Gerd Held / 17.07.2015 / 06:18 / 3 / Seite ausdrucken

Griechenland-Debatte: Ohne Souveränität geht es nicht

Das Griechenland-Abenteuer, Teil 4

In diesen Tagen der Griechenland-Krise blitzte kurz etwas auf. Das „Nein“ der Bundeskanzlerin zu immer neuen Gesprächen, bevor überhaupt ein Ergebnis des Referendums vorlag, tat gut. Auch wenn man davon ausgehen musste, dass dies nur ein Zwischenstopp war,  so haben doch in diesem Moment viele Menschen in Deutschland und Europa „endlich“ gesagt. Endlich wurde eine Grenze gezeigt. Endlich wurde einmal innegehalten, um den Weg zu prüfen, auf den man geraten ist. So könnte es in vielen Dingen gehen, die gegenwärtig aus dem Ruder laufen. Wie sehr uns das gefehlt hat!

Dann kam das Ergebnis des griechischen Referendums. Es zeigte, dass es eine klare Mehrheit gegen einen Sanierungskurs gibt. Eine Mehrheit, die die Lage des Landes anders sieht, die andere Erwartungen für sich und andere Ansprüche an die Außenwelt hat. Eine Mehrheit, die eine andere Vorstellung davon hat, was gerecht und legitim ist. Ein solches Referendum kann man nicht wie irgendeine Meinungsumfrage behandeln, die morgen wieder ganz anders ausfallen kann. Nicht, dass hier eine naturgegebene, ewige „Mentalität der Südländer“ gesprochen hätte, aber eine Einstellung des Volkes, wie es in der griechischen Gegenwart gegeben ist, ist sichtbar geworden - parteiübergreifend, generationsübergreifend, städtische und ländliche Gebiete umfassend. Eine Reformmehrheit ist nicht in Sicht und sie wird auch nicht durch die Not am Bankschalter herbeigeführt werden – da sind die Menschen doch ein bisschen anders gebaut. Damit steht nichts zur Verfügung, was den Begriff „Reform“ erfüllen könnte. Eine Reform setzt eine innere Akzeptanz im Lande voraus - sonst gibt es bloß Maßnahmen, die mehr oder weniger hingenommen wird, aber letztlich als äußerer Zwang empfunden werden. Zu eigenen Reformbemühungen können sie nicht führen.

Spätestens hier wäre der Zeitpunkt gewesen, nun definitiv mit dem Zwangsfördern Schluss zu machen. Doch dies geschah nicht. Stattdessen wurden neue Verhandlungen anberaumt und die Vertreter der Gläubigerinstitutionen verrieten damit, wie wenig in ihrer Vorstellung von Entwicklung der Faktor „Souveränität“ und die Ressource der eigenen Kraft vorkommt. Indem man neue Gespräche anberaumte, war man wieder – heilige Einfalt – beim Glauben an den runden Tisch, an eine Verständigung, an eine Vereinbarung. Vor allem beim Glauben an die Realitätsmacht von Beschlüssen. Es ging nur noch darum, wie „hart“ oder „weich“ die Vereinbarungen ausfielen. Das Ergebnis des ermüdenden Ringens um einen Text ist doppelbödig. Deutschland und andere Staaten der Eurozone setzten durch, dass in den Einzelvorhaben recht harte Maßnahmen niedergeschrieben wurden, Frankreich und andere Staaten setzten ein „Grexit-Tabu“ durch. Jeder Hinweis auf ein mögliches Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone wurde aus der Vereinbarung verbannt. Damit war das einzige Druckmittel, das mit der Souveränität aller Akteure vereinbar war, ausgeschlossen. Man war wieder beim Hineinregieren von außen angelangt, um die Beschlüsse umzusetzen – und die Vereinbarung hatte auf diesem Feld, auf dem man bisher gescheitert war, keine neuen Hebel vorzuweisen. 

Dann verbrachte man einige Tage mit der Spekulation, ob die Beschlussfassung im griechischen Parlament die Tsipras-Regierung zerreißen würde. Das tat sie nicht. Denn das Umsetzungsproblem liegt nicht hier. Was sind nicht alles schon für Beschlüsse in Athen gefasst worden, die nie in der griechischen Realität angekommen sind. Mit anderen Worten: Es gibt gar kein gemeinsames Grundverständnis über die Geltungskraft von Gesetzen. Für die Syriza-Partei und ihren rechtsextremen Koalitionspartner, die die Exekutive besetzt halten, öffnet sich hier ein weites Feld, um die beschlossenen Maßnahmen zu hintertreiben. Man kann die Mehrwertsteuer erhöhen und es gleichzeitig dulden, dass ein noch größerer Teil des Wirtschaftslebens in die Schattenwirtschaft abtaucht. Die Verwaltung und die Gerichte können die Privatisierung und die Rentenkürzungen hintertreiben. Es gibt zig Möglichkeiten, die Akten der Sozialversicherungen „großzügig“ zu führen oder, auf kommunaler Ebene, die Registrierung der Immobilien zu hintertreiben (Kataster). Nicht zufällig gab es am Tag der Parlamentszustimmung zur Brüsseler Vereinbarung einen Streik der Staatsbediensteten. In diesem doppelbödigen Spiel kann die Referendum-Mehrheit ihr „Nein“ zur Geltung bringen. Der Herrschaftsbereich der Reform-Ablehnung liegt vor Ort. 

