Eine fiktionale Serie über die "Affäre Cum-Ex" schilderte gekonnt die verrottenden politischen Verhältnisse in diesem Land. Olaf Scholz hatte darin ebenfalls einen Auftritt.
Bis weit nach Mitternacht habe ich an zwei Tagen hintereinander vor dem Fernsehapparat gesessen, spannend unterhalten von der Affäre Cum-EX. Die Serie (8 Folgen), hieß es nach jeder Folge im Abspann, sei „fiktional“, aber angelehnt an einen beweisbaren Steuerbetrug, in den Banker, Anwälte und Steuerberater verwickelt waren. Die Namen der Personen und der Banken sind im Film frei erfunden. Wer sich in der Sache auskennt, kann manches entschlüsseln, so etwa die Hamburger Warburg Bank. Auch der Name ihres Eigners und Aufsichtsratsvorsitzenden Christian Olearius liegt einem schnell auf der Zunge. Sonst aber wird Diskretion gewahrt, der Skandal als Spielfilm gezeigt, nicht als Dokumentation. Die Handlung folgt dem organisierten Betrug gleichwohl akribisch.
Nur eine Person wurde bei ihrem Klarnamen genannt, Olaf Scholz. Das war schon vor der Sendung durchgesickert. Man durfte gespannt sein, wie der einstige Finanzsenator und spätere Erste Bürgermeister Hamburgs bei dem Nachspiel des Finanzskandals wegkommen würde. Erst gegen Ende der Filmserie kam er ins Spiel. Ausführlich wurde über das gesprochen, woran sich Olaf Scholz nicht mehr erinnern konnte, nachdem der Betrug aufgeflogen war. Kein Gedanke mehr daran, dass er sich dreimal mit Olerarius getroffen, ihn persönlich angerufen hatte, um Tipps für die Flucht vor der Strafverfolgung zu geben.
Kleiner Mann kommt groß heraus
Zitiert werden die Notizen des Bankers zu den Inhalten mehrerer Telefonate mit Scholz, auch was bei persönlichen Treffen vereinbart oder in Aussicht gestellt wurde. Mit dokumentarischer Treue bis hin zur Auswertung schriftlicher Zeugnisse haben die Autoren des Films aufgezeigt, wie sich Olaf Scholz als ein mächtiger Mann aufspielte, der die Finanzbehörde der Stadt würde anweisen können, den Vorgang im Archiv abzulegen, die Verfolgung des Steuerbetrugs der Warburg Bank einzustellen. Die Banker kamen zunächst mit weniger als einem blauen Auge davon. Scholz gab den helfenden Freund, weil er dazu gehören wollte. Die großen Gangster, die Reichen, sollten den kleinen Mann als einen bedeutenden ansehen. Zwei Nachzahlungen von 44 und 46 Millionen wurden dann tatsächlich nicht von der Stadt eingefordert. Nur wollte sich Scholz bereits kurz nach den Gesprächen mit den Bankern an nichts mehr erinnern.
Der Film entlarvt und blamiert den Genossen nun bis auf die Knochen. Ein in den Fall eingebundener Journalist glaubte noch kurz vor der Aufdeckung der Hanseatischen Cum-Ex-Affäre, dass Scholz dies nicht werde überstehen können, dass damit sein Karriere beendet sein würde. Es sei denn, er habe „eine Haut aus Teflon“. Tatsächlich zuckte der Erste Bürgermeister nicht, als es heiß wurde. Sogar als bekannt war, dass die Bank den Staat betrogen hatte, indem sie sich Steuern erstatten ließ, die nie bezahlt worden waren, und bereits Ermittlungen gegen die Banker liefen, durfte sie auf den Beistand von Olaf Scholz setzen. Er beriet die Vorstände, wie sie den Kopf aus der Schlinge ziehen könnten und gab ihnen zu verstehen, die Finanzbehörde entsprechend zu instruieren.
Der Film lässt keine Fragen offen
Alles kommt im Film zur Sprache und wird aktenkundig belegt. Das Zusammenspiel des politischen Oberhaupts von Hamburg mit den Bankern lief wie am Schnürchen zum Vorteil der Verdächtigten. Und Scholz hat sich, als die Kumpanei zwischen der Politik und der Finanzwelt aufflog, keineswegs im Mauseloch verkrochen. Im Gegenteil, seine Karriere nahm Fahrt auf bis zur Ankunft im Kanzleramt. Ein Mann, der auf die Anklagebank gehört hätte, konnte sich frei schwindeln und Regierungschef der deutschen Bananenrepublik werden.
Der Film lässt keine Fragen offen. Er entlarvt, wie verkommen die politischen Eliten des Landes sind. Fragen musste man sich zum Schluss bloß noch, weshalb der Film erst jetzt, Wochen nach der Bundestagswahl, und nicht schon davor ausgestrahlt wurde. Und weshalb lief er zu Zeiten, da die meisten Deutschen in den Federn liegen, größere Einschaltquoten nicht zu befürchten sind. Zufall, alles Zufall? Mag sein, obwohl das Doku-Drama sehr überzeugend zeigt, dass vieles, was uns zufällig anmuten könnte, insgeheim hinter den Kulissen ausgehandelt wird. In der Logik der Darstellung verrotteter politische Verhältnisse läge es, dass die Wirkung des Films verpuffen soll, wie die eines Tatort-Krimis. Das jetzt noch einmal gegen die Drahtzieher des Steuerbetrugs und ihre politischen Lakaien ermitteln werden könnte, scheint ausgeschlossen.
Der Millionenbetrug ist verjährt und Scholz außer Gefahr. Alles in Butter auf dem deutschen Kutter.
Dr. Thomas Rietzschel, geboren 1951 bei Dresden, Dr. phil, verließ die DDR mit einer Einladung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Er war Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und lebt heute wieder als freier Autor in der Nähe von Frankfurt. Verstörend für den Zeitgeist wirkte sein 2012 erschienenes Buch „Die Stunde der Dilettanten“. Henryk M. Broder schrieb damals: „Thomas Rietzschel ist ein renitenter Einzelgänger, dem Gleichstrom der Republik um einige Nasenlängen voraus.“ Die Fortsetzung der Verstörung folgte 2014 mit dem Buch „Geplünderte Demokratie“. Auf Achgut.com kommt immer Neues hinzu.