Darüber, dass Olaf Scholz kein begnadeter Redner ist, muss man kein Wort verlieren. Welcher deutsche Bundeskanzler wäre das je gewesen. Mit dem Deutschen haben sie sich allesamt schwergetan, wenn auch nicht so schwer wie Angela Merkel, die ihrer Muttersprache nur eingeschränkt mächtig war. Schwamm drüber. Allein die Inhalte seiner flapsig hochmütigen Aussagen kann man dem Kanzler nicht so ohne weiteres durchgehen lassen. Was er in der ZDF-Sendung „Was nun Herr Scholz?“ abließ, war eine Unverschämtheit, die auch aus dem Abstand einiger Tage nichts von ihrer Virulenz verloren hat.
Nachdem Scholz gute 20 Minuten des Gesprächszeit mit Peter Frey und Bettina Schausten damit verbracht hatte, sich selbst für seine politische Weisheit zu loben, verstieg sich der Kanzler zu der Feststellung, der Krieg in der Ukraine sei kein „Kindergarten“. Gerichtet war die dummdreiste Belehrung an die Regierung in Kiew. Zynismus mag da noch das Harmloseste sein, was einem zu dieser rhetorischen Flegelei einfällt.
Gut möglich, dass sich der Kanzler im Ton vergriff, weil er mit dem Rücken zur Wand steht; er sagte der Ukraine militärisch wirksame Hilfe im Kampf gegen den russischen Aggressor erst zu, nachdem er vom Parlament und dem verbündeten Ausland dazu gedrängt wurde. Einem überfallenen Land, in dem täglich ganze Städte in Schutt und Asche gelegt werden, in dem die Invasoren morden, plündern und foltern, wie es ihnen in den Sinn kommt, einem solchen Land zu unterstellen, es habe den Ernst der Lage nicht begriffen, verrät nicht bloß mangelnde Empathie und Hochmut - es ist schlichtweg menschenverachtend. Redet er so, um sich das Elend nicht selbst ansehen zu müssen, dem Besuch in Kiew auszuweichen, keine Verpflichtungen einzugehen, die dem Genossen Putin in Moskau missfallen könnten? Bei der Ablehnung eines Besuchs in Kiew berief sich Scholz ausdrücklich auf die „Vorgeschichte“ einer solchen Visite. Erst wenn Wolodymyr Selenskyj sich für die Ausladung des deutschen Bundespräsidenten entschuldigt habe und ihn selbst einlade, könne auch der Bundeskanzler sich auf den Weg nach Kiew machen.
Alles hat eine Vorgeschichte
Dass auch die Ausladung von Frank-Walter Steinmeier die Folge einer Vorgeschichte war, kam dem Kanzler nicht in den Sinn. Eine Folge der sozialdemokratischen Kumpanei mit den russischen Kommunisten. Zwar hatte der Revolutionär Kurt Eisner, ein Mann vom linken Flügel der SPD, noch vor dem Ersten Weltkrieg gewarnt: „Russland ist für den Westen die Kriegsgefahr“, auch wurden die Sozialdemokraten von den Bolschewiki in der Zwischenkriegszeit als „der gemäßigte Flügel des Faschismus“ diffamiert; das hinderte Willy Brandt später nicht, den Einflüsterungen von Egon Bahr zu folgen und die „neue Ostpolitik“ unter dem Motto „Wandel durch Annäherung“ auf die Tagesordnung zu setzen. Eine wenig verwunderliche Entwicklung, bedenkt man die ideologische Verwandtschaft zwischen der SPD und den russischen Kommunisten. Beide Parteien gründen auf der Lehre von Karl Marx, auf einer Ideologie, die darauf abzielt, die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft durch ein sozialistisches Gemeinwesen mit Staatswirtschaft zu ersetzen.
Diese DNA der SPD blieb bis heute unverändert. Weder die marktwirtschaftliche Mimikry des Godesberger Programms von 1959 noch die Mitgliedschaft von Persönlichkeiten wie dem Hamburger Edelmann Klaus von Dohnanyi als bürgerliche Galionsfigur hat daran etwas geändert. Und als Gerhard Schröder begann, sich immer weiter an Moskau anzunähern, war es sein Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier, der die Fäden zog. Später legte er sich als „Vermittler“ dafür ins Zeug, Viktor Janukowytsch, Putins Statthalter in Kiew, ein sicheren Abgang zu ermöglichen.
Dessen Ausladung jetzt als Anlass zu nehmen, nicht dahin zu reisen, wo die Russen täglich neue Kriegsverbrechen verüben, legt die Vermutung nahe, dass dem Kanzler die alte Komplizenschaft wichtiger ist als die Freiheit eines Landes, das die Russen erobern wollen. Ein Genosse kratzt dem anderen nicht die Augen aus, könnte man sagen. Der ukrainische Botschafter lag jedenfalls so falsch nicht, als er Scholz in der Rolle der „beleidigten Leberwurst“ sah.
Der doppelte Irrtum
Auf seine intellektuelle Leibgarde kann sich der Kanzler jedenfalls noch immer verlassen. Ein Offener Brief an Olaf Scholz, in dem sich Alice Schwarzer dafür bedankt, dass Scholz alle Risiken so „bedacht“ erwägt, „das Risiko der Ausbreitung des Krieges innerhalb der Ukraine; das Risiko einer Ausweitung auf ganz Europa; ja, das Risiko eines 3. Weltkrieges“, dokumentiert, wie seine Follower ticken. Die Unterzeichner warnen darin vor einem zweifachen Irrtum: „Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern. Und zum anderen, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren ‚Kosten‘ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ausschließlich in die Zuständigkeit ihrer Regierung falle. Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.“
Und niemand kennt diese „Normen“ besser als der „Musiker“ Reinhard Mey, der „Kabarettist“ Gerhard Polt oder der „Schriftsteller“ Martin Walser oder eine gewisse Hannelore Hippe, „Schriftstellerin und Autorin“, nicht zu vergessen Alexander Kluge, der in seiner Eigenschaft als „Intellektueller“ unterschrieb. Zum Schluss der Epistel, wird dem „sehr verehrten Herrn Bundeskanzler“ untertänigst versichert, man sei „überzeugt, dass gerade der Regierungschef von Deutschland entscheidend zu einer Lösung beitragen kann, die auch vor dem Urteil der Geschichte Bestand hat“.
Woher sie wissen, wie das Urteil der Geschichte dereinst ausfallen wird, bleibt freilich das Geheimnis der „prominenten“ Appellanten. Als Fettaugen auf der Suppe des Wohlstands schwimmend, erwarten sie von der Geschichte nicht mehr viel - außer weiterhin das Beste für sich. Was andere erdulden müssen, auch weil der deutsche Kanzler so lange den toten Mann spielte, statt seinen Beitrag zur Bekämpfung von Putins Machtwahn zu leisten, das lässt sie kalt. Die Realität des Grauens soll ihnen die gute Laune nicht verderben. Ruhe ist die erste Promi-Pflicht. Nur keinen Widerstand leisten, der den Mann im Kreml erzürnen könnte.
Heute Abend, zum 77. Jahrestag des Kriegsendes, will der Kanzler eine Fernsehansprache halten. Möglich, dass er die Gelegenheit nutzen wird, seine Groupies zu beschämen. „Wegen des laufenden russischen Angriffs auf die Ukraine“, so die Bundesregierung in einer Vorabmeldung, werde es „ein besonderes Gedenken“ sein. – Wir sind gespannt.