Diese Doppelbödigkeit zwischen Gesetz und Realität ist sattsam bekannt, zum Beispiel in Italien. Dort gibt es die strengsten städtebaulichen Gesetze und gleichzeitig die größte Zufälligkeit im praktischen Vollzug. Und es gibt die unendliche Süditalien-Affäre, in die Milliarden geflossen sind und alle möglichen „Troikas“ aus Rom oder Mailand unterwegs waren, um die Dinge zu überwachen. Sie sind gescheitert. Soll dies Süditalien-Syndrom nun mit Griechenland in eine europäische Dimension gehoben werden? Georgios Chondros, Mitglied im Zentralkomitee von Syriza, brachte es am 13. Juli im Spätjournal des österreichischen Fernsehens ORF 2 auf den Punkt: „Ob die Vereinbarung umsetzbar ist, steht im Raum“. Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl und so sollte man auch die Tsipras-Logik verstehen. Wenn er erklärt, seine Unterschrift sei in Brüssel erpresst worden, so erklärt er im Grunde die Vereinbarung und alle daraus folgenden Beschlüsse für illegitim. Wer vom Brüsseler „Putsch“ gegen Griechenland spricht, ruft zur Fronde im Lande auf. 

Soll Europa diesen Weg wirklich weitergehen? Soll es sich in diesem Land am Ende gar in einen „Umsetzungskrieg“ verwickeln und Verwaltungsbeamte als Bodentruppen nach Athen oder auf den Peloponnes schicken? Das kann niemand wollen. Ebenso wenig ist es eine Alternative, dies Land mit noch mehr Geld und guten Worten zu füttern. Es gibt in Richtung Einmischung einfach keine vertretbare Option mehr. Das ist eine Erfahrung, die der Westen in den letzten Jahren an mehreren Stellen machen musste: Das nation building von außen scheitert. Ohne Souveränität geht es nicht. Neu ist, dass Europa das jetzt auch in seinem Inneren bei einem Mitglied der Euro-Gruppe feststellen muss. Noch sträubt sich die europäische Politik gegen diese Einsicht.

Mit der Brüsseler Vereinbarung soll das Zwangsfördern noch einmal verlängert werden. Dabei gibt es aber eine bedeutsame Verschiebung in der Begründung. Nicht die Aussichten für Griechenland stehen im Vordergrund, sondern der europäische Zusammenhalt. Ein Grexit, so heißt es, würde das große Ganze von Europa gefährden. Und es geht noch um mehr. Im Schatten der griechischen Krise wird versucht, die Gewichte zwischen den Gemeinschaftsinstitutionen und den Mitgliedsstaaten zu verschieben. Ein anderes, stärker zentralisiertes Europa, das die geschlossenen Verträge nicht mehr kennt, zeichnet sich ab. Dazu gehört die kategorische Ablehnung eines Grexit, mit der das Gebot errichtet wird, jedes Mitglied in der Gemeinschaft zu halten – auch wenn man dafür die europäischen Verträge brechen und das Recht beugen muss. Damit wird eine neue Machtpolitik in Europa eingeläutet. „Wenn Deutschland es auf einen Grexit anlegt, provoziert es einen tiefgreifenden Konflikt mit Frankreich. Das wäre eine Katastrophe für Europa“ erklärte der Luxemburger Außenminister. Zugleich zirkulieren Vorschläge, die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu zentralisieren und ein quasi-staatliches EU-Budget einzuführen. Bei alledem scheint Frankreich eine besondere Rolle zu spielen. Nicht nur Francois Hollande sondern auch Nicolas Sarkozy haben das Grexit-Tabu aufgerichtet. Hinter den Kulissen lief manch merkwürdiges Zusammenspiel zwischen Paris, Brüssel und Athen. Entsteht hier eine neue französische Staatsräson, die ihren Vorteil in einem möglichst wenig vertragsgebundenen, „voluntaristischen“ Gesamteuropa sucht? Das wird man aufmerksam beobachten müssen.

