue Konkurrenz klein zu halten, wirkt gescheitert. “Wir müssen uns mehr einfallen lassen, als nur die Nazikeule zu schwingen”, heißt es aus den Parteizentralen in Berlin. Die Probleme selber müssten offen angesprochen und rasch gelöst werden. Rechtspopulismus werde nur zurück gedrängt, wenn man die Ursachen, die ihn groß machen, objektiv beseitige, analysiert nun auch die SPD-Führung.
Damit aber zeichnet sich für die europäischen Demokratien eine unangenehme Alternative ab: Entweder man schließt die Außengrenzen vor muslimischen Zuwanderern oder man bekommt eine Orbánisierung des Kontinents.
Dieser Beitrag erschien zuerst im The European