Wenn die Spitze einer Partei nicht auf ihre Mitglieder und Wähler hört und sich selbst genug zu sein scheint, ist das ihre Sache, mit allen Konsequenzen. Wenn aber eine verdiente Partei wie die SPD deswegen den Bach runtergeht, ist das für unsere Demokratie schon tragisch.
Wenn etwa der Berichterstatter der SPD-Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft im Bundestag, Carsten Träger, in einer Pressemitteilung als Ergebnis einer im Auftrag der Fraktion erstellten Studie verkündet, dass das Label „Ohne Gentechnik“ ein Erfolg sei, dann fragt man sich, in welcher Blase dieser Mensch lebt. Das Beste, was man seit seiner Einführung zu diesem Label sagen kann, ist, dass es in Gesetzesform gegossene Verbrauchertäuschung ist, denn es gibt zu viele Ausnahmen.
Außerdem sagt es nicht aus, wie sicher oder unsicher ein derart gekennzeichnetes Produkt ist, es ist einfach nur ein Marketing-Gimmick für doofe Verbraucher. Wenn also auf Eiern oder Milchprodukten steht „Ohne Gentechnik“ dann kann durchaus ein „bisschen“ Gentechnik drin sein. Wenn etwa auf einem Käse dieses Label prangt, dann ist es trotzdem sehr wahrscheinlich, dass dieser Käse mit gentechnisch erzeugtem Labferment hergestellt wurde oder die Kuh, die die Milch lieferte, mit einen gentechnisch erzeugten Medikament behandelt wurde.
Besonders krass wurde die Situation aber im Juli vergangenen Jahres, als der EuGH, angerufen vom höchsten französischen Verwaltungsgerichtshof, in einem von allen Fachleuten als sachlich völlig daneben liegend verworfenen Urteil erklärte, dass alle Mutageneseverfahren als Gentechnik zu gelten haben. Grund für die Anrufung des EuGH war die Unsicherheit, wie die neuen Züchtungsverfahren des „Genome Editing“ mittels der Genschere CRISPR/cas oder TALEN einzustufen sind. Durch diese erst vor wenigen Jahren endeckten, der Natur abgeschauten Methoden ist es möglich, Gene gezielt zu verändern und so den Züchtungsprozess erheblich zu beschleunigen.
90 Prozent der Lebensmittel mit Gentech-Hintergrund
Mutationen, daran sei erinnert, sind die Grundlagen nicht nur der Züchtung neuer Pflanzen und Tiere, sondern auch der Entwicklung der Biodiversität. Als 1921 die deutsche Genetikerin Emmy Stein erstmalig über die Mutationsauslösung durch ionisierende Strahlen berichtete, begann die Ära der Mutationszüchtung, die erst mit der Entdeckung der Gentechnik in den frühen 1980er Jahren mehr oder weniger zum Erliegen kam. Im Verlaufe der Jahrzehnte wurden viele spontane und noch mehr erzeugte Mutationen in die Sorten unserer Kulturpflanzen eingekreuzt. Übrigens: Die Auslösung von Mutationen durch Strahlen oder Chemikalien ist zufällig, ungenau und irgendwelche negativen Effekte wurden – weil es die entsprechenden Methoden noch nicht gab – auch nie untersucht.
Man schätzt, dass nahezu alle heute angebauten Kulturpflanzen durch induzierte Mutationen verbessert wurden, selbstverständlich auch die, die im Biolandbau verwendet werden. Daraus folgt, dass das Siegel „Ohne Gentechnik“ noch weniger wert ist, denn man kann davon ausgehen, dass somit etwa 90 Prozent unserer Lebensmittel einen gentechnischen Hintergrund haben. Im Rahmen der Entwicklung unseres gegenwärtigen Gentechnikrechts Ende der 1980er Jahre wurden allerdings die klassischen Verfahren der Mutationsauslösung wie ionisierende Strahlung oder DNA-schädigende Chemikalien einer Ausnahmeregelung unterworfen: Sie müssen nicht gekennzeichnet werden. Begründung: Die lange Erfahrung zeige, dass diese Verfahren sicher seien. Dieses Argument könnte übrigens auch für die mittlerweile „klassische“ grüne Gentechnik gelten, die kennen und nutzen wir (also nicht in Deutschland, aber weltweit) ja auch seit 1983, also seit über 30 Jahren.
Grüne Jugend praktisch bildbar
Zurück zur Einordnung der Mutagenese: Nach europäischer Rechtsordnung sind also seit Juli 2018 alle durch Mutationen verbesserten Pflanzensorten als Gentechnik einzustufen. Durch juristische Haarspaltereien werden die ungenauen und nie auf unerwünschte Nebeneffekte untersuchten „klassischen“ Mutationsverfahren von Juristen als „sicher“ eingestuft, die präzisen und auf unerwünschte Nebeneffekte aber überprüfbaren neuen Methoden einem restriktiven Gentechnikrecht unterworfen.
Dieses Recht hat im Übrigen dazu geführt, dass die klassische grüne Gentechnik nur von großen multinationalen Konzernen betrieben werden konnte, denn nur die können sich die hohen Kosten für das „Inverkehrbringen“ leisten. Anmerkung am Rande: Die neuen Verfahren des Genome Editing sind sehr kostengünstig und auch durch kleine und mittelständische Züchter durchzuführen. Damit können auch sehr schnell regional angepasste Sorten entwickelt werden, die etwa dem Klimawandel besser trotzen könnten.
Das EuGH-Urteil, welches diese Produkte als GVOs bewertet, führt dann, wenn sich nicht einmal die Vernunft durchsetzt, wieder dazu, dass nur die großen Firmen diese Techniken einsetzen könnten. Und diese Vernunft ist nicht nur in der Wissenschaft vorhanden, sondern auch (Trommelwirbel, Tusch!), bei der Grünen Jugend Niedersachsens.
Diese hat im Oktober 2018 bei der Landesdelegiertenkonferenz in Celle einen bemerkenswerten Antrag eingebracht. Leider konnte ich nicht ermitteln, welches Schicksal diesem Antrag beschieden war, aber es ist erstaunlich, dass heute Teile der Grünen Jugend (jedenfalls die, die nicht in Berlin leben müssen) anders ticken als mach grünes Fossil.
Was hat das jetzt alles mit der SPD zu tun? Im Dezember, als die von Carsten Träger zu verantwortende Jubelmeldung veröffentlicht wurde, war die Diskussion über das Talmi-Siegel „Ohne Gentechnik“ längst im Gange. Das hätte irgendwie auch die SPD-Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft mitkriegen können. Und was macht die: Spielt einfach weiter, wie einst die Kapelle auf der Titanic!