Am heutigen Freitag wird der Bundestag debattieren und entscheiden. Es wird keine leichte Debatte sein. Deutschland hat sich exponiert, es steht unter Druck von außen. Die Kanzlerin und noch mehr der Finanzminister sind erheblichen Anfeindungen ausgesetzt. Es sind Anfeindungen, die dem Recht Deutschlands gelten, „Nein“ zu sagen – auch wenn es aus guten Gründen und mit nüchterner Urteilskraft erfolgt. Oder gilt jedes deutsche Nein von vornherein als ideologisch, als „Staatsstreich“ und (wenn wir schon dabei sind) als „rassistisch“? Es wäre in der Debatte also wichtig, dass die Kritik an der Bundesregierung (die richtigen Statements des Vizekanzlers eingeschlossen) ausdrücklich zurückgewiesen wird. Dadurch würde der Deutsche Bundestag auch in eigener Sache sprechen und auf der Souveränität seines Urteils pochen. Würde er sich hingegen der Hetze gegen Wolfgang Schäuble anschließen, würde er nur seine eigene Rolle herabsetzen. Dass in der Griechenland-Affäre die Budget-Hoheit des Parlaments (als Treuhänder des Steuerzahlers) und seine Kontrollaufgabe bei außenpolitischen Verpflichtungen tangiert sind, gerät unter dem Einfluss der Brüsseler Bilderflut leicht in Vergessenheit. Da könnte eine gute Bundestags-Debatte einmal die Stühle geraderücken – und damit auch andere Länder ermutigen. 

Es geht nicht nur um ein Votum, wichtig ist das Niveau der Debatte. Hier muss sich erweisen, ob die Abgeordneten überhaupt frei die Gründe pro und contra erörtern können. Hier muss sich auch erweisen, ob sie andere Optionen als die Rettungspolitik zu erwägen bereit sind. So kann die Debatte zeigen, dass hier nicht nur der Zwang regiert, sich als sogenannter „guter Europäer“ zu bekennen, sondern auch der Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Schafft es das Parlament, den (moderaten) Grexit-Vorschlag des deutschen Finanzministers ausdrücklich als konstruktiven Beitrag zu würdigen? Damit könnte es sich in Deutschland und in Europa einigen Respekt verschaffen. Ja, hier könnte einmal ein Parlament zeigen, dass es mit stärkerer Stimme sprechen kann als eine Regierung. 

Beim Votum über die Brüsseler Vereinbarungen wird noch einmal das „Ja“ gewinnen. Aber es wird ein Ja ohne wirkliche Überzeugung sein, ein Ja ohne Zukunft. Deshalb wird es wichtig sein, dass es auch einen starken Block von Nein-Stimmen gibt. Genauer: Von solchen Nein-Stimmen, die auf der Einsicht beruhen, dass es gegenwärtig kein Reformbündnis mit Griechenland geben kann, weil dazu die Eigenkräfte im Land nicht da sind. Auf diese Einsicht wird man über kurz oder lang zurückkommen. 

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Peter Hünten / 17.07.2015

Clausewitz definierte den Krieg als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Das Ziel jeden Krieges: Dem staatlichen Nachbarn den eigenen Willen aufzwingen. Insofern führt die EU “Krieg” gegen Griechenland mit all den Folgen, die ein Krieg nach sich zieht: Hass, Verweigerung, Rachegelüste. Die EU ein Friedensprojekt. So sicher nicht.  Die einzige Möglichkeit, das Problem Griechenland grundlegend zu behandeln, ist der Grexit. Die Griechen müssen auf sich selbst zurück geworfen werden und aus eigener Kraft einen Neuanfang wagen. Soziale Verwerfen kann die EU für eine Weile auffangen. Der Schuldenberg ist abzuschreiben, das Geld ist verloren, es kann sowieso niemals zurück gezahlt werden, es sei denn, die EZB schafft es, im Euroraum eine kontrollierte Inflationsrate um die 10 % zu erzeugen. Danach sieht es aber nicht aus.

Cora Stephan / 17.07.2015

Großartig. Danke.

Gerhard Sponsel Lemvig / 17.07.2015

Die Zwangsförderung Greichenlands wird in der Volkskammer heute durchgewunken. Den Abgeordneten bleibt für ca. 2 Jahre der Vorwurf erspart mit der Lohnsteuer des deutschen Arbeiters real dann griechische frühpensionierte Staatsbedienste zu alimentieren. Aufgehoben ist nicht aufgehoben. Bald knallt es gewaltig. Mit immer mehr Schulden Europa ruhig zu stellen sind sozialistische Umverteilungsträume die immer gefährlicher werden.  Irgendwie entwickelt sich in mir ein mulmiges Gefühl. Wie Angst !

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